Rätselraten – Die #LaTdH vom 26. März
Der erste deutsche katholische Ortsbischof tritt im Kontext der Missbrauchkrise der Kirche zurück. Viel zu spät? Außerdem: Friedensinitiative des ÖRK, Ärger über Bayern und neues Wirtschaften.
Herzlich Willkommen!
Die beiden wichtigsten Kirchennachrichten der Woche geben vor allem Rätsel auf, die wir in so kurzem zeitlichen Abstand selbstverständlich nicht lösen können. Der gestattete Rücktritt des Osnabrücker Bischofs Franz-Josef Bode verblüfft, weil er am gestrigen Samstag sehr plötzlich (doch noch) kam und scheinbar im Widerspruch zum Umgang des Papstes mit anderen Bischöfen steht. Es ist der erste wirklich durchgezogene Rücktritt eines römisch-katholischen Bischofs im Zuge der Missbrauchskrise der Kirche in Deutschland. Dreizehn Jahre nach Canisius.
Auch über das Anliegen des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK), den Dialog der orthodoxen Kirchen in der Ukraine untereinander und mit dem Moskauer Patriarchat neu anzuschieben, darf gerätselt werden: Dabei steht außer Frage, dass die Akteur:innen sicher nur gute Absichten haben. Dann aber stellt sich die Frage, welches Bild vom Frieden ihnen handlungsleitend ist – und wen die Dialogbemühungen nicht nur überfordern dürften, sondern verletzen könnten.
In dieser Woche habe ich am Barcamp Kirche Online Ost in Berlin teilgenommen. In vielen persönlichen Gesprächen und während einiger der Sessions war die Sehnsucht spürbar, die Kirche möge doch wieder einmal eine große, positive Vision formulieren, die (auch den hauptamtlichen Mitarbeiter:innen) das Gefühl vermittelt, gemeinsam an einem Strang zu ziehen. Mir huschte beim Lauschen immer wieder das Wort von der „Weggemeinschaft“ durch die Synapsen, mit der die katholischen Geschwister ihre Bemühungen auf dem Synodalen Weg zu beschreiben versuchten. Auf eine Reise mit ungewissem Ziel macht man sich nur als Teil einer Weggemeinschaft, in der man sich untereinander vertraut. Vertrauensbildende Maßnahmen sind aber doch noch etwas anderes als eine gemeinsame Rätselrunde.
Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein
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Debatte
Rücktritt von Bischof Franz-Josef Bode
Pünktlich zur Mittagsstunde am gestrigen Samstag gaben das Bistum Osnabrück, der Vatikan und die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) den Rücktritt des Osnabrücker Bischofs Franz-Josef Bode bekannt und veröffentlichten eigene Erklärungen. Die Stellungnahme von Bode (Video & Text) richtet sich vor allem an die Gläubigen im Bistum und seine Mitarbeiter:innenschaft. Der Vatikan erledigte seine Aufgabe in einem Satz. Und der Vorsitzende der DBK, Bischof Georg Bätzing (Limburg), formulierte vor allem Dank und Lob für den zurücktretenden Amtsbruder.
Bode beginnt seine Erklärung mit einem persönlichen Schuldbekenntnis und erklärt auch die Umstände seines bei der Vorstellung des Zwischenberichts zur Aufarbeitung des Missbrauchs im Bistum Osnabrück (s. #LaTdH vom 18. Dezember 2022) im vergangenen Jahr nicht erfolgten Rücktritts
Mir war bewusst, dass die Erkenntnisse aus dem Zwischenbericht und meine Entscheidung, zunächst nicht zurückzutreten, auch das Verhältnis der Menschen im Bistum zu mir als Bischof verändern würden. Manche haben jegliches Vertrauen in mich verloren, andere haben mich ermutigt, den begonnenen Weg der Veränderung gemeinsam weiterzugehen. Insgesamt jedoch habe ich das Ausmaß der Irritationen, insbesondere in der Mitarbeiterschaft des Bistums, unterschätzt.
