„You may say I’m a dreamer…“ – Vom Frieden träumen auf der re:publica
Auf der re:publica, der wichtigsten Konferenz zur digitalen Gesellschaft in Europa, von Gott sprechen? Pastorin Sara Burghoff aus Flensburg hat’s gemacht
Auf der re:publica geht es ums Internet, um die Digitalisierung unserer Lebenswelt, um Politik und Gesellschaft. Aber um Gott? Auf der re:publica 2022 vergangene Woche sprach Pastorin Sara Burghoff (@cat_rabbi) über den Frieden – und ihren Glauben.
Stell dir vor, alle Menschen würden in Frieden miteinander leben. Stell dir das doch doch einfach einmal vor…
Vor einem halben Jahrhundert träumte John Lennon genau das und vielleicht erscheint es dir naiv angesichts des Vietnamkrieges, der damals geführt wurde. Der hatte Millionen Menschen das Leben gekostet. Der eiserne Vorhang zog sich immer weiter zu und das atomare Wettrüsten gab den Menschen das Gefühl, auf einem Pulverfass zu sitzen. Und trotzdem oder vielleicht gerade deshalb hat John Lennon dieses Gedankenexperiment von einer friedvollen Welt gewagt. „Imagine all the people living life in peace.“ Statt Resignation also neue Hoffnung. Eben weil Sprache Wirklichkeit schafft und starken Visionen Taten folgen können, wenn eine:r nur fest daran glaubt.
Als Pastorin habe ich es auch mit starken Visionen und Bildern zu tun, die mich motivieren, meine tägliche Arbeit zu tun – also für Menschen da zu sein in schwierigen und schönen Lebenslagen. Es sind Visionen und Bilder, die Menschen über Jahrtausende entwickelt haben und die sie durch Höhen und Tiefen ihres Lebens, durch Kriege und Krisen hindurch getragen haben. Die Bibel ist voll davon – sie erzählt von menschlichen Erfahrungen mit Gott, von Hoffnung und von Zuversicht.
Vor allem aber erzählt sie von der Sehnsucht nach dem Paradies – einem ganz friedlichen Ort. und der wird auch sehr bildreich und für alle Sinne erfahrbar beschrieben: Es ist ein Ort, an dem Milch und Honig fließen, wo Schwerter zu Pflugscharen werden, Wölfe neben Lämmern weiden und Gerechtigkeit und Friede sich küssen. Ein Ort, wo kein Leid und keine Tränen mehr sein werden, wo Feind:innen zu Freund:innen werden und wo allen Geschlechtern die gleiche Würde und Wertschätzung zukommt und nicht unterschieden wird zwischen Sklav:innen und Freien, Christ:innen und Anders-Denkenden. Da wo jede:r spürt, dass er:sie ganz wunderbar gemacht ist mit allen Stärken und Schwächen und in aller Vielfalt.
Ein Ort, der ein einziger großer Safe Space ist, wo Menschen Annahme und Geborgenheit spüren statt Angst und Ungenügen. Die Sehnsucht nach so einem friedvollen Paradies durchzieht die biblischen Bücher und rahmt sie sogar ein. Das erste Buch beginnt damit und das letzte hört mit einer solchen Paradiesvorstellung auf. Ein Buch voller Bilder, ein Bilderbuch wenn man so will, und viele beschreiben den Frieden.
„Suche Frieden und jage ihm nach!“
Damit aber Frieden sein kann, muss Frieden erst Schritt für Schritt werden. Neben den starken Bildern und Visionen lese ich aus den biblischen Büchern auch eine Anleitung heraus, wie Frieden realisierbar ist. Nicht nur für die Machthabenden und Entscheidungsträger:innen, sondern für jede:n einzelnen von uns. Gern mag ich zum Beispiel die Aufforderung: „Suche Frieden und jage ihm nach!“, weil sie mich in die Verantwortung nimmt, selbst tätig zu werden. Und ich tue so gerne was, ich bin nicht gerne ohnmächtig.
Wie eine Jägerin dranzubleiben an diesem Vorhaben und mich für den Frieden einsetzen, im Großen und Kleinen, ist aber recht schwierig. Als Jugendliche habe ich mal die „Kleine Weltgeschichte für junge Leser“ von Ernst Gombrich gelesen. Vielleicht kennst du das auch, ein beeindruckendes und ganz spannendes Buch. Aber ich war beim Lesen ganz frustriert, weil auf jede Friedensperiode ein Krieg zu folgen schien. Aber Frieden ist mehr als der Zustand zwischen zwei Kriegen, ist kein Platzhalter und keine bloße Verschnaufpause. Vielmehr ein Prozess abnehmender Gewalt. Dem Frieden nachjagen bedeutet: Einsatzbereitschaft, Aufmerksamkeit und bisweilen auch Anstrengung und einen langen Atem.
