Kolumne Sektion F

Reformationstag als Frauenkampftag?

War Martin Luther ein Frauenfeind? 500 Jahre nach den ersten weitverbreiteten von Frauen verfassten Flugschriften der Reformation, wird der Reformationstag geschlechtersensibel hinterfragt.

Mal wieder Reformationstag. Je nachdem, wo mensch wohnt, ist heute frei und Feierstimmung angesagt. Andere Menschen haben erst am 1. November frei. Allerheiligen. So machen sich doch die Folgen der Reformationszeit bis heute bemerkbar in Ländern und Regionen, die vor allem katholisch oder jenen, die vor allem evangelisch geprägt waren oder sind. Bei allem ökumenischen Bemühen bleiben diese Feiertage bestehen.

Der Reformationstag wurde sogar erst mit und nach dem 500. Reformationsjubiläumsjahr 2017 als gesetzlicher Feiertag in einigen deutschen Bundesländern eingeführt. Man hätte ja zum Beispiel auch den „Internationalen Frauentag“ am 8. März bundesweit einführen können, so wie es Berlin 2019 und zu Beginn diesen Jahres Mecklenburg-Vorpommern getan haben. In Hamburg protestierte 2020 die Gruppe Pikantifa gegen den Reformationstag als Feiertag und verzierte das Lutherdenkmal am Michel mit „8.3. statt 31.10.“. Unter den Namenszug Luthers schrieben sie „Frauenfeind“.

In diesem Sommer gab es auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag eine besondere Chance: Jede*r konnte sich beim Stand des Lutherischen Weltbunds mit einer großen Lutherfigur ablichten lassen und Schilder wie „Frauenordination“ hochhalten. Was für ein Widerspruch?! Welchem Luther wird gedacht? War er ein Frauenhasser, der nun als Vordenker der Frauenordination gefeiert wird? Dahinter steckt eine krasse Geschichtsglättung der Kämpfe, die auch lutherische Frauen nach wie vor führen, um geistliche Ämter übernehmen zu können. Ganz offensichtlich zeigt sich also: An Luther scheiden sich auch hinsichtlich Frauen- und Geschlechterfragen die Geister!

Kampfplatz Nr.1: Nonnen vs. Ehefrau(en)

Im Reformationsjubiläumsjahr 2017 gab es auch einen „Katharina Luther“-Film. Auch diese Seite der Reformation sollte gezeigt werden: Die erste „Pfarrfrau“ (obwohl Luther ja Theologieprofessor war), die tüchtig ihrem Mann den Rücken freihielt und ohne die er alles gar nicht geschafft hätte. Dieses Verdienst ist ja gar nicht zu schmälern. Trotzdem kristallisieren sich an Katharina von Bora Frauenbildideale heraus, die dann auch mit einer gewissen konfessionellen Polemik aufgeladen wurden.

Katharina von Bora gilt als Paradebeispiel einer Nonne, die dem Kloster entflohen ist, nachdem sie von der reformatorischen Lehre gehört hatte. Tatsächlich sind Klosterfluchten ein Phänomen, das nicht nur Frauen betraf. Wenn Geschlechterideale gegeneinander „abgewogen“ werden, wird zwischen einem katholischen Keuschheitsideal und einem evangelischen Eheideal unterschieden. Die Frage nach Keuschheit und Ehe ist schon im Zweiten Testament unterschiedlich beantwortet worden: Der im Matthäus-Evangelium überlieferte Jesus weiß darum, dass nicht allen die Möglichkeit gegeben ist, zölibatär zu leben (Mt 19,12). Paulus empfiehlt die Ehelosigkeit, aber sieht sie nicht als göttliches Gebot (1Kor 7,25). Dabei liegt der Fokus eher auf dem Mann. Besser verheiratet, als „umtriebig“, möchte ich sagen, ist Paulus‘ Motto (1 Kor 7,8f.). Unverheiratete Frauen könnten sich, nach Paulus, aber um die göttlichen Dinge sorgen (1 Kor 7, 32–35). Die Monogamie wurde nur Bischöfen empfohlen (1Tim 3,2-4).

