Interview Kirchliches Arbeitsrecht

„Der Dritte Weg ist wirklich demokratisch“

Arbeitskampf und Streiks sind an kirchlichen und diakonischen Einrichtungen untersagt. In Weimar streiten sich die Gewerkschaft Verdi und ein Diakonie-Krankenhaus über das kirchliche Arbeitsrecht.

Das Sophien- und Hufeland-Klinikum in Weimar steht im Mittelpunkt eines Streits zwischen der Gewerkschaft Verdi und der Diakonie: Verdi will auch an dem Klinikum in kirchlicher Trägerschaft streiken dürfen. Die Diakonie wehrt sich dagegen vor Gericht, eine Güteverhandlung findet am 30. August statt. Gegen einen Warnstreik, der für den 1. August geplant war, haben die Klinikleitung, die Diakonie Mitteldeutschland und die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland (EKM) eine einstweilige Verfügung erwirkt. Der Streik hat nicht stattgefunden.


Eule: Frau von Witten, sie klagen vor dem Arbeitsgericht in Erfurt gegen die Gewerkschaft Verdi, sie solle es unterlassen, „ihre Mitglieder und andere Arbeitnehmende zu Streiks oder anderen Arbeitskampfmaßnahmen“ am Sophien- und Hufeland-Klinikum aufzurufen. Warum ist diese Klage aus Ihrer Perspektive nötig?

Von Witten: Am Klinikum in Weimar stellt sich die Situation so dar, dass die Gewerkschaft schon seit einiger Zeit zu Tarifverhandlungen auffordert. Im Juni wurde eine „aktive Pause“ durchgeführt. Dabei wurden Forderungen übergeben, die noch über den Umfang des Tarifabschlusses im öffentlichen Dienst hinausgehen. Die Situation hat sich dann aber weiter zugespitzt, so dass wir eine Klage eingereicht haben: Verdi soll die Durchführung und Organisation und den Aufruf zu Streiks, Warnstreiks oder anderen Formen des Arbeitskampfs am Klinikum unterlassen, denn am Sophien- und Hufeland-Klinikum werden die Arbeitsbedingungen nach kirchlichem Arbeitsrecht auf dem „Dritten Weg“ zwischen Dienstgeber- und Dienstnehmervertreter:innen verhandelt. Darum geht es dann im Hauptsacheverfahren.

Trotz dieses schwebenden Verfahrens hat Verdi zu einem Warnstreik zum 1. August aufgerufen. Um diesen Warnstreik abzuwenden, den wir für rechtswidrig halten, haben wir einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gestellt. Das Gericht hat daraufhin den Warnstreik für rechtswidrig erklärt. Dagegen ist Verdi in Widerspruch gegangen. Die mündliche Verhandlung war für den 2. August vorgesehen. Aufgrund des Zeitablaufs wurde durch die Parteien übereinstimmend Erledigung erklärt.

Eule: Verdi gibt an, dass sich am Klinikum 370 Mitglieder in der Gewerkschaft organisiert haben. Deshalb habe man ein Mandat für Tarifverhandlungen „auf Augenhöhe“. Sie sind der Überzeugung, diese Augenhöhe gerade durch den „Dritten Weg“ sicherzustellen. Dieser Konflikt zwischen Kirchen und Gewerkschaften ist lange bekannt. Warum ist gerade das Sophien- und Hufeland-Klinikum jetzt Schauplatz dieser Auseinandersetzung?

Von Witten: Wir fragen uns das auch. Es hat lange Zeit keinen Streikversuch in der diakonischen Landschaft gegeben.

Eule: Ist es typisch für die diakonischen Einrichtungen in der Region, dass so viele Mitarbeiter:innen Mitglied in einer Gewerkschaft sind? Sind die Mitarbeiter:innen am Klinikum besonders unzufrieden?

