Foto: Fraser Cottrell (Unsplash)

Veni creator spiritus

Ohne Geist geht es nicht. Um die Herausforderungen zu bewältigen, denen sich die Kirchen und ihre Mitarbeiter*innen stellen müssen, braucht es neuen Mut zur Geistes-Theologie.

Mit Ostern im Rücken geht es stracks auf Pfingsten zu. Tatsächlich ist der Geist in aller Munde. Wer die Herausforderungen, denen sich die Kirchen und ihre Mitarbeiter*innen stellen müssen, verstehen und bewältigen will, der kommt um eine Beschäftigung mit der Theologie des Geistes nicht herum.


Im Kreise junger Theolog*innen wird angeregt darüber gesprochen, wie ein „geistliches Arbeitszimmer“ eingerichtet werden könnte. Wie soll es sich vom Amtszimmer abheben, in dem Geschäftliches und Seelsorge bisher nebenher liefen? Soll es überhaupt für Gespräche genutzt werden oder ist es allein der Amtsinhaber*in vorbehalten? Was soll darin geschehen?


Pfarrer*innen überlegen intensiv, was sie mit ihrer Ausbildung und ihrem geistlichen Background eigentlich einzubringen haben. Das gilt sowohl für den häufig anzutreffenden Fall, wenn sie für alles Mögliche von Bau- und Finanzfragen angefangen, bis hin zu kleinteiligen Ersatz- und Hilfsarbeiten in der Gemeinde zuständig sind. Aber auch im (noch) seltenen Fall, wenn sie von Arbeiten, die nicht ihrer Ausbildung als Theolog*innen entsprechen, entlastet wurden – z.B. durch multiprofessionelle Arbeit im Leitungsteam einer Gemeinde. Was bleibt dann? Was ist neben der christlichen Unterweisung das originär geistlich-theologische Element, mit dem Pfarrer*innen ihren Gemeinden dienen können?


Am Rande des Barcamp Kirche online sprechen wir über die Verwirrung, die sich in einigen Sessions rund um den Begriff der Influencer*in breit gemacht hat. Wir versuchen zu verstehen, was denn im Alltag oder gar in der Techniksoziologie unter dem Begriff verstanden wird. Und es wird deutlich, dass wir theologisch noch überhaupt nicht klar haben, was denn eine Influencer*in für den HERRn eigentlich ist.

Bisher orientieren sich die Diskussionen – wenn überhaupt theologisch reflektiert wird – am üblichen Amtsverständnis, konfessionelle Gräben inklusive. Es geht um Fragen der Qualifikation und Ordination – als ob Influencer*innen allesamt studierte Theolog*innen oder berufene Prediger*innen sind. Die Realität hat uns überholt. Etwas feiner formuliert: Wenn wir den Influencer*innen-Begriff ekklesiologisch schon nicht mehr einholen können, solange wir uns allein an den traditionellen Wegmarken orientieren, dann vielleicht pneumatologisch.

Diese drei Schlaglichter sind wenig mehr als eine Problemanzeige. Sie weisen nicht nur auf ein Versäumnis der Theologie als Wissenschaft hin, die vor dem Geist recht häufig die Nase rümpft und ihn in das Schattenreich der Charismatiker hat abwandern lassen. Stärker noch legen sie ein Defizit in der kirchlichen Praxis offen: Was bedeutet es eigentlich, eine Geistliche*r zu sein? Ist die „Geistlichkeit“ eine Mitgift aus Examina und Ordination oder braucht es da „mehr“, wie die Sehnsucht vieler Menschen andeutet? Braucht es überhaupt Examina und Ordination?

Spiritualität einer neuen Generation von Kirchenleuten

Dabei ist die Frage danach, was es bedeutet als Geistliche*r einer Gemeinde von Menschen gesandt und ausgeliefert zu sein, vor allem die Frage einer neuen Generation von kirchlichen Mitarbeiter*innen.

Bei ihnen ist der Wunsch besonders zu spüren, etwas Eigenes einzubringen und nicht im Malstrom aus Sitzungen, Organisatorischem und fachfremder Beschäftigung unterzugehen. Eine Rolle spielt auch die Anerkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit und mangelnden Qualifikation im Angesicht der Forderungen, die eine schrumpfende Kirche an ihr häufig einzig verbliebenes hauptamtliches Personal richtet. Ist die Pfarrer*in tatsächlich für alles zuständig, wofür sich sonst niemand erwärmen kann?

Eine Generationenfrage ist die als Vakuum empfundene geistliche Prägung wohl auch darum, weil die aus aus Elternhäusern und Jugendzeit geerbte Leerstelle auch in der Aubildung nicht gefüllt wird  – nicht an den Fakultäten, und auch in Prediger*innenseminaren werden nicht selten stoisch festgefügte Abläufe reproduziert. Die traurige Andachtspraxis unter Hauptamtlichen legt davon beredtes Zeugnis ab.

Alte Muster

Aus meiner Kindheit und Jugend in Sachsen kenne ich im Wesentlichen zwei Typen Pfarrer. Die einen waren politisch bewegt, zu DDR-Zeiten mehr oder weniger zufällig in das Biotop Kirche geraten und mit spirituellen Fragen oder sakramentalen Nöten eher überfordert. Einige fanden in ihrer Midlife-Crisis und weit nach der Wende zum ersten Mal in ihrer Biografie zu einer eigenen Spiritualität, die sie dann umso ernster nahmen.

Die anderen waren kreuzfromme Pietisten, die den Tag selbstverständlich mit Stiller Zeit und Bibellese begannen, ohne Tischgebet das Besteck nicht in die Hand nahmen und den Tag nicht ohne Abendgebet zurücklegten in die Hand dessen, den sie 24/7 über sich wähnten. Von ihnen gelang es einigen, ihre Frömmigkeit gelassen und freundlich zu vertreten. Aus manchen von ihnen wurden jedoch Kulturkämpfer und verbitterte alte Knochen, die es den Menschen übel nehmen, dass sie sich nicht den gleichen Exerzitien aussetzten.

Es braucht wohl nicht allzu viel Phantasie, um die Vermutung zu wagen, dass es im Westen seit den 1970er-Jahren in der Pfarrer*innenschaft nicht wesentlich anders zuging. Wenn überhaupt haben sich unter den Bedingungen der Diaspora klar formulierte Spiritualitäten in den ostdeutschen Kirchen länger gehalten.

Veni creator spiritus

„Komm, Schöpfer Geist!“ Wenn heute eine neue Generation von Pfarrer*innen nach Spiritualität sucht, dann auch, weil sie als Defizit empfinden, was für ihre Mütter und Väter Selbstverständlichkeit war – vielleicht sogar als Befreiung von alten Erwartungsbildern empfunden wurde.

Wenn Pfingsten schon nicht der Geburtstag der Kirche ist, so könnte das nahende Fest des Heiligen Geistes doch Anlass genug sein, darüber nachzudenken, was er der Kirche unserer Tage zu sagen hat. Wie sieht sie aus, die Freiheit, die doch überall herrschen soll, wo der Geist weht? Besteht sie auch in der Festlegung auf eine bestimmte spirituelle Praxis?

Und wie kann so eine spirituelle Praxis heute aussehen? Die Suche führt sicher zu alten Vorbildern. Sie läuft auch Gefahr, in längst überwunden geglaubte alte Muster zurückzufallen. Manches, das als hipper Trend und neue Spiritualität angepriesen wird, verströmt insgeheim den Leichengeruch reaktionärer Haltungen. Was lehrt uns der Geist über uns selbst, die Kirche und unsere Zeit?