Wir können auch anders!
Wie sollten Christ:innen und Kirchen mit den Möglichkeiten von „Künstlicher Intelligenz“ umgehen? Außerdem: Queerer Fernsehgottesdienst und ein Urteil zum kirchlichen Arbeitsrecht.

Liebe Eule-Leser:innen,
nun sind wir also mittendrin in der Jahreszeit des künstlichen Lichts. Früh geht’s im Dunklen raus und bereits am Nachmittag finstert sich die Umgebung wieder ein. Unsere Lampen und Leuchten sind nur ein kläglicher Ersatz für die Helligkeit des Tages. Dieser Newsletter geht heute zur Mittagsstunde raus: Die sollte man vielleicht – wenn es sich einrichten lässt – an der frischen Luft verbringen. Gras anfassen, Licht tanken.
In den vergangen Tagen haben wir uns in der Eule intensiv mit dem Themenfeld Künstliche Intelligenz befasst. Bei unserem Eule-Live-Abend „Du sollst dir kein Bild machen!“ hat Nils Pooker vergangene Woche über „KI“-Bildproduktion und -Ästhetik aufgeklärt. Ich habe die Inhalte des Abends in einem Artikel hier in der Eule zusammengefasst. In der aktuellen Folge des „Eule-Podcast“ hat Michael Greder die Religionsphilosophin Claudia Paganini zu Gast: Sie hat gerade erst ein Buch darüber geschrieben, wie wir Menschen „der KI“ göttliche Attribute unterstellen. Und gestern ist ein Artikel von mir über die neue Klimakampagne der evangelischen Kirche erschienen, die ausgerechnet mit „KI“-Videos Werbung für den Klimaschutz macht.
Nils Pooker hat beim Eule-Live-Abend eine „Ethik des Unterlassens“ im Umgang mit generativer Künstlicher Intelligenz empfohlen. Ich hätte da noch eine Ergänzung. Außerdem gibt’s weiter unten in diesem „Re:mind“-Newsletter noch drei kurze Updates zu wichtigen Kirchendebatten.
Meine Sorge bezüglich generativer Künstlicher Intelligenz (genAI) ist nicht, dass wir in ihr eine neue übermächtige Entität geschaffen hätten, sondern uns über „KI-Schrott“ und Hypekreiseln der Geschmack dafür abhandenkommt, was Schöpferkraft, Kreativität, Geschöpflichkeit und Handwerkskunst eigentlich bedeuten können – auch im Digitalen. Die „KI“-Produkte unserer digitalen Gegenwart sind zusammengeleimte Reproduktionen menschlicher Kreativleistungen. Ein Abglanz dessen, was Menschen bereits geschaffen haben. Deshalb verraten sie eine Menge über uns.
Zur „KI“-Berichterstattung der Eule hat mich eine interessante Rückmeldung aus der Leser:innnschaft erreicht. Ein Leser bekundet in seiner E-Mail seine Leseschwierigkeiten, weil in den Texten Künstliche Intelligenz mal mit und mal ohne Anführungszeichen geschrieben wird, weil in der Eule auch von Large Language Models (LLMs) und generativer KI die Rede ist und nicht einfach von „der Künstlichen Intelligenz“. Ich kann die Verwirung gut nachvollziehen! Und halte diese Störungen des Leseflusses doch für unbedingt wichtig.
Werkzeuge und Erzeugnisse generativer KI umgeben uns heute permanent in digitalen Räumen, während Artificial General Intelligence (AGI), also das, was in Wissenschaft und Kultur als „die“ Künstliche Intelligenz ohne Anführungszeichen beschrieben wurde und wird, mindestens einmal Zukunftsmusik ist, wenn nicht sogar Science Fiction bleibt. Mit den auf Wahrscheinlichkeiten basierenden Rechenmodellen, die auf Grundlage riesigen Datenmaterials, Texte, Bilder und Videos generieren – also „Künstliche Intelligenz“ in Anführungszeichen -, wird man, so führende KI-Expert:innen, niemals einen Data oder einen Holo-Doctor wie in „Star Trek“ erschaffen können. Auch wenn uns das die KI-Unternehmen unserer Tage gerne einreden wollen.
„Lobe den Herren, der künstlich und fein dich bereitet“, wird in den Kirchen des Landes in ökumenischer Eintracht gesungen. An die Liedzeile muss ich im KI-Diskurs immer wieder denken. Im Buch Genesis begegnet uns Gott (auch) als Handwerker, der den Menschen aus Erde formt und ihm Lebensatem einhaucht. Die „KI“-Erzeugnisse unserer Tage, so beeindruckend sie zum Teil auch sind, fehlt dieser Odem, der nicht nur im Hebräischen des Ersten Testaments mit der Geistkraft Gottes in Zusammenhang steht. Die Augen der „KI“-generierten Avatare bleiben leer. Es leuchtet kein Licht aus ihnen.
