Der Kampf gegen die „Christianophobie“

Die christliche Rechte behauptet, in Europa stünde die Religionsfreiheit von Christen auf dem Spiel. In Polen wird mit Unterstützung der PiS an der „Wissenschaft“ hinter dieser These gearbeitet – mit Auswirkungen auch auf Deutschland.

Es war ein unscheinbarer Pressetermin, zu dem Polens damaliger Bildungsminister Przemysław Czarnek (PiS) im Februar 2021 einlud. Nur wenige Monate waren seit dem Beginn der Massenproteste gegen das polnische De-Facto-Abtreibungsverbot verstrichen, bei denen Demonstrant*innen auch die politische Macht der katholischen Kirche im Land kritisierten. Czarnek erwähnte diese Ereignisse bei der kleinen Runde in Warschau jedoch nicht. An diesem Tag sollte es allein um das neue Uniwersyteckie Centrum Badań Wolności Religijnej (deutsch: Universitätsforschungszentrum für Religionsfreiheit) der staatlichen, katholischen Kardinal-Stefan-Wyszyński-Universität gehen.

Das Zentrum soll, so kündigte es die Universität an, die Religionsfreiheit in Europa untersuchen. Doch schon beim Pressetermin wird klar, dass der Fokus auf einem ganz besonderen Phänomen ruht: dem der „Christianophobie“. Denn, so warnte der Bildungsminister in das Mikrofon, dieses Phänomen habe Polen bereits erreicht: Es handele sich um „eine Phobie gegen Gläubige, eine Diskriminierung von Menschen, die den katholischen Katechismus zitieren“. Das müsse bekämpft werden.

Diskriminierung von Katholik*innen in Polen? Schwer vorstellbar in einem Land, in dem über 90 Prozent der Bevölkerung katholisch sind und die Verfassung das christliche Erbe der Nation beschwört. Spätestens seit den Wahlen 2015 existierte zudem eine direkte Allianz zwischen der Regierung unter der rechtsnationalen PiS (Prawo i Sprawiedliwość, deutsch: Recht und Gerechtigkeit) und der katholischen Kirche. Deutlich wurde das nicht zuletzt nach dem damaligen Wahlsieg durch die Aussage des PiS-Vorsitzenden Jarosław Kaczyński: „Die gegen die Kirche erhobene Hand ist die gegen Polen erhobene Hand!”

Ideologie mit staatlicher Unterstützung

Gegründet wurde das Universitätszentrum in Warschau auf Initiative des polnischen Ministeriums für Bildung und Wissenschaft. Dieses finanzierte das Zentrum zuerst mit 1,5 Million Złoty (etwa 325.000 Euro), im März 2023 erhielt es dem polnischen Internetportal Onet zufolge weitere 7,5 Millionen Złoty (etwa 1.623.000 Euro), ohne öffentliche Ausschreibung und Wettbewerb. Kritische Fragen zur Vergabe dieser Gelder ließen sowohl das Bildungsministerium als auch das Universitätszentrum im August 2023 unbeantwortet.

Noch trete das Phänomen „Christianophobie“ in Europa auf „weiche“ Weise auf, hieß es dann in dem ersten veröffentlichten Informationsblatt des Zentrums. Gemeint seien unter anderem „Spott über Heiliges“, der „Ausschluss aufgrund (traditioneller) religiöser Überzeugungen“ oder die „Legalisierung von Blasphemie in einigen Ländern“. Und natürlich der „Vandalismus an Sakralbauten“, der tatsächlich vereinzelt während der Massenproteste gegen das Abtreibungsgesetz verübt wurde. „Globalisierungsprozesse” oder „Migration“ sind dem Informationsblatt des Universitätszentrums zufolge die größten Herausforderungen für die Bewahrung der Religionsfreiheit.

Eine eindeutige Definition des Begriffs „Christianophobie“ existiert in der Wissenschaft bislang aber nicht. Der französische Politikwissenschaftler Jean-Yves Camus erklärte 2011 in einem Interview mit dem Portal Nonfiction.fr, dass es sich bei dem Begriff um einen Neologismus handele, inspiriert durch Schlagworte wie „Islamophobie“ und „Judeophobie“. Der Begriff wurde, so Camus, von traditionalistischen katholischen Kreisen verwendet, weil sie ihre (Mehrheits-) Religion als Opfer von Diskriminierung gesehen hätten. Der Begriff „Christianophobie“ fand daraufhin in internationalen Diskursen Verwendung, unter anderem in einem Grußwort Papst Benedikts XVI. an das Diplomatische Corps 2011.

