Newsletter #LaTdH

Weil jetzt Sommer ist – Die #LaTdH vom 28. Juli

Die Religionsfreiheit wird am Esstisch angegriffen. Zeit, dass sich was regt, nicht nur in Sachsen. Außerdem: Gottesdienste per Generator, Pfarrverdienste, LGBTQ* in Berlin und zwei Sommerpredigten.

Fühlen Sie schon das Sommerloch? Bindet die Fokussierung auf Hitze und Urlaubsbeginn auch Ihre Kräfte? Auch die geistigen und geistlichen? Hier kommt Abhilfe:

Debatte

Es geht nicht um Schweinefleisch

Unter der Woche dummdreistete die BILD über zwei Leipziger Kindergärten, die zwischenzeitlich beschlossen hatten,

Schweinefleisch vom Speiseplan [zu] streichen, damit Kinder unterschiedlichen Glaubens gemeinsam (!) essen können. Also noch einmal zum Mitschreiben: Damit Kinder, unabhängig von Herkunft und Glauben gemeinsam essen können, streicht der Träger zweier Kindergarten-Einrichtungen Schweinefleisch vom Speiseplan. Es gibt weiterhin Rind, Huhn, Lamm, Ente, Fisch, sonstige Meerestiere und alles andere, was auf Gottes Erden kreucht und fleucht.

Was die Agitateure der Bild im Verbund mit rechtsradikalen Medien und Parteien mit dieser „Nachricht“ anstellten, gipfelte schlussendlich darin, dass beide Kindergärten Polizeischutz benötigten. Wie Stephan Anpalagan auf Facebook weiter schreibt:

Ohne jegliches Bewusstsein an einer Mitschuld schreibt die Bild nun im Laufe des Tages noch Folgendes (Im Original und ohne Kürzung): „Um mögliche Gefahren abzuwehren, stehe ein Polizeiauto vor den beiden benachbarten Einrichtungen, sagte ein Sprecher am Dienstag. Hintergrund ist, dass in den Kitas kein Schweinefleisch mehr angeboten werden soll.“

NEIN!!! VERDAMMT NOCH MAL!

Hintergrund für den Polizeischutz ist nicht das fehlende Schweinefleisch. Hintergrund ist, dass Nazis und sonstige Arschlöcher so tief gesunken sind, dass sie einen Kindergarten bedrohen! Und dabei von EUCH, liebe Bild und liebe AfD angestachelt werden!

Pfarrerin Christiane Quincke (@CQuincke) kommentiert Anpalagans Klage folgendermaßen und abschließend:

Wenn die sogenannte deutsche Kultur den Bach hinuntergehen soll, weil es in einigen Kitas kein Schweinefleisch mehr gibt, dann ist sie sowieso nicht mehr zu retten. Auf eine Kultur, die Fleisch für ihre Identität braucht, kann ich getrost verzichten.

Angriff auf die Religionsfreiheit

Die Aufregung über die unappetitliche Agitation und ihre tragischen Folgen für die Kinder, Eltern und Erzieher*innen in Leipzig sollte allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass diese „Sommerloch-Füllung“ ins Konzept rechtsradikaler Kräfte passt.

Im selbstbewusst formulierten „Regierungsprogramm“ der AfD für die Landtagswahl in Sachsen am 1. September liest sich das so:

Am generellen Verbot von Schächtungen wird festgehalten. In Sachsen sollen keine Ausnahmegenehmigungen erteilt werden, auch nicht aus religiösen Gründen. Die AfD fordert die Aufnahme einer amtlichen Statistik (auf Bund- und Länderebene) zur Anzahl der in Deutschland geschächteten Tiere (legale sowie bekannte illegale Schächtungen).

Ausnahmegenehmigungen zum Schächten gibt es für Juden und Muslime. Ohne geschächtetes Fleisch ist sowohl jüdisches, als auch muslimisches Leben in Deutschland und Sachsen nicht möglich. Wer selbst noch die Ausnahmen von der Regel angreift, der bekämpft die grundgesetzlich verankerte Religionsfreiheit. Zur Erinnerung GG Art. 4 (1) & (2):

(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.

