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Trennung und Einheit – Die #LaTdH vom 29. Mai

In Stuttgart feiern Katholik:innen und Gäste den Katholikentag (sic!). Außerdem: Eine ukrainische Kirchenspaltung macht Hoffnung auf zukünftige Einheit, Vatikan-Reform und #MeToo in der Kirche.

Herzlich Willkommen!

Am Freitagabend wurde bekannt, dass sich die Ukrainisch-Orthodoxe Kirche Moskauer Patriarchats (UOC-MP) von eben jenem lossagt. Das Landeskonzil, das am 27. Mai tagte, bekräftigte die Ablehnung der UOC-MP gegenüber der Position, die Patriarch Kyrill von Moskau und ganz Russland zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine einnimmt und noch mehr:

„Der Rat billigte die entsprechenden Ergänzungen und Änderungen des Statuts über die Verwaltung der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche, die die volle Unabhängigkeit und Autonomie der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche bezeugen.“

Das Kirchenoberhaupt Metropolit Onufrij hatte sich seit Beginn des Krieges klar und deutlich gegen diesen und die Befürwortung desselben durch das Moskauer Patriarchat ausgesprochen. Mit der förmlichen Trennung ist nun nicht nur dieser Dissens mit Moskau noch klarer bekundet, sondern es eröffnet sich auch ein Weg zu einer neuen Einheit der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche in der Ukraine.

Neben der UOC-MP gibt es im Land noch die Orthodoxe Kirche der Ukraine, die 2018 aus der Ukrainisch-orthodoxen Kirche Kiewer Patriarchats und der Ukrainischen Autokephalen Orthodoxen Kirche hervorgegangen war und 2019 vom Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel Bartholomäus I. anerkannt und für eigenständig erklärt wurde. Die Trennungsmeldung von Moskau enthält zugleich die Bedingungen der UOC für eine Kircheneinheit mit der Orthodoxen Kirche der Ukraine. Wenn sich die Wogen des Krieges geglättet haben, stehen spannende Verhandlungen bevor.

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

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Debatte

Von Mittwoch an bis zum heutigen Sonntag fand in Stuttgart der 102. Katholikentag statt. Und es scheint, als ob das Alter dem Katholik:innen-Treffen inzwischen anzumerken ist. Bereits im Vorfeld herrschten Zweifel ob des erwarteten Publikumsaufkommens, die sich wohl bestätigt haben. So klein wie diese Ausgabe war der Katholikentag seit den 1960er-Jahren nie mehr, stellt Benjamin Leven (@levenbj), Redakteur der Herder Korrepondenz (@HK_aktuell), in seinem „Standpunkt“ bei katholisch.de fest:

Der Katholikentag braucht ein kompakteres Format – Benjamin Leven (katholisch.de)

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Nur 19 000 Dauerteilnehmer:innen, inkl. 7 000 Mitwirkende, bei diesem Katholikentag bedeuten im Vergleich zum Katholikentag in Münster 2018 (90 000 Personen, davon 50 000 Dauergäste) einen herben Rückgang. Leven empfiehlt daher eine Straffung des Programms mit weniger Veranstaltungen, die gleichzeitig stattfinden und sich die Teilnehmer:innen streitig machen.

Andere Probleme streift Leven eher: Z.B. dass der Katholikentag trotzdem in etwa so teuer wie sein Vorgänger geworden ist und Veranstaltungen in vergleichbarer Größe „ohne Kirchensteuermittel und staatliche Zuschüsse“ auskommen.

Das Mobilisierungspotenzial des deutschen Katholizismus ist in den letzten Jahren offenbar stark geschrumpft. […] Die Zahlen bewegen sich damit inzwischen in den gleichen Dimensionen wie das evangelikale Jugendtreffen „Christival“, das gerade mit 13.000 Teilnehmern in Erfurt stattfindet, oder die katholisch-charismatische Mehr-Konferenz, die zuletzt 2020 12.000 junge Menschen nach Augsburg lockte. Der Unterschied zum Katholikentag: Die Mehr-Konferenz kommt ohne Kirchensteuermittel und staatliche Zuschüsse aus. […]

Die Zahl der regelmäßigen Kirchenbesucher hat sich im Zuge der Pandemie ungefähr halbiert. Diejenigen, die sich in den letzten zwei Jahren den Kirchgang abgewöhnt haben, kommen nicht mehr wieder. Und sie sind wohl auch als mögliche Teilnehmer kirchlicher Großveranstaltungen verloren.

