Kolumne Sektion F

Ist der „Mütterkreis“ nur etwas für Omas?

Empowerment, Abschottung oder Safe Space: Carlotta Israel stellt die „Mütterkreise“ in den Fokus: Haben sie eine Zukunft in der Kirche? Und warum hat sie eigentlich Berührungsangst?

Mütterkreise gehören zu den beständigsten kirchlichen Gruppen, von denen ich je gehört habe. Generationen von Frauen können von ihrem Erleben berichten, von Konflikten, von biographischen Wendepunkten, von Last und Gewinn des ehrenamtlichen Engagements im „Mütterkreis“. Wer heute „Mütterkreis“ googelt, landet verlässlich auf den Websites evangelischer und katholischer Kirchgemeinden. Der „Mütterkreis“ ist nach wie vor das Angebot für … ja, für wen eigentlich?

Über viele Jahre etabliert und einstudiert gibt es in Gemeindekreisen klare Abläufe, die Außenstehende gar nicht so leicht nachvollziehen können. Es ist gut, dass Personen im Raum der Kirche Austauschmöglichkeiten finden, um ihren Alltag zu bewältigen und miteinander zu teilen. Es wird allerdings schwierig, wenn dabei Enge und Normativität entwickelt und aneinander angelegt werden. Aus dem, was ich über die Jahre vom Leben in Mütterkreisen gehört habe, strotzte auch viel Empowerment.

Ich gebe es gleich zu Beginn zu: Ich weiß gar nicht genau, was bei einem Mütterkreis passiert. Dazu ist die Vielfalt der Gruppen, die unter diesem Label firmieren zu groß. Was ich von meiner Oma über das Leben in ihrem Mütterkreis gehört habe, regt bei mir die Fantasie an. Im Fall meiner Oma hieß der Mütterkreis auch dann noch so, als alle, die darin versammelt waren, Großmütter oder im entsprechenden Oma-Alter waren.

Aus intersektionaler Perspektive betrachtet, zeigt sich bei Mütterkreisen also eine Verschränkung von Alter und Geschlecht, die die Gruppenglieder verband. Außerdem verbanden sie biografische Nähen, auch durch vergleichbare Familienstrukturen. Im regionalen Umfeld meiner Oma war es zudem ein konfessioneller Identitätsmarker, zu welchem Mütterkreis mensch ging.

Ich weiß von ihrem Mütterkreis, dass Ausflüge unternommen wurden, dass sich wöchentlich getroffen wurde, und dass dabei Kuchen und Torten verspeist wurden. Möglicherweise hatte das Backen auch etwas Kompetitives. Ich weiß, dass sie sich vor allem in Zeiten getroffen haben, als die meisten von ihnen „zu Hause“ waren. Die Mehrheit der Mütter lebte im so genannten Drei-Phasen-Modell: Berufsausbildung, Ausscheiden aus dem Beruf nach der Geburt des ersten oder weiterer Kinder, teilweise Wiedereintritt ins Berufsleben, wenn das Kind oder die Kinder „groß“ waren. Was auch immer genau das bezeichnet.

Und spätestens an dieser Aufzählung zeigt sich: Meine Oma hat in der Bundesrepublik Deutschland gelebt. Mein Blick auf Mütterkreise wäre ein anderer, wenn ich mehr darüber wüsste, wie solche Gruppen in der DDR funktionierten und in Ostdeutschland nach der Wiedervereinigung miteinander lebten. Mütterkreise, die sich im Raum der Kirchen trafen, waren in der DDR – so wie alle kirchliche Arbeit – durchaus Anfeindungen und Unterwanderungen ausgesetzt. Die propagierten Frauenideale und frauenpolitischen Entscheidungen in der DDR waren darauf bedacht, dass Frauen selbstverständlich einer Erwerbstätigkeit nachgehen. Auch dann, wenn sie Mütter sind. In der Praxis übernahmen Frauen trotzdem mehr Care Arbeit und trugen auch im Haushalt die größeren Lasten. Die in Ost und West unterschiedliche Emanzipationsgeschichte wirkt bis heute nach.

Abkultung der Mutter?

