Kolumne Sektion F

Worauf wollt ihr (wieder) stolz sein?

Im Wahlkampf vor der Bundestagswahl dominieren Botschaften, die Menschen ausschließen wollen. Wie können wir Herz und Verstand zusammenbringen – und eine gemeinsame, inklusive Zukunft gestalten?

Alle haben Sorgen vor der Bundestagswahl. Das wird klar, wenn ich mich in diesen Tagen mit meinen Freund*innen unterhalte. Mir geht es auch so. Ich frage mich, ob es derzeit überhaupt echten Optimismus geben kann oder nur der Wahlkampf-Optimismus verschiedener Parteien versprüht wird, der anderen Angst macht? Ein Hoffnungszeichen, von dem ich hoffen möchte (!), dass es so auch in Deutschland passieren würde, war die Predigt von Bischöfin Mariann Budde zur Amtseinführung von Donald Trump als US-Präsident (s. hier in der Eule).

Sie hat sich für die Rechte queerer Personen und von Migrant*innen stark gemacht. Hoffentlich schaffen auch high-ranking Kirchenvertreter*innen in Deutschland, diese Anliegen gegenüber der Regierung, die sich nach dem 23. Februar zusammenfinden wird, deutlich zu vertreten.

Ich will (es) hoffen! Überhaupt bin ich ein optimistischer Mensch. Ich glaube, das liegt daran, dass ich in einer Zeit jung war und zur Schule gegangen bin (Abitur 2011), als sich Dinge zum Besseren änderten oder jedenfalls die Prognosen dafür gut standen. Im Politikunterricht haben wir uns über Barack Obamas Wahl zum US-Präsidenten gefreut. Wir diskutierten auch den EU-Beitritt der Türkei. Im Leistungskurs Politik befassten wir uns mit erneuerbaren Energien, im Geschichtsleistungskurs hatten wir die Friedliche Revolution von 1989/90 zum Semesterthema. Die AfD war noch nicht gegründet. Ich wollte, dass die Bundeswehr abgeschafft wird, weil „wir die ja eh nicht brauchen“ und: „Frieden schaffen ohne Waffen“. Der Anfang des Kriegs in Syrien, der jetzt (vorläufig?) zu einem Ende gekommen ist, fiel in unsere Abiturprüfungszeit.

Seitdem ist zwar rein rechnerisch erst ein Drittel meiner bisherigen Lebenszeit vergangen, gefühlt halbiert der Einschnitt Abitur und anschließender Auszug aus dem Elternhaus aber meine Lebenserfahrungen. Ich blicke von heute aus biografisch aus weiter Entfernung zurück, obwohl es in absoluten Zahlen natürlich überhaupt keine lange Zeitspanne ist. Das weiß ich als Christ*innentumshistorikerin auch, aber es fühlt sich anders an. Jedenfalls bin ich mit einer ordentlichen Portion Optimismus, der auch nicht stumpf, sondern diskursiv errungen war, in mein Erwachsenenleben gestartet.

Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen heute sieht das wohl anders aus. Mehrere Untersuchungen haben in den vergangenen Monaten gezeigt, dass sich junge Menschen heute – eigentlich untypisch für ihr Lebensalter – mehr Sorgen machen als ältere Menschen, vor allem um ihre eigene wirtschaftliche Zukunft. Die Gründe für den Pessimismus der Jugend sind wohl in den Krisenerfahrungen der vergangenen Jahre zu suchen, also ganz und gar nicht irrational. Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und Klimakrise wirken sich auch auf das Leben junger Menschen aus. Zugleich fragen die politischen Parteien (und Medien) zu wenig nach den Bedürfnissen und Interessen junger Menschen in dieser schwierigen Zeit. Das macht auch junge Menschen empfänglich für die vermeintlich einfachen Antworten von rechts.

Die gute alte Zeit?

Ich will aber gar nicht anfangen, von der „guten alten Zeit“ zu reden, denn natürlich war sie das nicht! Auch meine eigene Jugendzeit nicht. Viele meiner Freund*innen hätten einander „damals“ noch nicht heiraten dürfen – rechtlich wie kirchlich. Letzteres ist ja weiterhin nicht überall möglich und um ersteres wird gebangt! Wie sehr darum gebangt wird, habe ich erst dieses Weihnachten durch eine Weihnachtskarte gemerkt, in der sinngemäß stand: „Danke, dass ihr euch politisch engagiert und für unser Leben miteinsetzt. Wir haben echt Angst und spüren, wie sehr sich das Blatt gegen queeres Leben gewendet hat.“

