Interview Klimabewegung und Kirche

Christians for Future: „Alle Hebel in Bewegung setzen“

„Christians for Future“ formuliert kurz vor der Bundestagswahl Forderungen an die Kirchen: Sie sollen vor allem ihr politisches Engagement für den Klimaschutz ausweiten. Wir haben mit einer Aktivistin gesprochen.

Eule: “Christians for Future” richtet sich mit zwölf Forderungen an die evangelischen Landeskirchen und katholischen (Erz-)Bistümer in Deutschland. Warum zu diesem Zeitpunkt?

Claudia Schwegmann: Die Kampagne planen wir seit einem Jahr, die intensive Vorbereitung der Dokumente läuft seit Januar. Die Bereitstellung des ausführlichen Begleitmaterials hat viel Kraft und Zeit gebraucht. Natürlich passt es jetzt auch gut in den Bundestagswahlkampf: Denn wir denken, dass es eine klare Verpflichtung für Christ:innen gibt, bei Wahlen ihre Stimme auf Grundlage der christlichen Werte abzugeben.

Es gibt im Übrigen dazu auch eine gemeinsame Stellungnahme der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) vom 1. September, die diese ethische Verpflichtung noch einmal unterstreicht. Wir möchten gerne vor der Wahl daran erinnern und wünschen uns, dass die Bischöfe und leitenden Geistlichen das vor der Wahl auch konkret in der Öffentlichkeit formulieren.

Eule: Vier der zwölf Forderungen drehen sich um das eigene Handeln der Kirchen, das reformiert werden muss, damit sie überhaupt glaubwürdig gesellschaftlich für den Klimaschutz eintreten kann.

Schwegmann: Ja, wobei aus unserer Sicht, wenn man die klimapolitische Lage als Ganze betrachtet, die mahnende Rolle der Kirchen viel wichtiger ist als die eigene Umsetzung. Wir können nicht warten, bis alle Landeskirchen oder (Erz-)Bistümer ihre eigenen Klimaziele erreicht haben, bevor die Kirche laut wird!

Eule: Was man fordert, muss man aber selbst wenigstens anpacken. Was heißt es denn für die Kirchen praktisch, sich am Pariser Klimaschutzabkommen zu orientieren?

Schwegmann: Das Abkommen ist der globale politische Konsens, wie man den Klimawandel bremsen kann. Die Kirchen sollten auf der Basis dieses Konsens‘ ihre politische Rolle spielen und die Handelnden zur Einhaltung des Abkommens ermahnen. Gleichzeitig müssen die Kirchen Schritte in den eigenen Organisationen unternehmen, beispielsweise in der Landwirtschaft.

Eule: „Christians for Future“ fordert von den Kirchen bis 2030 klimaneutral zu werden. Ist das überhaupt möglich?

Schwegmann: Ja. Es gibt bereits Kirchen, aber auch andere Verbände, Gemeinden und Städte, die sich solche Ziele gesetzt haben. Es ist nicht leicht, aber nicht unrealistisch. Uns geht es am Ende nicht darum, ob es 2030 oder 2032 wird. Wichtig ist, sich ein Ziel zu setzen und dafür alle Hebel in Bewegung zu setzen.

Eule: Was wäre denn so ein Hebel in einem Bistum oder einer Landeskirche?

Schwegmann: Da wären zum Beispiel Pachtverträge in der Landwirtschaft, die man verändern kann, so dass die Landwirt:innen in den kommenden Jahren auf biologische Bewirtschaftung umstellen. Da wären die Moorflächen im Kirchenbesitz, die man mit staatlicher Förderung wieder vernässen muss. Solaranlagen auf Kirchendächern wären eine weitere Maßnahme, genauso wie die Umrüstung von Heizungsanlagen auf erneuerbare Energien.

Eule: Nach dem letzten „Triell“ von Annalena Baerbock, Olaf Scholz und Armin Laschet wurde beklagt, dass es beim Thema Klimawandel immer nur um die Kosten geht, die der Klimaschutz verursacht. Trotzdem, weil es ja eine Frage ist, die gerade die Ehrenamtlichen in den Gemeinden beschäftigt: Wer soll das bezahlen?

Schwegmann: Ja, das ist eine wichtige Frage. Zur Wahrheit gehört auch, dass die Kirchen in den kommenden Jahren aufgrund des Mitgliederrückgangs Gebäude abstoßen werden, insofern wird sich die Zahl der Gebäude sowieso reduzieren. Es gibt auch Modelle, bei denen Solaranlagen nicht in Regie der Kirchengemeinde installiert werden, sondern die Dachflächen an Energieanbieter oder Genossenschaften verpachtet werden.