Für mich persönlich kann dieses Nachjagen auch ganz still beginnen: z.B. mit einem Gebet. Denn im Gespräch mit Gott kann meine Perspektive sich ändern, mein begrenzter Horizont kann sich öffnen und mir neue Wege und Möglichkeiten aufzeigen. Und es kann mich stärken für diese Aufgabe, denn das Nachjagen verstehe ich immer auch ganz konkret: Wer soll den Frieden bringen, wenn nicht ich oder du und alle, die wir kennen?
„Christus hat niemanden auf Erden außer euch, keine Hände außer die euren, keine Füße außer die euren“, hat eine spanische Mystikerin einmal gesagt und so auf die Eigenverantwortung von Christ:innen hingewiesen. „Deine Augen sind es, durch die sein Erbarmen auf diese Welt blicken will. Deine Füße sind es, mit denen Er umhergehen will, um Gutes zu tun. Deine Hände sind es, mit denen Er die Menschen jetzt segnen will.“ Und deshalb: Suche Du den Frieden- und jage ihm nach!
Wie ein Senfkorn
Was kann ich aber tun, wenn mir angesichts der politischen Großwetterlage die Hände gebunden sind? Ein biblisches Bild ermutigt mich, holt mich heraus aus meiner Ohnmacht. Da ist ein Senfkorn, kaum sichtbar, das zu einem Baum heranwächst, in dem sogar die Vögel ihre Nester bauen können. Soll heißen: Frieden kann auch ganz klein beginnen und in der Folge viel Gutes hervorbringen. Im Alltag erlebe ich das immer wieder ganz konkret:
Vor einigen Jahren kam ich für mein Vikariat, d.h. für die praktische Ausbildung zur Pastorin nach Breitenfelde, einem kleinen Dorf an der B207. Als Berliner Großstadtpflanze war das ein ziemlicher Schock für mich, plötzlich an einem Ort zu sein, wo der Großteil der Schulkinder blond und blauäugig gewesen war, wo „Fremdenzimmer“ vermietet und pauschal von Ausländer:innen geredet wurde.
Und plötzlich kamen die ersten Geflüchteten. Eine Familie aus Syrien. Schnell fanden sich Menschen, die bereit waren, der Familie unter die Arme zu greifen, damit sie sich schnell heimisch fühlen und Frieden finden konnte. Dieses Bemühen um eine friedvolle Existenz der Familie war es schließlich, die eines Abends dazu führte, dass zwei Männer, die sich eigentlich spinnefeind waren, sich miteinander verabredeten, um der Familie eine Lampe anzubringen. Die beiden gehörten verschiedenen politischen Parteien an und waren einmal vor Jahren im Streit auseinander gegangen. Nun waren sie beide da, und fanden durch den Einsatz für die gemeinsame sinnvolle Sache wieder zusammen. Die beiden redeten plötzlich wieder miteinander – nach so vielen Jahren. Eine heilsame Aussprache, auf die letztlich die Gründung eines ortsinternen Netzwerkes fußte, das künftig die Neuankömmlinge im Dorf begleiten sollte.
Vor einigen Tagen erst hat die Familie ihre Einbürgerungsbescheide erhalten. „Wir haben hier in Deutschland unseren Frieden gefunden.“ Ein Frieden, der weite Kreise gezogen hat, der als Senfkorn begonnen hat und nun seine Blüten hervorbringt. Eine kleine Anekdote, die mir zeigt, dass man groß träumen kann und diese Träume wahr werden können, auch wenn man ganz klein beginnt.
„Selig, die Frieden stiften“
„Selig sind, die Frieden stiften“, soll Jesus mal gesagt haben. Und er meint eben die, die den langen Weg gehen, der vor uns liegt und mit kleinen Schritten beginnen in der Hoffnung, dass daraus große werden können und alle den Weg irgendwann mitgehen. Schritt für Schritt ins Paradies. „You may say I am a dreamer“, singt John Lennon, „but I am not the only one. I hope some day you will join us. And the world will live as one.“
Worte aus dem Song „Imagine“, die ich am liebsten in Leuchtschrift in mein Gefühlsdunkel hineinschreiben würde. Mit dem ermutigenden Gedanken, dass eine kleine Glühbirne dieser Leuchtschrift von den zwei Männern aus Breitenfelde angebracht wurde.
„You may say I am a dreamer „but I am not the only one. I hope some day you will join us. And the world will live as one.“ Ich wünsche mir, dass wir mit dem Träumen vom Frieden nicht aufhören, es weiterführen oder wieder damit anfangen. Stell dir also mal vor, alle Menschen würden zusammenkommen und in Frieden miteinander leben. Stell dir das doch nur einmal vor …
Sara Burghoffs Impuls auf der re:publica 2022:
Sara Burghoff im Gespräch mit Ingo Dachwitz (@roofjoke) von netzpolitik.org:
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