Mit Fragmenten und Webfehlern gegen die Überbietungsästhetik von „KI“
Der KI-Diskurs in Kirchen und Theologie ist in erheblichem Maß eine Debatte über den richtigen Umgang mit „KI“. Gerade in der medialen Öffentlichkeit haben Ethik und Moral – nicht zuletzt wegen ihrer Nähe zu Fragen der Politik und Lebenskunst – eine Vorangstellung gegenüber anderen theologischen Disziplinen. Dabei geht mindestens ein Stück weit verloren, dass Christ:innen mehr beizutragen hätten als Weisungen oder Nachdenklichkeiten für den korrekten Umgang mit „KI“-Produkten.
Was bedeuten Kreativität und Begegnungen uns, wenn Meta-Oligarch Mark Zuckerberg davon träumt, die Einsamkeitskrisen in den Industriegesellschaften des 21. Jahrhunderts mit „KI“-Bots, die zu „Freunden“ werden, zu „lösen“? Reale Menschen in analogen und digitalen Begegnungen sind das Pfund, mit dem die Kirchen wuchern können. Ob in „Spielecafés“, Gottesdiensten, im Religionsunterricht und in der Kirchgemeinde.
Ist es nicht bemerkenswert und auch traurig, dass die „Du zählst!“-Klimakampagne der evangelischen Kirche ganz ohne ein menschliches Gesicht auskommt? Jede:r einzelne soll etwas bedeuten, aber kein:e einzige:r zeigt sein:ihr Gesicht. Das ist für mich eigentlich das größte Missverständnis im Kampagnendesign und nicht das Experimentieren mit „KI“-Videowerkzeugen oder zehntausende Euro für Online-Werbung zugunsten von Meta und Google (so unnötig ich das auch finde).
Mein Ergänzungsvorschlag zur „Ethik des Unterlassens“ von Nils Pooker: Setzen wir auf das Menschliche in Kontakten und Kommunikation, auch in der kirchlichen Medienarbeit, auch in der Kirche im Netz. Zeigen wir die Webfehler, die nicht normierte Schönheit, die fragmentarischen und liebevoll gestalteten Zeugnisse menschlichen Schöpfergeistes, in denen doch ein bisschen vom göttlichen Licht durchscheint. Setzen wir statt auf Überbietungsästhetik, Click- und Rage-Bait, statt auf das technisierte und optimierte Zu-Spammen der Welt auf authentische Begegnungen. Ich bin mir sicher, dass dies nicht nur geboten ist, sondern in einer Digitalität, die von „KI“-Schrott überschwemmt wird, sogar eine Qualität ausmacht, die sich viele Menschen wünschen.
Aktuell im Magazin:
Ein Jesus-Experiment und die „Ethik des Unterlassens“ – Philipp Greifenstein
Am 15. Oktober trafen wir uns mit Eule-Abonnent:innen und dem Konzeptkünstler und KI-Experten Nils Pooker zu einem digitalen Eule-Live-Abend: „Du sollst dir kein Bild machen!“ Eine Zusammenfassung des Abends und Einführung in das Thema „KI“-Bilder für alle, die nicht dabei sein konnten.
„Beim Eule-Live-Abend löste Nils Pookers bildreicher Vortrag immer wieder Aha- und Irritationserlebnisse aus. Was macht die „KI“-Bilder trotz ihrer Ähnlichkeit zu Produkten unserer menschlichen Phantasie so atemberaubend? Statt von Kitsch spricht Nils Pooker lieber von einer „Überwältigungsästhetik“ der „KI“-Bilder. Die Bilder seien in ihrer Darstellung „überhöht und dramatisiert“. Annekathrin Kohout nennt dieses Phänomen einen „bizarren Hyperrealismus“.“
Eule-Podcast (50): Ist Künstliche Intelligenz göttlich? – Claudia Paganini bei Michael Greder (33 Minuten)
In der aktuellen Episode des „Eule-Podcast“ ist die Religionsphilosophin Claudia Paganini zu Gast. Bei Podcast-Host Michael Greder spricht sie über ihr neues Buch „Der neue Gott: Künstliche Intelligenz und die menschliche Sinnsuche“. Wie können wir Künstliche Intelligenz religionsphilosophisch einordnen – und dadurch etwas über uns Menschen lernen?
Lesen und Denken im Lichtkegel des Glaubens – Mario Keipert und Benedikt Skorzenski
Zwei Bücher für den Leseherbst haben Mario Keipert und Benedikt Skorzenski rezensiert: Christiane Tietz‘ „Nietzsche: Leben und Denken im Bann des Christentums“ und Jan Simowitschs „Und der Wal spuckt mich aus“. Ob bei Friedrich Nietzsche oder im Walfischbauch: Der Glaube bleibt im Spiel.
Evangelische Klimakampagne „Du zählst“: Mach keinen Scheiß! – Philipp Greifenstein
Drei Jahre lang wurde an in der evangelischen Kirche an einer „öffentlichkeitswirksamen Kampagne“ für den Schutz des Klimas gearbeitet. Am Ende der Bemühungen stehen vier „KI“-Videos und eine schlechte Website.
