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Kirche

Wie Gott sie schuf

Mit der Doku „Wie Gott uns schuf“ outen sich Mitarbeiter:innen der katholischen Kirche. Sie erzählen von ihrem Leben und Arbeiten in einer Institution, die sie lieben – und die ihre Liebe ablehnt.

„Es ist das größte Coming Out in der Geschichte der Kirche. Es geschieht jetzt in Deutschland“, führt der Erzähler in die ARD-Dokumentation „Wie Gott uns schuf“ ein. 125 Mitarbeiter:innen der römisch-katholischen Kirche outen sich heute in der Öffentlichkeit als schwul, lesbisch, bi, queer, transident und/oder non-binär. Es ist eine bemerkenswerte, mutige Aktion, die von einem beeindruckenden Dokumentarfilm begleitet wird.

Heute Abend läuft die Doku um 22.50 Uhr um 20:30 Uhr* im Ersten und steht jetzt schon in der ARD-Mediathek online. Für den Film ließen sich 100 Menschen interviewen, sie riskieren damit viel, denn ihre sexuellen Identitäten und Orientierungen stehen der römisch-katholischen Kirchenlehre entgegen. Interviews mit diesen 100 Protagonist:innen der Doku sind dem Film in der Mediathek beigestellt.

Es sind nicht nicht allein – häufig bedrückende – Lebensgeschichten und Arbeitsbiographien, die sie schildern, sondern auch beeindruckende Glaubenszeugnisse. Denn gläubige Christen sind die engagierten Mitarbeiter:innen in der Kirche, bei der Caritas; sie arbeiten als Lehrer:innen, Ärzt:innen, Erzieher:innen, Sozialpädagog:innen, als Pfarrer* und Ordensleute: „Hunderttausende arbeiten für die Kirche und ihre Einrichtungen. Diese Menschen halten unsere Gesellschaft Tag für Tag am laufen“.

„Natürlich kann mir die Missio Canonica (kirchliche Lehrerlaubnis, Anm. d. Red.) entzogen werden und damit auch die Erlaubnis, katholische Religion zu unterrichten“, erklärt die Religionslehrerin Lisa Reckling. „Trotz alledem denke ich, dass es wichtig ist, sein Gesicht zu zeigen, seine Stimme zu erheben, und zu sagen, dass wir da sind, dass ich da bin.“

Nah dran, ohne aufdringlich zu werden

Produziert wurde die Dokumentation von EyeOpening.Media, der Produktionsfirma des Journalisten Hajo Seppelt, die mit investigativen Reportagen vor allem zum Doping im Sport bekannt geworden ist. Den Filmemacher:innen gelingt es, ihren Protagonist:innen sehr nahe zu kommen, ohne einen voyeuristischen Blick auf ihre Leben und Geschichten zu werfen. Die Interviewpartner:innen berichten von Diskriminierung innerhalb der Kirche, vom Versteckspiel gegenüber Vorgesetzten und Kolleg:innen, Schüler:innen und Gemeindemitgliedern. Von Lügenkonstrukten, die sie zum Schutz aufbauten, und die aufrecht zu erhalten Lebenskraft und -Freude kostet. Hier sprechen sie direkt in die Kamera.

„Dieses Versteckspiel macht einsam“, berichtet der Franziskaner und Priester Bruder Norbert Lammers. Weil queere Menschen zum Schweigen und Vertuschen ihrer sexuellen Identitäten und Orientierungen gezwungen sind, um innerhalb der katholischen Kirche arbeiten zu können, ist es leicht, sie als Einzelfälle, als seltene Ausnahmeerscheinungen abzutun. Gegenseitige Solidarität und Unterstützung durch nicht-queere Glaubensgeschwister wird durch das aufgezwungene Schweigen verhindert. #OutInChurch bricht das Schweigen.

Die vorgestellten Menschen sind so unterschiedlich wie die bunte Gnade Gottes. Ein junger Mann, der eine Geschlechtsangleichung unternommen hat. Ein lesbisches Paar, dass seit vierzig Jahren zusammenlebt. Junge queere Christen, die am Beginn einer kirchlichen Berufslaufbahn stehen. Schwule Gemeindepriester und -referenten. Auch der Essener Museumspädagoge Rainer Teuber wird noch einmal porträtiert. Sein „Fall“ unterscheidet sich von den meisten anderen, denn im „Ruhrbistum“ halten Bischof Franz-Josef Overbeck und Generalvikar Klaus Pfeffer zu ihm. Gegen Widerstände im Bistum und darüber hinaus.

Wie römisch kann eine liebende Kirche bleiben?

