Newsletter #LaTdH

Vorwärts? – Die #LaTdH vom 1. Dezember

Auf in ein neues Kirchenjahr! Papst Franziskus erklärt das Ergebnis der Bischofssynode zum ordentlichen Lehramt zugehörig. Außerdem: Aufarbeitung beim Kirchentag, Rechtsradikale und Sex.

Herzlich Willkommen!

Mit dem 1. Advent beginnt das neue Kirchenjahr. Die Adventstage sind in den Kirchen eine wilde Zeit, in der zahlreiche Gottesdienste, Konzerte und Aktionen stattfinden, die auf die Geburt Jesu Christi einstimmen wollen, die zu Weihnachten gefeiert wird. Eine besinnliche und hochbetriebsame Zeit. Mit dem Advent wird jedes Jahr ein neuer Anfang gesetzt. Der Rhythmus des Kirchenjahres unterscheidet sich darin vom Alltagsleben unter dem Diktat von Kalender und Terminplaner. Zum Ende des Kalenderjahres stehen das Zu-Ende-Bringen und die Rückschau im Vordergrund – und eher weniger der Ausblick. Der Rückblick auf 2024 ist sicher geeignet, um zur Salzsäule zu erstarren.

Vom erwecklichen Theologen und Kirchenlieddichter August Hermann Franke (nicht zu verwechseln mit dem Pietisten August Hermann Francke) stammt das Lied „Nun aufwärts froh den Blick gewandt“ (EG 394), in dem es heißt:

„Nun aufwärts froh den Blick gewandt
und vorwärts fest den Schritt!
Wir gehn an unsers Meisters Hand,
und unser Herr geht mit.

Vergesset, was dahinten liegt
und euern Weg beschwert;
was ewig euer Herz vergnügt,
ist wohl des Opfers wert.“

Die Vergangenheit soll den Weg in die Zukunft nicht beschweren. Statt auf Versäumnisse zu blicken, sollen wir den Blick in die Höhe wagen, auf Gott. Mit dem Vergessen jedoch ist es so eine Sache: Es ist ein Privileg derjenigen, die unverwundet durch die Zeit gehen. Wer aus der Geschichte die falschen Schlüsse zieht, wird in Gegenwart und Zukunft fehl gehen. Da wird die Festigkeit des eigenen Ausschreitens zum Verhängnis.

Mindestens einmal die erweckliche Raummetaphorik kommt hier an ihre Grenzen: Gott ist nicht nur oben, unseren Nöten, Sorgen und Verletzungen entrückt, sondern vor allem auch unten, also mit denen, die versehrt und beschwert in die Zukunft weitergehen (müssen). Neue Anfänge sind in den Kirchen nur dort möglich, wo sie nicht eine Flucht vor der Verantwortung für die Vergangenheit sind, sondern sich konstruktiv zu ihr verhalten. Dafür ist der Zyklus des Kirchenjahres selbst ein Symbol, er bringt alles wieder.

Am kommenden Samstag wird in Paris die Kathedrale Notre Dame feierlich wieder eröffnet. Sie wurde in Windeseile wiederhergestellt, nachdem sie 2019 einem verheerenden Feuer zum Opfer fiel. Historisierenden Wiederherstellungen vermeintlicher Urzustände stehe ich, allzumal beim Kirchenbau, sehr skeptisch gegenüber. Vor allem, wenn dadurch Wunden der Vergangenheit „geschlossen“ werden sollen. Aber die Behebung von Schäden, die durch ein willkürliches Feuer entstanden sind, sind vielleicht eine andere Geschichte. Beim Guardian sind jedenfalls zahlreiche beindruckende Aufnahmen aus der wiederhergestellten Kathedrale zu sehen.

Eine gutes neues Kirchenjahr wünscht
Philipp Greifenstein

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Debatte

Mit Abschluss der Bischofssynode zur Synodalität in Rom im Herbst 2024 und der Veröffentlichung des Abschlussdokuments hatte sich die Frage gestellt, welche Geltung das Dokument und damit die Beschlüsse, besser: Überlegungen, behaupten können, die am Ende des von Papst Franziskus initiierten weltweiten Synodalen Prozesses der römisch-katholischen Kirche zu Papier gebracht wurden.

