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Wie feiern Post-Evangelikale eigentlich Abendmahl?

Das Abendmahl ist und bleibt ein Streitfall, nicht nur in der röm.-kath. Kirche. Welche Impulse aus der Tradition nehmen post-evangelikale Christen auf, um ihren Weg zum Tisch des Herrn zu finden?

Lieber Christoph,

in deinem letzten Kolumenbeitrag hast Du uns erklärt, wie Post-Evangelikale Gottesdienst feiern und was ihnen dabei wichtig ist. Ausgeklammert haben wir dabei das Abendmahl. In der röm.-kath. Kirche wird zurzeit intensiv über den richtigen Umgang mit der Eucharistie gestritten. In den evangelischen Kirchen gibt es seit den Zeiten der Reformation eine große Vielfalt unterschiedlicher Abendmahlstheologien und -Praktiken. Wie schaut es bei den Postevangelikalen aus: Wie feiert ihr Abendmahl?

Fröhliche Grüße!


Hallo liebe Eule,

die Sache mit dem Abendmahl. Als Sakrament ist das Abendmahl neben der Taufe sicherlich eine der traditionellsten religiösen Praktiken der Christenheit und als solche auch eine, die sich eben in besonderer Weise auf Tradition und Kontinuität beruft und in dieser begründet. Wie die Taufe gehört auch das Abendmahl wie selbstverständlich zum Christentum.

Dennoch glaube ich, dass in den letzten Jahrzehnten ein gewisser Entfremdungsprozess zu beobachten ist. Vor allem in jüngeren evangelikalen Gemeindebewegungen sieht man, dass das Abendmahl stärker in den Hintergrund getreten ist. In lauten Kinosaal-Gottesdiensten von Hillsong oder Citychurch passt das andächtige Abendmahl oft weniger ins Konzept und wurde zunehmend von einer Worship-Kultur verdrängt. In vielen Gemeinden ist so „Lobpreis“ das neue Abendmahl, der Moment der „Gemeinschaft der Gläubigen“ stiftet und Anteil geben will an Gottes Realität.

So wird auch in kleineren evangelikalen Gemeinden, wie etwa in der Vineyard, das Abendmahl nicht mehr zwingend regelmäßig im Gottesdienst gefeiert. Einmal im Monat gibt es vielleicht explizit einen Abendmahlgottesdienst. Fester liturgischer Bestandteil ist das Abendmahl oft aber nicht mehr. Woran mag das liegen?

Das Abendmahl – Eine Geschichte der Entfremdung

Mein erstes Abendmahl hatte ich tatsächlich in Form der „ersten Kommunion“ in der katholischen Kirche, zu der wir als Familie, nach unserem Austritt aus der Selbstständig Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK), konvertiert sind. Ich war sehr aufgeregt bei meiner ersten Kommunion. Die Abendmahlsfeier in der katholischen Tradition hat mich in meiner Kindheit sehr fasziniert.

Der ausgesprochen sakrale Charakter, die feierliche Inszenierung, die Vorstellung, dass dem Abendmahl tatsächlich ein Geheimnis innewohnt – das hat mich damals sehr angesprochen. Als Jugendlicher war ich später zeitweise sogar selbst Messdiener. Die Faszination für die katholische Spiritualität, die ich mit meinem staubtrockenen Lutheraner-Hintergrund vorher überhaupt nicht kannte, hat mich bis in meine Jugend hinein tief begleitet und meinen Glauben damals sehr verändert.