Bischof Bode geht, andere bleiben – Andreas Otto und Annika Schmitz (KNA, katholisch.de)
Dass Bode der Rücktritt von Papst Franziskus erlaubt wurde, die Rücktrittsgesuche anderer Bischöfe (Marx, Heße) in den vergangenen Jahren aber abschlägig beschieden wurden, gibt ebenso Stoff zum Spekulieren wie der Vergleich zur Causa Woelki. Das Rücktrittsgesuch des Kölner Kardinals – wie auch immer intendiert – liegt bei Franziskus „in der Schublade“.
Prominentester – und zugleich komplexester Fall – ist der von Woelki. Juristische Fehler im Umgang mit Missbrauch weist ihm eine Studie nicht nach. Dennoch hat die Art und Weise der Aufarbeitung in Deutschlands mitgliederstärkstem Bistum zu einer großen Vertrauenskrise geführt. Der Papst selbst schaltete sich in die Vorgänge ein und hielt nach einer Untersuchung fest, dass Woelki „große Fehler“ vor allem in der Kommunikation gemacht habe. Er schickte den Erzbischof in eine mehrmonatige Auszeit und forderte ihn vor über einem Jahr auf, seinen Rücktritt anzubieten. Darauf reagiert hat der Papst bislang nicht.
Andreas Otto und Annika Schmitz (@annika_ynachten) von der KNA (@KNA_Redaktion) unternehmen es bei katholisch.de (@katholisch_de) einen Überblick herzustellen – Antworten haben aber auch sie nicht.
„Die Pistole auf der Brust“ – Renardo Schlegelmilch (Domradio)
„Warum geht der Papst unterschiedlich mit Rücktritten um?“, fragt sich auch Domradio-Redakteur Renardo Schlegelmilch (@RenardoJoachim) und zieht einen Vergleich mit einem anderen kirchenpolitischen Thema, bei dem Franziskus augenscheinlich mal so, mal so entscheidet: Die Zulassung von Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Partner:innenschaften (in Dtl.: Ehen).
In den letzten Jahren haben wir gelernt, dass sich Rom und der Papst ungerne unter Druck setzen lassen. Als 2021 ein Brief mit dem Nein zum Segen für homosexuelle Paare aus dem Vatikan kam, brach in Deutschland eine große öffentliche Debatte los, die im Beschluss des Synodalen Weges endete, auf eigene Faust diese Segensfeiern durchzuführen.
Es geht aber auch anders. Auf der letzten Synodalversammlung Anfang März in Frankfurt erklärte der flämische Bischof Johan Bonny, dass seine Bischofskonferenz für ihre Segensfeiern keinen Widerspruch aus dem Vatikan gehört habe. Vielleicht, weil sie nicht in den öffentlichen Konflikt mit Rom getreten ist?
Kirchenleitung muss persönlich verantwortet werden und ist damit für die Akteur:innen Teil der persönlichen Lebensgestaltung. Man kann sich dieser Verantwortung nicht entledigen und sie sollte leitenden Geistlichen auch nicht vorenthalten werden. Wie der Papst mit Rücktritten umgeht, droht zum Gegenstand von Klatsch und Tratsch zu werden. Dabei gerät leicht aus dem Fokus, dass schon alleine der Fakt, dass er und nicht die Bischöfe selbst entscheiden, außerhalb der römischen Welt ein Skandal ist.