Ungeachtet dessen ist der Begriff „Phobie“ bei feindlichen Einstellungen, Diskriminierung oder Verfolgung aufgrund der pathologisierenden Implikation kritisch zu betrachten. Laut dem Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber legt eine solche Verwendung „irreführend nahe, dass es sich bei den Einstellungen nur um übertriebene Angstgefühle handele und nicht um folgenreiche Ressentiments“. Hinzu kommt, dass es bislang keine verlässlichen Zahlen zu verfolgten oder diskriminierten Christ*innen aufgrund der Religionszugehörigkeit gibt. Die Grundlagen der wissenschaftlichen Arbeit am Forschungszentrum sind also bestenfalls wackelig.

Gut vernetzt mit rechten und katholischen Partnern

Welche Früchte hat die Arbeit des Forschungszentrums in den vergangenen Jahren getragen? Auf der Website findet man unter „Forschung“ unter anderem eine repräsentative Studie zum Thema „Antikatholizismus“ in Polen. Insgesamt 33 Publikationen wurden online im Namen des Zentrums veröffentlicht, darunter „Johannes Paul II. In Afrika“, „Die Bibliothek der angewandten Theologie“ oder „Über das Konzept der Religionsfreiheit“. Zudem wird in dem bereits erwähnten Informationsblatt auf nationale und internationale Kooperationspartner*innen verwiesen. Dazu zählen zum Beispiel der katholische Jugendverband in Polen, aber auch (nicht genauer benannte) Forschungszentren in den USA, eine Universität in Budapest, oder die Päpstliche Theologische Fakultät St. Bonaventura in Rom.

Einer der nationalen Partner ist das Labor für Religionsfreiheit (polnisch: Laboratorium Wolności Religjnej). Für 2019 und 2020 hat dieses Medienberichte über vermeintliche Angriffe auf die Religionsfreiheit in Polen protokolliert. Häufig handelte es sich dabei um Vandalismus an Kirchen und auf Friedhöfen oder um Diebstahl von Opferstock-Spenden. Auffällig ist außerdem, dass das Labor für Religionsfreiheit zahlreiche Proteste gegen das De Facto-Abtreibungsverbot als anti-christliche Hassverbrechen eingestuft hat. Fast nie ist allerdings eine explizit christenfeindliche Motivation der Täter*innen zu finden. Finanziert wurde das Ganze durch einen Fonds des damaligen Justizministers, Zbigniew Ziobro (Suwerenna Polska).

Auch mit der nationalistischen Reduta Dobrego Imienia (deutsch: Festung des guten Namens) kooperiert das Universitätszentrum. Die NGO setzte sich unter anderem für das umstrittene „Holocaust-Gesetz“ ein und erhielt im Jahr 2017 rund 65.000 Euro vom polnischen Außenministerium, um vermeintlich anti-polnische Aussagen in ausländischen Medien zu melden. Dokumentiert will die Reduta unter anderem haben, dass polnischer Honig als ein „Feind“ in einer US-Dokumentation präsentiert wurde. Maciej Świrski, der Gründer der NGO, ist mittlerweile Vorsitzender des Nationalen Rundfunkrates.

Das Universitätszentrum arbeitet zudem mit dem einflussreichen Think Tank Ordo Iuris zusammen. Die Jurist*innen des Think Tanks hatten unter anderem bereits im Jahr 2016 einen Abtreibungsverbot-Entwurf verfasst, zwei Richter des Obersten Gerichtshofs hat Ordo Iuris hervorgebracht. Und auch hier ist ein ähnliches Rezept zu finden: Eine rechts-katholische Organisation, die den öffentlichen Diskurs mitbestimmen möchte und Gelder von der PiS-Regierung erhielt (unter anderem 400.000 Złoty von Bildungsminister Czarnek für die Privat-Universität des Think Tanks). Klaudia Hanisch, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung, beschreibt Ordo Iuris als „fundamentalkatholische Juristen im Kampf um Deutungshoheit“.

Gute Verbindungen nach Deutschland

Der wichtigste Kooperationspartner des Universitätszentrums ist jedoch das pastorale Hilfswerk Kirche in Not. Das erscheint wenig verwunderlich: Der Leiter des Universitätszentrums, Waldemar Cisło, ist auch Direktor der polnischen Zentrale von Kirche in Not. Der katholische Priester wurde 2000 durch Erzbischof Józef Życiński, den damaligen Metropoliten von Lublin, beauftragt, die polnische Zentrale zu organisieren. Cisło ist auch als Autor tätig: In seinem Buch „Flüchtlinge vor den Toren“ beschwor er 2017 eindringlich die Gefahr der sogenannten Flüchtlingskrise für europäische Christ*innen.

Die internationale Zentrale von Kirche in Not hat ihren Sitz in Königstein im Taunus. Sie veröffentlicht, ähnlich wie die evangelikale Organisation OpenDoors (s. hier in der Eule), im Zwei-Jahres-Turnus einen Bericht über (christliche) Religionsfreiheit und deren globale Entwicklungen. Hier wird auch außerhalb Polens sichtbar, dass „Christianopobie“ – oder vielmehr die Behauptung dieser – in Europa verbreitet ist: Neben Texten über verfolgte Christ*innen in Nigeria und Syrien wird seit 2021 vor den (politischen) Entwicklungen für Gläubige in Europa gewarnt. Sexualkunde-Unterricht, „equality“ oder „hate crime legislation“ seien Marker dieses vermeintlich gefährlichen Trends.