Da lief mir ein Schauer über den Rücken, weil ich in meiner privilegierten Position gemerkt habe, dass ich eigentlich keine gute Ally war. Das meine ich keineswegs sprichwörtlich affektiv dahingesagt. Ich hatte das Ausmaß und die Folgen queerfeindlicher Positionen, wie sie gegenwärtig nicht nur von der AfD ins Spiel gebracht werden, noch nicht wirklich emotional nachvollzogen. Angst hatte und habe ich zwar auch, aber weniger existenziell. Das ist mir durch die Weihnachtskarte in für mich erschreckendem Maße deutlich geworden. Eigentlich möchte ich nicht, dass mir jemensch schreiben muss: „Danke, dass du dich für meine Rechte einsetzt.“ Menschenrechte sollten nicht zur Debatte stehen. Leider ist es aber so. Das hatte ich zuvor aber eben nur auf gedanklicher und nicht auch emotionaler Ebene gecheckt.

Fakten, Gefühle, Inhalte und Emotionen

Weil ich gerade sowieso auf der Memory Lane unterwegs bin: In meinem Philosophicum, einer philosophischen Prüfung im Theologiestudium, hatte ich Martha Nussbaum zum Thema. Sie ist in Chicago Professorin für Recht und Ethik. Sie ist darum bemüht, Gefühle und Gedanken nicht zu stark gegeneinander auszuspielen und versteht beide als voneinander durchdrungen. Auch in der Politik sind Emotionen wichtig. Sie können nicht „aus dem Spiel genommen“ werden und müssen daher behutsam gestaltet werden. Ihrer Ansicht nach bedarf es einer emotionalen Bezogenheit auf das Gemeinwesen und positiver Emotionen, die Verbundenheit schaffen. Martha Nussbaum ruft dazu auf, dass das „Emotionen-Schaffen“ nicht den anti-liberalen Kräften überlassen werden darf.

Wenn ich von Martha Nussbaums Gedanken aus auf die gegenwärtige Lage blicke, erkenne ich, dass deren Emotionen-Schüren bei mir geklappt hat. Aber Angst ist kein positives Gefühl. Angst davor, dass rechte Politiker*innen in Machtpositionen das L(i)eben und Denken einschränken und davor, dass nichts gegen den Klimawandel getan wird, dass die sog. soziale Schere immer weiter auseinanderklafft, dass Kriege sich weiter ausdehnen.

An meiner, konkreten Angst zeigt sich, was Nussbaum zum Thema Gefühl und Gedanken bzw. emotion und ratio sagt und auch auf binäre und dichotome Vorstellungen von männlich und weiblich überträgt: Meine Ängste sind auf Informationen bezogen. Konkret auf die Wahlkampfbotschaften der Parteien, in denen sie die Ziele ihrer Politik formulieren – und damit bei einem nicht geringen Bevölkerungsanteil Zustimmung finden. Ganz gut kann man das anhand des Begriffs Stolz erklären.

Wahlplakat der CDU zur Bundestagswahl 2025

„Damit wir wieder stolz sein können!“

Wenn ich mir die entsprechenden Wahlplakate der CDU anschaue, die das Stolz-Sein oder präziser noch: das Wieder-Stolz-Sein-Können als Slogan formulieren, frage ich mich immer: Worauf wollt ihr stolz sein? Stolz finde ich etwas sehr Schwieriges. Das hat sicherlich etwas mit weiblicher Sozialisation zu tun. Das hat auch was mit Wissen um die deutsche Geschichte zu tun. Vielleicht sogar mit dem Christ*innentum, schließlich gilt der Stolz als die schlimmste der sieben Todsünden.

Nationaler Stolz geht zu Lasten von ge-anderten Personen geht. Wenn ein „Wir“ stolz auf sich und seine Leistungen sein will, dann wird automatisch auch definiert, wer nicht zum „Wir“ dazugehören soll – und wer weniger oder nichts mehr gilt. Stolz kann ausschließen, wenn er so geframed wird, dass zum Beispiel Menschen nur als Arbeitskraft zählen und wenn sie nicht arbeiten, ihren Status als Menschen quasi abgesprochen bekommen. Übrigens geht es auch im Schlussappell der Predigt von Bischöfin Mariann Budde, neben der Zugehörigkeit der von Rechten ge-anderten LGBTQI+ und Migrant*innen zu Glaubensgemeinschaften darum, dass auch sie fleißig arbeiten und Steuern zahlen. Daran sieht man, dass sich die Bischöfin bemüht hat, an die Weltwahrnehmung von Donald Trump und seinen Anhänger*innen anzuknüpfen (von wegen „Attacke auf Trump“, wie manche rechten Medien schrieben).

