Würde ist (k)ein Konjunktiv – Die #LaTdH vom 14. April
Will der Vatikan bestimmen, wie weit die Menschenrechte reichen? Außerdem: Missbrauch evangelisch, Theologie ökumenisch und Jesus Selfies.
Herzlich Willkommen!
Im Mai 2013 ereilte „Jorge Bergoglio, Papst“ die zweifelhafte Ehre, vom Magazin EMMA zum „Pascha des Monats“ ernannt zu werden. Im jüngst veröffentlichten „Annuario Pontificio“, dem „Päpstlichen Jahrbuch“ für 2024, taucht nun auch die Bezeichnung „Patriarca dell’Occidente“ („Patriarch des Westens“) wieder unter den „historischen Titeln“ von Papst Franziskus auf. Für Ökumene-Interessierte sei das „ein historisches Schmankerl“, so die Einschätzung des KNA-Kommentars, eine „skurrile Information, die der Einordnung bedarf“.
Für den synodal engagierten Kirchenrechtler Thomas Schüller aus Münster ist die Wiederkehr des Patriarchats in der römisch-katholischen Kirche eine „erfreuliche Geste gegenüber den getrennten Ostkirchen verschiedener Provinienz“, mit der eine „fatale Fehlentscheidung“ Papst Benedikts XVI. (nämlich sein Verzicht auf den Titel) revidiert werde. Auch Schüllers Münchner Kollege Martin Rehak hofft im katholisch.de-Interview mit Felix Neumann auf einen Schub für den Dialog mit der Orthodoxie, bleibt aber zurückhaltend: „Prognosen sind immer schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen.“
Solche Vorsicht scheint angesichts immer wieder überraschender Entscheidungen des „Spontifex“ auch geboten: „Eine jahrhundertelange Tradition ging zu Ende“, meinte Rehak noch vor nicht einmal zwei Jahren feststellen zu müssen: In einem 1.024 Seiten starken Buch erläuterte er, der von Benedikt erklärte „Verzicht des Bischofs von Rom auf den Titel ‚Patriarch des Okzidents'“ werfe „zwingend kirchenverfassungsrechtliche Fragen“ auf.
Der „Untergang des Abendlandes“ scheint nun einstweilen abgewendet. Es bleibt aber ungewiss, ob es sich bei der Rückkehr des Patriarchen ins Päpstliche Jahrbuch um „eine Art primatialer Selbstbeschränkung“ handelt oder nicht. Während Franziskus von vielen immer noch als „Reformer und Lichtgestalt“ angesehen wird, bezeichnet der Journalist Matthias Meier ihn in seinem in der vergangenen Woche erschienenen Buch als „Papst der Enttäuschungen“. Grundsätzlich, stellt der Augsburger Kirchenhistoriker Matthias Simperl bei aller „Aufregung um Papst-Titel“ zutreffend fest, gelte weiterhin: „Genauso wenig, wie ein Papst seinen Nachfolger bestimmt, kann er ihn dazu zwingen, eine solche Ausübung des Primats unverändert fortzuführen.“
Dass auch in der neuen Woche alles anders bleibt,
wünscht Ihnen Ihr Thomas Wystrach
PS: Die #LaTdH und die ganze Eule werden von den Leser:innen selbst ermöglicht! Die Eule ist ein unabhängiges Magazin und erhält keine Unterstützung von Kirchen oder Religionsgemeinschaften. Werden Sie Eule-Abonnent:in! Schon ab 3 € im Monat sind Sie dabei.
Und hier können Sie eine E-Mail-Benachrichtigung einrichten: Bei Veröffentlichung eines neues Eule-Artikels erhalten Sie eine kurze Email. So verpassen Sie nichts.
Debatte
Seit mehr als 15 Jahren hat sich das vatikanische Glaubensdikasterium nicht mehr grundsätzlich zu Fragen der Sexualmoral und der Bioethik geäußert. Am Montag präsentierte Kardinalpräfekt Víctor Manuel Fernández im Vatikan einen neuen, von Papst Franziskus bereits am 25. März genehmigten lehramtlichen Text. Die „Erklärung ‚Dignitas infinita‘ über die menschliche Würde“ erinnere „an grundlegende Prinzipien und theoretische Annahmen, um wichtige Klarstellungen zu bieten, die die häufigen Verwirrungen vermeiden können, die bei der Verwendung des Begriffs ‚Würde‘ auftreten“.