Aber natürlich spielt das Geld eine Rolle: Wir müssen darum auch in den Gemeinden deutlich machen, dass wenn wir jetzt nicht investieren, wir in den Folgejahren vielleicht ganz andere Arten von Kosten haben, die wir dann auch nicht werden decken können. Im Ahrtal sind nicht allein Privathaushalte und Unternehmen von den Flutschäden betroffen, sondern auch Kirchengemeinden. Es wird uns viel kosten, keinen Klimaschutz zu machen.

Eule: In vielen Kirchen ist der Klimawandel längst angekommen. Durch die beiden Hitzesommer 2019 und 2020 ist es zu zahlreichen Schäden an Kunstwerken, an der Bausubstanz und an Orgeln gekommen. Dabei handelt es sich um Reichtümer, die viele Christen gerne bewahren und schützen wollen.

Schwegmann: In erster Linie fallen mir natürlich die Menschen ein, die wir durch unser Handeln schützen müssen: Zuallererst die Menschen im globalen Süden, die ihr Land, ihre Existenzgrundlage und teilweise ihr Leben verlieren. Und die Menschen, die hier bei uns in den kommenden Generationen unter den Folgen des Klimawandels leiden werden. Das heißt natürlich nicht, dass man nicht auch Gebäude und Kunstobjekte schützen muss.

Eule: Manchmal liegt das den Menschen ja näher, als zu sagen: Irgendwo anders oder irgendwann anders.

Schwegmann: Ja, natürlich, wenn man sich die Dürrekarte von Deutschland anschaut, wird man feststellen, dass in großen Teilen Deutschlands trotz des vielen Regens in diesem Jahr nach wie vor Dürre herrscht. Die Dürre der letzten Jahre ist also längst nicht überwunden – und das merken natürlich auch die Landwirt:innen in Deutschland.

Wir werden den Klimawandel spüren, wenn die Lebensmittelpreise steigen, die Keller volllaufen oder die Gesundheitskosten teurer werden. Gerade eben erst haben 19 internationale medizinische Fachzeitschriften auf die gesundheitlichen Folgen hingewiesen, die der Klimawandel verursacht.

Eule: 57 % der Bevölkerung Deutschlands leben in ländlichen Räumen, die gut 91 % der Fläche des Landes ausmachen (Quelle). Ich erinnere mich an die zurückliegende Landtagswahl in Sachsen-Anhalt und bin mir sicher, die Bundestagswahl wird ein ähnliches Ergebnis zeigen: Die Grünen, die man ja vor allem mit der Bekämpfung der Klimakatastrophe assoziiert, schneiden hier deutlich schlechter ab als in Großstädten. Ich registriere eine große gegenseitige Skepsis zwischen „Landbevölkerung“ und Klimaschützer:innen. Und auf dem Land leben auch die meisten Christen in Deutschland.

Schwegmann: Hier sehe ich eine Aufgabe für die Kirchen, auf die Leute zuzugehen und dazu zu ermutigen, die Realitäten anzusehen und nicht weiter die Augen zu verschließen. Mein Eindruck ist, dass viele Menschen – egal, ob in der Stadt oder im ländlichen Raum – bisher nicht im ausreichenden Maße an sich heranlassen, wie schwerwiegend diese Krise wirklich ist.

Natürlich kann die Kirche hier auch in die Rolle einer Vermittlerin zwischen unterschiedlichen Interessen und Akteuren schlüpfen. Als Landbesitzerin ist die Kirche auch selbst Akteurin. Die Kirche könnte zumindest da die Initiative ergreifen, z.B. bei den Themen Ernährungsräte und solidarische Landwirtschaft. Sie könnte den Dialog fördern zwischen den unterschiedlichen Akteuren: Wie können wir positive Visionen schaffen? Wie kann eine Transformation bei uns vor Ort gelingen? Welche Schritte können wir gemeinsam gehen? An manchen Orten, wie im Bistum Münster, wurde dieser Dialog schon eröffnet.

Eule: Zum Globalen Klimastreik im vergangenen Jahr haben wir in der Eule Nr. 7 & 8 der 10 auf der Ökumenischen Weltversammlung von Seoul im Jahre 1990 verabschiedeten Grundüberzeugungen noch einmal veröffentlicht. Sie befassen sich mit der Bewahrung der Schöpfung. Wenn man das Dokument liest, lernt man: Genau solche radikalen Forderungen hören wir heute von der „Fridays for Future“-Bewegung.

Schwegmann: Das ist genau unsere Wahrnehmung. Es gibt schon so viele Stellungnahmen und Analysen, vieles davon ist in den Kirchen leider nicht (mehr) bekannt! Die Kirchenmitglieder wissen kaum um die Positionen ihrer Kirchen und die Kirchenleitenden kommunizieren nicht offensiv genug, worauf man sich längst geeinigt hat. Wir fordern, dass die Kirchen ihre Stellungnahmen und Positionen nicht auf ihren Websites verstecken, sondern deutlicher und fordernder auftreten.

Das Interview führte Philipp Greifenstein.


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