Aufarbeitung sexualisierter Gewalt

Start der URAKs: Alle an einem Tisch?

Eigentlich sollen in der Evangelischen Kirche und Diakonie in diesen Tagen die Unabhängigen regionalen Aufarbeitungskomissionen ihre Arbeit aufnehmen. Doch in mindestens drei von neun Verbünden gibt es Probleme.

Die Aufarbeitung des Missbrauchs in der Evangelischen Kirche und Diakonie „ist und bleibt eine Daueraufgabe“ – mit dieser mahnenden Erinnerung verkündete die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischöfin Kirsten Fehrs, vor zwei Wochen den Start der Unabhängigen regionalen Aufarbeitungskommissionen (URAKs). Fünfzehn Monate hatten Landeskirchen und Diakonie Zeit, die URAKs zu bilden, die mit der Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs der Bundesregierung (UBSKM), Kerstin Claus, im Dezember 2023 in einer „Gemeinsamen Erklärung“ verabredet wurden. Der „Gemeinsamen Erklärung“ haben alle evangelischen Landeskirchen und Landesverbände der Diakonie zugestimmt (Text der „Gemeinsamen Erklärung“ als PDF + Auslegungshilfe als PDF).

Mit der Einrichtung der URAKs in insgesamt neun Verbünden aus Landeskirchen und Landesverbänden der Diakonie (s. Karte) beginnt die systematische und flächendeckende Aufarbeitung von Missbrauch und sexualisierter Gewalt „nach verbindlichen Kriterien und Standards“. Rüdiger Schuch, der Präsident der Diakonie Deutschland, erklärte, die mit der UBSKM verabredeten Standards setze man deshalb um, „weil wir gegenüber Betroffenen eine gemeinsame Verantwortung für das geschehene Unrecht tragen“.

Bei Fristende gibt es aber in mindestens drei der neun Verbünde Probleme. Die Standards für die Einrichtung der URAKs konnten nicht eingehalten werden. In den Verbünden „Konföderation und Bremen“ und „Sachsen“ wird die Arbeit der URAKs erst verspätet beginnen können, gaben EKD, Diakonie und die beteiligten Landeskirchen bereits vor zwei Wochen bekannt. Aber auch im Verbund „Württemberg“ konnte die URAK, die sich heute (27. März) zu ihrer konstituierenden Sitzung trifft, nicht nach den deutschlandweiten Standards gebildet werden.

Ein anspruchsvoller Prozess

In den URAKS sollen Vertreter:innen von Kirche und Diakonie, Betroffene sexualisierter Gewalt aus kirchlichen und diakonischen Kontexten sowie von den jeweiligen Landesregierungen benannte Expert:innen zusammenarbeiten. Die „Gemeinsame Erklärung“ formuliert für diese Arbeit Ziele und Voraussetzungen. Die URAKs sind Teil der institutionellen Aufarbeitung und ein wichtiger und überfälliger Teil der Aufarbeitungsbemühungen von Kirche und Diakonie.

„Erst mit Benennung und Berufung aller Mitglieder der Unabhängigen Regionalen Aufarbeitungskommissionen findet die erste Sitzung statt“, hält die „Gemeinsame Erklärung“ von UBSKM und EKD/Diakonie unmissverständlich fest. Durch diese Regel soll vor allem verhindert werden, dass die nicht von sexualisierter Gewalt und Missbrauch betroffenen Kommissionsmitglieder einen Informations- und Erfahrungsvorsprung vor den Betroffenen erhalten, die sich für eine Mitarbeit in den URAKs bereit erklären. Es geht also darum, die Entstehung von Herrschaftswissen zu verhindern, das Betroffenen verwehrt werden könnte.

Drei große Arbeitsprozesse waren neben einer Vielzahl weiterer Aufgaben von den Verbünden in den vergangenen 15 Monaten zu erledigen: (1) Eine Geschäftsführung der URAKs musste gesucht und eingestellt werden. Bei den Geschäftsführungen gehen Anfragen an die URAK ein und sie unterstützt und organisiert die Arbeit der URAK, auch deren Öffentlichkeitsarbeit. (2) Die Landesregierungen mussten (müssen) geeignete und zur Mitarbeit willige Expert:innen benennen. (3) Eine im Verbund gebildete Betroffenenvertretung benennt die Betroffenenvertreter:innen, die in der URAK mitarbeiten sollen.

