Für mehr Fingerspitzengefühl beim Engagement!
Engagierte Eltern füllen Lücken, die Sparmaßnahmen und Personalknappheit in Kitas, Schulen und auch in der Kirche reißen. Ohne sie wäre vieles nicht möglich. Daniela Albert plädiert trotzdem für mehr Fingerspitzengefühl beim Einsatz.
Die Konfi-Gruppe eines meiner Kinder war kürzlich unterwegs. Allerdings war es gar nicht so leicht, alle unter einen Hut – und gerade in Zeiten von Energiekrise und unzuverlässigen Zügen – von A nach B zu bekommen. Also wurden wir Eltern gefragt, ob wir bei der Anfahrt mit privaten PKWs unterstützen könnten. Trotz eher arbeitnehmerunfreundlicher Fahrtzeiten funktionierte das ganz wunderbar, weil sich genug Väter und Mütter bereitfanden, hier dabei zu sein.
Dass ohne engagierte Eltern gar nichts läuft, lernt man relativ schnell, wenn man Kinder ins Leben begleitet. Schon in der Kita hätte es weder Laternenumzüge noch Waldtage geben, wenn nicht jedes Mal helfende Hände oder fahrende Autos bereitgestanden hätten. In der Grundschule waren es Theaterfahrten, Wandertage oder der Brezelverkauf zur Aufbesserung der Fördervereinskasse.
Bei meiner katholischen Freundin würde der Kommunionsunterricht schon nicht mehr stattfinden, wenn ihn nicht auch Mütter oder Väter mit übernähmen. Und auch in unserer Gemeinde lebt die Eltern-Kind Arbeit davon, dass es immer wieder junge Eltern gibt, die selbst die Leitung einer Krabbelgruppe übernehmen.
Viele nehmen solche Aufgaben gern an, denn sie sind eine Möglichkeit, aktiv am außerhäuslichen Leben ihrer Kinder teilzunehmen. Außerdem macht ehrenamtliches Engagement tatsächlich zufrieden und gilt sogar als der Gesundheit zuträglich. Zumindest, wenn man einen guten Ort gefunden hat, sich einzubringen.
Für uns als Gesellschaft sind solche Väter und Mütter ein großer Gewinn, auch wenn man das häufig auf den ersten Blick gar nicht wahrnimmt. Gerade in gut situierten Stadtteilen, Vororten oder Dörfern wird Engagement oft als sehr selbstverständlich betrachtet. Erst ein Blick in andere Gebiete, in denen Eltern nicht die nötigen Ressourcen für die Mitarbeit mitbringen, zeigt, was ohne den ehrenamtlichen Einsatz von Müttern und Vätern auch anderswo nicht machbar wäre. Engagierte Eltern füllen Lücken, die Sparmaßnahmen und Personalknappheit in allen Bereichen gerissen haben.
Doch dieses Engagement hat auch Schattenseiten. Denn der Grat zwischen hilfreicher Unterstützung und dem Zementieren sozialer Ungleichheiten ist schmal. Oft gehen Eltern, die mit Feuereifer dabei sind, davon aus, dass ihre eigenen finanziellen, zeitlichen und kräftemäßigen Ressourcen auch bei anderen vorhanden sind.
Eine Rose für den Geburtstagsstrauß
Als Frau Müller, eine von mir frei erfundene Lehrerin einer beliebigen deutschen Vorort-Grundschule, kürzlich Geburtstag hatte, kümmerte sich Maries Mutter um das Geschenk. Natürlich sollte es nicht irgendetwas sein, sondern selbstgebastelte Rosen aus Fotokarton und Notizzetteln, so wie Maries Mutter sie in einem dieser Reels auf Insta gesehen hatte. Dieses Reel stellte sie in die WhatsApp-Gruppe und forderte die anderen Eltern auf, die Blumen mit ihren Kindern nachzubasteln. Eine Woche hatten sie Zeit, dann mussten die Rosen mit Kinderfoto versehen bei Marie zu Hause abgegeben werden. Ihre Mutter band sie zu einem wunderschönen Strauß zusammen. 21 hatte sie zusammenbekommen. Fein säuberlich erstellt nach Anleitung und wirklich hübsch anzusehen. Doch leider sitzen in Frau Müllers Klasse nicht 21, sondern 25 Kinder.
Carlas Rose ist zum Glück dabei. Ihre Eltern hatten das halbe Wochenende fluchend vor Tonkarton und Bastelanleitungen verbracht und mehrmals gedroht, sich an diesem Schwachsinn nicht zu beteiligen. Nur das enttäuschte Gesicht ihrer Tochter hielt sie davon ab, diese nervige, zeitraubende Aufgabe einfach zu ignorieren. Ähnlich ging es Anja, der Mutter von Linus. Sie arbeitet Vollzeit und erzieht ihre beiden Kinder allein. In den wenigen Stunden Familienzeit würde sie eigentlich lieber andere Dinge tun – zumal Linus nun wirklich niemand ist, der gerne bastelt. Zähneknirschend erledigt sie die Bastelei daher selbst, während ihre Jungs schlafen. Schließlich soll Linus nicht wieder derjenige sein, der nichts zum Geschenk beisteuert.