Angeboten wird eine römisch-katholische Lesebrille, wenn sich der Vatikan deutlich hinter die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ der UNO von 1948 stellt. „Das kann überraschen, denn die Kirche hatte es nicht immer so mit den Menschenrechten“, gibt Stefan von Kempis in seiner kirchenhistorischen Einordnung bei Vatican News offen zu. Auf einmal hat man es immer schon gewusst – und wieder sind bekannte Mechanismen wie „Innovationsverschleierung“ und die „Errichtung von Kontinuitätsfassaden“ am Werk.
Das rund 25 Seiten lange Papier über die „unendliche Würde“ enthält eine umfassende Darstellung zahlreicher Verstöße gegen die Menschenwürde aus Sicht der römisch-katholischen Kirche. Neben „Leihmutterschaft“ und medizinischem Geschlechtsumwandlungen, Abtreibung und Sterbehilfe, zählen auch die Ausbeutung von Arbeitern, der Menschenhandel, die Zerstörung der Umwelt, sexueller Missbrauch innerhalb und außerhalb der Kirche, Gewalt gegen Frauen, Krieg und die Todesstrafe dazu.
Die Erklärung zeichne sich durch „einen sehr konsequenten Argumentationsstrang“ aus, so Bischof Bätzing in einer ersten Würdigung. Dies werde „nicht ohne Weiteres dazu führen, dass die Lehraussagen der Kirche allseits und in allen Gesellschaften dieser Welt ungeteilte Zustimmung erfahren“. Aber „ganz sicher“ werde „die Anschluss- und Diskursfähigkeit der vorgebrachten Argumente“ gestärkt. Angesichts der bisherigen Reaktionen, die weitgehend auf die binnenkirchliche Echokammer beschränkt bleiben, durchwegs heftige Kritik äußern, „liturgische Randnotizen“ dazu anbringen oder die „begrifflichen Manöver“ als „lehramtlich aufgespielte Performanz“ zurückweisen, darf man das getrost bezweifeln …
Dignitas infinita: Zwischen Floskeln und ideologischen Scheuklappen – Christoph Paul Hartmann (katholisch.de)
Die neue römische Erklärung zur Menschenwürde sei lange erwartet (und befürchtet) worden – und überrasche nun durch „handzahme Sprache und argumentative Engführung“, so Christoph Paul Hartmann in seiner Analyse für katholisch.de. „Dignitas infinita“ behandle zwar auch das Reizthema „Gender“, allerdings nur als als ein Teil eines „Rundumschlags“, für den sich der Vatikan laut eigenen Angaben mehrere Jahre und manche Korrekturschleife genommen habe:
Am Ende steht ein Kompendium mit zahlreichen Themen – darunter die allermeisten extrem relevant und medial sicher im Westen zu wenig beleuchtet. Wegen fehlender Tiefe und Diversität lässt der Text die Lesenden dennoch etwas ratlos mit der Frage zurück, was der Vatikan außer der eigenen Selbstversicherung mit dieser Erklärung eigentlich sagen wollte.
Unterkomplex bis ärgerlich – Stephan Goertz (Kirche + Leben)
Die Erklärung biete eine kompakte Zusammenstellung lehramtlicher Äußerungen, so der Moraltheologe Stephan Goertz in seinem Gastbeitrag für die Münsteraner Kirchenzeitung. Neue, weiterführende theologische Aussagen oder ethische Positionierungen seien offenkundig nicht beabsichtigt. Manche Fragestellung werde eher „unterkomplex“ behandelt, es gebe wenig Selbstkritik und „Deplatziertes“ zum Thema „Gender“. Den größten Schwachpunkt der Erklärung sieht Goertz aber in der vorgenommenen Gewichtung der Themen:
Wäre es angesichts der globalen Angriffe auf freiheitliche Gesellschaften nicht an der Zeit, die demokratische, rechtstaatliche politische Ordnung nachdrücklicher als die relativ beste staatliche Garantie des Schutzes von Menschenwürde christlich zu verteidigen? Oder gelingt dies nicht, weil man sich bewusst ist, dass gemessen an demokratischen Standards die eigene Kirchenstruktur unter erheblichen Rechtfertigungsdruck gerät?
Dass „Dignitas infinita“ unter dem Stichwort „Menschenwürde“ so viele Themen – von Leihmutterschaft über Prostitution bis geschlechtliche Vielfalt – abhandle, verwässere das gute Anliegen, meint auch Chefredakteur Markus Nolte:
Der Vatikan rühmt blumig Menschenwürde – glaubt aber weiter, selbstbewusst definieren zu können, in welchem Umfang sie gilt, und vermeidet den kritischen Blick auf sich selbst. Die Würde eines Menschen zu achten, heißt christlich, alle Menschen zu ehren – und darum auch seine Entscheidungen für sein eigenes Leben und das Leben überhaupt zu würdigen. Insofern ist der Adressat des Papiers vor allem sein Verfasser.
