Weihnachtsbotschaft der EKD-Ratsvorsitzenden: Fail zum Fest

In ihrer ersten Weihnachtsbotschaft als EKD-Ratsvorsitzende trifft Annette Kurschus den falschen Ton. Beim Versuch, die Weihnachtsgeschichte mit der Pandemie zu ver-sprechen, entgleiten ihr die Metaphern. Ein Kommentar.

Womit hat es die Botschaft der Engel verdient, von der EKD-Ratsvorsitzenden mit dem Corona-Virus verglichen zu werden? “ Eine „Freudenbotschaft von pandemischen Ausmaß“ sieht Annette Kurschus in der Verkündigung von der Geburt Jesu durch „Gottes Botinnen und Boten“: „Sie locken uns aus den Hinterzimmern unserer Befürchtungen und Ängste und Ungewissheiten.“

In ihrer ersten Weihnachtsbotschaft trifft die neue EKD-Ratsvorsitzende den falschen Ton. Zu ihrer Wahl hatte sie betont, vor allem als Theologin mittels geistlicher Impulse in die Gesellschaft wirken zu wollen, nicht mit politischen Forderungen wie ihr Vorgänger Heinrich Bedford-Strohm. Nicht wenige Menschen in den Evangelischen Kirche erhoffen sich von Kurschus, dass „die Kirche“ sich seltener und überlegter zu aktuellen Zeitfragen äußert – aber so?

Die „Macht der Zahl“ vs. die Gute Nachricht?

Die Weihnachtsgeschichte begänne, so Kurschus, mit einem „pandemischen Befehl“, nämlich zur Volkszählung. „Heute erfahren wir neu und auf nie geahnte Weise, was es bedeutet, der Macht der Zahl ausgeliefert zu sein“, meint Kurschus. „Wie viele Infizierte? Wie viele Erkrankte? Wie viele Tote? Wie viele Intensivbetten? Wie viele Beatmungsgeräte? Wie lautet die Reproduktionszahl – und wie die Inzidenzzahl? Wie hoch sind die Fallzahlen? Nicht zu vergessen: Wie viele Flüchtlinge in Belarus? Wie viele Soldaten an der ukrainischen Grenze? Wie viel Grad bis zum Kollaps? Wieviel, wieviel, wieviel?“

Dieser „pandemischen“ Realität setzt Kurschus die ebenso „pandemische“ Botschaft von der Geburt Jesu entgegen. Der aber ist der Heiland, und im Wort „Heil“ ist nicht umsonst „Heilung“ angestimmt. Warum betätigt sich Kurschus als Theologen-Cleverle, das der Pandemie einen neuen Spin abgewinnen will? Ist die Botschaft der Engel etwa deshalb „pandemisch“, weil sich die Kirche Jesu Christi in alle Welt ausgebreitet hat? Feiern wir Pfingsten oder befinden wir uns auf einer Akademie-Tagung? Gebraucht wird stattdessen die stabile Weihnachtsbotschaft. Oder ist Weihnachten nicht gerade das Fest der Geburt desjenigen, der „Heiland aller Welt zugleich“ ist, „der Heil und Leben mit sich bringt“?

Am Morgen sagte Kurschus im Deutschlandfunk, es entspreche „dem Kern christlicher Ethik, dass ich mich in einer solchen Lage nicht nur darum kümmere, wie es um meine eigene Unversehrtheit bestellt ist, sondern dass ich auch auf den anderen blicke“. Sie halte es darum für „die Verpflichtung eines jeden Menschen, dazu beizutragen, dass wir diese große Gefahr jetzt miteinander abwenden“. Die Kirche mache keinem Ungeimpften die Tür zu, „zugleich sage ich Impfgegnern sehr deutlich, dass ich ihre Haltung nicht akzeptieren kann“. Zu dieser Überzeugung sei sie auf einem längeren Lernweg gelangt.