Die religionskritische Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) kritisiert – wenig überraschend – ebenfalls die öffentlichen Zuschüsse von Stadt, Land und Bund für den 102. Katholikentag in Stuttgart:

„Mit 241 Euro pro Besucher erhält der Katholikentag dieses Jahr die höchste jemals gezahlte Förderung seit dem Beginn unserer Statistik im Jahr 2000. […] Diese absurd hohen Fördersummen sind mit einem weltanschaulich neutralen Staat nicht zu vereinbaren!“

Die gbs wünscht sich daher ein Ende aller staatlichen Förderungen für Katholiken- und Kirchentage, und verweist auf die in Levens Artikel genannten Gründe. Derweil will die katholische Tagespost erfahren haben, dass der Katholikentag ein „massives Defizit“ habe:

Wie das Bistum Rottenburg-Stuttgart dieser Zeitung am Donnerstag mitteilte, habe die Diözese nach ausführlichen Beratungen im Diözesanrat und auf Bitten der Katholikentagsleitung eine Ausfallbürgschaft in Höhe von 470.000 Euro beschlossen, […] . Es sei davon auszugehen, dass diese Ausfallbürgschaft gezogen werde.

So krisenhaft wie die ganze Kirche – Benjamin Lassiwe (Tagesspiegel)

So ganz unbedeutend ist der Katholikentag hingegen auch in seiner geschrumpften Fassung noch nicht, wie u.a. die deutschlandweite Berichterstattung zeigt. Für den Berliner Tagesspiegel analysiert Benjamin Lassiwe (@lassiwe):

Mit dem Virus allein lassen sich die nur 25.000 Besucher nicht erklären. Die Krise des Katholikentags ist hausgemacht. Sie steht beispielhaft für die Krise der katholischen Kirche. Denn längst sind es nicht mehr nur sogenannte Karteileichen, die die Kirchen etwa wegen der Kirchensteuer verlassen. Gerade in der katholischen Kirche verabschieden sich unter dem anhaltenden Eindruck des Missbrauchsskandals und den teils unwillig, teils auch stümperhaft wirkenden Aufarbeitungsversuchen durch die Institutionen auch die engagierten Kirchenmitglieder: […] Und auch jene vielen Menschen, denen es nicht mehr reicht, bei Katholikentagen über mögliche Reformen zu diskutieren, die dann am Ende aber nicht umgesetzt werden.

Damit passt der Katholikentag in die (Post)-Corona-Katerstimmung, die sich in beiden Kirchen breit macht. Von einem neuen Verlangen nach Kirche nach den vielen erzwungenen Pausen kann keine Rede sein, vielmehr stehen die Kirchen vor einer Verschärfung der Probleme, die sie bereits vor der Pandemie hatten.

Im Falle des Katholikentages sei das, so Lassiwe, aber besonders schade, …

… [d]enn gäbe es die Kirchen- und Katholikentage nicht, müsste man sie eigentlich erfinden. Wo sonst nämlich machen sich tausende Menschen Gedanken über die Probleme der Welt? Wo sonst wird auf mehr als 1500 Veranstaltungen über Krieg und Frieden in der Ukraine, den Missbrauchsskandal oder die Lage der Entwicklungsländer debattiert? Wo sonst findet so konzentriert so viel religiöse und politische Bildungsarbeit statt?

Was das Schrumpfen der Großevents angeht, gilt womöglich dasselbe wie vom Rückgang an Kirchenbindung überhaupt: Es entsteht ein Vakuum. Da ist es fast schon nebensächlich, ob sich die „religiöse Energie“ in eine Individualisierungsbewegung verflüchtigt oder ganz verpufft.

Lassiwe beklagt außerdem, der Katholikentag habe seine „Repräsentativität verloren“, weil außerhalb der ZdK-Bubble von engagierten Laien und eher liberalen Klerus kaum noch Interesse vorherrsche, schon gar nicht von Seiten der Konservativen, die Stuttgart in diesen Tagen weiträumig mieden. Dasselbe kritisiert auch Annette Zoch in der Süddeutschen Zeitung, die außerdem das Fernbleiben der vormals gut vertretenen Unions-Spitzenpolitiker bemerkt.