Alle Mitglieder der URAK werden von den „Leitungsorgane[n] der jeweiligen Landeskirchen und der jeweiligen Landesverbände der Diakonie“ für vier Jahre berufen (auf persönlichen Wunsch hin auch zwei Jahre). Eine URAK besteht aus mindestens sieben Mitgliedern. Von sieben Posten müssen zwei von Betroffenen sexualisierter Gewalt aus Kirche und Diakonie besetzt werden. Die restlichen URAK-Posten werden von „Expert*innen insbesondere aus Wissenschaft, Fachpraxis, Justiz oder öffentlicher Verwaltung“ sowie den Vertreter:innen von Diakonie und Kirch besetzt. Weniger als 50 Prozent der Mitglieder dürfen Beschäftigte von Kirche und Diakonie sein oder einem ihrer Gremien angehören.

Die schwierige Suche nach Betroffenen

Die Suche nach Betroffenenvertreter:innen, die gewillt sind, sich der fordernden Mitarbeit in den URAKs zu stellen, ist nach Informationen der Eule in allen Verbünden eine große Herausforderung (gewesen). Zwar stehen Kirche/Diakonie in der Pflicht, die Betroffenenbeteiligung zu ermöglichen und zu den Betroffenenforen einzuladen, zugleich will man dem Eindruck wehren, man suche sich genehme Betroffenenvertreter:innen für die Mitarbeit aus.

Für die Suche wurden in der „Gemeinsamen Erklärung“ Standards verabredet (s. Grafik): Bei Betroffenenforen in den Verbünden sollten Kirche und Diakonie Betroffenen, die auf einen „klar, transparent und betroffenengerecht“ zu formulierenden Aufruf zur Teilnahme reagiert hatten, die Struktur und die Ziele der künftigen URAKs erklären und „die bereits benannten kirchenexternen und kircheninternen Mitglieder der Kommissionen“ vorstellen. Zu den Foren luden die Fachstellen der Landeskirchen ein.

Mit Betroffenen, die im Anschluss Interesse an einer Mitarbeit bekundeten, sollten Workshops durchgeführt werden, an denen auch die kirchlichen und externen Expert:innen mitwirken sollten. Die teilnehmenden Betroffenen bilden zugleich die Betroffenenvertretung für die URAK, die mindestens doppelt so viele Mitglieder haben soll, wie schlussendlich Betroffenenvertreter:innen in die URAK entsandt werden. Die Betroffenenvertretungen bestimmen selbst die Betroffenen, die in der URAK mitarbeiten.

Betroffenenbeteiligung an den Unabhängigen regionalen Aufarbeitungskommissionen (URAKS) nach dem Design der Fachstelle Sexualisierte Gewalt der EKD entsprechend der "Gemeinsamen Erklärung" (Grafik: Die Eule)

Betroffenenbeteiligung an den Unabhängigen regionalen Aufarbeitungskommissionen (URAKS) nach dem Design der Fachstelle Sexualisierte Gewalt der EKD entsprechend der „Gemeinsamen Erklärung“ (Grafik: Die Eule)

Die schwierige Suche nach externen Expert:innen

Während in den Verbünden, teilweise ohne bereits eingerichtete URAK-Geschäftsführungen, an diesem anspruchsvollen Prozess gearbeitet wurde, waren die Landesregierungen aufgefordert, externe Expert:innen zu benennen: Gerade in den Verbünden, in denen Landeskirchen und diakonische Landesverbände aus mehreren Bundesländern angehören, eine schwierige Aufgabe. In der Workshop-Phase (s.o.) waren beide Suchprozesse obendrein verschränkt: Ohne benannte externe Expert:innen und Betroffene, die sich bei einem Forum für eine Teilnahme am Workshop entschieden, keine erfolgreiche Durchführung der Workshops.

