Wer so wählt, kommt in den Himmel

Die Kirchen rufen auf, zur Bundestagswahl wählen zu gehen. Aber was oder wen sollte man als Christ_in denn wählen? Einige wichtige Hinweise direkt aus dem Evangelium nach Matthäus.

Dass man zur Bundestagswahl wählen gehen sollte, darüber sind sich Christen und Kirchen hierzulande einig. Der Aufruf, das eigene demokratische Recht wahrzunehmen erschallt aus Kirchenzeitungen, von Kanzeln, auch in der christlichen Blogosphäre.

Dabei lassen es die meisten bewenden. Denn, was Christen wählen sollten, schreiben deutsche Kirchen ihren Mitgliedern nicht vor. Gut so. Niemand kann sich ernsthaft US-amerikanische Verhältnisse wünschen, wo Kirchenfürsten zur Wahl eines bestimmten Kandidaten aufrufen. Die Grenzen zwischen politischen Parteien und organisierter Kirche sollten beschützt werden.

Parteiische Christenheit

Das spricht überhaupt nicht gegen gegenseitige Einflußnahme. Ohne die Beteiligung von parteipolitisch Engagierten sähe das Synodalsystem der Evangelischen Kirche ärmer aus. Und selbstverständlich sollte sich die Kirche die Freiheit nehmen, Parteipolitik zu problematisieren und gegebenenfalls harrsch zu kritisieren. All das geschieht am besten aus der Distanz, für die ein Mindestmaß an Trennung notwendig ist.

Parteiisch sollten Christen schon sein, auch wenn niemand so recht sagen kann, um welche konkrete politische Partei es sich handeln könnte. Die Partei bibeltreuer Christen? Die Union mit ihrem „C“, das in der Realität doch häufig unter die Räder kommt – schon dadurch, dass häufig eben nur noch vom „C“ die Rede ist, nicht mehr vom Christlichen?

Der Obrigkeit untertan zu sein, bedeutet in einer freiheitlichen Demokratie die verantwortliche Ausübung des Wahlrechts. Unter anderen Bedingungen gibt es selbstverständlich eine christliche Pflicht zum Widerstand gegen fehlgeleitete Obrigkeit. In unserem freien Land wird die Obrigkeit an der Wahlurne bestimmt, kritisiert und kontrolliert.

Dass Christinnen und Christen zur Wahl gehen, ist wichtig. Aber was wählen? Wenn schon unterstellt wird, dass wählen selig macht, dann hilft vielleicht ein Blick in das Evangelium nach Matthäus, 25. Kapitel. Darin kehrt der König des Himmelreichs zurück und wägt, wer sich – in den Worten des Neuen Testaments – das ewige Leben erworben hat.

Maßstäbe für christliches Wählen wären also:

Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben

Wie kann ich mit meiner Stimme unterstützen, dass alle Menschen das Notwendige an Nahrung erhalten? Wie soll faire Weltwirtschaft organisiert werden, so dass nicht mehr einzelne Weltregionen unter dem Reichtum anderer leiden? Was ist gute Nahrung und wie wird sie verantwortlich angebaut, hergestellt und vertrieben? Wie erhalten wirtschaftlich schwache Menschen in Deutschland besseren Zugang zu guter Nahrung?

Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben

Wie kann ich mit meiner Stimme unterstützen, dass alle Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser erhalten? Wie sieht ein verantwortlicher Umgang mit den uns geschenkten Ressourcen der Erde aus, in einer Welt in der Überfluss und Mangel nebeneinander existieren? Der Zugang zu Trinkwasser ist eine der wichtigsten geopolitischen Fragen des 21. Jahrhunderts. An ihr hängt der Frieden nicht nur, aber besonders im Nahen Osten. Deshalb: Wer setzt sich dafür ein, dass immer mehr Menschen auf engem Raum und bei knappen Ressourcen friedlich koexistieren?

Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen

Wie kann ich mit meiner Stimme unterstützen, dass Flüchtlinge und Migranten einen sicheren Hafen finden, den sie anlaufen können? Welche Rechte und Pflichten sollen Einwanderer haben, wenn sie länger in Deutschland bleiben? Wie kann die Mehrheitsgesellschaft die Neuankömmlinge am besten bei der Integration unterstützen? Doch der Fremde bei Matthäus ist auch einfach der reisende Gast. Darum: Wie erhalten wir Reisefreiheit und Freizügigkeit, die auf dem Altar der Sicherheit nur allzu schnell geopfert werden? Wie werden sich die Menschen Europas immer vertrauter und begegnen sich nicht weiter als Fremde?

Ich bin nackt gewesen und ihr habt mich gekleidet

Wie kann ich mit meiner Stimme unterstützen, dass Menschen für ihre Arbeit fairen Lohn erhalten? Faire Löhne sind die wichtigste Voraussetzung dafür, dass Menschen für sich und ihre Familien sorgen können. Es geht um gute Ernährung (s.o.), aber auch um Kultur, Bildung und soziale Teilhabe – ohne die wir in der Gesellschaft nackt dastehen würden. Wer setzt sich für gute Schulen und Universitäten und eine freie Kulturlandschaft ein, die dem Menschen dienen, nicht (allein) wirtschaftlichen Interessen? Wer hat die beste Idee, wie auch wirtschaftlich schwache Menschen am Leben der Gesellschaft als gleichwertige Teilhaber teilnehmen können?

Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht

Wie kann ich mit meiner Stimme unterstützen, dass kranke Menschen die bestmögliche Gesundheitsversorgung erhalten? Wie können die phantastischen Möglichkeiten der modernen Medizin bis an die Ränder der Welt getragen werden, so dass niemand mehr unter einer Krankheit leiden muss oder an ihr stirbt, für die wir anderswo in der Welt schon Heilung und Linderung möglich ist? Wie verhindern wir, dass einzelne Unternehmen aus der Erkrankung von Menschen übermäßigen Profit ziehen? Gehören Patente in der Medizin, die durch Förderung an Universitäten und Forschungseinrichtungen entwickelt wurden, nicht der Allgemeinheit?

Gute Gesundheitsversorgung endet nicht mit guter Medizin: Wie rüsten wir Pflegende so aus, dass sie den ganzen Menschen im Blick behalten können? Jesus spricht „ihr habt mich besucht“, das ist mehr als „ihr habt es unternommen, mich zu heilen“. Wie schließen wir kranke, behinderte und alte Menschen nicht aus unserer Gesellschaft aus?

Ich bin im Gefängnis gewesen und ihr seid zu mir gekommen

Wie kann ich mit meiner Stimme unterstützen, dass rechtsstaatliche Maßstäbe bei der Bestrafung von Straftätern eingehalten werden? Wer unterstützt durch kluge Diplomatie die weltweite Ächtung der Todesstrafe? Wer setzt sich für politisch Verfolgte ein und erwirkt ihre Freilassung? Wie gelingt auch hierzulande der Schutz vor einem Staat, der versucht ein „Grundrecht auf Sicherheit“ durchzusetzen? Wie stellen wir sicher, dass jeder Beschuldigte einen fairen Prozess erhält und solange als unschuldig gilt, bis ihm eine Schuld nachgewiesen werden kann, unabhängig von seiner Herkunft, seiner Religion und seinem Geldbeutel?

Die Würde des Menschen wird in Gefangenschaft angetastet. Wie können wir mit Menschen in Haft würdevoll umgehen, so dass unsere Maßstäbe für gutes Zusammenleben sich auch im Umgang mit ihnen widerspiegeln? Wer setzt sich für erfolgreiche Resozialisierung, gute medizinische und therapeutische Behandlung und nahbare Seelsorge in Gefängnissen ein? Wie lernen wir als Gesellschaft Menschen zu vergeben?

Wem viel gegeben ist …

Eine Menge Fragen, die den Christen aufgegeben sind. Und dabei ist dieser „Katalog“ nur ein mögliches Beispiel für eine christliche Bemessungsgrundlage. Wie wäre es stattdessen mit den 10 Geboten oder den Seligpreisungen?

Ganz außer Acht lassen sollte man die zahlreichen Tugendkatologe aus den Paulus- und Pastoralbriefen auch nicht. Im Bild der guten Hausgemeinschaft (griech.: oikos) werden Gedanken zur Bewahrung der Schöpfung, Gerechtigkeit und Friedenssicherung zusammengefasst, die Christen weltweit – eben ökumenisch – bewegen. Bei der eigenen Wahl das Schicksal aller Christinnen und Christen, ja aller Menschen im Blick zu behalten, ist viel verlangt.

Wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man umso mehr fordern“, heißt es bei Lukas. Niemand hat behauptet, dass Wählen für Christen eine einfache Sache ist. Wir schöpfen aus einer reichen Tradition, die uns reichlich Weisungen zum guten Leben aufgibt. Ihr und dem je eigenen Glauben auch an der Wahlurne gerecht zu werden, ist Christenpflicht.

Ein Lob des Samenkorns

Dabei sollten Christinnen und Christen im Hinterkopf behalten, dass eine Wahl niemals perfekt sein kann. Keine Partei vertritt zu 100 %, was ich meine für christliche Politik zu halten. In manchen Parteiprogrammen ist, was mir wichtig ist, nur in einem Samenkorn angelegt. Für viele Fragen – auch einige von den obenstehenden – scheint die Zeit (noch) nicht reif zu sein.

Ich kann allerdings mit den mir zu Verfügung stehenden Mitteln versuchen herauszubekommen, welche Partei meinen Überzeugungen am ehesten entspricht. Die Diakonie hat dafür einen Sozial-O-Mat entwickelt, den wir auch schon vorgestellt haben.

Der Vorläufigkeit aller Politik, auch der eigenen Wahlentscheidung können wir uns im Blick auf die Tradition frohgemut aussetzen. Umso wichtiger sind die Christinnen und Christen für unsere Gesellschaft, die weiterfragen und die Sehnsucht wachhalten nach einer Welt, in der Gerechtigkeit und Friede sich küssen.