Was war los?

Die Diagnosen fallen also im besten Falle ernüchternd aus, aber was war eigentlich an diesen Himmelfahrtstagen in Stuttgart los? Darüber berichteten in großer Breite die Katholische Nachrichtenagentur und katholisch.de (z.B. mit Livetickern von den Veranstaltungstagen (Tag 2, Tag 3, Tag 4) und einem Einblick in die vertretenen Initiativen.

Aus der digitalen Entfernung (und von einem Berliner Dachgeschoss aus) wirken die Impressionen vom Katholikentag auf mich zugleich fröhlich als auch altbekannt. Vielleicht ist es das, was Martin Rupps (@MartinRupps) vom SWR in seinem Kommentar meint:

Die Teilnehmer werden „Leben teilen“, wie das Leitwort heißt, Trauer und Freude, Schmerz und Glück. Der Katholikentag gibt Gelegenheit zu schönen, bleibenden Erinnerungen. Der Gang nach Stuttgart erscheint mir ein aussichtsloser und verheißungsvoller zugleich.

Auch der katholische Politikberater und Bestsellerautor Erik Flügge (@erik_fluegge) hat auf Twitter (auch für Nicht-Nutzer:innen lesbar) ein paar Thesen zum Katholikentag verfasst. Darunter die einigermaßen naive Forderung nach einem „Stichtag, an dem alles auf einmal auf den Tisch kommt statt zeitversetzt immer neue Studien und Erkenntnisse“ was den „Schreckensmoment eigener Skandale“ angeht, aber auch dieses bedenkenswerte Kleinod:

Kirche kann sich erst vermitteln, nachdem Gott vermittelt wurde. Weil Gott in heutiger Zeit nicht mehr selbstverständlich ist, muss immer zuerst von Gott gesprochen werden und dann erst von der Kirche.

Schade wäre es, wenn kirchliche Großveranstaltungen zu Anlässen verkümmerten, die dem wehmütigen Blick in die Vergangenheit dienen (die so glorreich zudem vielleicht auch nicht war) und zu denen sich die Kirche mit sich selbst und ihrem (vermeintlichen) Niedergang befasst. Mir kommt dazu, wie auch schon in meiner zeitzeichen-Kolumne vom Freitag, eine Einschätzung der Theaterkritikerin der SZ, Christine Dössel, in den Sinn. Tauschen Sie gerne einmal „Theater“ mit „Kirche“ aus!

Auch beim Theater geht es um „heiße Eisen wie Geschlechtergerechtigkeit, Machtmissbrauch, Diversität, Inklusion, Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Reform patriarchaler Strukturen“. Die Theaterkritikerin stellt fest: „Die To-do-Liste ist inzwischen immens. Und wichtig. Aber wo bleibt die Kunst? Die Inhalte sollten auf dieser Liste ganz oben stehen. Das zu schaffen, ist das heiße Thema der Saison. Denn stell dir vor, das Theater löst alle Probleme – und keiner geht hin.“

nachgefasst

Ein richtiges „nachgefasst“ zum römisch-katholischen Potpourri im Umgang mit dem Ukraine-Krieg – hier die aktuelle Eule-Analyse – sei hier aus der vorvergangenen Woche noch nachgereicht: Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) hat ihr eigentlich für den Juni vorgesehenes Treffen mit dem Moskauer Patriarchat abgesagt, berichtet u.a. das Kölner Domradio. Die friedensethischen Positionierung der römisch-katholischen Kirche hierzulande fasst für die taz Tobias Schulze (@tschlze) noch einmal zusammen.

