Kultur

Die Rückkehr des verlorenen Hollywood-Sohnes

Der Schauspieler Shia LaBeouf soll seit vielen Jahren gewalttätig gegenüber Frauen sein. Nun beginnt er ein Comeback – auch mit Hilfe des Katholizismus. Nicht die erste religiöse Legitimation prominenter Reue.

Eigentlich war er nie der religiöse Typ, das hat er selbst zugegeben. “Religion is funny. If it gives people hope, it makes sense. But it never made sense to me”, meinte Schauspieler Shia LaBeouf noch 2007 in einem Interview. Der damals 21-Jährige hatte gerade den Action-Blockbuster “Transformers” abgedreht, es folgten zahlreiche weitere Hollywood-Filme. Selten äußerte er sich zu Religion. Doch nun, nachdem er eineinhalb Jahre keine Filme gedreht hatte, die Kehrtwende: In einem gut 80-minütigen YouTube-Interview berichtet LaBeouf ausführlich, dass er gläubiger Katholik ist. Was ist passiert?

Nun, da wären die Vorwürfe. LaBeouf ist Ende 2020 von seiner Exfreundin, der Musikerin FKA Twigs, des emotionalen, physischen und sexuellen Missbrauchs bezichtigt worden. Eine weitere ehemalige Wegbegleiterin des Schauspielers, Karolyn Pho, berichtete von ähnlichen Erfahrungen. Schon mehrfach ist LaBeouf wegen Alkoholmissbrauchs und öffentlichen Gewaltausbrüchen festgenommen worden. 2015 wütete LaBeouf vor Zeug:innen in Tübingen, dass er seine damalige Partnerin Mia Goth getötet hätte, wenn die Beistehenden ihn nicht weggezogen hätten. LaBeouf blutete an den Fingerknöcheln, wirkte den Augenzeug:innen zufolge betrunken. Am nächsten Tag tauchten Paparazzi-Fotos von Goth auf – mit Schrammen im Gesicht.

LaBeouf hatte nach FKA Twigs‘ Vorwürfen der Presse zunächst mitgeteilt, dass er „abusive“ zu sich selbst und anderen um ihn herum war, und dies „for years“. Kurz darauf stritt er jedoch alle ihre Anschuldigungen ab. Seitdem herrschte Funkstille. Der Prozess gegen LaBeouf wird im April kommenden Jahres beginnen.

Die Erlösungs-Tour des Gottesgeschenks

Was also tun, um den angeschlagenen Ruf zu retten? Ein findiges PR-Team könnte eine ausgefeilte Image-Kampagne vorschlagen, eine sogenannte “redemption tour”. Und wie durch ein Wunder hagelt es plötzlich seit Tagen positive Nachrichten über den vermeintlichen Täter, um den es lange still war. In einem offenen Brief im Magazin Variety schreibt er von seiner kürzlich geborenen Tochter, dass er „sober“ ist, und betont das gesunde Verhältnis zu seiner – mittlerweile angetrauten – Frau Mia Goth.

Doch bei dem offenen Brief bleibt es nicht. Am gleichen Tag erscheint das Interview mit dem katholischen Bischof Robert Barron auf YouTube. Barron ist der katholische Geistliche mit den meisten Internet-Followern in den USA, abgesehen von Papst Franziskus selbst. In dem Interview erklärt LaBeouf, dass der Glaube ihm sein Leben gerettet habe. Anlass soll seine Hauptrolle in dem neuen Film „Padre Pio“ sein, in dem er den bekannten italienischen Franziskanerpriester Francesco Forgione (1887 bis 1968) spielt. Es ist seine erste Filmrolle seit den Anschuldigungen. Zur Vorbereitung hat LaBeouf laut eigener Aussage Zeit in einem Kloster verbracht und soll dort zum Glauben gefunden haben.

Eigentlich ist er mit zwei Religionen aufgewachsen. Seine Mutter ist jüdisch, der Vater Christ. Der hebräische Name “Shia” soll laut LaBeouf übersetzt “das Geschenk Gottes” bedeuten. Der Schauspieler gab früher an, dass er getauft wurde und eine Bar Mitzwah erhielt. Barron hingegen erklärt er, dass er früher überzeugter Atheist gewesen sei. Im Kloster habe er sich dann aber ernsthaft mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt und viel gelernt: „Wenn ich früher an Jesus dachte, sah ich immer eher so etwas wie einen Buddhisten vor mir, sehr weich und zerbrechlich. Das passte nie zu meinem Bild von Männlichkeit.“

LaBeouf tut öffentlich Buße. Er spricht von seinem Leid, seiner Scham, setzt sich demütig mit toxischer Maskulinität auseinander. Kein Wunder also, dass der Schauspieler sich zum traditionalistischen Katholizismus bekennt, und nicht etwa zu liberaleren Spielarten des christlichen Glaubens. Im Interview schwärmt er von der Tridentinischen Messe. Wie performativ das Ganze ist, kann nur LaBeouf selbst sagen. Analytisch betrachtet passt sein neu gefundener Glaube ins Raster. Der „Existential Security Thesis“ der Politolog:innen Pippa Norris und Ronald Inglehart zufolge sind Menschen umso religiöser, je größer ihre existenziellen Risiken sind. Oder: Not lehrt beten.

