Verrückte Tage – Die #LaTdH vom 26. Juli

Schockstarre und Ermutigung in der römisch-katholischen Kirche nach der „Instruktion“ aus Rom. Außerdem: Kleine Schwestern, Frauen in der Kirche und Muslim:a in Deutschland.

„Wozu denn da noch weitermachen und an Reformen arbeiten, wenn es eine so klare Absage gibt?“

So drückt Kerstin Stegemann vom Diözesankomitee der Katholiken im Bistum Münster stellvertretend für viele Katholik:innen ihre Enttäuschung angesichts der „Instruktion zur pastoralen Umkehr der Pfarreien“ aus, die am Montag veröffentlicht wurde. Was wird nun aus den Kooperationsmodellen in zahlreichen (Erz-)Bistümern? Was wird aus dem „Synodalen Weg“?

Debatte

Man braucht den als „Pastoralen Wegen“ oder anders euphemistisch begrünten Rationalisierungen in den römisch-katholischen (Erz-)Bistümern nicht jubelnd entgegenschreiten, um doch angesichts der „Instruktion“ aus dem Vatikan einigermaßen entsetzt zu sein: So viel Realitätsverweigerung war selten (selbst in vatikanischen Schreiben).

Gemeindeleitungen werden auch deshalb zunehmend in Kooperationsmodellen gestaltet, weil es zu wenig neue Priester gibt. In den anderen Gemeindeberufen sieht es nicht viel besser aus. An der Mitverantwortung von Laien und auch Ehrenamtlichen geht deshalb kein Weg vorbei. Und das ist nur der pragmatische Grund, da ist von Theologie noch gar keine Rede.

Es wird nicht plötzlich mehr geistliche Berufungen geben, weil die Priester weiterhin allein das Sagen haben sollen – wie der Bonner Stadtdechant Wolfgang Picken nahelegt. Auch nicht, wenn der „Synodale Weg“ in „Weg der Bekehrung und Neuevangelisierung“ – #WdBuN, yeah! – unbenannt und das Land (abermals?) der Jungfrau Maria „übergeben“ wird – wie die Fundi-Katholikinnen-Splittergruppe „Maria 1.0“ empfiehlt. Eine eigene Antwort auf die Probleme der Kirche geben das Schreiben aus dem Vatikan und seine Verteidiger:innen nicht, es bleibt bei Phrasen und Beschwörungsformeln.

Dabei beginnt das Papier der Kleruskongregation, das gerüchteweise maßgeblich von deutschen Kurien-Theologen verfasst wurde, mit durchaus aktuellen Gedanken zur Überschreitung des Ortes der Gemeinde – z.B. in den digitalen Raum. Umso länger die Instruktion allerdings wird, desto weiter geht es bergab. Genauer hat sich die die Theologin Juliane Eckstein (@EcksteinJuliane) angeschaut und eine kurze Literarkritik als Thread auf Twitter veröffentlicht.

Reaktionen der Bischöfe

Ist die vatikanische Instruktion tatsächlich ein ausreichend triftiger Anlass, um auf Konfrontationskurs gegen Rom zu lenken? Hätte es dafür nicht – Stichwort: Querida Amazonia (wir berichteten) – in der jüngeren Vergangenheit andere geeignetere Anlässe gegeben? Nun aber scheint das Faß übergelaufen zu sein:

Erzbischof Schick aus Bamberg sieht für sein Erzbistum nicht nur keinen Handlungsbedarf, sondern hält die Instruktion für „theologisch defizitär“. Der Mann war mal Kirchenrechts-Professor. An seinem Reformkurs festhalten will auch Franz-Josef Bode, Bischof von Osnabrück und stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz (DBK): Das Papier sei eine „starke Bremse der Motivation und Wertschätzung der Dienste von Laien“ und stelle Normen zur Schau, die „zu einem großen Teil von der Realität längst überholt sind“.

