Annette Kurschus, Präses der EKvW, Hans Leyendecker, Kirchentagspräsident, & Julia Helmke, Generalsekretärin des DEKT, präsentieren die Losung des 37. DEKT Foto: DEKT / Silvia Kriens

Was der Kirchentag leisten muss

Heute startet der Kirchentag in Dortmund unter der Losung „Was für ein Vertrauen“. Tausende Menschen treffen sich zum Beten, Singen und Diskutieren. Dabei hat der Kirchentag eine wichtige Aufgabe zu erfüllen.

Das Programm ist voll gepackt: Gottesdienste, Diskussionen und Aktionen wechseln sich ab. Workshops laden zur Mitarbeit an der digitalen Kirche, am Zusammengehen von Diakonie und Kirche und bei der Bewahrung der Schöpfung ein. 100 000 Menschen sollen in den kommenden Tagen zum Deutschen Evangelischen Kirchentag (DEKT) in Dortmund zusammenkommen.

Dabei ist 30 000 die eigentlich entscheidende Zahl. 30 000 Namen von im Mittelmeer ertrunkenen Menschen sollen genannt werden. Die Aktion wird von der Organisation Seebrücke und dem Evangelischen Kirchenkreis Dortmund initiiert. Am Freitag und Samstag werden am Platz der alten Synagoge (Opernplatz) große Banner ausgelegt, auf die Gäste des Kirchentags und Freiwillige der Aktion Seebrücke die Namen der 30 000 im Mittelmeer ertrunkenen Menschen schreiben werden. Am Samstag werden ab 17:30 Uhr die Banner bei einem Trauermarsch, der am gleichen Ort startet, zur Reinoldikirche gebracht und dort am Turm von zwei Seiten aufgehängt.

Am Donnerstag wird es in der Westfalenhalle eine kurzfristig organisierte Sonderveranstaltung zum „Palermo-Appell“ mit dem Bürgermeister von Palermo Leoluca Orlando, der Kapitänin der Sea-Watch 3 Carola Rackete und dem EKD-Ratsvorsitzenden Heinrich Bedford-Strohm geben. Damit setzt der Kirchentag ein Zeichen für die zivile Seenotrettung und für die Schaffung „Sicherer Häfen“ in Deutschland und Europa.

Solidarität mit Seenotrettung in Wort, Tat und Symbol

Seit sechs Tagen harren 43 Gerettete auf dem Rettungsschiff Seawatch 3 aus, weil die italienische Regierung sie nicht an Land lässt. Sechzig Städte und Gemeinden in Europa haben sich bereit erklärt, diese Menschen aufzunehmen und sie sogar mit Bussen abzuholen, doch die nationalen Regierungen verweigern sich. Bedford-Strohm hatte darum Horst Seehofer als zuständigen Minister aufgerufen, seine Blockade aufzuheben und diesen Menschen in Deutschland Zuflucht zu gewähren.

Die Kirchen sind die einzigen verbliebenen großen gesellschaftlichen Akteure, die unverändert an der Seite der Opfer von Flucht und Migration stehen. Hier können sie ihre schiere Größe und ihr politisches Gewicht einbringen, wenn sie – wie beim „Palermo-Appell“ – solidarisch mit anderen Akteuren handeln. Der Kirchentag kann zu einem Verstärker für die Forderungen der Flüchtlingshelfer*innen und Seenotretter*innen werden.

Selbst die politischen Parteien, die für eine offene Gesellschaft stehen, sind in der Flüchtlingsfrage durch Regierungsbeteiligungen in Bund und Ländern unglaubwürdig geworden. Daran verzweifeln auch viele ihrer Mitglieder. Unverbrüchliche Solidarität mit Flüchtlingen ist nicht mehr selbstverständlich, in den vergangenen Jahren hat sich der breite gesellschaftliche Konsens in dieser Frage zunehmend aufgelöst. Dass Menschen in Seenot geholfen werden muss, dass Ertrinkende gerettet gehören, ist zum Diskussionsgegenstand degeneriert.

Den willigen Parteimitgliedern und Politiker*innen, den Flüchtlingshelfer*innen und Seenotretter*innen muss die Kirche in Wort und Tat und Symbolhandlung beispringen. Gerade durch eine öffentliche Aktion wie den Trauermarsch unter dem Motto „Jeder Mensch hat einen Namen“ kann wieder ins Bewusstsein rücken, wie sich Europa versündigt.

Ein deutliches Signal aus Dortmund

Die Frage nach dem europäischen Grenzregime ist die Zukunftsfrage Europas, denn in den kommenden Jahren werden abertausende Menschen ihr Heil im wohlhabenden und sicheren Europa suchen. Auf dem Kirchentag wird intensiv über die Bewahrung der Schöpfung diskutiert werden, der Zeitgeist ist (endlich) so. Der EKD-Ratsvorsitzende hat in den vergangenen Tagen sogar schon darauf hingewiesen, dass die Kirchen(-tage) sich seit jeher mit diesem Thema befassen, nicht erst seit #FridaysforFuture. Dazu – und zu anderen Themen – wurde auch schon ein Resolutionsvorschlag eingereicht.

Sicher muss sich die Kirche auch hier weiter investieren und vor allem mit ihrem über die Jahrzehnte angesammelten Know-How und politischem Gewicht dienen. Doch für Aufmerksamkeit ist durch #FridaysforFuture gesorgt. Die Kirche muss auf das hinweisen, was sonst vergessen wird. Auch weil wir den Tod auf dem Mittelmeer vor Scham und Schuldgefühlen gerne verdrängen. Die Kirche muss sich für jene Opfer verwenden, die keine Stimme haben, weil sie verstummt sind.

Das mag heute unpopulär sein, weil das Thema Migration auch innerkirchlich droht toxisch zu werden und die öffentliche Aufmerksamkeit auf andere Themen gerichtet ist – auch aufgrund sinkender Flüchtlingszahlen in Deutschland. Dieser Rückgang ist aber politisch gemacht. Und zwar von Politiker*innen, die sich in den kommenden Tagen auf den Podien des Kirchentages erklären sollten!

Warum lassen wir zu, dass auf dem Mittelmeer Menschen sterben, die aus Not und ohne Schuld eine gefährliche Überfahrt auf sich nehmen? Warum werden Würdeanker wie das Kirchenasyl von christlichen Politikern mutwillig zerstört? Warum ist es kein Skandal, dass Menschen in Länder abgeschoben werden, in denen Krieg herrscht und sie Verfolgung ausgeliefert sind? Die Christ*innen auf dem Kirchentag sollten diese Fragen stellvertretend für alle Menschen stellen, die keine Stimme haben.

Die Namen von Getöteten aufzuschreiben ist auch ein Stimmungskiller. Doch so wichtig Andacht und Spiritualität und die bunten Seiten der Evangelischen Kirche sind, der Kirchentag würde sich verfehlen, wenn von ihm nicht ein deutliches Signal für eine würdevolle Migrationspolitik und das Helfen in Not ausginge.