Von Witten: Nein, das ist eher untypisch. Mir ist jedenfalls keine andere Einrichtung bekannt, in der so viele Mitarbeiter:innen sich gewerkschaftlich organisieren haben. Das kirchliche Arbeitsrecht wird in einer paritätisch besetzten Arbeitsrechtlichen Kommission von Dienstgebern und Dienstnehmern gestaltet. Dabei gibt es natürlich immer wieder unterschiedliche Ansichten darüber, wie hoch zum Beispiel Lohnsteigerungen sein sollen, wie hoch eine Inflationsausgleichsprämie ausfallen soll, wie viele Tage Urlaub verabredet werden. An diesem Verfahren kann auch die Gewerkschaft Verdi mitwirken, indem sie einen Vertreter in die Arbeitsrechtliche Kommission entsendet. Dazu ist die Gewerkschaft berechtigt, nimmt diese Möglichkeit aber bisher nicht wahr. Die Kommission hat in den vergangenen Jahren wirklich gut gearbeitet und offene Punkte aus der Vergangenheit aufgearbeitet.

Eule: Sie halten die Verdi-Forderungen für überzogen?

Von Witten: Wir hatten zuletzt Lohnsteigerungen von 5,9 % (2023) und 4,9 % (2024) und im nächsten Jahr wird es noch einmal 5,4 % mehr Lohn plus einen Tag mehr Urlaub geben, dann also insgesamt 31 Tage im Jahr. Andere Verdi-Forderungen, wie zum Beispiel den arbeitsfreien 24. Dezember und 31. Dezember, sind in unseren Regelungen schon längst umgesetzt. Wir haben auch die Arbeitszeit auf eine 39-Stunden-Woche reduziert. Es ist sehr verwunderlich, dass gerade jetzt, da diese großen Anpassungen und Steigerungen umgesetzt werden, Streikforderungen am Klinikum gestellt werden.

Eule: Verdi beklagt, dass die Klinik sich Sonderrechte als kirchlicher Arbeitgeber herausnimmt, aber im Alltag so wie jedes andere Unternehmen agiert. Kritisiert wird zum Beispiel die Ausgliederung der Essensversorgung und der Reinigung in Subunternehmen. Für diese Unternehmen macht dann die Arbeitsrechtliche Kommission auch nicht mehr die Lohnabschlüsse.

Von Witten: Ausgegliederte oder andere Unternehmen müssen sich an die dort geltenden tarifrechtlichen Bestimmungen halten. Das wird selbstverständlich auch getan. Der Streikaufruf von Verdi zielte aber auf das Klinikum und auf die Arbeitsbedingungen dort ab. Das Krankenhaus ist Mitglied bei der Diakonie Mitteldeutschland, alle Gesellschafter des Klinikums sind kirchlich-diakonische Träger. Von daher kann ich die Kritik nicht nachvollziehen.

Eule: Sind denn am Klinikum langjährige Beschäftigte und Hilfskräfte schlechter gestellt, wie von Verdi kritisiert?

Von Witten: Damit ist wohl gemeint, dass der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) mehr Stufen kennt als das kirchlich-diakonische Arbeitsrecht (AVR). Das heißt, ab einer gewissen Dauer der Betriebszugehörigkeit können Mitarbeiter:innen im Lohnniveau nicht weiter aufsteigen. Zum Gesamtbild gehört aber auch, dass die AVR für Berufseinsteiger:innen günstiger ausfällt als der TVöD.

Weitere Besonderheiten wie die Kinderzulage bei kirchlichen Dienstgebern werden selten mit in den Blick genommen. Wenn Sie zum Beispiel zwei Kinder haben, bekommen sie ca. 250 € mehr im Monat. Auch unsere Renten-Zusatzversorgung wird nicht mit bewertet. All das macht einen allgemeinen Vergleich sehr schwer. In Einzelfällen wird man immer Abweichungen entdecken im Vergleich zur Anstellung bei anderen Trägern. Es gibt viele Mitarbeiter:innen, die mit der AVR sehr gut fahren.

Eule: Bereits zu Beginn des Jahres hat der Vorstandsvorsitzende der Diakonie Mitteldeutschland, Christoph Stolte, darauf hingewiesen, dass die hohen Lohnabschlüsse in der Pflege zunehmend zu einem Problem werden, weil sie auf die Pflegekosten durchschlagen, die von Leistungsempfänger:innen bezahlt werden müssen. Es hält sich ja der Eindruck in der Gesellschaft, dass Pfleger:innen schlecht bezahlt werden. Stimmt das in Mitteldeutschland eigentlich?