Und so noch mancher Oberhirte, dem die Einmischung aus Rom nun endlich zu weit geht. Am schärfsten von allen sicher der Bischof von Mainz, Peter Kohlgraf, der in seiner Stellungnahme richtig zupackt:

„Weder der Stil der Kommunikation noch die scheinbare Selbstverständlichkeit der Aussagen der Instruktion sind alternativlos. […] Es scheint mir widersinnig, jede Zusammenlegung von Pfarreien als Einzelfälle in Rom genehmigen zu lassen. Strukturen haben sich immer verändert. […] Ich kann den Eingriff in meine bischöfliche Hirtensorge nicht so einfach hinnehmen […].

[Ich sorge mich] um die vielen (noch) Engagierten. Bald werden sie genug davon haben, wenn ihr Engagement nur misstrauisch beäugt und von oben herab bewertet wird. Ich brauche diese Menschen, die Gesellschaft braucht ihr Glaubenszeugnis. Ich höre, dass zunehmend keine Motivation mehr herrscht, in einer Kirche mitzumachen, die so auftritt. Das pastorale Engagement dieser Menschen kann und will ich mir nicht nehmen lassen.  […]

Ich bin davon überzeugt, dass wir einen guten Weg eingeschlagen haben, der sowohl dem Evangelium als auch den Menschen unserer Zeit gerecht wird. Und ich halte ihn für theologisch durchdacht, auf gut deutsch: Er ist katholisch.

So viel Leidenschaft und Bereitschaft zur Konfrontation ist man (zumindest öffentlich) von deutschen Bischöfen gar nicht mehr gewöhnt. Einigen reformwilligen Katholik:innen wird da ganz blümerant zu Mute. Und es ist ja etwas dran: Das Widerständige hat seinen eigenen Eros. Über die Chancen des Widerspruchs ist damit gleichwohl noch garnichts gesagt.

Die DBK wird (sicher nicht nur) auf ihrem nächsten Treffen über die Instruktion reden müssen, denn es gibt natürlich auch (Erz-)Bischöfe wie Kardinal Woelki aus Köln, die ganz begeistert von der römischen Intervention sind.

Und der „Synodale Weg“?

Irgendwelche vatikanischen Geister sind dem „Synodaler Weg“ genannten Reform-Dialogprozess der Deutschen Bischofskonferenz mit den katholischen Laien nicht wohlgesonnen – oder? Vier Foren beschäftigen sich mit vier Zukunftsfragen der Kirche:

Nummer 1: „Macht und Gewaltenteilung in der Kirche – Gemeinsame Teilnahme und Teilhabe am Sendungsauftrag“ – zerschossen und „erledigt“ durch die Instruktion von dieser Woche.

Nummer 2: „Priesterliche Existenz heute“ – die aktuelle Instruktion in Verbindung mit der Ablehnung von „viri probati“ in Querida Amazonia lassen die Türen zu einem erneuerten Verständnis von Weiheämtern nur so in die Schlösser krachen.

Nummer 3: „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ – Querida Amazonia hat dazu alles gesagt (mehr dazu).

Eigentlich bleibt nur noch Synodalforum Nummer 4: „Leben in gelingenden Beziehungen – Liebe leben in Sexualität und Partnerschaft“ – es sei denn irgendein Vatikantheologe fühlt sich in den kommenden Monaten berufen, sich zu Liebe, Sex und Zärtlichkeit noch einmal zu verbreiten.

Der Synodale Weg – Ist das der Weg aus der Sackgasse der Kirche? – Bernd Pehle (feinschwarz.net)

Ob der „Synodale Weg“ der Weg aus der Sackgasse der Kirche sein kann, fragt sich Bernd Pehle, der viele Jahre als Missionar in Afrika tätig war, er kritisiert das Unternehmen bei feinschwarz.net zur Abwechslung einmal von „links“, inkl. einer interessanten historischen Orientierung:

So gibt es nur einen Weg der Reform der Kirche: Die Etablierung einer echten demokratischen Kirchenordnung, welche die Würde und Rechte aller getauften Männer und Frauen respektiert. Wohlmeinende Beratungen in „synodalen Dialogen“ helfen da nicht weiter. Die Kirche muss sich vom traditionellen Feudalklerikalismus in all seinen Formen verabschieden und diese nicht vom Volk Gottes legitimierte Art der Machtausübung aufgeben, „eine Macht, die die Kirchen-Fürsten nie besessen hatten, die sie sich aber genommen haben, um kleine Leute klein zu halten, anstatt sie groß zu machen“, schrieb schon Nikolaus von Kues.

