Foto im Hintergrund: Ibrahim Boran (Unsplash)
Kolumne Tipping Point

Und Zachäus macht mit: Für eine gerechte Umverteilung

Ohne eine gerechte Umverteilung können wir in den Kippunkten unserer Zeit nicht bestehen. Umverteilung sorgt für Klimagerechtigkeit und schützt die Demokratie, erklärt Tobias Foß.

Ein neues Jahr beginnt, doch alte Schieflagen bleiben. Das gilt für das Versäumen der Politik, große Schritte zu gehen, um die Klimakataststrophe abzumildern. Das gilt auch in Anbetracht der verschärften sozialen Spannungen.

Die Ungleichheit zwischen arm und reich wächst weltweit. Oxfam, ein internationaler Zusammenschluss verschiedener Entwicklungsnetzwerke, kommt zum Ergebnis: „Insgesamt besitzt das reichste Prozent der Weltbevölkerung 45,6 Prozent des weltweiten Vermögens und die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung nur 0,75 Prozent.“ Der sogenannte „Trickle-Down-Effekt“ will sich einfach nicht einstellen. Der Reichtum der Reichen rieselt nicht hinunter in die restlichen Bevölkerungsschichten, sodass es allen gutgeht.

Oxfam stellt fest: „Zum ersten Mal seit 25 Jahren haben extremer Reichtum und extreme Armut gleichzeitig stark zugenommen. Im Jahr 2020 wurden über 70 Millionen Menschen zusätzlich in die extreme Armut gedrängt und müssen mit weniger als 2,15 US-Dollar pro Tag auskommen.“ Das erklärte Ziel der Agenda 2030 – extreme Armut soll bis 2030 überwunden sein – wird nicht erreicht werden können.

Armut in Deutschland

Doch nicht nur weltweit, sondern auch in Deutschland wächst die Ungleichheit. „Das reichste Prozent der Bevölkerung vereint rund 35% […] des Vermögens auf sich.“ (Joachim Nischoff/ Bernhard Müller, in: „Soziale Kipppunkte“) Das ZDF stellt fest: „Anfang der 1990er Jahre war das durchschnittliche Vermögen der reichsten zehn Prozent 50 Mal höher als das der ärmeren Hälfte, inzwischen ist es das 100-fache. Schätzungen zufolge besitzen die Reichen mehr als die Hälfte des Vermögens. Der Anteil der ärmeren Hälfte der Bevölkerung hingegen ist in den letzten 30 Jahren so gut wie gar nicht gewachsen.“

Dabei ist nicht nur eine finanzielle Spreizung zu konstatieren, sondern vor allem eine drastische Zunahme der Armut. Für Deutschland wird dies mit dem Analyseinstrument der relativen Armut gemessen: Wer einen Verdienst unter den 60% des mittleren Einkommens hat, gilt als arm. Dass damit gravierende soziale Probleme einhergehen, liegt auf der Hand.

Wer unter den 60% liegt, ist „so weit ‚von der gesellschaftlichen Mitte‘ oder ‚von bürgerlicher Respektabilität‘ entfernt, dass er als arm gilt. Das Einkommen reicht nicht aus, um an den ‚üblichen‘ sozialen Aktivitäten teilzunehmen. Sei es, mit Freunden oder Bekannten Essen zu gehen oder die Kinder an der gewünschten Ferienfreizeit teilnehmen zu lassen“, stellt die Hans-Böckler-Stiftung fest.

Laut paritätischem Armutsbericht 2022 (PDF, aktualisiert im März 2023) hat die Armut von Kindern mit 21,3 Prozent ein Rekordniveau in Deutschland erreicht. Jedes fünfte Kind wächst in Armut auf. In Halle an der Saale – der Stadt, in der ich lebe und arbeite – sind 26% der Kinder armutsgefährdet. Bei den älteren Bürger*innen gibt es ebenso große Armutsgefahren: Fast ein Viertel der über 80-Jährigen lebt in Altersarmut. Auch das frisch eingeführte Bürgergeld bewahrt nicht vor Armut. Dazu müsste der Regelsatz wahrscheinlich auf 678 Euro steigen.

Die Grenzen zwischen reicheren und ärmeren Schichten erhärten sich. Der Mythos „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ bleibt eine sagenhafte Geschichte – die Wirklichkeit sieht ganz anders aus: Wer arm ist bleibt tendenziell arm und wer reich ist, bleibt reich. Der Reichtum der Milliardäre begründet sich laut neuesten Studien insbesondere auf Vererbungen. Ein Kreislauf der sich immer weiter dreht. Inflation und Teuerungen treiben hingegen für prekäre Haushalte immer weitere Negativspiralen voran. Nur eine Pressemitteilung des statistischen Bundesamtes: „5,5 Millionen Menschen konnten 2022 ihre Wohnung nicht angemessen heizen.“

Die gegenwärtigen multiplen Krisen und Kipppunkte spüren die Schwächsten in unserer Gesellschaft am stärksten – daher die Forderung von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD): „Sie müssen auch die stärkste Unterstützung bekommen.“ Doch wie ist das zu erreichen?