Aber zurück zu Mütterkreisen: Sie stehen für mich offensichtlich in Verbindung mit einem Clash von Frauenbildern und Frauenbiografien. Und das ist kein Wunder: Insbesondere in Deutschland ist eine gewisse Abkultung von Müttern spätestens seit den Mütterkreuzen im Nationalsozialismus zu erkennen. Es wird diskutiert, ob dabei im Hintergrund veränderte Geschlechterbilder durch die Reformation und konkret auch das Leben von Martin Luther und Katharina von Bora stehen.

Sind Mütterkreise Orte der Selbst-Abkultung? Liegt darin ihre Exklusivität begründet? Der Begriff „Mütterkreis“ hatte historisch und hat wahrscheinlich auch heute vor allem gebärende Personen im Blick. Nicht jede Frau teilt diese Erfahrung. Nicht jede Mutter hat ein Kind geboren. Und nicht nur Frauen gebären. Solche exklusiven Momente bestehen bis heute weiter. Auch dort, wo eher unreflektiert an traditionellen Begriffen wie eben „Mütterkreis“ festgehalten wird. War ja schon immer so! Aber es gibt natürlich auch Veränderungen. In vielen Kirchgemeinden gibt es heute dem Namen nach Eltern-Kind-Gruppen oder Eltern-Kind-Arbeit mit unterschiedlichen Veranstaltungsformaten. Diverse sexuelle und geschlechtliche Identitäten der Eltern werden so wahrgenommen. Diese Angebote richten sich allerdings zumeist an Eltern, deren Kinder noch klein sind. Sind die „Krabbelgruppen“ unserer Tage wirklich anders als der Mütterkreis meiner Oma?

Wer auf die Mütterkreise vergangener Jahrzehnte zurückblickt, muss bedenken, dass es sich um Personen gehandelt hat, die aller Wahrscheinlichkeit nach – hier denke ich wieder besonders an die bundesrepublikanischen Umstände – in ihrem Alltag sehr auf sich gestellt waren. Viel Zeit haben sie mit Care- und Haus-Arbeit verbracht. Ein Forum zu haben, in dem sie sich über die alltäglichen Herausforderungen austauschen und möglicherweise auch einander etwas von dem Leid abnehmen konnten, das einige von ihnen in ihrer Situation erfahren haben, scheint mir ein nicht zu unterschätzendes Gut. Mancher Mütterkreis wird kritisches Potenzial entfaltet haben. In Mütterkeisen besteht sicher die Gefahr der Exklusivität und Reproduktion von traditionalistischen Frauenbildern, aber eine Gruppe von marginalisierten Erfahrungsexpert*innen kann auch in Bewegung versetzen, Engagement bestärken und ermöglichen.

Von meiner Oma weiß ich, dass sich die Gespräche untereinander viel um Fragen der Erziehung drehten. Ob das jetzt alles wirklich hilfreich für sie oder meinen Vater war, sei einmal dahingestellt. Aber die Eltern-Gruppe als Ort, an dem sich mit aktuellen Erziehungskonzepten auseinandergesetzt wird und diese weiterverbreitet werden, ist bis heute aktuell. Heute finden viele Eltern auf Instagram und Co. Zuspruch und Ratschläge. Ist das Verfolgen einer „Mama-Bloggerin“ in den Soziale Netzwerken der Mütterkreis unserer Tage? Welche Auswirkungen haben Medialisierung und Kommerzialisierung der Eltern-Kind-Arbeit?

Ist der „Mütterkreis“ etwas für mich?

Wie würde ich als „junge Mutter“ mich heute in einen Mütterkreis hinein bewegen? Wahrscheinlich würde ich mich zuerst am Namen stören. Selbstzuschreibungen sind wichtig und Namen nicht Schall und Rauch. Ich sehe Elternschaft als – womöglich – geteilte, aber auf jeden Fall nicht allein mütterliche Aufgabe.

Dass es immer noch Schwierigkeiten gibt, den so genannten mental load in heterosexuellen Elternkonstellation gerecht aufzuteilen, darf aber natürlich nicht übersehen werden. Deshalb kann es schon von Nutzen sein, wenn sich Frauen, die tendenziell mehr Care- und Hausarbeit übernehmen, zusammenschließen. Entstehen so produktive kritische Ansätze? Mütterkreise können sicher Orte sein, wo Dampf abgelassen wird. Statt Kritik und Veränderung kann dadurch aber auch das Vermögen bestärkt werden, sich in die vorgeprägte und gesellschaftlich wie „vom Partner“ erwünschte Rolle einzufügen.