Ein katholischer Priester feiert die heilige Kommunion, Foto: Josh Applegate (Unsplash)

Ich erinnere mich an eine aus heutiger Sicht recht lustige Anekdote: Wir lebten als Familie kurzzeitig in einer katholischen Glaubensgemeinschaft auf dem Gelände des Haus Aspels, einer Klostergemeinschaft, die von den „Töchtern vom heiligen Kreuz“ bewirtschaftet wurde. Bei einem gemeinsamen Gottesdienst kam es dann dazu, dass ein Messdiener den bereits eingesetzten Wein verschüttete und sich das „Blut Jesu“ nun über den Kapellenboden ergoss. Unter den Nonnen brach eine recht hilflose Panik aus. Mit Stoffen wurde der verschüttete Wein sodann schnell aufgenommen. Doch was sollte man nun mit den Tüchern machen? Man konnte das Blut Christi ja nun nicht einfach in die Waschmaschine oder den Müllcontainer werfen – das wäre unvorstellbar gewesen. Soweit ich mich erinnere, wurden die Tücher außerhalb der Kapelle erst ausgewaschen und dann verbrannt.

Eine Geschichte, die aus einer reformatorischen Sozialisation heraus betrachtet zum Schmunzeln anregen kann. Als evangelische Christen verstehen wir in der Mehrzahl das Sakramentale des Abendmahls primär im Sinne einer Symbolhandlung. Wir referieren mit dem Teilen des Brotes und des Kelches vor allem auf die Gemeinschaft Jesu mit seinen Jüngern. Tun dies als Gedächtnis. Wir sprechen hier eher selten von Geheimnis, oder gar einer „tatsächlichen“ Verwandlung von Brot und Wein in den Leib und das Blut Christi.

Meines Erachtens liegt aber gerade hier der Knackpunkt und auch der Ursprung einer „Geschichte der Entfremdung“ vom Abendmahl. Ohne seine geheimnisvolle Dimension verliert das Ritualhafte der Abendmahlfeier nämlich schnell an Substanz und Bedeutung. Oft inszenieren wir das Abendmahl zwar weiterhin sehr feierlich, angelehnt an die Tradition des Katholizismus, – doch fehlt uns, als oft nicht mehr liturgisch aufgewachsene Christen, die nötige Sozialisation, die Selbstverständlichkeit einer solchen Praxis.

So empfinden wir den rituellen Charakter vielleicht zunehmend als befremdlich und irgendwie auch lebensfern. Oder sagen wir es einmal so: Das katholische Abendmahl kann mich aufgrund seiner geheimnisvollen Konnotation noch faszinieren, das reformatorische Abendmahl hingegen mir schnell auch etwas absurd und suspekt vorkommen.

Peinliches Schweigen, während man auf trockenem Brot herum kaut

In freikirchlichen Kontexten greift man beim Abendmahl ja auch nicht auf die praktischen Hostien zurück, sondern bricht tatsächlich das Brot – heißt, jeder bekommt ein Stückchen Fladenbrot, das dann trocken herunter gewürgt werden muss. Und das möglichst schnell genug, damit nicht die Hälfte der Krumen im Traubensaftkelch landet, an dem man folgend seine Abwehrkräfte testen darf.

Gerade als Lobpreiser, der das Prozedere in der Regel mit sphärischen Synthesizersounds untermalen darf, um so etwas die Peinlichkeit der „Wir stehen alle im Kreis und kauen schweigend trockenes Brot“-Situation etwas herunter zu spielen, ist das Ganze logistisch eine recht komplexe Angelegenheit. Vor allem, wenn man anschließend einen Song zu singen hat. Mit Brotkrumen im Hals lässt sich halt schlecht singen. Da muss man seine Abendmahleinnahme dann schon entsprechend timen, damit das am Ende auch gut ausgeht.

So habe ich letztenendes auch nicht wirklich darum getrauert, als meine Gemeinde das Abendmahl mit der Zeit immer sporadischer feierte. Denn so wirklich mochte ich da keinen Zugang mehr für mich finden. Das Abendmahl als Ritual kam mir immer befremdlicher, irgendwie lebensfern, aufgesetzt und ja, auch peinlich vor. Eine christliche, religiöse Tradition, bei der eigentlich keiner mehr so genau sagen konnte, warum man das eigentlich macht. Mit unserem Leben heute hat das Ganze einfach wenig zu tun. Dachte ich.

Wie feiern Post Evangelikale nun Abendmahl?