In den #LaTdH vom 3. November hatte ich die Problemlage dargestellt und im Monatsrückblick „RE: Oktober 2024“ des „Eule-Podcast“ haben #LaTdH-Autor Thomas Wystrach und ich ebenfalls über die Bischofssynode und ihre schwierige Beschlusslage diskutiert.

Am Montag dieser Woche nun hat es Papst Franziskus unternommen, etwas mehr Klarheit zu schaffen. Vermittels einer Begleitnotiz zum Abschlussdokument („Note of the Holy Father Francis to accompany the Final Document of the 16th Ordinary General Assembly of the Synod of Bishops“, auf Englisch) erklärte er:

Now the journey continues in the local Churches and their groupings, treasuring the Final Document that was voted on and approved by the Assembly in all its parts on 26 October. I too approved it and, signing it, ordered its publication, joining the “we” of the Assembly which, through the Final Document, addresses the holy faithful People of God. Acknowledging the value of the synodal journey completed, I now hand over to the whole Church the indications contained in the Final Document, as a restitution of what has matured during these years, through listening and discernment, and as an authoritative guide for her life and mission. The Final Document will form part of the ordinary Magisterium of the Successor of Peter (cf. EC 18 § 1; CCC 892), and as such I ask that it be accepted.

Franziskus addressiert die entstandene Verwirrung, indem er klarstellt, dass er dem Abschlussdokument zugestimmt habe, gerade indem er sich dem „Wir“ der Versammlung angeschlossen hat. Das Abschlussdokument sei „maßgeblicher Leitfaden für das Leben und die Mission“ der ganzen Kirche und „wird Teil des ordentlichen Lehramts des Nachfolger Petri“ werden.

Ich hatte mich in den #LaTdH der Deutung von Thomas Wystrach angeschlossen, Franziskus habe das Abschlussdokument nicht approbiert, es sei darum nicht Teil des ordentlichen Lehramts. Müssen wir jetzt, wie angekündigt, Abbitte leisten?

Die Veröffentlichung der Begleitnotiz vom 25. November zeigt jedenfalls an, dass auch im Vatikan das kirchenrechliche Vakuum, in dem das Abschlussdokument zunächst verblieben war, nicht unbemerkt geblieben ist. Franziskus bestärkt mit der Notiz jetzt diejenigen, die auf Grundlage der Synodenbeschlüsse in den Ortskirchen an Reformen weiterarbeiten wollen. An einem Problem aber kommt man nicht vorbei: Das Abschlussdokument selbst ist keine Sammlung von Beschlüssen und Normen, die forthin Geltung beanspruchen, sondern eine Summe widersprüchlicher Überlegungen und ephemerer Absichtserklärungen.

Maßschnur für Bischöfe: Das Synodendokument als ordentliches Lehramt – Felix Neumann (katholisch.de)

Für katholisch.de fasst Felix Neumann die Debatte um die Bedeutung des Abschlussdokuments noch einmal zusammen und findet: „Am Ende hatten beide Seiten recht“. Er erklärt, was nun für die Kirche aus der Aufnahme des Abschlussdokuments in das ordentliche Lehramt folgen kann. Dabei sieht Neumann vor allem die Bischöfe in ihrer Gestaltungshoheit für ihre jeweiligen Bistümer und in Gemeinschaft als nationale Bischofskonferenzen in der Pflicht. Sowieso sei „unterhalb von rechtlich zu gestaltenden Strukturen der Spielraum größer“. Neumanns Fazit fällt dann auch erwartbar zweigeteilt aus:

Jede Entwicklung und Planung in den Ortskirchen wird künftig an den im Abschlussdokument entwickelten Kriterien gemessen werden. Alle Gläubigen können die Ergebnisse der Synode als Messlatte für ihren Bischof heranziehen – und angesichts der im Abschlussdokument stark gemachten Rechenschaftspflicht von Bischöfen auch zumindest mit moralischer Autorität Antworten einfordern. Begründungspflichtig sind künftig diejenigen, die Vorschläge der Synode nicht umsetzen, nicht die, die vorangehen und experimentieren.

Tatsächlich rechtlich verbindlich ändern wird sich aber erst etwas, wenn Papst Franziskus selbst Konsequenzen zieht. Denn bei aller synodaler Rhetorik des „Wir“: Am Ende bleibt es der Papst, der entscheidet, und niemand sonst.