Ich persönlich würde in einem Kreis von Frauen, die ihren Fokus vor allem auf Care- und Hausarbeit legen, auf Personen treffen, deren Lebenserfahrung und Schaffenskraft mich faszinieren würden. Ich glaube, dass sie einen Sensus für Probleme und Chancen haben, die mir gar nicht auffallen, weil ich beides nicht als meine Hauptaufgaben oder Kernarbeitsbereiche sehe. Ich habe als „junge Mutter“ keine feste Gruppe, mit der ich mich regelmäßig austausche, aber natürlich stehe ich im engen Kontakt mit Freundinnen, die auch Mütter sind und von deren Erfahrungen ich mitlerne. Viele von ihnen wohnen allerdings nicht in meinem Ort. Unsere Gesellschaft ist viel mobiler geworden, als es noch vor wenigen Jahren war. Ich fühle mich mit meinen Freund*innen verbunden, die an verschiedenen Orten wohnen. Möglicherweise spreche ich lieber mit den mir bereits Liebgewonnenen, als hier vor Ort in eine neue Gruppe zu gehen.

Wie verbindend Elternschaft und in meinem Fall dezidiert Mutterschaft aber sein kann, zeigte mir in diesem Sommer das Kleinkindabteil im Zug: Hier sind Eltern um ihre und die anderen Kinder bemüht und offen für Interaktion. Das ist eine schöne Atmosphäre, finde ich. Und die bestärkt und entspannt mich. Vielleicht wäre es doch schön, so etwas häufiger und ritualisierter zu erleben?

Können Mütterkreise heute Orte des Gesprächs zwischen den Generationen sein? (Bild erstellt mit Playground AI)

Safe Spaces? Ja, bitte!

Aber ich habe große Berührungsangst: Ist das nicht was für Großmütter? Und abgesehen davon, dass ich beim Backen nicht mithalten könnte, wäre so ein wöchentlicher Termin auch gar nicht so leicht integrierbar. Aber es stellen sich auch grundsätzliche Fragen: Wie wird mit geschlechtsspezifisch segregierten Gruppen in Kirche und Gemeinde umgegangen? Verschiedene kirchliche Arbeitsstellen, die sich mit Geschlechterthemen befassen oder dezidiert an Frauen oder Männer gerichtet sind, stehen vor Erklärungsnot und Finanzierungsdruck. Hatten Mütterkreise ihre Zeit und jetzt ist eine andere?

Die Eltern-Kind-Gruppe, den Mütterkreis oder die Frauengruppe möchte ich nicht belächeln, wie es möglicherweise hier und da geschieht. Die Stabilität, die Gemeindeglieder einander auch insbesondere in diesen Kreisen schenken, ist nicht bezifferbar. Hier kommen Menschen einander nahe und können persönlich erzählen – auch von ihren Kindern oder Enkeln und deren Umgangsweisen mit sexueller Orientierung, geschlechtlicher Vielfalt und der Überwindung antiquierter Geschlechterrollen.

Brauchen wir nicht solche safe spaces, in denen Menschen ihre – möglicherweise ähnlichen – Erfahrungen miteinander teilen? Auf jeden Fall! Aber um für alle safe space sein zu können, brauchen Mütterkreise wie jede andere kirchliche Arbeit noch sehr, sehr viel. Ich bin mir sicher, es gibt Mütterkreise, die gar nicht so kartoffelig sind, wie man sich vielleicht denkt. In denen Frauen aus der Nachbarschaft zusammenkommen und nicht geguckt wird, ob sie Kirchenmitglied sind oder nicht. Es gibt natürlich gute Beispiele, wo das Zusammenleben von – in diesem Falle Frauen – mit verschiedenen Herkunftsorten, Liebes- und Lebensformen gelingt.

Gibt es bei Euch (noch) Mütterkreise? Und wie schätzt Du deren kritisches Potenzial ein? Bist Du vielleicht selbst in einem Mütterkreis? Oder warum nicht? Welche Veränderungen wären deiner Meinung nach nötig? Ich bin gespannt auf Eure Antworten – gern als Kommentare hier unten drunter! Danke!



Die Antwort von
Eule-Familienkolumnistin Daniela Albert liest Du hier.

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