Catholic watchdog names bishops tied to sex abuse and urges pope to act – Marisa Iati (Washington Post, englisch)
Um deutsche Debatten ein wenig nachvollziehbarer zu machen, braucht es – allzumal in der römisch-katholischen Weltkirche – den internationalen Blick. Die Washington Post berichtete von einigen Tagen über die Arbeit der „watchdog group“ BishopAccountability.org, die kontrolliert, wie der Vatikan – basierend auf den von ihm selbst formulierten und gerade eben wieder verschärften Regeln – mit den Bischöfen in der Kirche umgeht. Der einzige deutsche Bischof auf der Liste ist tatsächlich Franz-Josef Bode, dessen Status nun von „case ongoing“ auf „sanctioned“ umgestellt werden könnte – oder nicht? Oder doch?
nachgefasst
Ukraine-Krieg: Vermittlungsversuch der Kirchen – Christoph Strack (Deutsche Welle)
Christoph Strack (@Strack_C) berichtet bei der Deutschen Welle über die Bemühungen des ÖRK-Leitungsteams, einen Dialog zwischen den ukrainischen orthodoxen Kirchen und dem Moskauer Patriarchat zu initiieren. In diesem Anliegen fühlen sich der neue ÖRK-Generalsekretär Jerry Pillay (Südafrika, reformiert) und der Vorsitzende des ÖRK-Zentralausschusses, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (Bayern, lutherisch) offenbar mit Papst Franziskus (Argentinien, römisch-katholisch) verbunden, den sie in dieser Woche in Rom besuchten.
Indes bleibt offen, wie die vom Konflikt berührten Kirchen, wie vor allem sich die russische Orthodoxie zu der Initiative verhalten wird. Seit Monaten vertieft sich der Graben zwischen dem Patriarchat in Moskau und den anderen orthodoxen Kirchen weiter. Das Oberhaupt der russischen Orthodoxie, Patriarch Kyrill, ein enger Parteigänger von Präsident Wladimir Putin, stützt beständig dessen Kurs und verteidigt den Überfall auf die Ukraine.
Außer um die fragliche und von nicht wenigen Beobachter:innen auch als fragwürdig beschriebene Friedensinitiative, die keine „politische Agenda“ haben soll, ging es auch um das 2025 anstehende 1700-jährige Jubiläum des Konzils von Nizäa. Mit Jubiläen kennt sich der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende und demnächst aus dem Bischofsamt scheidende bayerische Landesbischof – heute startet die Tagung der Landessynode, auf der eine neue Landesbischöfin gewählt werden soll – bekanntlich gut aus: In die Zeit seiner größten öffentlichen Wirksamkeit fiel das 500. Reformationsjubiläum 2017. Was Kirchentrennungen angeht aber gilt: Man kann nicht alles festlich weglächeln. In früheren Zeiten wurden statt Dialogwünschen Bannbullen und Anathema formuliert. Und heute?
Pillay erläuterte, man wolle bei einem Runden Tisch die ukrainischen Kirchen, die orthodoxen Kirchen und weitere Kirchenführer zusammenbringen – auch mit der russisch-orthodoxen Kirche. Es gehe dabei nicht um eine „politische Agenda“. Aber die Kirchen sollten sich in einer solchen Situation gemeinsam auf die Friedensbotschaft des Evangeliums konzentrieren.Im Hintergrund liefen bereits Gespräche mit allen Seiten.
Missbrauchsbetroffene kritisieren Bayerische Landeskirche scharf – Tobias Krone (DLF, 10 Minuten)
Nicht allein, aber besonders den hier mitlesenden bayerischen Christ:innen und Kirchenmitarbeiter:innen sei dieser DLF-Bericht von Tobias Krone dringend und drängend ans Herz gelegt. Es ist wie ein Déjà-vu der noch bis vor kurzem katastrophalen „Beteiligungsprozesse“ für Betroffene von sexuellem Missbrauch auf EKD-Ebene (wir berichteten), wie in der bayerischen Landeskirche (@elkb) offenbar mit Menschen umgegangen wird, die in der Kirche schwere Verletzungen erlitten haben.
Man schämt sich einfach nur noch darüber, wie wenig dazugelernt wird, und für die Herzenskälte eines Apparates, der sich offenkundig außer Stande sieht, solche – auch kommunikativen – Katastrophen rechtzeitig abzuwenden. Die ELKB ist eine der an Mitgliedern und Ressourcen reichsten evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Wenn kirchenleitendes Handeln dort so mangelhaft ist, was sagt das dann über die Evangelische Kirche in Deutschland als Ganze aus?