Ähnliche Beschlüsse: Wo Synodaler Weg und Weltsynode gleiches wollen – Christoph Brüwer (katholisch.de)

Ebenfalls auf katholisch.de unternimmt Christoph Brüwer einen Vergleich des Abschlussdokuments der Bischofssynode mit den (bereits vorliegenden) Beschlüssen des Synodalen Weges der römisch-katholischen Kirche in Deutschland. Einige wichtige Unterschiede werden deutlich, z.B. bei der Machtfülle der Bischöfe und bei der Gleichberechtigung von Frauen. Außerdem fehlen im Abschlussdokuemnt der „Weltsynode“ einige Themen, die auf dem Synodalen Weg im Zentrum standen: Pflichtzölibat für Priester, eine lehramtliche Neubewertung von Homosexualität, „Segensfeiern für Paare, die sich lieben“ und „geschlechtliche Vielfalt“.

Zugleich wird deutlich, dass bei einer optimistisch-forschen Auslegung des vatikanischen Abschlussdokuments einige Reformen machbar erscheinen, die bereits die „Würzburger Synode“ Mitte der 1970er Jahre gefordert hatte.

nachgefasst: Missbrauchskrise

„Pädophilie im Fokus“?

Am Freitag reagierte der Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) auf einer kleinen Pressekonferenz auf die Ergebnisse einer jüngst in der Evangelischen Verlagsanstalt unter dem Titel „Pädophilie im Fokus“ erschienenen Studie von Uwe Kaminsky „zur Rolle von Hartmut von Hentig, Gerold Becker und Helmut Kentler“ beim Kirchentag. Die vom Kirchentag beauftragte, aber unabhängig durchgeführte Studie unternimmt den Versuch, eine Lücke in der Aufarbeitung der Verbrechen und Verschleierungen der drei bedeutenden protestantischen Protagonisten zu schließen, indem sie sich ihrem Wirken auf und rund um die Evangelischen Kirchentage von Ende der 1960er Jahre bis in die 1990er Jahre widmet. Reinhard Bingener beschreibt in der Frankfurter Allgemeinen (€) zentrale Befunde der historischen Untersuchung:

Von 1988 bis 2000 saß von Hentig im Präsidium des Kirchentags, sein Lebenspartner Gerold Becker wurde 1993 ins Präsidium gewählt. Beide konzipierten Foren und traten auf Veranstaltungen auf. Es finden sich keine Belege, dass sie auf dem Kirchentag offen Pädosexualität propagiert hätten. Man hielt sich, vermutlich aus taktischen Gründen, diesbezüglich eher zurück und beließ es bei Andeutungen. […]

Der Kirchentag wurde nicht direkt für Missbrauch oder Missbrauchspropaganda genutzt, sondern eher, um in der Gesellschaft einen verbalen Ermöglichungsrahmen zu schaffen. Ähnlich verhielt sich auch der Sexualwissenschaftler Helmut Kentler, der […] von 1979 bis 1993 auf Kirchentagen auftrat. Diese Auftritte Kentlers wurden damals von konservativen Protestanten durchaus kritisiert, allerdings eher aufgrund ihrer Ablehnung der Homosexualität. Die Personalie Kentler war für die Kirchentagsleitung aber auch heikel, weil er öffentlich die Pädosexualität propagierte. Auf den Kirchentagen vermied Kentler nach Darlegung von Kaminsky aus strategischem Kalkül eine Vermischung seiner Themen Homosexualität und Pädophilie.

Bingener referiert in seinem Artikel auch die Verknüpfungen der Protagonisten in ein bedeutsames „Netzwerk“ der alten Bundesrepublik, „an das […] schon vor Jahrzehnten das Etikett „protestantische Mafia“ geheftet wurde“. Über die Verhängnisse von „Meister-Schüler“-Kult und einer dezidiert protestantischen, reformerischen Pädagogik erfährt man im Buch selbst recht wenig. Mehr dazu in den kommenden Tagen hier in der Eule. In den zeitzeichen hat Philipp Gessler vor allem über die Reaktionen des Kirchentages auf der Pressekonferenz geschrieben:

Nach Auskunft der Akten habe es beim DEKT, so [Kristin] Jahn [Generalsekretärin des Kirchentages, Anm. d. Red.], bis 1999 auch kein Wissen über die Verbrechen sexualisierter Gewalt gegeben, die vor allem Becker nachgewiesen werden konnten. Allerdings sei es eine offene Frage, warum der DEKT nicht ab 2010, als dieses Wissen dann vorhanden war, nicht selbständig und früh eine Aufarbeitung […] in Angriff genommen habe, […]. Man habe den beschuldigten Personen unhinterfragt auf dem Kirchentag „eine Bühne gegeben“, so Jahn. Der Kirchentag müsse lernen, das Undenkbare zu denken. „Der Kirchentag ist nicht der bessere Ort.“

Thomas de Maizière, seit Jahren im DEKT-Präsidiumsvorstand tätig, erklärte, der Blick in die Vergangenheit sei schmerzhaft und überfällig. Es sei auch beim DEKT zu lange zu den Taten sexualisierter Gewalt geschwiegen worden. Der ehemalige Bundesminister betonte, dass die Studie lediglich die möglichen Taten der genannten Personen nach Aktenlage untersucht habe, nicht jedoch, ob es generell in der Jahrzehnte langen Geschichte des DEKT Taten sexualisierter Gewalt von anderen Engagierten oder zum Beispiel in den Unterkünften während der Kirchentage gegeben habe.

Angesichts des Befundes und der Performance des Kirchentags auf der Pressekonferenz am Freitag stellte der Chefredakteur der zeitzeichen, Reinhard Mawick, auf Facebook fest: „Der Kirchentag hat sich also exkulpiert, was die Drei angeht.“ Was die Studie von ihrem Aufriss her nie leisten konnte, war eine (historische) Aufklärung von sexualisierter Gewalt auf den Kirchentagen. Philipp Gessler zieht ein Fazit als Zwischenstand:

So ist die Studie von Kaminsky von einem auf den ersten Blick begrenzten Wert, da das Thema „Sexualisierte Gewalt und Werbung für Pädophilie auf dem Kirchentag“ bestenfalls angekratzt wurde. Wie viele Verbrechen dieser Art es auf den Kirchentagen oder in deren Umfeld gab, muss weiter erforscht werden, auch wenn die Aktenlage voraussichtlich wenig Auskunft dazu geben wird. […] Man kann also sagen, dass der DEKT erst am Anfang der Aufarbeitung seiner Geschichte beim Thema „Sexualisierte Gewalt“ und „Werbung für Pädophilie“ steht. Aber immerhin ist ein Anfang gemacht.

Ehre für den Missbrauchstäter: Aus reiner Bequemlichkeit – Felix Neumann (katholisch.de)

In der Oberpfälzer Gemeinde Eslarn bleibt eine Straße weiterhin nach einem Missbrauchstäter, dem katholischen Priester Georg Zimmermann, benannt. So haben es die Bürger:innen entschieden. Felix Neumann nimmt den Vorgang in Bayern zum Anlass, in einem Kommentar die Mitwirkung von Lai:innen und Bystandern an der Verschleierung von Missbrauch in Kirche und Gesellschaft zu thematisieren:

Immer wieder zeigen Missbrauchsstudien und Gutachten, dass Missbrauch in der Kirche nicht in einem luftleeren Raum verübt wird. Es sind nicht einzelne böse Täter, die wie eine unerwartete Naturgewalt ihre Taten verüben: Es ist ein Umfeld, das Taten ermöglicht, deckt, Bequemlichkeit und guten Schein höher schätzt als die unangenehme Konfrontation mit den Taten. Besonders die Essener Missbrauchsstudie hat eindrücklich herausgearbeitet, wie das Thematisieren von Missbrauch in Gemeinden als Störfaktor wahrgenommen wird und nicht der Missbrauch selbst. „Es ist durchgängig erkennbar, dass ein Großteil der Gemeindemitglieder, die Kenntnis von einem Vorwurf gegen einen Pfarrer bezüglich sexualisierter Gewalt bekommen, keinerlei Fokus auf Unterstützungsbedarfe möglicher Betroffener legen“, heißt es im Fazit der Studie. […]

„Für uns Betroffene gilt damit, dass wir ein weiteres Mal zu Opfern gemacht werden“, sagte der Sprecher des Betroffenenbeirats des Bistums Regensburg nach der Abstimmung: „Unser Leid wurde von Argumenten wie Kosten, Bequemlichkeit und Desinteresse begraben.“ Dieser Egoismus, diese Bequemlichkeit und dieses Desinteresse am Leid der Betroffenen sexualisierter Gewalt gilt es zu überwinden, wenn die Gesellschaft die Aufarbeitung wirklich ernst nehmen will.