Auch die von den Landesregierungen benannten Expert:innen fügten sich, nach Informationen der Eule, keineswegs schnell in den anlaufenden Arbeitsprozess ein. Von einzelnen Landesregierungen wurden Personen ohne vorherige Rücksprache mit ihnen benannt, die erst von Kirche/Diakonie über die möglicherweise vor ihnen liegende Tätigkeit aufgeklärt werden mussten. Nicht alle der Kandidat:innen standen tatsächlich für die jahrelange und ehrenamtliche Mitarbeit zur Verfügung.

Ohnehin wurde der Expert:innenbegriff von den Landesregierungen durchgehend sehr weit definiert. Das Reservoir an Expert:innen für sexualisierte Gewalt, Traumaforschung und historische sowie juristische Aufarbeitung von Missbrauch ist in Deutschland begrenzt. Oftmals traten hier auch Konkurrenzen mit der Katholischen Kirche zu Tage, in der ebenfalls – aber mit zeitlichem Vorsprung – Aufarbeitungskommissionen gebildet worden waren / wurden.

Ein Beispiel: Im Verbund „Ost“, bestehend aus der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM), der Kirche Anhalts und der Diakonie Mitteldeutschland, wurden mit Professorin Sandra Meusel (FH Nordhausen) eine Expertin für Soziale Arbeit mit dem Schwerpunkt Kinder- und Jugendhilfe, Professorin Anna Kasten (FH Jena) eine Expertin für Soziale Arbeit mit den Schwerpunkten Gender und Diversity, und Professor Johannes Herwig-Lempp (FH Merseburg) ein Experte für systemische Sozialarbeit berufen.

Verzögerungen in den Verbünden „Konföderation und Bremen“ und „Sachsen“ …

Wie bereits im #LaTdH-Newsletter vom 16. März in der Eule beschrieben, ist es in den Verbünden „Sachsen“ und „Konföderation und Bremen“ nicht gelungen, in der von der „Gemeinsamen Erklärung“ gesesetzten Frist eine URAK einzurichten.

Im Verbund „Sachsen“ konnten bis zur Frist der „Gemeinsamen Erklärung“ weder die Posten der Betroffenenvertreter:innen noch die der unabhängigen Expert:innen besetzt werden. Bereits vor zwei Wochen wurde darum bekannt gegeben, dass die Konstituierung der URAK sich verzögert. Die URAK in Sachsen soll aus zwei Betroffenen von sexualisierter Gewalt, drei externen Expert:innen und zwei Vertreter:innen von Kirche/Diakonie bestehen. Der Verbund „Sachsen“ umfasst nur die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Sachsens (EVLKS) und ihr Diakonisches Werk.

Die zur Benennung von Expert:innen aufgeforderte sächsische Landesregierung wollte erst nach der Landtagswahl im Herbt 2024 ihren Personalvorschlag unterbreiten. Auf Nachfrage der Eule bestätigte die sächsische Landeskirche am heutigen Freitag (27. März), dass die Landesregierung des Freistaats Sachsen inzwischen Personen für die Mitarbeit in der URAK benannt hat. Am 5. April 2025 wird ein weiterer Workshop für Betroffene in Meißen stattfinden, bei dem die sächsische Landeskirche hofft, Vertreter:innen für die URAK zu finden. Darüber, ob an diesem Workshop – wie es die „Gemeinsame Erklärung“ eigentlich vorsieht – dann auch die externen Expert:innen teilnehmen können, könne „noch keine verlässliche Auskunft gegeben werden“, teilte die EVLKS auf Nachfrage der Eule mit.

Zum ersten Betroffenenforum hatte der Verbund „Sachsen“ bereits im März 2024 eingeladen. Die EVLKS war damals bei der Organisation der notwendigen Betroffenenbeteiligung für die URAKs also besonders früh am Start. Nun hofft man, auf dem Workshop im April 2025 endlich eine Betroffenenvertretung bilden zu können, aus der heraus die Betroffenenvertreter:innen für die URAK bestimmt werden können. Mit einer Konstituierung der sächsischen URAK ist wohl nicht vor dem Sommer 2025 zu rechnen.