Dass die AfD mit ihrer gegen Muslime gerichteten Forderung auch Jüdinnen und Juden „mit erwischt“, wird billigend in Kauf genommen. Nicht nur geraten Muslime – immerhin 0,48 % der Bevölkerung im Freistaat (2015) – in das Fadenkreuz der Rechtsradikalen, auch die jüdische Gemeinde soll erneut Opfer einer rassistischen Identitätspolitik werden.

So als hätte es Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung während des Nationalsozialismus (s. „Christenkreuz und Hakenkreuz“ von Gerhard Lindemann) und Ausgrenzung und Marginalisierung während der DDR (s. „Den Antisemitismus mit Stumpf und Stiel ausgerottet“ von Ricklef Münnich (@ahavta)) nie gegeben.

„Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“

Unter dieses Bibelwort stellen Ordinariatsrat Diakon Dr. Daniel Frank vom Bistum Meißen und Oberkirchenrat Christoph Seele von der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Sachsens (EVLKS) ihre „Hilfe für die Wahlentscheidung“ zum Thema „Freiheit“. Die beiden Theologen leiten die Büros ihrer Kirchen beim Freistaat Sachsen.

In ihrer Handreichung zur Landtagswahl werden die AfD oder eine ihrer konkreten Forderungen mit keiner Silbe bedacht, noch werden rechtsradikale Angriffe auf Demokratie und Menschenleben erwähnt. Im Abschnitt über die Freiheit aber steht doch ein Wegweiser im Konjunktiv, den sich die sächsischen Christ*innen und ihre Hirten zu Herzen nehmen sollten:

[Die] freiheitlichen Grundrechte sind die Säulen der Demokratie. Sie bilden die Rahmenbedingungen dafür, dass ein Leben in menschlicher Würde möglich sein kann. Würde auch nur eines dieser Grundrechte in Frage gestellt oder abgelehnt, wäre die Freiheit des Einzelnen wie auch die Freiheit innerhalb eines demokratischen Rechtsstaates erheblich gefährdet. (Hervorhebung von mir)

Bis zur sächsischen Landtagswahl sind es jetzt noch 5 Wochen.

Vielleicht schafft es ja doch noch eine christliche Politiker*in – gar aus der Christlich-Demokratischen Union?! – oder Kirchenvertreter*in, sich im Namen der Religionsfreiheit und Menschenwürde, die so flockig aus der eigenen religiösen Tradition abgeleitet wird, an die Seite unserer jüdischen und muslimischen Mitbürger*innen zu stellen.

Hinweis in eigener Sache:

Oberkirchenrat Christoph Seele ist einer unserer Podiumsgäste der ersten Eule-Real-Life-Veranstaltung am 29. August in Dresden zum Thema „Kirche hat die Wahl“. Mehr erfahren.

nachgefasst

Der Gottesdienst-Generator – Marcus Mockler (domradio.de)

Die Evangelische Kirche in Württemberg (ELKWUE) ist eine der evangelischen Landeskirchen, die bei der Digitalisierung regelmäßig Fortschritte erzielen. Das liegt auch daran, dass sie schon seit einer Weile in der Verwaltung der Landeskirche „zur Chefsache“ erklärt wurde. Nun hat die ELKWUE einen „Gottesdienst-Generator“ für Taufgottesdienste installiert, der Pfarrer*innen bei der Vorbereitungen von Gottesdiensten helfen soll.

Bislang mussten Pfarrer meistens auf Agenden (Gottesdienstbücher) zurückgreifen. […] Da fast alle Theologen solche Feiern inzwischen am Computer vorbereiten, stieg der Wunsch nach einer digitalen Vorlage. Ursprünglich wollte Frank Zeeb, Kirchenrat der württembergischen Landeskirche, deshalb der gedruckten Taufagende eine DVD mit Textdateien beilegen. Er ließ sich dann aber überzeugen, dass der Fortschritt schon weiter ist, denn viele Computer besitzen kein DVD-Laufwerk mehr.