Kirche ruft nach Menschenrechten und verwirklicht sie nicht – Gunda Werner (katholisch.de)
Ins gleiche Horn stößt Gunda Werner. Die Bochumer Professorin für Dogmatik und Dogmengeschichte sieht im Interview mit Felix Neumann keinen Fortschritt in der Erklärung. Im Gegenteil – immer noch setze sich die römisch-katholische Kirche nicht mit ihrer eigenen Schuldgeschichte der bis heute andauernden Diskriminierung und Verletzung von Menschenrechten auseinander:
„Die Menschenrechte macht die Erklärung nicht wirklich stark, wenn sie sie nur nach außen einfordert, aber nicht nach innen. Es ist auch nicht so, dass man einfach die fortschrittliche Kirche hier im Kontrast zur Weltkirche stellen kann. Die Themen, die wir haben, sind auch Themen überall in der Weltkirche: Als würde man in Afrika, in Lateinamerika oder Asien nicht über die Rolle der Frau oder über Homosexualität oder über Menschenrechte ringen und reden. Es ist auch eine Form kolonialen Denkens, wenn man Debatten mit dem Argument abwürgen will, weil angeblich „die Weltkirche“ noch nicht so weit sei.“
Als „Menschenwürde“-Dokument werde das jüngst veröffentlichte Papier aus dem Vatikan bezeichnet. Gerade beim Thema Transidentität widerspricht „Dignitas infinita“ jedoch der Menschenwürde, schreibt die Theologin Ursula Wollasch in ihrem Gastbeitrag für katholisch.de.
Die Menschenwürde sei in Gefahr, schreibt Matthias Drobinski, Chefredakteur der Publik-Forum, in seinem „Standpunkt“, ebenfalls bei katholisch.de. Umso enttäuschender sei, dass „Dignitas infinita“ ein oberflächlicher Text bleibe, an dem vor allem innerkatholische Botschaften und Deutungen brisant zu sein scheinen. Also liege es nun an den Gläubigen auszugleichen, was man in theologischen Schreibstuben nicht hinbekommt.
Endliche Würde – Beatrice von Weizsäcker (Christ in der Gegenwart)
Der Titel „Unendliche Würde“ klinge vielversprechend, ja verheißungsvoll. Doch das sei Augenwischerei: Im Ergebnis halten Titel und Text nicht, was sie versprechen, kritisiert Beatrice von Weizsäcker in ihrem Kommentar für Christ in der Gegenwart. Der Erklärung gehe es um eine Würde nur für die Gläubigen, die dem Vatikan genehm sind:
Mal wieder lässt die Kirche jene im Stich, die nicht so sind, wie sie ihrer Meinung nach sein sollten. Mal wieder moralisiert die Kirche etwas, was mit Moral nichts zu tun hat. Es ist, als würde eine Blinde von der Farbe reden.
Zum Glück ist Gott anders.
nachgefasst
Mit der Studie des von der EKD beauftragten Forschungsverbundes „ForuM“ liegen 2024 erstmals umfassende Kenntnisse zu Umfang, Strukturen und begünstigenden Bedingungen von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche und Diakonie vor. An diesem Wochenende tauschen sich Vertreter:innen der evangelischen Landeskirchen und Diakonischen Werke bei einer Fachtagung in der Evangelischen Akademie Loccum unter dem Titel „Sexualisierte Gewalt im Raum der Kirche und der Diakonie: Werkstatt Aufarbeitung“ über die nächsten Schritte bei der Aufarbeitung von Missbrauchsfällen austauschen. Bei einer Podiumsdiskussion am Freitag haben Betroffene von der Kirche jetzt mehr Kommunikation und mehr Entschlossenheit bei der Aufarbeitung verlangt.
Harmoniezwang? Wie die evangelische Kirche mit Missbrauch umgeht (BR24)
Sexueller Missbrauch, das galt lange nur als Problem der römisch-katholischen Kirche. Die „ForuM-Studie“ zeigt, es gibt auch speziell evangelische Faktoren, die sexualisierte Gewalt begünstigen und Aufarbeitung behindern – und zwar bis heute. Über „Verantwortungsdiffusion“ und „eine evangelische Form von Harmoniezwang und Gutgeschwisterlichkeit“ berichtet der Bayerische Rundfunk. Die Kritik am protestantischen Umgang mit dem Thema ähnelt in vielem dem, was man aus dem Bereich der römisch-katholischen Kirche kennt: „zeitliche Verzögerung“, „schleppende Zuarbeit“ und Erfahrungen, die „im Widerspruch zu einer proklamierten Null-Toleranz“ stehen. Das Feature „All you DO is love?“ von Veronika Wawatschek nennt Beispiele, was das für die Betroffenen bis heute bedeutet.