Ein bekanntes Drehbuch

Sexuelle Übergriffe durch Männer in Machtpositionen sind seit Jahren ein viel diskutiertes Thema in der katholischen Kirche. Dadurch steht sie immer wieder in der Kritik. Hier allerdings könnte ein vermeintlicher Täter in einer Machtposition sich des Katholizismus’ als Feigenblatt bedienen. Kann Religion der öffentlichen Meinungsmache, der scheinheiligen Manipulation dienen? Shia LaBeouf ist schließlich nicht der erste berühmte Mann, der scheinbar das Christentum nutzt, um seinen Ruf zu retten.

Da haben wir den Schauspieler Charlie Sheen. Er prügelte 1996 seine damalige Freundin Brittany Ashland bewusstlos und wurde zu einer Bewährungsstrafe und Sozialstunden verurteilt. Im Jahr darauf gab er bekannt, dass er ein wiedergeborener Christ geworden sei. Die Strategie ging auf: Bei der Sitcom “Two and a Half Men” verdiente Sheen wenige Jahre später eine Million Dollar pro Folge, wurde zum bestbezahlten TV-Schauspieler des Landes.

Der Hollywood-Star Mel Gibson fiel durch zahlreiche antisemitische Kommentare und Gewalt gegen Frauen auf. Dennoch kann der “Braveheart”-Darsteller (laut LaBeouf sind die beiden “quite close”) weiterhin in Hollywood arbeiten. Ein Grund ist sicherlich, dass der katholische Gibson 2004 mit “Die Passion Christi” die Gunst vieler Christ:innen gewonnen hat. Das Werk hat 612 Millionen Dollar eingespielt und ist der erfolgreichste christliche Film aller Zeiten.

Der Musiker und sogenannte “Schockrocker” Marilyn Manson hingegen bezeichnete sich jahrelang als Antichrist und betonte seine schon in der Kindheit beginnende Abscheu gegenüber der Kirche. Brian Warner, so sein echter Name, wurde 2021 mit zahlreichen Vorwürfen konfrontiert, unter anderem der sexuellen Gewalt und Vergewaltigung. Warner streitet die Anschuldigungen ab – und zeigte sich in den vergangenen Monaten mehrere Male bei den sogenannten „Sonntagsgottesdiensten“ seines Musiker-Kollegen Kanye West.

Auch Prinz Andrew, der zweitälteste Sohn der gerade verstorbenen Königin Elisabeth II., scheint seine Religiosität kürzlich wiederentdeckt zu haben. Im Zusammenhang mit dem Prostitutionsring von Jeffrey Epstein wurde auch der britische Adlige als mutmaßlicher Täter genannt. Eine Frau beschuldigt Andrew, sie als 17-Jährige mehrfach vergewaltigt zu haben. Der Prinz streitet dies vehement ab – und ließ sich seit den Vorwürfen regelmäßig mit seiner Mutter beim Kirchgang ablichten.

Eine religiöse Legitimation der Reue

Diese Männer begeben sich vermeintlich in die Arme Gottes, der ihnen ihre Sünden vergibt. Wer könnte noch schlecht von ihnen denken, wenn die höchste Transzendenz sie doch liebt? Ein breites Hindernis tut sich hier allerdings auf: Religion kann nur dann politisch manipuliert werden kann, wenn sie sowohl präsent als auch bedeutend genug ist, um manipuliert zu werden. Im stark säkular geprägten Westeuropa erhalten Prominente für einen solchen Schachzug wahrscheinlich wenig Applaus.

In den Vereinigten Staaten hingegen sind Religion und Parteipolitik immer wieder miteinander verflochten. In einem Land, in dem sich noch immer 63 Prozent der Bevölkerung als Christen identifizieren, könnte Shia LaBeoufs Rückkehr zum Christentum Anklang finden. Zusätzlich herrscht ein politisches Klima, in dem evangelikale und katholische Fundamentalisten versuchen, den Ton anzugeben.

Begünstigend könnten auch die Sozialen Medien wirken: Im Netz werden berühmte Männer mit der notwendigen PR aktuell besonders vehement verteidigt, wenn sie Frauen Gewalt angetan haben sollen. Zuletzt war eine solche Kampagne beim Prozess gegen Johnny Depp zu beobachten.

“God comes to those who give, to those who ask”, sagt LaBeouf mit Nachdruck im YouTube-Interview. Zwar räumt er ein, dass er ursprünglich nur ins Kloster gefahren sei, um seine Karriere zu retten. Doch mittlerweile weiß er: Je mehr Liebe er zeige, desto näher sei er Gott. Wie viel Gerechtigkeit seine mutmaßlichen Opfer von ihm bislang erfahren haben, ist unbekannt. Die nächste LaBeouf-Schlagzeile ließ jedenfalls nicht lange auf sich warten: Der Regisseur Francis Ford Coppola verpflichtete den Schauspieler für sein nächstes Werk.