Ich gebe zu, dass ich zunächst gestutzt habe: Ausgerechnet bei einer Zentralaufgabe der Pfarrer*innen ansetzen, für die sie obendrein unzweifelhaft qualifiziert sind? Wo bleibt die Individualität?

„Unser Projekt zeigt: Die Digitalisierung hat nun auch einen Platz im Kernbereich unserer kirchlichen Arbeit gefunden, nämlich in Gottesdienst und Wortverkündigung“, erläutert Zeeb. […] Die Taufagende ist erst der Anfang. Im kommenden Jahr ist die Digitalisierung der Trauagende geplant, über die im Herbst die Landessynode entscheiden wird. Weitere Agenden, etwa für Bestattungen oder Konfirmationen, sollen folgen.

Wenn die ELKWUE doch nur auf anderen Gebieten so gut vorankommen würde, wie sie es mit ihrem Digitalisierungprojekt schafft! Nur alter Wein in neuen Schläuchen, das wird auf Dauer nicht klappen. Wenn Digitalisierung etwas leisten kann, dann nicht den Menschen überflüssig zu machen – sei es durch KI in der Pflege oder einen „Gottesdienst-Generator“ -, sondern ihm Zeit und Raum zu geben, wirklich menschlich zu handeln.

Das kann die Pfarrer*in sein, die dank einer ordentlichen digitalen Vorlage mehr Zeit für das Tauf- oder Traugespräch übrig hat. Oder die Pfleger*in, die dank Pflegeroboter Zeit für Händehalten und Gespräche findet. Dass sollten aber auch Christ*innen sein, die dank Social Media von Schicksalen am Rande der Kirche wissen, z.B. von Homo- und Transsexuellen, die für ihre Partnerschaften den Segen erbeten.

Was sind Pfarrer*innen wert?

Anknüpfend an einen Artikel von Erik Flügge (@erik_fluegge), den ich bereits letzte Woche kritisch aufgenommen habe („Da muss man doch was gegen tun!“), ergab sich bei Twitter unter der Woche eine intensive Diskussion, nachzuverfolgen auch ohne Twitter-Account hier:


Schnell ging es unter Aufbringung von reichlich persönlichen Eindrücken gegen statistische Erhebungen um die richtige Höhe von Pfarrgehältern (die ja keine „Gehälter“ sind ..), statt um die eigentliche – hier wirklich einmal – kluge These Flügges, dass der erhebliche Mitteleinsatz fürs Pfarrpersonal ja vielleicht sogar wirklich einen Leitungsanspruch desselben rechtfertigt.

Oder einmal anders herum aufgewickelt: Wie schief gewickelt ist eine Kirche, die sich ein irdisches Heer gut bezahlter und ausgebildeter Expert*innen für Seelsorge, Gottesdienst und Gemeindedienst leistet, und sie nicht viel, viel mehr selbstverantwortet arbeiten lässt als bisher?

Vielleicht erschlüge man auf diesem Weg auch einen der Gründe, warum sich ganz offensichtlich viele Pfarrer*innen angegangen fühlen, wenn es um die Höhe ihrer Besoldung geht: Die Unzufriedenheit damit, was von ihnen in welcher Intensität im Amt erwartet wird. Denn als Verwaltungsfachkräfte und Alles-Jederzeit-Könner hat man sie tatsächlich nicht eingestellt (noch sind sie dazu sonderlich qualifiziert).

Im Reich des Bösen (auf Facebook) läuft dazu bei „Evangelisch“ übrigens eine Umfrage mit der Frage „Verdienen Pfarrer/innen zu viel Geld?“, die so weder Flügge noch Hermann Diebel-Fischer (@hrmnn01) gestellt hatten. Sei’s drum: Stand Sonnabend 21:15 Uhr sind 85 % der Leute der Meinung „Nein“. Die Umfrage läuft noch bis Montag, für alle die mit einem Klick an der Debatte teilnehmen wollen und (noch) einen Facebook-Account nutzen.