Konfessionell aufgeladen wurde die Reformation dann als Befreiung der Frauen vom Zwang, keusch leben zu sollen: „Jetzt“ und evangelisch durften sie auch Familie haben. Das geht natürlich total an der Tatsache vorbei, dass das Gros der Frauen auch vor der Reformation selbstverständlich nicht im Kloster gelebt hat. Mit der Reformation setzte allerdings tatsächlich eine geistliche Aufladung von Mutterschaft und Ehe im großen Stil ein. Von seinen Gegner*innen wurde Luther persönlich angekreidet, dass er als ehemaliger Mönch nicht an sich halten konnte und dann ausgerechnet auch noch eine entlaufene Nonne heiraten musste. Sexualität wurde also von Luthers Feind*innen als Schwäche verpönt. Das Ehefrauen- und Mutterideal gestand Frauen zwar eine Anerkennung zu, wenn sie als solche lebten; kinderlose und/oder unverheiratete Frauen blieben demgegenüber aber fast schon stigmatisiert.

Außerdem muss mensch schon einmal betonen, dass Frauenklöster überhaupt eine der wenigen Möglichkeit boten, sich relativ deutlich von patriarchaler Macht oder der Abhängigkeit von Männern zu emanzipieren. Teilweise hatten Äbtissinnen quasi Fürstinnenstatus. Und es gab auch weiter evangelische Frauenklöster nach der Reformation oder mit bspw. der Communität Christusbruderschaft Selbitz (hiervon berichtet auf Instagram Sr. Martina @himmelsspuren) auch noch Gründungen evangelischer geistlicher Gemeinschaften im 20. Jahrhundert! Klöster sind also nicht „nur“ katholisch und die Reformation markiert nicht – wie oft behauptet – das Ende des evangelischen Klosterwesen.

Wie so oft ist hier also ein deutliches „sowohl als auch“ festzuhalten: Frauen „mussten“ mit reformatorischer Lehre im Kopf nicht mehr keusch leben, allerdings wurde ihr Wirkungsbereich vor allem im Häuslichen und Familiären gesehen. Die katholische Wertschätzung von Familie, die, wenn ich das richtig beobachte, auch Individualrechte von Frauen einschränkt, ergänzt mittlerweile aber auch längst das Keuschheitsideal.

Kampfplatz Nr. 2: Verheiratete Pfarrer und Pfarrfrauen

Katharina von Bora, die als Prototyp der Pfarrfrau hochgehalten wird, obwohl ihr Mann Theologieprofessor war, ist auch das personifizierte Symbol für die Priesterehe, die nach wie vor ein konfessioneller Marker ist. An Pfarrfrauen kristallisiert sich noch mal stärker das Ehefrauenideal heraus: Kinder, Küche, Kirche als die Trias des Wirkungsbereichs von Frauen insgesamt, betrifft/betraf auch besonders Pfarrfrauen. Und das beeinflusst auch heute noch Pfarrerinnen, denn sie sind fortan ein Mix aus dem Bild eines „Pfarrers“ und „seiner Pfarrfrau“ in einem. Kuchen fürs Buffett mitbringen und Gottesdienst zum Gemeindejubiläum halten in einer Person statt zwei. Es gibt sicherlich heute auch Pfarrer und Pfarrmänner, die backen, aber die Erwartungshaltung ist noch immer eine recht einseitige.

Tradierte Geschlechterrollen schränken trotz nomineller Vielfalt und Offenheit weiterhin ein: Vielleicht möchte ein Pfarrmann ja gar nicht, dass extra hervorgehoben wird, dass auch er einen Kuchen für das Gemeindefest gebacken hat? Vielleicht fühlt sich eine Pfarrfrau schlecht, wenn sie keinen Kuchen backt und sieht sich in Selbsterklärungsnot? Was verändert sich mit queeren Paaren im Pfarrhaus? (Also, wenn sie da überhaupt leben dürfen, was ja auch noch nicht jede Landeskirche ohne Umschweife toleriert.) Welche Erwartungen spüren Pfarrpartner*innen? Welche Erwartungen werden tatsächlich ausformuliert?

Kampfplatz Nr. 3: „Ehefrauen von Reformatoren“ oder „Reformatorinnen“?