Erwähnt wird ein Fall in Österreich, dokumentiert von der österreichischen Beobachtungsstelle für Intoleranz gegenüber und Diskriminierung von Christen in Europa (OIDAC). In dem Beispiel wird geschildert, dass ein obdachloser Mann einen Küster attackierte, weil dieser ihm kein Geld gegeben hatte. Erneut wird deutlich, dass eine religionsfeindliche Motivation in diesem – von dem Gespenst der europäischen „Christianophobie“ verfolgten – Netzwerk nicht notwendig zu sein scheint, um als religionsfeindlich eingestuft zu werden. Die OIDAC selbst ist eine NGO, die 2008 von der ÖVP-Nationalrätin Gudrun Kugler initiiert wurde und eigenen Angaben zufolge ebenfalls Diskriminierungen von Christ*innen in Europa aufzeichnet. Kugler ist inzwischen als Aktivistin der christlichen Rechten in Europa bekannt: Sie hatte Verbindungen zu CitizenGo und demonstrierte gemeinsam mit Rechtsextremen wie Martin Sellner auf dem „Marsch für das Leben“ 2022 in Innsbruck.

Auch das juristische Nachspiel für die finnische Politikerin Päivi Räsänen aufgrund eines homophoben Tweets wird von OIDAC und Kirche in Not als anti-christlich gewertet. Somit ist es wenig verwunderlich, dass die Medienpräsenz des deutschen Kirche in Not-Senders Katholisch TV immer wieder durch teils reaktionäre und homophobe Inhalte auffällt. Mit der Leitung der beiden großen Kirchen in Deutschland hat das Hilfswerk allerdings kaum etwas zu tun: Anders als in Polen besteht die Führung des deutschen Zweiges ausschließlich aus Lai*innen.

In den Sendungen von Kirche in Not, die auch auf YouTube verbreitet werden, sind jedoch gelegentlich auch deutsche katholische Bischöfe wie Rudolf Voderholzer (Regensburg) und Bertram Meier (Augsburg) aufgetreten. Der als Verschwörungsideologe bekannte Weihbischof von Astana (Kasachstan), Athanasius Schneider, vertrat in Sendungen des Vereins seine Thesen von der Verschwörung durch Freimaurer und sein traditionalistisches katholisches Programm.

Anlass zur Entwarnung?

In Polen besteht ein erzkatholisch-nationalistisches Netzwerk, das teils von Ministerien finanziert wurde und über die Landesgrenzen hinaus Verbindungen knüpft. Es ist durch Akteur*innen mit ähnlichen Initiativen in anderen europäischen Ländern verknüpft und somit Teil der christlichen Rechten in Europa, wie sie z.B. von der Religionssoziologin Kristina Stoeckl beschrieben wird. Hat die PiS-Regierung mit den gut finanzierten „Christianophobie“-Warnrufen eine (wissenschaftliche) Legitimation ihrer Politik angestrebt? Wollte sie so nach Wählerstimmen fischen?

Ein gewisses messianisches Narrativ kristallisierte sich zumindest heraus: Der sakralisierte Staat unter der PiS-Regierung sollte Europa, die katholische Kirche, die polnische Bevölkerung und deren vermeintlich christlich-konservativen Werte vor klar gekennzeichneten Feind*innen wie Migrant*innen, Frauenrechtler*innen oder säkularen EU-Gesetzen schützen. So ähnlich beschreibt es die Politikwissenschaftlerin Joanna Kulska. Sie verweist jedoch auch darauf, dass diese Form der Identitätspolitik bei der jungen Generation in Polen anscheinend keinen Erfolg mehr hat.

Der Plan der PiS ist vorerst nicht aufgegangen: Im Oktober 2023 verfehlte die Partei bei den Parlamentswahlen die absolute Mehrheit. Die neue Regierung unter Ministerpräsident Donald Tusk (Platforma Obywatelska, deutsch: Bürgerplattform) versucht seitdem, mühsam zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren. Das Parlament verhandelt dieser Tage über eine Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes. Aber wie ist es um die Zukunft des Warschauer Universitätszentrums bestellt? Eine Anfrage für Die Eule, ob das Zentrum auch in Zukunft finanziert wird, ignorierte das polnische Bildungsministerium. Ein Blick auf die Website des Zentrums scheint aber einen entscheidenden Hinweis zu liefern: Seit Ende des vergangenen Jahres wurden dort weder Konferenzberichte noch Publikationen veröffentlicht.


Alle Eule-Artikel zum Thema „Christliche Rechte“.


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