Was hat meine persönliche Geschichte nun mit post-Evangelikalen Christen im Generellen zu tun? Was ich beispielhaft versuche zu zeigen ist der Weg, wie und warum man christliche Traditionen vielleicht hinterfragt. Denn genau das ist es, was viele Post-Evangelikale umtreibt. Man fällt aus gewissen Denktraditionen, aber auch ritualisierten Handlungen heraus, fängt neu an zu fragen: Was macht man da eigentlich und warum überhaupt? Was meinen wir eigentlich wenn wir gewisse Glaubensaussagen treffen, oder auch gewisse religiöse Handlungen praktizieren? Vieles verliert seine Selbstverständlichkeit, wird diskursiv, will neu besprochen und durchdacht werden, gerade wenn wir durch unser Leben, unsere Biografie mehr Abstand zu unserer religiösen Sozialisation und unseren Traditionen gewinnen.

So verhält es sich auch mit dem Abendmahl in post-evangelikalen Kreisen sehr unterschiedlich. Der Umgang mit dem Thema ist sehr individuell, von Gruppe zu Gruppe verschieden. Je nach Lage der Fragen, die man sich dort vielleicht auch stellt. Je nach der Zielgruppe, der man sich als Gemeindearbeit zuwendet. Und nicht zuletzt auch je nach Tiefe der Auseinandersetzung mit unseren christlichen Traditionen. So gibt es Gemeinden, die das Abendmahl gerade wieder betonen, und solche die es vielleicht auch überhaupt nicht mehr feiern.

Im Folgenden möchte ich kurz drei Ansätze vorstellen, die mir bezüglich einer Abendmahlpraxis in post-evangelikalen Kontexten begegnet sind und die ich als recht spannend und vor allem authentisch empfinde:

Abendmahl als Tischgemeinschaft der „Sinner and Saints“

Ich bin ein großer Fan der Arbeit von Nadja Bolz-Weber. Ihre Gemeindearbeit, das House for all Sinner & Saints (HFASS), hat sich vor allem zur Aufgabe gemacht, für diejenigen Gemeinde und Kirche zu sein, die in den meisten evangelikalen Kirchen Amerikas marginalisiert oder gar ausgeschlossen werden.

Der Begriff „Tischgemeinschaft“ fällt bei Bolz-Weber sehr häufig. Die Gottesdienste der Gemeinde sind stark liturgisch geprägt. Das gemeinsame Abendmahl steht im Zentrum. So wird im HFASS gerade das Abendmahl zum Merkmal eines post-evangelikalen, inkludierenden Denkens, das niemanden von der Tischgemeinschaft Christi aufgrund des Geschlechts, der sexuellen Orientierung oder der gesundheitlichen Verfassung ausschließen möchte. Das Abendmahl wird so zum Symbol von Inklusion. Zum Symbol der Gemeinschaft, der Versöhnung und der Würde eines jeden Einzelnen. Im HFASS feiern Menschen zusammen Gottesdienst und Abendmahl, denen der Zugang in anderen Kirchen oftmals versagt war. Hier darf man dabei sein. Hier darf man Abendmahl feiern. Hier ist man willkommen. Endlich.

Der Hauskreis als natürlicher Ort des Abendmahls

In meiner Zeit in der Vineyard Hamburg Altona haben wir in unserem Hauskreis einen spannenden Neuansatz gewagt. Die Vineyard Altona ist theologisch keine explizit post-evangelikale Gemeinde, aber zu meiner Zeit durchaus auf der Suche nach frischen Ideen, wie man Gemeinde neu leben und christliche Traditionen neu denken kann. Zudem war die Gemeinschaft sehr hauskreisorientiert organisiert. Mittelpunkt des Gemeindelebens waren deutlich stärker die Haustreffen und weniger der Sonntagsgottesdienst. So wurde das Feiern des Abendmahls auch primär auf die Kleingruppen ausgelagert.