Bei allem Fokus, der medial durchaus auf Katharina von Bora ruht, bleibt außer Acht, dass es auch Frauen der Reformationszeit gibt, von denen wir tatsächlich Quellen lesen können. Regional wird das je unterschiedlich sein. In Bayern wird Argula von Grumbach manchen Menschen ein Begriff sein; in Baden-Württemberg hat wahrscheinlich schon ein Großteil der treuen Kirchgänger*innen etwas von Katharina Zell gehört. Für Norddeutschland gesprochen – ja, dazu zähle ich auch schon Niedersachsen! – ist die Erinnerung an Elisabeth von Calenberg-Göttingen als Reformationsfürstin auf jeden Fall noch steigerbar.

In der Erinnerungsarbeit scheinen vielen Menschen jene Frauen zugänglicher, über die vor allem ihre eigenen Männer etwas geschrieben haben. Wibrandis Rosenblatt, die mit den Reformatoren Johannes Oekolampad, Wolfang Capito und Martin Bucer (nacheinander) verheiratet war, ist ebenfalls eher durch Aussprüche über sie als Texte von ihr bekannt. Entweder, weil es keine Texte von ihr gab oder weil ihre Texte nicht gleichermaßen wertgeschätzt und erhalten wurden. Es ist also eine Quellenfrage. Immer gilt das Interesse auch den Männern, deren Frauen „kennengelernt“ werden sollen.

Bei Argula von Grumbach ist das wirklich anders. Vor 500 Jahren verfasste sie ihre Flugschriften, die die Ingolstädter Universität und ihren Umgang mit einem Theologiestudenten kritisierten, der gezwungen wurde, die lutherische Lehre zu widerrufen. Ein wirklich ganz besonderer Vorgang, von dem wir wissen, weil sich die Schriften auch schon zur Verfassungszeit einer breiten Öffentlichkeit erfreuten.

Reformationstag 2023 als Frauenkampftag?

Woran sollen wir uns also dieses Jahr zum Reformationsjubiläum erinnern? Nochmal Thesen“anschlag“? Oder an dieses reformatorische Ereignis, als eine gebildete adelige Frau gemäß der lutherischen Lehre, alles an der Schrift zu prüfen, sich öffentlich engagierte und ihre Schriften in den Umlauf gekommen sind, weil sie Menschen begeistert haben – weil sie wirklich etwas Besonderes waren?

Der 31. Oktober wird mindestens teilweise als Feiertag begangen – auch in G*ttesdiensten. Ich verstehe die Forderung der Pikantifa sehr gut. Warum sollte dieser Mensch Martin Luther, der vor 500 Jahren lebte, gefeiert werden? Luthers Theologie scheint ja nicht der primäre Fokus dieses Feiertags zu sein. Meist wird Luther als „Vordenker der Aufklärung“ gefeiert. Der Fokus auf das Subjekt in seiner Theologie bringt in der Folge ja tatsächlich Menschen zum Weiterdenken. Aber ausgerechnet das Datum des 31. Oktobers – also die Erinnerung an Luthers 95 Thesen – hat zunächst das Interesse an der richtigen Buße zum Inhalt. Das ist wenig liberal, aufgeklärt oder progressiv.

Wenn wir im Jahr 2023 tatsächlich Selfies mit Luther als Verfechter der Frauenordination machen, wird verdeckt, dass nach Luther Frauen nur im Notfall (also wenn kein männlicher Laie zur Verfügung stand) predigen durften, und dass nach Luther die primären Aufgaben von Frauen im Häuslichen lagen. Weil der Reformationstag am 31. Oktober als Erinnerung an den sogenannten Thesenanschlag immer mit Luther himself als Person verbunden bleibt, ist auch dieses aus heutiger Sicht als misogyn enttarnte Erbe neben dem antisemitischen lutherischen Nachlass klar zu benennen. Es muss als ein Ankerpunkt von Festlegungen auf Geschlechternormen, wie sie mit der Reformation einhergingen, kritisiert werden.

Wenn also auch in diesem Jahr wieder Martin und nicht Argula gefeiert wird, dann wünsche ich mir echt, dass dieser teilweise gesetzliche (!) Feiertag doch einem anderen weiche. Wir könnten dann wirklich den 8. März auch als gesetzlichen Feiertag begehen. Oder auch den 23. Mai als „Tag des Grundgesetzes“. Schauen wir mal, ob und wie dieses Jahr gefeiert wird und wie die Lutherdenkmäler geschmückt werden! Wo das nächste ist, findet jede*r hier: https://www.luther-denkmaeler.de


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