Orte des Missbrauchs (Eckiger Tisch)

Der Betroffenen-Verein Eckiger Tisch präsentiert auf seiner Website seit dieser Woche eine Deutschlandkarte, auf der Missbrauchsfälle aus der Katholischen Kirche und katholischen Einrichtungen eingetragen werden. So soll mit der Zeit ein Überblick darüber gelingen, wo es überall zu Missbrauchsfällen gekommen ist. Das Projekt steht erst am Anfang und es sind erst wenige Fälle auf der Karte eingezeichnet. Der Verein ruft Betroffene dazu auf, ihre Fälle auf der Website in einem Formular zu übermitteln.

Ich halte eine solche Initiative, trotz der bekannten (persönlichkeits-)rechtlichen Bedenken, für eine gute Sache und lange überfällig. Am Ende meines Gesprächs mit Friederike Lorenz-Sinai aus dem Forscher:innenkreis der „ForuM-Studie“ vom März 2024 im „Eule-Podcast“ sind wir auf die Frage von Artefakten der Aufarbeitung kurz zu sprechen gekommen. Auf dem Schneidetisch der Episode verblieben ist eine etwas längliche Erklärung meinerseits, dass so eine Online-Karte doch eine gute Idee wäre. Viele Betroffene haben sich inzwischen bei beiden Kirchen gemeldet, nicht immer, aber häufig mit dem Anliegen, finanzielle Anerkennungsleistungen und Unterstützung zu erhalten. Doch Anerkennung meint mehr: Sichtbarkeit und Nachvollziehbarkeit, eine Dokumentation „des eigenen Falls“. Für solche Ideen müssen die Kirchen sich auch offiziell mehr einsetzen als bisher.

Buntes

Christliche Brandmauer: Wie sich Kirchen gegen rechte Vereinnahmung wehren – Interview mit Henning Flad (DLF Kultur, 12 Minuten)

Anknüpfend an die Ergebnisse der aktuellen Leipziger Autoritarismusstudie geht es in diesem Interview mit Henning Flad, Projektleiter bei der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche + Rechtsextremismus (BAG K+R), um einige aktuelle Entwicklungen auf dem Problemfeld Rechtsradikalismus und Kirche. Flad beobachtet, in Übereinstimmung mit der Studie, dass „hier und da auch in westdeutschen Kirchgemeinden rassistische Diskurse stärker werden“. Die BAG K+R hatte am 15./16. November zu ihrer Jahrestagung nach Berlin eingeladen. Die Autoritarismusstudie hatte festgehalten:

Im Westen Deutschlands hat die Zustimmung zu ausländerfeindlichen Aussagen deutlich zugenommen und nähert sich den Einstellungen im Osten an. Ausländerfeindlichkeit hat sich damit zu einem bundesweit geteilten Ressentiment entwickelt. Antiamerikanismus, Antikapitalismus und Trans*feindlichkeit wurden neu untersucht. Vor allem letztere ist weit verbreitet.

Die Studie für 2024 trägt den Titel „Vereint im Ressentiment: Autoritäre Dynamiken und rechtsextreme Einstellungen“ (PDF). Ich muss ehrlich sagen, dass mir der Ressentiment-Begriff für die Beschreibung des Alltags rechtsradikaler und -extremer Einstellungen, Handlungen und Politik in Deutschland fast zu verharmlosend klingt. Mit dem Begriff Ressentiment hat sich auf der Tagung der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) auch deren Leitender Bischof, Ralf Meister (Hannover), in seinem Bericht (PDF) ausführlich befasst.

Bremer Sankt-Martini-Gemeinde zieht sich aus Landeskirche zurück (KNA, katholisch.de)

Die Sankt-Martini-Gemeinde in Bremen hat offiziell erklärt, ihre Rechte und Pflichten in der Bremenischen Evangelischen Kirche (BEK) ruhen zu lassen, berichtet die KNA. Bei der neuen Kirchenverfassung der BEK will man nicht mitmachen, wirft der Landeskirche Zentralisierung und Beschneidung der „Glaubens-, Gewissens- und Lehrfreiheit der Gemeinden“ vor. In der Gemeinde ist Pastor Olaf Latzel tätig, der sich wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung vor Gericht verantworten musste (s. zuletzt #LaTdH vom 22. September). Das noch laufende kirchliche Disziplinarverfahren gegen Latzel ist von der jüngsten Entwicklung nicht betroffen.