Buntes
Schwangerschaftsabbruch: Raus aus dem Strafrecht – Judith Bauer (Publik-Forum)
Publik-Forum-Redakteurin Judith Bauer (@Judith_Bauer_) erklärt, warum die Idee aus den Reihen der Ampel-Koalition, die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs aus dem Strafrecht herauszuholen, eine gute Idee ist.
Die Bundesregierung wagt eine Neuregelung der Rechtslage zum Schwangerschaftsabbruch – gut so. Sie sollte endlich dafür sorgen, dass ungewollt Schwangere nicht mehr kriminalisiert werden. Nur, wenn deren Selbstbestimmung im Mittelpunkt steht, kann auch das Recht des sich entwickelnden Lebens angemessen bedacht werden.
Erst gestern wurde vor der Abreibungsklinik in Dortmund wieder lautstark protestiert, über die Sophie Schädel (@SophieSchaedel) im Januar 2023 hier bei uns in der Eule berichtet hat. Auch so wird Druck auf Frauen im Schwangerschaftskonflikt ausgeübt. Von Christen.
EHRENSACHE (7): Gemeinsam retten – Punkt! – Sandra Bils im Gespräch bei Lisa Menzel (Die Eule, 30 Minuten)
Mit dieser Episode startete am Freitag die 2. Staffel unseres Podcasts „EHRENSACHE“ über das Ehrenamt in der Kirche. Pastorin Sandra Bils (@PastorSandy) engagiert sich ehrenamtlich im Bündnis #United4Rescue, das Seenotretter:innen auf dem Mittelmeer unterstützt. Ihr Satz „Man lässt keine Menschen ertrinken! Punkt!“ auf dem Kirchentag in Dortmund 2019 ist einer der prägenden evangelischen Sätze des vergangenen Jahrzehnts.
Im Gespräch erzählt mit Moderatorin Lisa Menzel (@papierfliege) erklärt Bils, warum ihr die Seenotrettung auf dem Mittelmeer so wichtig ist und wie in ihrem Engagement ihr Glaube konkret wird. Außerdem erklärt sie, was ihr das Ehrenamt bedeutet, warum es nicht zu ihrem Job gehört und warum sie das alles als “Team-Sport” versteht. Unbedingte Hörempfehlung!
Theologie
Bernhard Emunds und die Avantgarde der Wirtschaftswissenschaften – Ina Praetorius (DurchEinAnderBlog)
Die Theologin Ina Praetorius (@InaPraetorius) würdigt auf ihrem Blog das wirtschaftswissenschaftliche Denken Bernhard Emunds, Professor für Christliche Gesellschaftsethik und Sozialphilosophie an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen und Leiter des dortigen Nell-Breuning-Instituts. Es geht um eine „postpatriarchale Aktualisierung der Katholischen Soziallehre“, Care-Arbeit und das Gegeneinander von „Geld-“ und „Leistungwirtschaft“.
Bernhard Emunds‘ Vorstöße in Richtung auf eine postpatriarchale Ökonomik der Lebensdienlichkeit sind verheißungsvoll und müssen debattiert werden. Ich verstehe sie als Teil einer sich formierenden Avantgarde von Ökonom*innen, die die Schockstarre angesichts riesiger vom Kapitalismus externalisierter und einverleibter wertschöpfender Sphären hinter sich gelassen und sich auf den Weg gemacht haben in eine inklusive und damit zukunftsfähige Ökonomik und Ökonomie […]
Ein guter Satz
Einer liebgewordenen Tradition folgend möchten wir daran erinnern, kommende Nacht nicht die Zeit, sondern nur die Uhren umzustellen, da es sonst zu Rissen im Raumzeitkontinuum kommen kann.
— DLR_next (@DLR_next) March 25, 2023