Im Verbund „Konföderation und Bremen“, dem die evangelischen Landeskirchen der Konföderation evangelischer Kirchen in Niedersachsen, die Bremische Evangelische Kirche (BEK) und ihre Diakonischen Werke angehören, wurde bereits im Frühjahr 2024 die Geschäftsleitung der URAK besetzt und die Suche nach Betroffenen konnte erfolgreich durchgeführt werden. Auch der Bremer Senat und die Niedersächsische Landesregierung benannten Expert:innen für die Mitarbeit.

Bereits im Herbst 2024 und im Januar 2025 wurden Bedenken gegen die Besetzung der beiden Posten für externe Expert:innen durch die Niedersächsische Landesregierung von Betroffenen und von der UBSKM der Bundesregierung geäußert. Wie der NDR ausführlich berichtete, gab eine Mehrheit der Betroffenenvertretung dann Anfang März 2025 bekannt, nicht mit Antje Niewisch-Lennartz und Thela Wernstedt zusammenarbeiten zu wollen, weil sie ihnen zu „kirchennah“ erschienen. Die frühere Justizministerin von Niedersachsen Niewisch-Lennartz (Grüne) und die ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete Wernstedt traten daher von ihrer Mitarbeit in der URAK zurück.

Die Juristin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) war von 2013 bis 2017 Justizministerin in Niedersachsen. Im Jahr 2019 wurde sie zur Leiterin einer externen Untersuchungskommission des Bistums Hildesheim berufen, die Vorwürfe des Kindesmissbrauchs gegen den früheren Hildesheimer Bischof Heinrich Janssen aufklären sollte. Im Jahr 2021 legte die Kommission ihren Bericht vor (Pressemitteilung & KNA-Bericht). (Im Sommer 2024 wurden neue Vorwürfe gegen Janssen von Betroffenen vorgebracht und vor wenigen Tagen erst gab das Bistum die Beauftragung einer neuen Missbrauchsstudie bekannt.)

Niewisch-Lennartz legte erst anlässlich ihrer Berufung in die URAK ihr Mandat in der Landessynode der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers nieder, wo sie auch dem Rechtsausschuss angehört hat. (Gerade in der Landeskirche Hannovers wurde insbesondere rund um den Tatkontext Oesede – s. hier & hier in der Eule – über die juristische Handhabung der Missbrauchsfälle diskutiert.) Die Palliativmedizinerin Thea Wernstedt ist hingegen weiterhin ehrenamtlich in der Evangelischen Kirche engagiert, u.a. im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages (DEKT).

Niewisch-Lennartz und Wernstedt bedauerten gegenüber dem NDR ihr Ausscheiden aus der URAK, „für sie sei aber völlig klar, dass sie nicht gegen ein mehrheitliches Votum von Betroffenen in einem Gremium zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt mitarbeiten“ könnten. Den Verbund im Nordwesten Deutschlands stellt das plötzliche Ausscheiden der Expert:innen vor große Probleme, denn die Niedersächsische Regierung kritisierte die Vorgänge ausdrücklich und weigert sich bisher, neue externe Expert:innen zu benennen. Gegenüber dem NDR erklärte die Landesregierung, die „vorab und pauschal von einigen der Betroffenen völlig ungerechtfertigterweise erklärte Ablehnung wirft leider […] grundsätzliche Fragen auf“.

… und auch „Württemberg“

Nach Informationen der Eule wurden bei der Konstituierung der URAK für den Verbund „Württemberg“, bestehend aus der Evangelischen Landeskirche Württemberg (ELKWUE) und ihrem Diakonischen Werk, die bundesweit geltenden Standards für die Besetzung der URAK nicht eingehalten. Zwar hat die Landesregierung Baden-Württemberg für die URAK „Württemberg“ externe Expert:innen benannt, jedoch wurden die zwei vorgesehenen Betroffenenposten nicht regulär besetzt.