Dazu erinnere ich auch noch einmal an meine eigene Analyse des Vorgangs von Anfang der Woche: Wie römisch können die Katholik:innen bleiben?

Die kurialen Autoren kreisen um das Priesteramt wie um einen alten Turm, ertrinken in Selbstbezüglichkeit und belassen alles beim ganz Alten. Pünktlich zum 150. Jahrestag der Verkündung der Papst-Dogmen ist die Instruktion eine Erinnerung für die Katholik:innen, mit welcher Kirche sie es zu tun haben.

nachgefasst

Kirchen dürfen keine sozialen Ruinen sein – Matthias Kamann (WELT)

Einen träumerischen Beitrag zur Debatte um die Zukunft der Kirchen in Deutschland hat der WELT-Journalist Matthias Kamann (@Matthias_Kamann) verfasst. Darin geht es um das einträchtige Teilen von Kirchenräumen durch Konfessionsfreie und Christen, um einen neuen Religionsunterricht, Friedhöfe mitten in der Stadt und eine Stiftung für „Geistliche Musik“ (Kamann begrenzt das allerdings auf „alte“ geistliche Musik). Sicher braucht die gegenwärtige Debatte auch solche Visionen, die den Raum des Denk- und Sagbaren erweitern helfen.

Dies wird den organisierten Kirchen nicht schmecken. Genauso wenig, dass ihr Anteil an der Trägerschaft von Kitas, Krankenhäusern und anderen sozialen Einrichtungen der Realität ihrer schrumpfenden Mitgliederzahlen angepasst, also reduziert werden muss. Bezahlt wird all das ja fast durchweg vom Staat und den Sozialkassen. Die Kirchen machen sich damit größer, als sie noch sind.

Die kleinen Schwestern der Hagia Sophia – Fabian Goldmann (Schantall und Scharia)

Fabian Goldmann (@goldi) greift auf seinem Blog Schantall und Scharia Fragen zum Islam auf, die in den großen Medien unterbelichtet bleiben. Diesmal hat er nach den „kleinen Schwestern“ der Hagia Sophia geschaut, die am Freitag dieser Woche wieder als Moschee diente, nachdem sie lange Museum war.

Um die Frage, ob die Empörung über die Umwidmung des Gebäudes, in dem seit seiner Eröffnung im Jahr 537 schon nach römischen (bis 1054), orthodoxen (bis 1204), katholischem (bis 1261), wieder orthodoxen (bis 1453) und islamischen Ritus (bis 1935) gebetet wurde und das seitdem ein Museum beheimatet, angemessen ist, soll es in diesem Text allerdings nicht gehen.

Stattdessen handelt er von einigen der vielen anderen religiösen Gebäuden, in denen einmal Gläubige anderer Konfessionen beteten. Denn auch wenn die Empörung im Fall der Hagia Sophia wohl einmalig ist, die Umwidmung von Gotteshäusern ist es nicht: Mal sind solche Umwidmungen Instrument der Unterdrückung gegenüber Gläubigen, mal ein Mittel, um Gläubigen mehr Platz zu verschaffen. Mal steckt hinter ihnen Macht- und Sympolpolitik. Mal geht es einfach darum, ein Gebäude vor dem Verfall zu retten.

Buntes

BR startet Podcast über Islam und muslimisches Leben in Deutschland (BR)

Am 30. Juli startet der Bayerische Rundfunk einen neuen Podcast mit Merve Kayikci (@primamuslima), in dem sie mit Muslim:a ins Gespräch kommt und so – das ist die Hoffnung – manches Vorurteil über muslimisches Leben in Deutschland abbauen hilft.