Ein gerechte Besteuerung

Zahlreiche Wohlfahrtsverbände und soziale Netzwerke fordern eine Politik, die eine Umverteilung des Vermögens zum Ziel hat. Selbst die sogenannten Wirtschaftsweisen haben bereits vor über einem Jahr einen Energie-Soli für Besserverdienende und eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes gefordert – Umverteilungen, für die schon lange die Gruppe der Alternativen Wirtschaftspolitik plädiert hat.

Der Spitzensteuersatz ist in den letzten Jahrzenten immer weiter gesunken. Eine Entwicklung, die sich wenig um Ausgleich müht. Erst ab einem Einkommen von 66.760 Euro greift mit 42% die Spitzensteuer. Im Jahr 2000 lag der Spitzensteuersatz noch bei 51%.

Eine weitere Möglichkeit für eine gerechte Umverteilung ist zum Beispiel die Vermögensabgabe. Bereits 1952 wurde eine solche Abgabe unter der Regierung von Konrad Adenauer (CDU) eingeführt. Die Wiederaufbaukosten in der Nachkriegszeit wurden auf die vorhandenen Vermögen verteilt. Eine einmalige Vermögensabgabe wäre in der Geschichte der Bundesrepublik nichts Neues. Es gibt Konzepte, wie das der Partei DIE LINKE, die die Vermögensabgabe ab einem privaten Nettovermögen von zwei Millionen bzw. ab einem Betriebsvermögen von fünf Millionen ansetzen würden.

Ein weiterer Hebel wäre eine Vermögenssteuer. Sie wurde von 1926 bis 1996 in Deutschland erhoben. 1995 hat das Bundesverfassungsgericht bemängelt, dass Immobilien bei der Besteuerung eine Bevorzugung bekommen. Die Regierung unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) hat diese Mängel nicht beseitigen wollen und strebte keine Reform an. Sie hat die Steuer einfach fallen gelassen. Dabei gibt es Möglichkeiten:

Eine Vermögenssteuer bezieht sich zunächst auf Privatvermögen. Durch hohe Freibeträge, werden nur sehr hohe Vermögen besteuert. Es gibt Modelle in denen etwa das private Einfamilienhaus oder private Altersvermögen ausgenommen und nicht gezählt werden. Betriebsvermögen könnten extra behandelt und steuerlich bevorzugt werden, da durch sie potentiell Wohlstand für die Gesellschaft entstehen kann. Die Gewerkschaft Verdi fordert eine Vermögenssteuer und hat eine informative Übersicht aufgestellt – eine Darstellung, die ich sehr empfehlen kann.

Um die sozio-ökologische Transformation gerecht zu gestalten, sind faire Besteuerungen für Reiche und insbesondere Superreiche nötig. Für arme Menschen muss ein würdevolles Leben, ein gerechter Mindestlohn, ein Ausbau der Tarifgeltungen, eine Erhöhung des Bürgergeldes usw. greifen. Die wachsende Ungleichheit gefährdet nicht zuletzt die Demokratie, wie der Armutsforscher Christoph Butterwegge immer wieder betont. Eine gerechte Umverteilung hingegen fördert demokratische Strukturen und setzt die Bestimmung des Grundgesetzes um: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ (Artikel 14 Absatz 2 GG) Gleichzeitig werden diejenigen zur Kasse gebeten, die auch einen viel größeren ökologischen Fußabdruck haben:

„Die unteren 50% der Einkommens- und Vermögensgruppen in Europa und Nordamerika haben Werte erreicht, die sich denen der Pariser Klimaziele für 2030 in etwa annähern oder ihnen gar entsprechen. Die wohlhabendsten 1% emittieren hingegen 2019 26% mehr als vor 30 Jahren, die reichsten 0,01% gar 80% mehr.“ (Klaus Dörre, in „Ökosozialismus oder Barbarei“)

Eine gerechte Vermögensverteilung bedeutet demnach Klimaschutz und befördert Klimagerechtigkeit – ein Zusammenhang, der jedoch bei der jetzigen Regierung (allen voran der FDP) ausgeblendet wird.