In ihrer Weihnachtsbotschaft aber ruft die Ratsvorsitzende missverständlich dazu auf, sich aus dem „Hinterzimmer unserer Ängste“ locken zu lassen. Also kein Social Distancing als Wellenbrecher? Was ist mit jenen Menschen, die auch aufgrund der mangelnden Solidarität anderer mit ihren pflegebedürftigen Angehörigen „im Hinterzimmer“ leben müssen? Wer sich während der Pandemie isoliert, dem mangelt es nicht an Ver-Lockungen, der handelt vielmehr aus Vorsicht und Sorge.

Warum erscheint die „Macht der Zahl“ in der Pandemie Kurschus als Gegenbild einer Freudenbotschaft? Ist es nicht gerade der eklante Mangel an ordentlichen Statistiken, z.B. über die Verbreitung der neuen Omikron-Variante oder über die Ansteckungen in Betrieben und Schulen, der eine zielführende Bekämpfung der Ausbreitung des Corona-Virus‘ hierzulande behindert?

Die Ratsvorsitzende ist keine Schwurblerin

Nichts spricht dafür, dass Kurschus mit ihrer Botschaft den Maßnahmen-Kritiker:innen in den eigenen Reihen entgegenkommen will. Hat sie sich einfach nur im Metaphern-Labyrinth verlaufen? Die EKD-Ratsvorsitzende predigt zu Weihnachten zwei Mal, am Heiligen Abend in Bethel und in einem Festgottesdienst am 1. Weihnachtstag in Bielefeld. Im Kontext einer Predigt mag sich manches Sprachbild aufhellen, als die Weihnachtsbotschaft der EKD-Ratsvorsitzenden sind sie – mit viel Wohlwollen betrachtet – maximal interpretationsbedürftig. Als uneigentliche, als geistliche Rede allein wird man eine Weihnachtsbotschaft einer EKD-Ratsvorsitzenden nicht verstehen können. Die Worte der Kirche müssen in diesen Tagen besonders wasserdicht sein.

In den beiden Corona-Jahren 2020 und 2021 hat es zahlreiche Versuche von Theolog:innen gegeben, der Pandemie irgendwie Sinn abzuringen. Nicht wenige sehen in der Corona-Krise auch die Theologie in der Krise. Der damalige EKD-Ratsvorsitzende Bedford-Strohm sprach zu Ostern 2021 zum Beispiel von „seelischen Inzidenzen“. Gemeint waren die Folgen von Pandemie und Pandemie-Bekämpfung insbesondere für vulnerable Gruppen und Kinder. Man sorge sich vor einem „seelischen Ruin“. Bedford-Strohms Osterbotschaft war missverständlich, denn als Absage an die Corona-Schutzmaßnahmen wollte er sie natürlich nicht verstanden wissen.

Auch Kurschus wandert nun auf dem schmalen Grat der öffentlichen Kommentierung eines Pandemiegeschehens, das sich den gängigen theologischen Deutungskategorien zu entziehen scheint. Eine Möglichkeit wäre es gleichwohl, die Theologie nicht künstlich ins Spiel zu bringen, wo sie wenig oder garnichts zu sagen hat. Im Deutschlandfunk-Interview noch kritisierte Kurschus Impfgegner:innen, es sei eine „gefährliche Argumentation“, bei der Impffrage „Gott ins Spiel zu bringen und Gott gegen eine Impfung oder das Gottvertrauen gegen meine Verantwortung für den nächsten Menschen auszuspielen.“ Das stimmt, umso mehr erstaunt ihre Weihnachtsbotschaft.

Vielleicht wäre ja zur zweiten Corona-Weihnacht gerade die Botschaft wichtig, dass es denjenigen, die im Hinterzimmer der Ungewissheit ausharren, nicht an Gottvertrauen mangelt? Dass die „Macht der Zahl“ und die Sorge um den Nächsten sich gerade nicht ausschließen? Und dass der Heiland Jesu Christ gerade bei denen mit seiner Gnade einzieht, die voll Angst sind?