Politik

Rücktritt von Anne Spiegel: Eine vertane Chance!

Daniela Albert erkennt im Rücktritt von Familienministerin Anne Spiegel auch eine vertane Chance: Denn gerade vor ihrem persönlichen Hintergrund hätte sie die Familienpolitik ganz neu prägen können. 

Anne Spiegel schleppt gerade einen Rucksack mit sich herum, um den sie wohl niemand beneidet. Im Rahmen einer solchen Katastrophe wie im Ahrtal zu den Verantwortlichen zu gehören und dann auch noch sehr öffentlich Fehler eingestehen müssen – da möchte niemand mit ihr tauschen.

Bei ihrem Presseauftritt hat Anne Spiegel gestern sehr viel von sich und ihrer Familie preisgegeben, wohl mehr als die meisten Menschen an ihrer Stelle getan hätten. Vor einer breiten und bekanntermaßen sehr unbarmherzigen Öffentlichkeit über die gesundheitlichen Probleme des Partners und offen über die Überforderung mit den Kindern zu sprechen, das ist stark. Ich zolle ihr für diesen Schritt großen Respekt.

Es bleiben offene Fragen

Kritische Fragen muss sich aus meiner Sicht nicht nur Anne Spiegel, sondern auch ihr Umfeld gefallen lassen – zum Beispiel ihre Partei. Wie konnte es dazu kommen, dass man ihr all diese Ämter zu ihrer bereits vorhandenen Belastung angetragen hat? Wie ist sie in eine Situation geraten, in der sie offensichtlich nicht Nein sagen konnte – weder zur kommissarischen Leitung des Umweltministeriums noch zur Führung der der Koalitionsverhandlungen – und das in einer solchen familiären Lage?

Gab es keinen Raum für Ehrlichkeit, für Schwäche, für Sorgen und Nöte? Vielleicht sorgte sich Anne Spiegel zu sehr vor den Konsequenzen, dem vermeintlichen Ende ihrer Karriere. Aller Beteuerungen zum Trotz ist es immer noch so, dass Frauen in der Politik zwar Familie haben sollen, diese aber mit all ihren Bedürfnissen unsichtbar bleiben muss, wenn frau etwas werden will.

Unzählige Frauen kennen diesen Konflikt. Wenn wir uns in den patriarchalen Strukturen von Politik und Gesellschaft durchsetzen wollen, müssen wir das auf eine sehr klassisch „männliche“ Art tun – und dazu gehört, dass Fürsorge für andere möglichst unsichtbar bleiben sollte. Auch im Jahr 2021 fragte man Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Männern hingegen wird diese Frage selten gestellt. Diesen Konflikt darf man nicht ignorieren, wenn man heute über Anne Spiegel urteilt. Vielleicht springen ihr deshalb auch Frauen aus verschiedenen politischen Richtungen fast schon reflexhaft im Namen der Frauensolidarität zur Seite.

Ganz so einfach ist es natürlich nicht. Denn auch schwierige Strukturen entbinden Frau Spiegel nicht von der Eigenverantwortung für ihr Handeln. Sie hätte natürlich Nein sagen und die Konsequenzen tragen können. Es wäre nicht nur im Sinne ihrer Familie gewesen, auch die Menschen im Ahrtal hätten eine Ministerin verdient gehabt, die voll bei der Sache ist. Man stelle sich zudem nur einmal vor, am Sonntagabend hätte nicht Frau Spiegel, sondern ein Mann eben diese Geschichte erzählt: Wie kann der nur Karriere auf dem Rücken seiner Frau machen und ein Amt nach dem anderen annehmen, während es ihr und den Kindern so schlecht geht, hätten viele gefragt.

Ein Scheitern als Chance?

Heute am frühen Nachmittag ist Anne Spiegel nun als Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zurückgetreten. Das war offenbar unvermeidlich. Dennoch wäre ein Verbleib gerade in diesem Amt auch eine Chance gewesen. Vielleicht hätte Deutschland zum ersten Mal eine Frau in diesem Ministerium gehabt, die gewusst hätte, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie nicht dadurch hergestellt ist, dass man genug Krippenplätze bereitstellt. Sie hat am eigenen Leib erfahren, dass es dafür mehr braucht als Partnermonate und Pseudo-Gleichberechtigung aus der Excel-Tabelle.

Es braucht nicht weniger als einen Kulturwandel, an dessen Ende niemand mehr blöd schaut, wenn Männer oder Frauen zeitweise für die Familie beruflich kürzertreten. Anne Spiegel hätte gerade auf dem Boden ihres persönlichen Scheiterns in diesem Land ein neues Bewusstsein für den Wert der Fürsorge und Zeit für Familie schaffen können. Sie hätte daran mitarbeiten können, dass eine familiäre Auszeit zukünftig für niemanden mehr ein Zeichen von Schwäche ist, sondern ein Qualitätsmerkmal, das sich auf den weiteren Werdegang – wenn überhaupt – nur positiv auswirkt. Es wäre ein wichtiger Schritt gewesen, die oft ungesehenen Bedürfnisse von Familien in Deutschland sichtbarer zu machen.

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