Von Witten: Nein, das stimmt nicht. Jede:r kann sich im Netz ja anschauen, wie viel Pflegekräfte mittlerweile verdienen, auch im Vergleich zu anderen Branchen. Die wirklich berechtigten Lohnerhöhungen der vergangenen Jahre – es handelt sich schließlich um eine vielfach fordernde Tätigkeit im Schichtdienst – wirken sich aber selbstverständlich aus.

Die Krankenkassenbeiträge werden in den nächsten Jahren steigen. Die Krankenhausfinanzierung ist kritisch. Die Lage in der stationären Pflege ist dramatisch, weil die Eigenanteile sehr hoch sind. Es gibt einen erheblichen politischen Handlungsbedarf, der aber aus unserer Sicht leider überhaupt nicht adäquat adressiert wird.

Eule: Verdi kritisiert das kirchliche Arbeitsreicht als „Privileg von anno dazumal“. 

Von Witten: Also für mich persönlich ist der „Dritte Weg“ ein fortschrittliches Instrumentarium. Durch die paritätisch besetzten Arbeitsrechtlichen Kommissionen werden die Arbeitsbedingungen wirklich demokratisch ausgehandelt und zwar im Hinblick auf das gemeinsame Ziel, nämlich, eine sehr gute Versorgung in unseren Einrichtungen sicherzustellen.

Eule: „Dritter Weg“ und Dienstgemeinschaft – das klingt sehr romantisch. Trotzdem agieren die diakonischen Werke und Einrichtungen als Unternehmen am Markt. Sie erhalten ihre Finanzierung – wie andere Träger auch – aus Steuermitteln, aus Krankenversicherungsbeiträgen, aus Investitionen von EU, Bund, Ländern und Kommunen.

Von Witten: Selbstverständlich müssen wir wirtschaften. Wenn es Überschüsse gibt, werden diese in die Rücklagen eingestellt und verbleiben somit vollständig im gemeinnützigen System. Gewinnerzielung in Grenzen ist notwendig, um auch schlechte Zeiten überbrücken und Investitionen tätigen zu können, die zum Beispiel durch die defizitäre Krankenhausfinanzierung nicht abgedeckt sind.

Unter anderem wegen der mangelnden Krankenhausfinanzierung sind ja viele Häuser in Thüringen in Schieflage geraten. Dabei gibt es übrigens eine Ungleichbehandlung zwischen den Kliniken in kommunaler Trägerschaft und denen in privat-gemeinnütziger Trägerschaft: Kommunale Krankenhäuser erhalten zum Teil große Bürgschaften von ihren Trägern. Diakonische Krankenhäuser haben keine Träger, die das leisten könnten.

Für die Mittelverwendung gibt es auf allen diakonischen Handlungsfeldern strikte Regularien, die uns durch den Gesetzgeber vorgegeben sind. Die Finanzierung innerhalb der Sozialwirtschaft ist sehr unterschiedlich geregelt: Manchmal verhandeln wir Gelder prospektiv, manchmal als Kostenerstattung. Und es gibt auch Bereiche, die überhaupt nicht kostendeckend von der öffentlichen Hand finanziert werden. Bei den Tafeln und anderen sozialen Hilfen sind wir als Diakonie auf Spenden angewiesen.

Eule: Wenn das alles so schwierig ist, warum macht die Diakonie das dann überhaupt?

Von Witten: Das ist unsere Aufgabe! Es ist unsere ureigene Aufgabe, uns um kranke, pflege- und hilfsbedürftige Personen zu kümmern. Und die Diakonie ist eine vorstaatliche Organisation. Wir behandeln zum Teil in Krankenhäusern, die gebaut wurden, als es noch keinen Wohlfahrtsstaat gab, der die sozialen Aufgaben zugewiesen hat. Das in der Botschaft Jesu begründete Ziel war aber damals schon klar. Und die Bedingungen waren nie einfach.


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Das Interview führte Philipp Greifenstein.

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