„Der Weg zur Hölle“: Verstörendes Theater über Missbrauch in der Kirche – Andrea Schwyzer (NDR)
Noch bis Ende Juni zeigt das Theater für Niedersachsen das Stück „der weg zur hölle ist mit guten absichten gepflastert“ an unterschiedlichen Orten in Niedersachsen. Thematisiert werden, so eine Warnung im Programmheft, „körperliche, seelische und sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen durch Täter:innen aus dem kirchlichen Kontext sowie deren Folgen“. Vorausgegangen ist eine ausführliche Recherche der Kieler Regisseurin Ayla Yeginer und Studierenden der Universität Hildesheim, bei der den Betroffenen und Co-Betroffenen, also Ehefrauen, Kindern, Eltern und Freunden zugehört wurde. Im Stück wird Raum geschaffen für ihre Erlebnisse:
Kaum auszuhalten ist das, was da erzählt wird. Die Beschreibungen sind grauenvoll, verstörend. Hinzu kommen die bekannten Ergebnisse der Studien, die von der katholischen und der evangelischen Kirche in Deutschland in Auftrag gegeben wurden und die belegen, wie Täter systematisch gedeckt wurden. Und mit welcher Arroganz und Respektlosigkeit die Betroffenen abgewatscht werden. Mit Karl Haucke eröffnet ein Betroffener sogar den Abend und erzählt von seinen erschütternden Erlebnissen. Das Publikum ist aufgefordert, die Wahrheit auszuhalten, sie weiterzutragen, laut zu werden. Ein dringender, so wichtiger Appell.
Buntes
Handreichung für Frieden zwischen Religionen nach dem 7. Oktober – Matthias Morgenroth (BR24)
Der Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und der darauf folgende Krieg in Gaza haben Spuren hinterlassen bei Juden und Muslimen. Seit einem halben Jahr wachsen die Ängste jüdischer Menschen auch in Bayern und umgekehrt fühlen sich muslimische Menschen immer weiter ausgegrenzt. Der Komplexität des Nahostkonflikts stehen die meisten relativ hilflos gegenüber. Der Verein „Freunde Abrahams“, eine Gesellschaft für religionsgeschichtliche Forschung und interreligiösen Dialog, möchte das nicht einfach hinnehmen und hat eine Handreichung zur besseren Verständigung erstellt.
Geballte Ökumene auf engstem Raum – Inse Marie Andrée (mission.de)
Im Ökumenischen Institut Bossey kommen Menschen aus allen Kontinenten zusammen, um ökumenische Theologie zu studieren. Neben den Seminaren gestalten sie einige Monate ihren Alltag gemeinsam; nach dem Unterricht hört das Von-einander-Lernen und der interkulturelle Austausch nicht auf. Geballte Ökumene also. Das mache das Institut zu einem wertvollen Ort, an dem Dialog in einzigartiger Weise möglich ist, so das Resümée von Inse Marie Andrée im Blog von Evangelische Mission Weltweit (EMW). Und doch sei ihr Semester in Bossey auch eine Zeit mit schmerzhaften Erfahrungen, die langfristig hoffentlich lehrreich sein werden. Studiert werde in einem besonderen Setting:
Wir gehören alle zu christlichen Denominationen, die an Gott als den Dreieinigen glauben und verkündigen. Das ist auch „set“. Dass weibliche Studierende gleichwertig zu ihren männlichen Kollegen sind, ist nicht „set“. Ein „mindset“ ist durch einen Code of Conduct nicht „set“. Wie kann der Wert des Dialoges dennoch erhalten bleiben, wenn er für Beteiligte bedeutet, als nicht gleichwertig angesehen zu werden? Ist Dialog es wert, dass sich Menschen Herabsetzung aussetzen? Verliere ich als Frau meine Integrität, wenn ich mich Strukturen, wie denen in dem kleinen Schloss in Bossey aussetze? Muss das so sein, oder kann ein Zusammenkommen verschiedener Menschen auch ohne Gewalt passieren?
Theologie
Bischof oder Bischöfin werden – Angela Berlis (Liturgik Blog)
Die Christkatholische Kirche der Schweiz (so nennt sich dort die alt-katholische Konfession) wird Ende Mai einen neuen Bischof wählen. Im Vorfeld der Wahl wurden seit Längerem Überlegungen zum heutigen „Anforderungsprofil“ eines Bischofs oder einer Bischöfin angestellt. Das sei durchaus angemessen gewesen, meint die Berner Theologin Angela Berlis. Doch die wesentlichen Aufgaben eines Bischofs oder einer Bischöfin würden in der Weiheliturgie genannt, mit der Handauflegung „aufgetragen“ und von der Kirche mitfeiernd bestätigt.