Nur ein Bischof war bereit, vor der Kamera Rede und Antwort zu stehen. Der Aachener Oberhirte Helmut Dieser. Er erklärt, dass das kirchliche Arbeitsrecht dringend einer Korrektur bedarf, und erzählt von seiner eigenen Lerngeschichte. „Ich bin heute an einem anderen Punkt, als ich einmal war“, erläutert Dieser. Er glaube heute nicht mehr, dass mit einer queeren Identität eine „Minderung“ oder Krankheit verbunden ist. Dieser entschuldigt sich sogar bei den Menschen, denen die Kirche mit ihrer Lehre Gewalt angetan hat.

Längst ist in der römisch-katholischen Kirche in Deutschland viel in Bewegung gekommen. Es gibt an manchen Orten Segnungen für gleichgeschlechtliche Partner:innenschaften. In Hochschulgemeinden, bei der Katholischen Jugend und in vielen Verbänden leben LGBTQ* offen ihren Glauben. Damit leben römisch-katholische Christen in Deutschland im klaren Widerspruch zur römischen Kirchenlehre. Auch an dieser Frage wird sich in Zukunft entscheiden, ob und wie die katholische Kirche hierzulande römisch wird bleiben können.

„Jeder weiß, dass es das gibt. Es gilt ‚Don’t ask, don’t tell‘. Und damit kommt man wirklich gut durch. Es ist die Frage, ob man das auf Dauer möchte“, erklärt Lisa Müller, die in München Seelsorgerin ist. Die Protagonist:innen von „Wie Gott uns schuf“ wollen sich nicht mehr verstecken, sie wollen #OutInChurch leben. Ihr Outing ist ein Weg „in das Land der Freiheit“. Sie sind nun auf die Solidarität ihrer Kolleg:innen und Vorgesetzten angewiesen, und darauf, dass nicht-queere Christen nicht weiter weghören.


Das Manifest von #OutInChurch

Die Initiative #OutInChurch hat ihre Forderungen in einem Manifest zusammengefasst. Da die Website des Projekts am Montag zeitweise nicht online war, dokumentieren wir hier das Manifest für alle interessierten Leser:innen:

Manifest #OutInChurch
Für eine Kirche ohne Angst

Wir sind’s! Es wurde viel über uns gesprochen. Nun sprechen wir selbst. Wir, das sind hauptamtliche, ehrenamtliche, potentielle und ehemalige Mitarbeiter*innen der römisch-katholischen Kirche. Wir arbeiten und engagieren uns unter anderem in der schulischen und universitären Bildung, in der Katechese und Erziehung, in der Pflege und Behandlung, in der Verwaltung und Organisation, in der sozialen und caritativen Arbeit, als Kirchenmusiker*innen, in der Kirchenleitung und in der Seelsorge.

Wir identifizieren uns unter anderem als lesbisch, schwul, bi, trans*, inter, queer und non-binär.

Unsere Gruppe ist vielfältig. Zu ihr gehören Menschen, die schon in der Vergangenheit mutig und oft im Alleingang ihr Coming-out im kirchlichen Kontext gewagt haben. Zu ihr gehören aber auch Menschen, die sich erst jetzt entschieden haben, diesen Schritt zu gehen und solche, die diesen Schritt aus unterschiedlichen Gründen noch nicht gehen können oder wollen. Was uns eint: Wir alle waren schon immer Teil der Kirche und gestalten und prägen sie heute mit.

Die meisten von uns haben mannigfach Erfahrungen mit Diskriminierung und Ausgrenzung gemacht – auch in der Kirche.

Von Seiten des kirchlichen Lehramtes wird u.a. behauptet, dass wir „keine korrekten Beziehungen“1zu anderen Menschen aufbauen können, aufgrund unserer „objektiv ungeordneten Neigungen“ unser Menschsein verfehlen und dass gleichgeschlechtliche Beziehungen nicht „auf die geoffenbarten Pläne Gottes hingeordnet anerkannt werden können.“

Derartige Aussagen sind im Licht theologisch-wissenschaftlicher und humanwissenschaftlicher Erkenntnisse weder länger hinnehmbar noch diskutabel. Dadurch werden queere Liebe, Orientierung, Geschlecht und Sexualität diffamiert und unsere Persönlichkeit entwertet.

Eine solche Diskriminierung ist ein Verrat am Evangelium und konterkariert den evangeliumsgemäßen Auftrag der Kirche, der darin besteht, „Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit“ zu sein. Angesichts dieser Zustände wollen wir nicht länger schweigen. Wir fordern eine Korrektur menschenfeindlicher lehramtlicher Aussagen – auch in Anbetracht weltweiter kirchlicher Verantwortung für die Menschenrechte von LGBTIQ+ Personen. Und wir fordern eine Änderung des diskriminierenden kirchlichen Arbeitsrechts einschließlich aller herabwürdigenden und ausgrenzenden Formulierungen in der Grundordnung des kirchlichen Dienstes.