Antisemitismus-Vorwürfe gegen den ÖRK

Wie erst vor wenigen Tagen im „WTF?!“-Podcast der Eule wieder einmal angetippt, findet Ende August/Anfang September in Karlsruhe die 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK, vulg. Weltkirchenrat) statt. Neben der Russland-Frage beschäftigt die Mitgliedskirchen ein lang andauernder Antisemitismus-Streit, den wiederum die Badischen Neuesten Nachrichten in der vergangenen Woche antippten, indem Judith Midinet-Horst von der Gründung einer Initiative „Gegen jeden Antisemitismus. Gegen Judenfeindschaft im Ökumenischen Rat der Kirche“ berichtete, der verschiedene christlich-jüdische Gesprächskreise angehören. Deren Vorwürfe wies der amtierende ÖRK-Generalsekretär Ioan Sauca in dieser Woche zurück, wie der epd/katholisch.de berichtet. Dazu auch:

Missbrauch in den Kirchen

In der Christ & Welt (€) berichten Luise Glum (@luiseglum) und Raoul Löbbert (@RaoulLoebbert) über zwei Betroffene sexueller Übergriffe durch einen Geistlichen des Bistums Limburg, der trotzdem vom heutigen Vorsitzenden der DBK und dortigem Bischof, Georg Bätzing, befördet wurde. (Auch der SPIEGEL berichtete kurz.) Durch die Berichterstattung in großen Medien könnte die sehr verschlafene #MeToo/#ChurchToo-Debatte auch in Deutschland endlich Fahrt aufnehmen.

In der Eule befassen wir uns seit Januar 2018 immer wieder mit #MeToo in der Kirche bzw. #ChurchToo, d.h. mit missbräuchlichem Verhalten, dessen Betroffene volljährige Frauen sind (alle Artikel, eine vorsortierte Liste der wichtigen Beiträge als Twitter-Thread). Unter anderem sprachen Maïmouna Obot und ich darüber im November 2021 im Eule-Podcast „Maï & Philipp erklären die Welt“.

Wie Annette Zoch in der Süddeutschen Zeitung in Folge einer Recherche des Bayerischen Rundfunks berichtet, war ein wegen sexuellen Missbrauchs vorbestrafter Priester beim katholischen Verein Renovabis „trotz Protesten noch fünf Monate lang in der Ukraine als Auslandsgeistlicher tätig und hatte dabei Zugang zu Kindern“ – und einen Fernsehauftritt.

Buntes

Mancher Bischof ist jetzt schon arm wie eine Kirchenmaus – Martin Otto (FAZ)

Ein seltsam betitelter und mit komischen historischen Referenzen gesättigter Artikel von Martin Otto in der Frankfurter Allgemeinen über die Diskussion über die Ablösung der Staatsleistungen an die beiden großen Kirchen, der trotz allem interessante Einblicke erlaubt: Zum Beispiel was eine zukünftig ganz anders zugeschnittene Unterstützung für Religionsgemeinschaften aus den Staatskassen angeht. Ob dafür das Fenster der Geschichte überhaupt noch offen (genug) steht?

It’s Time to Stop Giving Christianity a Pass on White Supremacy and Violence – Robert P. Jones (Time, englisch)

Nach den neuesten Schulmassakern in den USA wird abermals darüber diskutiert, welche Rolle Christen beim Erstarken des spezifisch US-amerikanischen Rechtsradikalismus spielen. Der entsprechende Diskurs, der unter PoC und schwarzen Christ:innen und Theolog:innen sowie in der LGBTQI*-Bewegung seit langem geführt wird, findet nun endlich seinen Weg in die etablierten, meinungsbildenden Medien:

The clear historical record, and contemporary attitudinal data, merit an urgent discussion of white Christian nationalism as a serious and growing threat to our democracy. If we are to understand the danger in which we find ourselves today, we will have to be able to use the words white Christian nationalism and domestic terrorism in the same sentence.

Papst plant offenbar Neubesetzung zahlreicher Ämter – Benjamin Leven (Herder Korrespondenz)

Wie die Herder Korrespondenz erfahren hat, will Papst Franziskus „mit dem Inkrafttreten der Kurienreform am 5. Juni 2022, dem Pfingstfest, zahlreiche Führungspositionen neu besetzen“. Vor ihrem Abschied aus höchsten Ämtern stehen demnach eine Reihe von bekannten Vatikan-Gesichtern. Sollte Franziskus ihre Ämter mit Getreuen (oder gar zum Teil mit Frauen) besetzen, könnte seine Reformagenda wieder an Fahrt gewinnen.

Ein guter Satz

„Man könnte weinen“

– Erdbeerbauer Andreas Rahmann aus Coesfeld, der „aus Protest“ seine Erdbeer-Äcker plattmacht, weil er die Früchte hierzulande nicht mehr gewinnbringend an die Kund:innen der großen Supermärkte verkaufen kann