Und die Kirchen machen mit: Die Zachäuskampagne

Die Kirchen sprechen sich durchaus für eine gerechte Umverteilung aus. Am 11. Juni 2019 startete die „New International Financial and Economic Architecture Initiative” (NIFEA), eine Initiative des Lutherischen Weltbundes, der Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen, des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK, sog. Weltkirchenrat) sowie des Weltmissionsrates – die sogenannte „Zachäus-Kampagne“. Der Name spielt auf den biblischen Zachäus an. Wie stark Armut und Hunger zu Zeiten Jesu vorherrschte, stellt Luzia Sutter-Rehmann in ihrem Buch „Wut im Bauch – Hunger im Neuen Testament“ dar (Gespräch mit der Autorin beim SRF, Audio). Das Buch ist nun auch schon zehn Jahre alt.

Mitten in Jesu Zeit agierte Zachäus als Zöllner, der hohe Summen von den Bewohner*innen einkassierte, während die meisten von ihnen kaum Geld hatten, um ihre Familien zu versorgen. Der Reichtum der einen gründet sich auf die Armut der anderen. Und genau diese Verhältnisse lassen sich gegenwärtig in einzelnen Nationalstaaten und auch weltweit (Nord-Süd-Gefälle und postkoloniale Abhängigkeitsstrukturen) weiterhin beobachten. Ähnlich wie Zachäus die Hälfte seines Besitzes abgibt und das Vierfache denen, die er betrog, so sollen auch reiche Menschen und reiche Staaten Geld abgeben. Gefordert wird ein nationales und insbesondere ein weltweit gerechtes Besteuerungssystem. Eine Forderung, die etwa der Wirtschaftswissenschaftler Thomas Piketty ebenso teilt. Es geht um die Überwindung von Steuerungerechtigkeit, die soziale, ökologische und entwicklungspolitische Ungleichheit verschärft.

Für die oben beschriebenen Maßnahmen setzt sich die Zachäus-Kampagne ein und wird in Deutschland vom Netzwerk „Kairos Europa“ verantwortet. Regelmäßige Treffen und Vernetzungen finden statt. Es ist wichtig, dass sich Kirchen in diese Richtung des sozialen Ausgleichs engagieren, was aber immer eine deutliche Kritik an neoliberalen Eskalationen umfasst. Es geht eben nicht um einen schlanken Staat, der die Wirtschaft schalten und walten lässt, wie sie will. Selbst auf der Seite der „Superreichen“ werden solche Stimmen laut: „Die Zeit ist gekommen – besteuert uns mehr!“. Wir brauchen eine stärkere Steuerung und einen stärkeren Ausgleich – beides ist hoch theologisch.

Die biblischen Bücher präsentieren einen Gesellschaftsentwurf, der von Freiheit und Gleichheit geprägt ist. Die biblischen Autor*innen und Akteur*innen treten parteilich für die Randständigen ein und brechen mit der Logik einseitiger Privilegiensysteme. Daher ist es nur folgerichtig, dass die Zachäus-Kampagne implementiert worden ist. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Kirche im Jahr 2024 viel stärker vernetzt mit Organisationen, Gewerkschaften und gar parteipolitischen Programmen, die für eine gerechtere Gesellschaft agieren und auf den sozialen Ausgleich setzen.

Auch für das neue Jahr bleibt die christlich fundierte Aufgabe und Frage bestehen: „Warum sollten wir akzeptieren, dass das derzeitige sozioökonomische System – Wohlstand für höchstens 30% der Menschen und Ausgrenzung, Ausbeutung und ein brutales, hässliches und kurzes Leben für den Rest – das Beste ist, was die Menschheit erschaffen kann?“ (Joachim Bischoff:  „Kapitalismus-Defekte im 21. Jahrhundert & Systemalternativen“) In dieser herausfordernden Frage, die uns zum Handeln treibt, sind wir aufgrund der christlichen Hoffnung nicht allein – auch nicht im Jahr 2024.


Kolumne „Tipping Point“

In unserer Kolumne „Tipping Point“ schreibt Tobias Foß über die sozial-ökologische Transformation. Welchen Beitrag können Christ:innen und Kirchen leisten? Welche Probleme müssen bewältigt werden? Welche Kipppunkte gilt es in Theologie und Glaubensleben wahrzunehmen?

Mit „Tipping Point“ wollen wir in der Eule an Fragestellungen im Licht der Klimakrise dranbleiben. Dabei stehen nicht allein Klima- und Umweltschutz im Zentrum, sondern auch die Auswirkungen von Klimawandel und Umweltzerstörung auf unser Zusammenleben. Die Klimakrise verändert schon jetzt unsere Gesellschaft(en). In „Tipping Point“ geht Tobias Foß diesen Veränderungen auf den Grund und beschreibt Ressourcen und neue Wege.

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