Denn: Bisher können viele von uns in ihrem kirchlichen Beruf oder Umfeld mit ihrer geschlechtlichen Identität und/oder mit ihrer sexuellen Orientierung nicht offen umgehen. Es drohen arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Zerstörung der beruflichen Existenz. Manche von uns kennen Situationen, in denen Bischöfe, Generalvikare oder andere Leitungspersonen sie genötigt haben, ihre sexuelle Orientierung und/oder ihre geschlechtliche Identität geheim zu halten. Nur unter dieser Bedingung wurde ihnen ein Verbleib im kirchlichen Dienst gestattet. Damit ist ein System des Verschweigens, der Doppelmoral und der Unaufrichtigkeit etabliert worden. Es produziert zahlreiche toxische Wirkungen, beschämt und macht krank; es kann einen negativen Einfluss auf die persönliche Gottesbeziehung und auf die persönliche Spiritualität
haben.

Alle in der Kirche, insbesondere die Bischöfe in ihrer Leitungsfunktion, sind verantwortlich eine Kultur der Diversität zu schaffen, so dass LGBTIQ+ Personen ihren Beruf und ihre Berufung in der Kirche offen und angstfrei leben können und dabei Wertschätzung erfahren. Die sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität sowie das Bekenntnis hierzu wie auch das Eingehen einer nicht-heterosexuellen Beziehung oder Ehe dürfen niemals als Loyalitätsverstoß gelten und folglich Einstellungshindernis oder Kündigungsgrund sein. LGBTIQ+ Personen müssen freien Zugang zu allen pastoralen Berufen erhalten.

Weiter muss die Kirche in ihren Riten und Feiern zum Ausdruck bringen, dass LGBTIQ+ Personen, ob alleine oder in Beziehung lebend, von Gott gesegnet sind und dass ihre Liebe vielfältige Früchte trägt. Hierzu zählt mindestens auch die Segnung gleichgeschlechtlicher Paare, die um einen solchen Segen bitten.

Mit all diesen Forderungen gehen wir gemeinsam den Schritt an die Öffentlichkeit. Wir tun dies für uns und wir tun dies in Solidarität mit anderen LGBTIQ+ Personen in der römisch-katholischen Kirche, die dafür (noch) nicht, oder nicht mehr die Kraft haben. Wir tun dies in Solidarität mit allen Menschen, die der Stereotypisierung und Marginalisierung durch Sexismus, Ableismus, Antisemitismus, Rassismus und jeglicher anderen Formen von Diskriminierung ausgesetzt sind.

Wir tun dies aber auch für die Kirche. Denn wir sind davon überzeugt, dass nur ein Handeln in Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit dem gerecht wird, wofür die Kirche da sein soll: die Verkündigung der frohen und befreienden Botschaft Jesu. Eine Kirche, die in ihrem Kern die Diskriminierung und die Exklusion von sexuellen und geschlechtlichen Minderheiten trägt, muss sich fragen lassen, ob sie sich damit auf Jesus Christus berufen kann.

Lebensentwürfe und Lebenserfahrungen queerer Menschen sind vielfältige Erkenntnisorte des Glaubens und Fundstellen göttlichen Wirkens. Wir sind überzeugt und wir erleben, dass unsere Vielfalt die Kirche reicher, schöpferischer, menschenfreundlicher und lebendiger macht. Als kirchlich Engagierte wollen wir unsere Lebenserfahrungen und unsere Charismen deshalb in die Kirche auf Augenhöhe einbringen und sie mit allen Christ*innen und Nicht-Christ*innen teilen.

Für einen Neuanfang ist es unumgänglich, dass Kirchenleitende für die unzähligen Leiderfahrungen, die LGBTIQ+ Personen in der Kirche gemacht haben, die Verantwortung übernehmen, die Schuldgeschichte der Kirche aufarbeiten und unseren Forderungen folgen. Der Kampf für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung darf nicht allein den marginalisierten Minderheiten überlassen werden. Er geht alle an.

Mit diesem Manifest treten wir ein für ein freies und von Anerkennung der Würde aller getragenes Zusammenleben und Zusammenarbeiten in unserer Kirche. Wir laden darum alle, insbesondere die Verantwortlichen und Kirchenleitungen dazu ein, dieses Manifest zu unterstützen.

Januar 2022


* Die Sendezeit wurde am Montagmorgen in die Primetime verlegt. (Aktualisierung: 10:15 Uhr)