Nachdem bereits im April 2024 ein Betroffenenforum durchgeführt werden konnte, ist es auf einem Workshop im Februar 2025 jedoch nicht gelungen, eine Betroffenenvertretung zu bilden. ELKWUE und Diakonie Württemberg stehen bereits seit Jahren durch mehr oder weniger verbindliche Diskussionsformate mit Betroffenen auf ihrem Gebiet in Kontakt – keine Selbstverständlichkeit bei den evangelischen Landeskirchen. Wie Die Eule aus dem Umfeld des Verbunds erfahren hat, scheiterte eine ordnungsgemäße Besetzung der beiden Betroffenenposten daran, dass eine bereits für die Mitarbeit in der Betroffenenvertretung vorgesehene Person kurzfristig ausscheiden musste.

Wie die ELKWUE auf Anfrage der Eule bestätigte, konnte bisher keine Betroffenenvertretung gebildet werden. Die beiden Betroffenenvertreter Ralf-Alexander Forkel und Wilhelm Kazmaier sind daher nur „kommissarisch“ in die URAK entsandt. Bei einem weiteren Workshop, dessen Termin noch nicht feststeht, „sollen die beiden URAK-Betroffenenposten neu gewählt und/oder bestätigt werden“, erklärte Katharina Binder, die Geschäftsführerin der URAK „Württemberg“ gegenüber der Eule. Trotz der nicht ordnungsgemäßen Besetzung der URAK soll sich diese am heutigen 27. März konstituieren und auf der  Tagung der Landessynode vom 27.-29. März 2025 vorgestellt werden. Eine Verschiebung der Konstituierung wie im Verbund „Sachsen“ hält man in Württemberg nicht für geboten.

Weitere Probleme am Horizont?

Auch aus weiteren Verbünden haben Die Eule in den vergangenen Monaten Hinweise auf Schwierigkeiten erreicht. Betroffene sexualisierter Gewalt, Mitarbeitende von Kirche und Diakonie sowie externe Expert:innen sprachen mit der Eule unter der Bedingung der Verschwiegenheit. Die aufgetretenen Probleme drehen sich im Wesentlichen um Unsicherheiten, die bereits in der „Gemeinsamen Erklärung“ von EKD/Diakonie und UBSKM angelegt sind.

In der „Gemeinsamen Erklärung“ ist zwar festgehalten, dass weniger als die Hälfte der Mitglieder einer URAK aktuell Mitarbeiter:in von Kirche und Diakonie oder – auch ehrenamtliches – Mitglied eines kirchlichen/diakonischen Gremiums sein kann. Wie aber die von Betroffenen geforderte „Kirchenferne“ darüber hinaus sichergestellt werden kann, ist nicht ausgeführt.

Eine Kirchenmitgliedschaft allein begründet sicher noch keine „Kirchennähe“ im Sinne der „Gemeinsamen Erklärung“. Bei einer langjährigen, anhaltenden oder gerade erst beendeten ehrenamtlichen Mitwirkung, wie z.B. bei der Landessynodalen Antje Niewisch-Lennartz, sieht das anders aus. Eine solche aber bedeutet auch „Kirchenexpertise“, die in den URAKs auch jenseits der originär von den Leitungen von Kirche und Diakonie berufenen Mitglieder vorhanden sein sollte. Allein schon, um sich bei der Arbeit in den URAKs nicht ungeprüft auf Voten der Vertreter:innen der verfassten Kirche / diakonischen Verbände verlassen zu müssen.

Eine weitere Herausfordung ist es, die unabhängige Arbeit der URAKs zu gewährleisten, bis hin zur Vertretung der URAKs in der Öffentlichkeit. Arbeiten die Geschäftsführungen der URAKs im Grunde als Abteilung der Kirchenämter, bestehen daran begründete Zweifel. Für die URAKs in den Verbünden „Sachsen“ und „Ost“ wurden die Geschäftsführungen erst Anfang 2025 besetzt, dort – wie auch in anderen Verbünden – luden also die Fachstellen für sexualisierte Gewalt der Landeskirchenämter zu Foren und Workshops ein. Die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der URAKs wird gegenwärtig in allen Verbünden noch von den Pressestellen der Landeskirchen / diakonischen Landesverbände übernommen.