„Kommt, denn es ist alles bereit!“, Foto: Simple (Unsplash)

Da wir in unserer Hausgruppe sowieso oft gemeinsam aßen und so Gemeinschaft lebten, sind wir irgendwann dazu übergegangen unser gemeinsames Essen zum Beginn des Hauskreisabends gezielt auch als Abendmahl zu feiern. Unsere gemeinsame Zeit sollte ganz natürlich zur Tischgemeinschaft der Gläubigen werden. Ganz ohne Künstlichkeit, Tradition oder Liturgie. Wir kamen zusammen um das „Brot zu brechen“, Tischgemeinschaft zu haben, miteinander zu beten und zu singen.

Uns wurde klar: Das ist Abendmahl, das ist die Gemeinschaft der Jünger, wie wir sie auch in der Bibel fanden. Ganz natürlich und nah am alltäglichen Leben. Für mich hat sich das „Abendmahl“ in solchem Rahmen erstmals wirklich natürlich und echt angefühlt. Das konnte ich verstehen und authentisch leben und das gab mir auch etwas.

Abendmahl als gemeinschaftliche Praxis

Auch die Mosaik Community in Düsseldorf feiert regelmäßig das Abendmahl. Tatsächlich jeden Sonntag. Da ich schon länger nicht mehr in einer Gemeinde war, die dies so konsequent verfolgt, sprach ich Adaumir Nascente, Leiter der Mosaik Community Düsseldorf, einmal gezielt darauf an. Ein Punkt den er herausstellte war der, dass die Mosaik Community theologisch sehr „open minded“ ist. Man möchte möglichst viele Perspektiven auf Glaube und Gott integrieren, viel Heterogenität zulassen.

Die Frage, die sich bei einem solch hohen Maß an Offenheit und Diversität aber stellt ist die: Was hält uns am Ende zusammen? Worin finden wir dann unsere Gemeinsamkeit, vielleicht auch eine gemeinsame Identität als Gläubige und Fragende? Das Abendmahl kann hier ein Instrument sein, dass uns in unser Unterschiedlichkeit zusammen führt. Das uns sagt – hier sind wir Christen. Eine Praxis, die wir gemeinsam teilen, um unsere Community und das uns Gemeinsame zu betonen. Durchaus also auch eine Reflexion, die sich auch in der theologischen Auseinandersetzung mit dem Thema Abendmahl spiegelt.

Eine Besonderheit in der Praxis der Mosaik Gemeinde ist die persönliche Weitergabe. Man empfängt das Abendmahl, bricht das Brot dann selbst und gibt es dem Nächsten weiter. In der Regel gibt es jeden Sonntag ein Wort, das man seinem Gegenüber parallel zusprechen kann. Ein Wort, dass sich oftmals auch auf das Thema des Nachmittags beruft. Für mich hat diese Praxis etwas sehr Intimes und daher durchaus auch Herausforderndes. Immer häufiger nehme ich diese Herausforderung aber gerne an und merke, dass solche Handlungen durchaus Sinn stiften und wertvoll für die Gemeinschaft und das Zusammensein können.

Ein Resümee

Theologisch macht die post-Evangelikale Szene wenig neu und folgt eigentlich dem reformatorischen Verständnis, das den sakramentalen Charakter des Abendmahls anerkennt, aber diesen eher im Sinne eines Gedächtnisses, im Sinne einer Symbolhandlung interpretiert. Was man versucht ist die Praxis den entsprechende Fragen und Bedürfnissen der Gruppe anzupassen.

Wenn Abendmahl, dann richtig. Dann auch mit einer Idee, mit einem Beweggrund dahinter, nicht allein aus traditionalistischen Gründen. Auch hier kommt wieder das Moment der Authentizität ins Spiel. Man will nichts machen, was man nicht versteht, in das man nichts hineinlegen kann. In der Praxis kommen so recht interessante Spielarten zustande, die durchaus auch inspirierend für eher traditionelle Kirchen sein könnten.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit und auf ein nächsten Mal!