Das Projekt sei ihr „Herzensprojekt“, sagt Merve Kayikci: „Oft werde ich von Journalisten als Interviewpartnerin angefragt, wenn es um Islamthemen geht. Dabei gibt es doch noch so viele andere interessante Muslime in Deutschland.“ Einen kleinen Ausschnitt dieser Vielfalt wolle sie in den sechs Podcast-Folgen zeigen, so Merve Kayikci, […]. „Primamuslima – wir reden mit!“ ist ab 30. Juli 2020 im BR Podcastcenter sowie über die gängigen Portale zum Download oder Streaming abrufbar […].

Alle Girls, Mamas und Mädchen – Peter Otten (Theosalon)

Peter Otten (@PeterOtten) analysiert im Theosalon das „Im Namen der Mutter“-Video von Carolin Kebekus (s. #LaTdH vom 12. Juli) und findet darin ebenfalls reichlich Respekt für den katholischen Glauben.

Erstaunlich, wie viel Sympathie und theologische Kenntnisse das knapp vierminütige Video vor allem auf der Ebene der Bildsprache eben auch enthält. Von einer „geistlosen Rücksichtslosigkeit“ (Lohmann) sehe ich da nichts.

Let’s talk about S**? – Rainer Hörmann (Kreuz & Queer, evangelisch.de)

Im „Kreuz & Queer“-Blog bei evangelisch.de schreibt Rainer Hörmann anlässlich eines Interviews von Rainer Ehlers (des ersten evangelischen Aids-Seelsorgers) über Sex in der (Corona-)Krise. Was er schreibt, ist – wie so häufig im „Kreuz & Queer“-Blog nicht nur für die LGBTQI*-Szene relevant, sondern auch und gerade für die heterosexuelle Mehrheitskirche.

Statt Sexualität wurde, so ist meine Wahrnehmung, fast unentwegt über „Nähe“ geredet. Und in der LGBTQ-Welt natürlich ganz viel von „Liebe“. Beide Worte sind inzwischen allerdings „gereinigte“ Begrifflichkeiten, die – zumal in der Kirche – stets das Bild der intakten Paarbeziehung resp. Familie hochhalten. Liebe ist eine Chiffre für ein Verbundensein, das die mühselige Kleinteiligkeit des Alltags generös weichzuspülen vermag. Singles und die Lebenswirklichkeit, dass in Beziehungen heutzutage eher die Trennung als das Zusammensein bis ans Lebensende die Realität ist, kommen nicht vor.

Tägliche Kirche – Konstantin Manthey (kirchenbauforschung.info)

Konstantin Manthey (@K_Manthey) klärt auf seinem sehr lesenswerten Blog über Geschichte und Gegenwart des Kirchenbaus auf. Während der Corona-Krise stellt er jeden Tag eine Kirche oder Kapelle vor – inzwischen sind es 105. Weil sich die Porträts persönlicher Anschauung verdanken, sind sie mit reichlich schönen Fotografien versehen. Eine wunderbare Stöberei!

Ein guter Satz

„Tritt ein in den Dom, alle verrückten Tage einmal.“

– eine Ausflugsempfehlung für den Sommerurlaub aus Electras „Tritt ein in den Dom“. Electra-Sänger Stephan Trepte ist diese Woche verstorben.


Mit dieser 163. Ausgabe verabschieden sich die „Links am Tag des Herrn“ in die Sommerferien. An den drei kommenden Sonntagen pausieren die #LaTdH, in der Eule werden aber weiter Artikel erscheinen. Nach dem fordernden Frühjahr nehmen wir uns eine kurze Auszeit, um für den sicher nicht minder spannenden Herbst 2020 aufzutanken.

Herzlichen Dank allen #LaTdH-Autor:innen, die bis hierhin – ununterbrochen seit der ersten #LaTdH-Ausgabe vom 18. Juni 2017 – jeden Sonntag die Nachrichten rund um Kirchen und Religionen gesammelt und eingeordnet haben! Allen Leser:innen und #LaTdH-Newsletter-Abonnent:innen wünschen wir schöne Ferien und freuen uns auf ein Wiedersehen zu den #LaTdH am 23. August!