Es stellen sich daher auch Fragen zur finanziellen Ausstattung der URAKs. Im Verbund „Württemberg“ wurde die Geschäftsleitung beispielsweise nur mit einer halben Stelle eingerichtet. Auch in den Verbünden, die ihren URAKs wenigstens volle Geschäftsführungsstellen gönnen, fehlen Mitarbeiter:innen für eine von Kirche und Diakonie unabhängige Öffentlichkeitsarbeit, die sich im besonderen Maße auch an Betroffene sexualisierter Gewalt richtet.

Doch wieder ein Flickenteppich?

Außerdem formuliert die „Gemeinsame Erklärung“ von Diakonie/Kirche und UBSKM zwar Ziele der gemeinsamen Arbeit (§ 4 der „Gemeinsamen Erklärung“) und bei der Fachstelle Sexualisierte Gewalt im Kirchenamt der EKD wurde auch eine Geschäftsstelle für die Vorsitzenden der URAKs eingerichtet, die die Koordination der neun URAKs unterstützen soll, aber „einheitliche Standards“ gibt es für die tatsächliche Aufklärungs- und Aufarbeitungsarbeit der URAKs gerade noch nicht – auch wenn die Pressemitteilungen von EKD/Diakonie und einiger Landeskirchen zur Einrichtung der URAKs das behaupten.

Zu den Zielen, die von den URAKs verfolgt werden sollen, gehören die „quantitative Erhebung“ und „qualitative Analyse“ von sexualisierter Gewalt in ihrem Bereich. Außerdem sollen sie Kirche und Diakonie bei der Überprüfung ihrer bisherigen Verfahren für Aufarbeitung und Betroffenenunterstützung helfen. Und die URAKs sollen Betroffenen Gehör schenken, die „Beschwerden über eine unzureichende Behandlung ihres Falles“ durch Kirche und Diakonie vorbringen. Dazu werden URAKs Betroffene anhören, bereits bestehende (Zwischen-)Ergebnisse von Aufklärungs- und Aufarbeitungsprozessen einzelner Tatkontexte wahrnehmen und kontextualisieren, regelmäßig einen Überblick über die Aufarbeitungsbemühungen in ihrem Verbund gewinnen und beispielsweise historische und juristische Studien in Auftrag geben.

Eine Koordination dieses vielfältigen Handelns ist dringend geboten, will man nicht in die gleiche Falle tappen wie die römisch-katholische Kirche: In vielen der 27 (Erz-)Bistümern in Deutschland werden seit Jahren Missbrauchsstudien unterschiedlichen Zuschnitts und Designs beauftragt, erarbeitet und der Öffentlichkeit vorgestellt. Sie bauen aber nicht auf einer einheitlichen Systematik auf, ihre Ergebnisse sind darum leider schwer miteinander zu vergleichen.

Wenn Evangelische Kirche und Diakonie einen Flickenteppich bei der flächendeckenden Aufarbeitung sexualisierter Gewalt verhindern wollen, müssen in und zwischen den URAKs „gemeinsame Standards“ für die Aufarbeitung unter erst einmal verabredet werden. Das fängt schon bei der Definition eines „Falls“ an und zieht sich durch bis zur Verabredung von „exemplarischen“ Aufarbeitungen „typischer Fallkonstruktionen“ und der Frage, in welchen Landeskirchen eine systematische Auswertung von Personalakten, immerhin ein Desiderat der „ForuM-Studie“, noch in Angriff genommen wird. Eine unabdingbare Voraussetzung für diese schwierige Arbeit ist sicher das penible Einhalten der in der „Gemeinsamen Erklärung“ gesetzten Vorgaben für die Konstituierung der URAKs.


Alle Eule-Beiträge zum Themenschwerpunkt „Missbrauch evangelisch“.


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