Let´s talk about *** and politics! – Annika Schreiter (Evangelische Akademie Thüringen)

Bei einer Tagung unter dem Titel „Let’s talk about Sex and Politics: Politische Bildung und Sexuelle Bildung im Gespräch“ kamen in der Evangelischen Akademie Thüringen Menschen aus pädagogischer Praxis und Wissenschaft zusammen, um zu „gleich zwei Themen, über die Jugendliche nur sehr ungern mit Erwachsenen sprechen“, zu arbeiten.

Über die Tagung schreibt Tagungsleiterin Annika Schreiter, Studienleiterin für politische Jugendbildung und stellvertretende Direktorin der Akademie. So geht evangelische Bildungsarbeit als Beitrag zu einer demokratischen und aufgeklärten Gesellschaft. Mit dabei war auch Eule-Kolumnistin Flora Hochschild („mind_the_gap“ Staffel 1):

Dass die Verbindung von Sex und Politik auch kein gegenwärtiges Phänomen ist, zeigte die Historikerin Flora Hochschild am zweiten Tag. In ihrem Vortrag zeigte sie anhand eines anonymen Gedichts aus dem 17. Jahrhundert, wie Sexualität kunstvoll verhandelt und dabei so manches Tabu der Zeit gebrochen wurde. Solange die Konventionen der Kunst eingehalten wurden, war der Freiraum da, auch ins Perverse Abgleitende zu veröffentlichen.

Theologie

Bonhoeffer war eben ziemlich woke – Hannes Stein (WELT)

Für die WELT hat sich Hannes Stein den neuen Bonhoeffer-Film reingezogen, über den im Kontext des US-Wahlkampfs und -Regierungswechsels schon reichlich diskutiert wurde (s. #LaTdH vom 27. Oktober). Die Bonhoeffer-Apologie des Jahres 2024 ist fast ausschließlich Hobby einer liberalen protestantischen Elite, die auf ordentliche historische Einordnungen beharrt. Gelegentlich werden auch ein paar überflüssige Tränen über das Andenken des „protestantischen Heiligen“ vergossen.

Das ist – wie gesagt – ehrenwert, aber wird evangelikale Verschwörungsideologen wie Eric Metaxas, auf dessen Wirken Stein abermals eingeht, nicht von ihrer Geschichts- und Theologieklitterei abbringen – noch jene erreichen, die sich von derartiger Propaganda begeistern lassen. Den Film selbst findet Stein übrigens nicht „gefährlich“, sondern „einfach schlecht“:

Eine Szene gab es, eine einzige, die diesen Zuschauer emotional berührt hat: Da bricht Bonhoeffer einen Laib Brot und feiert mit seinen Mitgefangenen das letzte Abendmahl. Leider wird diese Szene durch die folgende sofort zunichtegemacht. Sie zeigt die Hinrichtung Bonhoeffers, und zwar – entgegen aller historischen Tatsächlichkeit – als stilisierte Kreuzigung. Also: drei Henkerschlingen auf einem Galgen, Bonhoeffer vergibt seinen Feinden, Blick in den Himmel, Lichtstrahl bricht durch die Wolken; oh Gott.

Etwas zum Kotzen zu finden, ist ja auch eine emotionale Reaktion. Ärgerlich an der flotten Betrachtung von Stein und der wie üblich klickorientierten Überschrift der WELT ist übrigens die Verwendung des Begriffs woke. Theologie und politische Überzeugungen Bonhoeffers waren weder im historisch-kritischen noch im heute (leider) umgangssprachlichen Sinne woke. Richtig ist, wenn auch reichlich pathetisch formuliert, dass Bonhoeffer „vor Donald Trumps christlichen Anhängern wohl ebenso verächtlich ausgespien hätte wie vor den „Deutschen Christen“ im Dritten Reich“. Aber das macht Bonhoeffer noch lange nicht woke, wie Stein nonchalant behauptet. Dass die WELT aus dem kleinen Sätzlein dann die Überschrift macht, ist so unvermeidlich wie auch langweilig.

Ein guter Satz

„Segen gibt es hinter der Praywall.“

– hintersinniger Bluesky-Post von @leonceundlena


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