In ihrem Beitrag im „Liturgik Blog“ der Universität Bern erinnert sie an den vor 100 Jahren verstorbenen ersten christkatholischen Bischof Eduard Herzog, der in seiner Amtszeit (1876-1924) Wesentliches zur kirchlichen Erneuerung, insbesondere auf dem Gebiet der Liturgie und des Gebetslebens, der Glaubenslehre und der Ausbildung der Geistlichen, beigetragen habe:
Seine Hirtenbriefe, die er zwischen 1876 und 1923 verfasste, spiegeln seine ökumenischen Bestrebungen (etwa im Hinblick auf die Anglikanische Kirchengemeinschaft), zugleich aber auch die Abgrenzung gegen strengkirchlich römisch-katholische Kirchlichkeit und Frömmigkeitsformen.
Vor allem aber können seine Hirtenbriefe als Hinführungen zu einer ökumenisch ausgerichteten christlichen Lebensgestaltung gelesen werden. Sie sind biblisch fundiert und sprechen grundsätzliche Fragen christlichen Glaubens und christlicher Praxis an. Wissenschaftlich beschlagen, pastoral ausgerichtet und getragen von einer biblisch verwurzelten Frömmigkeit, wurde Herzog in seiner fast ein halbes Jahrhundert umfassenden Amtszeit zur prägenden Gestalt der christkatholischen Kirche und zu einem international agierenden ökumenischen Netzwerker.
Predigt
Je suis Jesus: Jesus-Selfies und das Bild vom „guten Hirten“ – Klaus Heidegger
In seiner „materialistischen Exegese“ von Joh 10,11-18, des Tagesevangeliums zum heutigen „Sonntag vom Guten Hirten“, weist Klaus Heidegger, Vorsitzender der Katholischen Aktion der Diözese Innsbruck, darauf hin, das Bild von Jesus als dem „Guten Hirten“ gehöre zum „Urbestand christlicher Theologie“. Gleichwohl seien die sogenannten „Ich-bin-Worte“ Jesu im Johannes-Evangelium keine ipsissima verba, also Worte, die Jesus selbst so gesprochen habe. Als „eine Art Wanderrabbi mit einem bunten Haufen von Jüngern und Jüngerinnen“ habe er sich weder als „Gott“ inszeniert, noch selbst als „Messias“ bezeichnet, sondern die „Reich-Gottes-Tradition“ des Volkes Israel aufgegriffen:
Johannes gibt mit den Ich-bin-Worten Jesu kein Selfie von Jesus wieder. Im Gegenteil. Wenn er Jesus sprechen lässt „ich bin der gute Hirte“ (Joh 10,11), dann steht dahinter die Erfahrung der ersten Gemeinschaften von Jüngern und Jüngerinnen, wie Jesus als Auferstandener in ihrer Mitte realisiert wird. Nicht als Terminator-Gestalt, der „tabula rasa“ macht mit denen, die nicht in eine bestimmte Linie passen, sondern einfühlsam hinhorchend, jeden und jede in der eigenen Existenz ernst nehmend.
Auch hinter Worten wie „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ stecke die Erfahrung der frühen Gemeinden, dass in der Verbundenheit mit Jesus Christus das Leben gelingen kann. Heidegger versucht, für die heutige Zeit solche „Je-suis-Worte“ Jesu zu formulieren:
Ich bin das Rettungsboot für die Flüchtlinge, die bei der lebensgefährlichen Fahrt über das Mittelmeer in Seenot geraten sind. Ich bin die Schülerin, die einer verzweifelten Mitschülerin Nachhilfe in Mathe gibt, damit sie das Klassenziel doch noch erreichen wird. (…)
Es gibt dann in der Nachfolge Jesu plötzlich die Abermillionen Varianten vom guten Hirten und jeden Tag wieder neu die Chance, die wirklich wichtigen Dinge des Lebens nicht sprichwörtlich auf die leichte Schulter zu nehmen, sondern bereit zu sein, Lasten zu schultern, wenn andere darunter stöhnen.
Ein guter Satz
Selig, die sich nicht verbieten lassen;
denn die Würde ist unendlich.
Selig, die wissen, dass sie Gottes Kinder sind;
ihnen kann Rom nichts anhaben.
- – Beatrice von Weizsäcker, CiG 16/2024