Diesen Anspruch hat Pia, die Mutter von Vivian, schon lange nicht mehr. Auch sie ist mit ihrer Tochter allein und Vivian ist nicht einfach und braucht viel Unterstützung, um in der Schule überhaupt zurecht zu kommen. Pia schaut nicht in die WhatsApp-Gruppe oder beteiligt sich nicht an Klassenaktionen. Meistens schafft sie nicht mal die Elternabende, weil Vivian nicht gern allein ist und ihr Vater sich nicht kümmert. Großeltern gibt es auch keine vor Ort und ihre Freundinnen haben eigene Sorgen. Und so wird Vivian auch diesmal wieder ein wenig verlegen schauen, wenn Maries Mutter kommt und Frau Müller das Klassengeschenk überreicht.
Die Eltern von Hatice und Nael werden erst hinterher erfahren, dass es diese Aktion überhaupt gab. Sie sind nicht in der WhatsApp-Gruppe dabei und zumindest bei Nael zu Hause spricht auch niemand genügend Deutsch, um zu verstehen, was dort geschrieben wird. Und dann ist da noch Mara. Sie hat mitbekommen, dass da etwas geplant wird, aber ihre Eltern hätte sie nicht bitten können, ihr zu helfen. Sie hat selbst eine Rose gemacht. Natürlich nicht nach Anleitung und ohne Foto, dafür mit ganzem Herzen. Maries Mutter lächelt gequält und steckt die Kinderbastelei widerwillig zu den stylischen Instagram-Rosen. Später wird sie sich bei Sofies Mutter über Maras Eltern aufregen, denn die hätten das doch wirklich mal machen können! Doch genau das hätten sie eben nicht. Kraft ist nämlich nicht verhandelbar und Maras Eltern ist vor langer Zeit die Puste ausgegangen. Das sieht nur niemand, weil sie es hinter einer gut bürgerlichen Reihenmittelhausfassade verstecken.
Für mehr Fingerspitzengefühl und Reflexion!
Ich habe all diese Eltern und Kinder tatsächlich frei erfunden. Und doch sind Ähnlichkeiten zu real existierenden Personen nicht zufällig. Weil es genau diese überall gibt: Die Maras und Naels, die Vivians und Hatices. Die, deren Eltern eben nicht mithalten können, wenn es darum geht, sich mit vollem Engagement in die Waagschale zu schmeißen.
Eltern wie Maries Mutter können hier einen Ausgleich schaffen – indem sie Ausflüge für alle möglich machen oder Geld für den Förderverein sammeln. Sie machen einen Unterschied, wenn sie ein niedrigschwelliges Krabbelgruppenangebot in Gemeinden leiten, als Alternative zu überteuerten Babykursen. Wenn sie selbst im Namen aller ihr Basteltalent einsetzen. Oder wenn sie Konfirmand:innen von A nach B fahren, damit keine teuren Zugtickets gekauft werden müssen.
Aber sie können das Ungleichgewicht auch verstärken: Wenn sie Engagement auch von anderen einfordern, die das gar nicht leisten können. Wenn sie zusätzlich zum netten Krabbelgruppenvormittag einmal im Monat einen Elternstammtisch beim Italiener veranstalten, der für Alleinerziehende und Familien mit knappem Budget nicht besuchbar ist. Oder wenn sie für die Konfirmation unbedingt den teuren Fotografen für die Gruppenfotos haben wollen.
Gerade da, wo viele Eltern über ausreichend finanzielle und zeitliche Ressourcen verfügen, wird schnell übersehen, dass es immer auch Familien gibt, die nicht mitziehen können. Das ist auch in christlichen Gemeinden nicht selten, weil dort Menschen aus unterschiedlichen Milieus zusammenleben. Es fehlt oft an Fingerspitzengefühl und auch an Reflexion. Nur weil ich mir etwas leisten kann, genügend Energie habe oder mir die Zeit freischaufele, muss das nicht für alle anderen gelten. Ein bisschen Pragmatismus und die Einsicht, dass weniger manchmal mehr ist, sind daher wichtige Faktoren, wenn das eigene Engagement wirklich einen Unterschied für alle machen soll.
Das findet Frau Müller übrigens auch, denn ehrlich gesagt, hängt sie sich gar nicht so gern selbstgebastelte Rosen mit Fotos ihrer Klasse ins Arbeitszimmer. Würde sie das tun, wäre da nach so vielen Jahren im Lehramt auch gar kein Platz mehr. Viel lieber läge sie stattdessen gerade mit Pralinen auf der Couch und würde einen gekauften Rosenstrauß betrachten. Zumindest denke ich mir das so!
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