So richtig der Verweis auf wirtschaftliche Vorteile für Alle durch Inklusion und Migration ist, gerade in einer Zeit, in der nicht nur in den USA Diversity-Programme abgeschafft werden und Migration auch im Bundestagswahlkampf vor allem als Gefahr proklamiert wird, bedeutet dies immer auch ein Stück weit ein Entgegenkommen gegenüber jener Logik, in der einem Menschenleben nur dann Wert und Würde beigemessen wird, wenn es im Sinne der kapitalistischen Verwertungslogik nützlich erscheint.

Im politischen Diskurs in den USA und Europa geht es dabei gegenwärtig vor allem um Migrant*innen – nicht umsonst z.B. um den Familiennachzug – und LGBTQI+, aber natürlich werden bald (wieder) auch andere Minderheiten, wie z.B. Menschen mit Behinderungen oder Krankheiten aus dieser Perspektive heraus problematisiert werden.

Mit Herz und Verstand?

Auf einem anderen Wahlplakat steht unter dem Porträt des Kanzlerkandidaten Robert Habeck groß das Wort „Zuversicht“. Auch dabei handelt es sich um eine Emotion. Martha Nussbaum würde sich an der Grünen-Kampagne freuen: Positive Emotion! Zuversicht! Danach sehne auch ich mich. Danach, dass ich mir nicht Sorgen darum machen muss, ob die „Ehe für alle“ doch wieder abgeschafft wird oder das Selbstbestimmungsgesetz rückabgewickelt.

Wahlplakat der Grünen zur Bundestagswahl 2025

Viele Menschen verstehen auch den Stolz als eine positive Emotion. Je nach dem worauf sich der Stolz inhaltlich bezieht, kann das wohl auch gut sein – meine christlich-feministische Zurückhaltung beim Stolz-Sein hin oder her. Kann es einen inklusiven Stolz geben? Einen Stolz, der sich auf zivilisatorische Errungenschaften und die Erfolge zahlreicher emanzipatorischer Kämpfe bezieht? Es gibt ja auch einen gewissen Grundgesetz-Stolz. Wäre doch ein guter Ausgangspunkt, oder? Im US-Wahlkampf skandierten die Unterstützer*innen von Kamala Harris: „We’re not going back!“ („Wir gehen nicht zurück!“)

Gerne möchte ich also zuversichtlich sein. Ich hoffe zum Beispiel, dass kirchliche Kampagnen zur Bundestagswahl wie „Für alle. Mit Herz und Verstand“ tatsächlich viele Menschen zum Wählengehen motivieren. Vielleicht auch solche Menschen, die derzeit wegen der vielen schlechten Nachrichten den Kopf in den Sand stecken oder das Vertrauen in unsere Demokratie zu verlieren drohen. Die Kampagne appelliert, ganz im Sinne von Martha Nussbaum, an einander durchdringende Gefühle und Gedanken. Aus beiden heraus können positive Wahlentscheidungen für Parteien getroffen werden.

Zugleich müssten kirchliche Akteur*innen aus einer solchen Kampagne auch Konsequenzen für die Zeit nach der Bundestagswahl ziehen. „Für alle. Mit Herz und Verstand“ bietet gute Maßstäbe, anhand derer ex negativo Missstände und gefährliche Politiken benannt werden können. Wie bei jeder Kampagne kommt es am Ende auf die Konkretisierung an.

Mit G*tt an die Wahlurne?

Noch einmal auf die Memory-Lane, aber diesmal nicht so weit zurück: Ich war vor ein paar Wochen bei einem Konzert der „Eisern Ehrenfeld“-Tour von Jan Böhmermann mit dem Rundfunktanzorchester Ehrenfeld. Mich hat überrascht, dass in einer Art Prolog und als Intermezzo „G*tt“ zu uns sprach. Als Chef von Friedrich Merz. So klar und deutlich wie im Rahmen der Inszenierung des Konzerts hören wir „G*tt“ selten. Das gilt nicht nur für Friedrich Merz, leider.

Wer sich „christlich“ nennt oder das „christliche Abendland“ und „christliche Werte“ verteidigen will, handelt noch lange nicht wirklich christlich. Wenn Menschen, die wegen großer Bedrängnis einen sicheren Ort suchen, die Tür vor der Nase zugeschlagen werden soll, bestehen daran große Zweifel. Auch im Wahlkampf können wir, wenn G*tt auch nicht durch Lautsprecher verstärkt zu uns spricht, darauf hören, was sie* uns sagen will.


Alle Ausgaben von „Sektion F“ hier in der Eule.


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