Zeit für Zorn – Inke Raabe (Raaben-Netz)

Eine andere Antwort auf die nach den Veröffentlichungen der Projektion 2060 und der aktuellen Kirchenmitgliedschaftszahlen (s. LaTdH von vergangener Woche) geführten Kirchen-Zukunfts-Diskussionen und noch dazu eine, die sich gewaschen hat, kommt von Pastorin Inke Raabe (@bible_machine):

Ich will keine Hochglanz-Kirche. Ich will keine Plakate und keine dummbatzigen Werbeclips. Und ich will auch nicht, dass nur noch gutaussehende, junge, hippe PastorInnen auf die Kanzel dürfen. Ich will nicht noch mehr Overhead, keine strategische, von oben verordnete Öffentlichkeitsarbeit. Ich möchte, dass wir uns gesundschrumpfen und Kirche Jesu Christi neu entdecken. Der ganze Verwaltungsapperat, die unzähligen Sitzungen und Synoden, die ganze Juristerei – ich will das alles nicht mehr. Ich will Kirche in Jesus-Latschen. Zurück zur Bescheidenheit, zurück zur Armut.

Buntes

Kreuz und queer? – Stefan Hunglinger (taz)

Wie es sein kann, dass zwar die Einrichtung eines Instituts für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin und die damit verbundene Zusammenarbeit mit Islamverbänden heftig diskutiert wird, die des neuen Instituts für Katholische Theologie und die damit verbundene Mitsprache der röm.kath. Kirche an der Uni aber nicht, fragt sich Stefan Hunglinger in der tageszeitung.

Dabei erkennen theologische Fachkreise auch hier einen systemischen Ausschluss von queeren Menschen, und der Wissenschaftsrat sieht Konfliktpotential bei der Beteiligung der Kirchen an der Berufung der Professor*innen. […] Konkret bedeutet das, dass weder offen Homo- oder Intersexuelle, noch wiederverheiratete Geschiedene oder trans*Personen die gut dotierten staatlichen Stellen bekommen können.

„Ich bin froh, dass sich das verändert hat“ – Sibylle Sterzik (Die Kirche)

Die Kirchenzeitung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) Die Kirche (@dieKirche1) erinnert an die Diskriminierung von Homosexuellen in der eigenen Kirche. Im Zentrum des Artikels stehen die Erinnerungen von Pfarrer Jörg Zabka:

Schon vor dem Theologiestudium in Ostberlin hatten Freunde Jörg Zabka gewarnt. „Du läufst mit dem Kopf gegen die Wand.“ Doch sein Entschluss stand fest. „Die Angst schwang jedoch immer mit“, sagt er. Vonseiten der Landeskirche hieß es: Ihr seid nicht ordinierbar. „Unsere Kirche will uns nicht – das hat uns damals sehr geprägt. “ Manche wurden nach einem Vier-Augen-Gespräch mit dem Generalsuperintendenten dann doch ordiniert, verschwiegen aber ihre Homosexualität.

Das hat sich zum Glück in der EKBO und anderswo in den evangelischen Landeskirchen geändert. Die Kirche und evangelisch.de berichten außerdem von Planungen in der EKBO – die ganz Berlin, den Großteil Brandenburgs und Teile Sachsens umfasst – für ein Schuldeingeständnis, das vor allem die Verfehlung der Kirche gegenüber Homosexuellen in der NS-Zeit aufnehmen soll.

Wie die Erinnerungen Zabkas zeigen, reicht die Diskriminierungs-Geschichte der Kirche bis (fast) in unsere Zeit. Auch das sollte anerkannt werden. Gestern war die EKBO übrigens mit einem clever gestalteten Wagen auf dem Christopher-Street-Day in der Hauptstadt unterwegs:

Predigt

Weil jetzt Sommer ist, gibt es keine lange Predigt: Sowas schlägt jedenfalls mir auf’s sommerliche Gemüt. Darum ein Lied als Predigt-Ohrwurm, aus voller Brust gesungen: National Youth Choir of Scotland – The Lord of Sea and Sky (YouTube). Und eine „Bildpredigt“:

Ein guter Satz