„Es ist definitiv ein Irritationsmoment, den ich für 2025 nicht auf der Bingokarte hatte, dass der „KI“-Schrott, den ich auf Social-Media-Plattformen inzwischen routiniert von mir wegschiebe, von der evangelischen Kirche stammt. Ein muskulöser Noah spricht mich an, Eisbären schauen traurig auf der Arche. Adam und Eva, Maria und Joseph lächeln in die Kamera. In der typischen Ästhetik von „KI“-Videos, denen man auf den großen Social-Media-Plattformen kaum entkommen kann, wirbt die evangelische Kirche für ihre neue Klimakampagne „Du zählst!“.“
„Niemand muss Kinderschutzexperte sein, um hinzuschauen, zuzuhören und nachzufragen. Wenn mir als Verwandter, als Nachbarin, als Lehrkraft, Trainer oder Erzieherin Veränderungen auffallen, frage ich nach“,
so beschreibt Kerstin Claus, die Unabhängige Bundesbeauftragte gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen (UBSKM), eine Grundhaltung der Aufmerksamkeit für sexualisierte Gewalt. Benjamin Lassiwe hat Claus im Nordkurier ausführlich zu den aktuellen Entwicklungen auf dem Themengebiet interviewt, u.a. zur Zukunft des Fonds Sexueller Missbrauch, zur Lehrer:innen-Ausbildung und zu ihren Erwartungen an die Kirchen.
„Ich würde sagen, dass bei den Kirchen flächendeckend deutlich mehr in das Thema Sicherheit investiert wurde, als man das insgesamt beobachten kann. Was aber nicht heißt, dass Täterstrategien nicht trotzdem greifen können. Und was ich bei den Kirchen vermisse, ist, dass sie sich vor Ort, in den Kommunen, einmischen und anderen Akteuren ihre Erfahrungen und ihre Standards anbieten.“
Auf der Tagung der EKD-Synode vom 9.-12. November in Dresden wird das Beteiligungsforum Sexualisierte Gewalt (BeFo) erneut über den Stand von Aufklärung und Prävention sexualisierter Gewalt und Anerkennung des Leids von Betroffenen in der evangelischen Kirche und Diakonie informieren. Auch über die Unabhängigen regionalen Aufarbeitungskommissionen (URAKs), die auf Grundlage einer Vereinbarung mit der UBSKM eingerichtet werden. Anlass zum zufriedenen Zurücklehnen gibt es nicht.
Gestern veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht seinen Beschluss vom 29. September im Fall Egenberger, der sich um die Nicht-Anstellung bei der Diakonie wegen einer fehlenden Kirchenmitgliedschaft und somit um das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen dreht. Bei der Legal Tribune Online fasst Tanja Podolski den prominenten Fall des kirchlichen Arbeitsrechts zusammen und erklärt in einem zweiten Artikel den Beschluss des Verfassungsgerichts.
In beiden großen Kirchen und ihren Wohlfahrtsverbänden ist das Arbeitsrecht in den vergangenen Jahren deutlich gelockert worden, so dass das Urteil kaum mehr Auswirkungen auf die gegenwärtige Praxis hat. Es wird nun, sehr vereinfachend gesagt, genauer hingeschaut, ob die berufliche Tätigkeit eine Kirchenmitgliedschaft oder andere Pflichten, die ins Privatleben hineinreichen, wirklich voraussetzt. Andersherum: Ohne den Fall Egenberger und andere Verfahren zum kirchlichen Arbeitsrecht, die bis vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) gelangt sind, hätte es die Liberalisierungen womöglich nicht gegeben.
Diakonie/EKD und die Deutsche Bischofskonferenz reagierten mit eigenen Stellungnahmen auf den Beschluss aus Karlsruhe. Zum Hintergrund über Loyalitätspflichten und das kirchliche Selbstbestimmungsrecht empfehle ich unser Eule-Interview von 2022 mit dem ev.-luth. Kirchenrechtler Michael Germann von der MLU Halle-Wittenberg, der auch Mitglied der EKD-Synode ist.
Am Sonntag wird das ZDF erstmals einen queeren Gottesdienst als Fernsehgottesdienst im Hauptprogramm übertragen. Jan Diekmann, Mitglied der queeren Gemeinde in Münster, hat dazu bei katholisch.de ein Interview gegeben. Im Gottesdienst wird es um die Fragen gehen: „Wer bin ich für Gott und wer bin ich vor Gott? Aber auch: Wer bin ich für meine Mitmenschen?“
Queere Gottesdienste sind immer wieder Ziele von Störaktionen, wie ich hier in der Eule schon einmal beschrieben habe. Deshalb gibt es für den Gottesdienst aus Münster auch ein paar Sicherheitsvorkehrungen mehr als sonst. Der evangelische Gottesdienst zum Reformationstag in der ARD kommt in diesem Jahr übrigens live aus Bad F.
Ein schönes Wochenende wünscht
Philipp Greifenstein
Ein guter Satz
„Ruhe macht zufrieden, also müssen wir sie stören.“
– Monchi, Lead-Sänger von „Feine Sahne Fischfilet“ in seinem Lothar-König-Song „Eine rauchen wir noch“. Zu Lothar Königs erstem Todestag am 21. Oktober veröffentlichte die Band ein Musikvideo zum Song (YouTube).
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