Ist die Digitalisierung ein Klima-Killer?
Ist das Netz ein Klimakiller oder kann die Digitalisierung sogar bei der Dekarbonisierung unserer Wirtschaft helfen? Wie wir unseren digitalen Konsum ethisch reflektieren und umgestalten müssen.
Digitalisierung ist für unser Zusammenleben das Maß aller Dinge. WhatsApp, E-Mails, TikTok, BeReal, Streaming-Dienste, Handys, Laptops, Tablets … Wir brauchen und gebrauchen digitale Geräte und Dienste ständig. Die Corona-Pandemie hat – bei aller Last – gezeigt, welche Möglichkeiten in der digitalen Welt neu genutzt werden können (etwa Online-Konferenzen usw.). Für die Kirchen bietet die Digitalisierung ebenso neue Möglichkeiten. Philipp Greifenstein und Hanno Terbuyken sprechen in ihrem Buch zurecht davon, dass Digitalisierung Pflicht der Kirche sei.
Auch für die sozio-ökologische Transformation ist die Digitalisierung wichtig. Dabei gehen Begriffe wie „Dekarbonisierung“ und „Digitalisierung“ oft Hand in Hand. Manchmal geht es sogar um Dekarbonisierung durch Digitalisierung:
„[D]ie erfolgreiche und zügige Erreichung von Nachhaltigkeits- und Klimaschutzzielen des Pariser Abkommens sowie des europäischen Green Deal rückt immer stärker in den Mittelpunkt politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Handelns. Die Dekarbonisierung der Energiewirtschaft leistet dabei einen wesentlichen Beitrag und ist unweigerlich mit der Modernisierung und insbesondere mit der Digitalisierung der Energiewirtschaft verbunden.“
Christoph Schenek, Manager bei Microsoft Deutschland, sagt es kurz und bündig.
„[W]er die Fähigkeiten seiner Mitarbeitenden und die Mittel der Digitalisierung für seine Nachhaltigkeitsstrategie nutzt, wird nachhaltiger und erfolgreicher.“
Nachhaltigkeit, Umweltfreundlichkeit und Digitalisierung gehen also Hand in Hand. Jedoch ist Vorsicht geboten: Wir denken schnell, dass Internet & Co. sauber sind. Schließlich verbrauchen wir beim Reisen auf der Datenautobahn kein Benzin, das wir irgendwo reinkippen müssten. Die Digitalisierung ist allerdings bei weitem nicht einfach so klimafreundlich – im Gegenteil. Auch hier müssen wir den Konsum überdenken und ändern, sonst ist die Digitalisierung ein Klima-Killer.
Energiefresser Digitalisierung
Zunächst: Ein Blatt Papier verursacht etwa 5g CO2. Pro Anfrage auf Google hingegen werden 0,2g CO2 verbraucht und eine durchschnittliche Website produziert 6,8g CO2 pro Seitenaufruf. Die Digitalisierung passiert nicht im luftleeren Raum, sie verursacht Emissionen. Digitalisierung bedeutet mitnichten einen ressourcenfreien Verbrauch, der keine Auswirkungen auf die Umwelt hätte. 4% der weltweiten Treibhausgasemissionen gehen auf das Konto der Digitalisierung. Zum Vergleich: Der Flugverkehr ist verantwortlich für 3,06% CO2-Emissionen (bzw. 5%, wenn man weitere Klimaeffekte etwa die Höhe der Emissionen hinzuzieht). Von einem „rasanten Anstieg der Treibhausgasemissionen“ berichtet Joel Schmidt im nd:
„Denn die Digitalisierung nahezu aller Lebensbereiche und mit ihr die ständige Verfügbarkeit sämtlicher Dienste lässt sich nicht trennen von dem Ressourcenverbrauch, der für die bloße Bereitstellung der entsprechenden Infrastruktur vonnöten ist. Was das heißt? Wäre das Internet ein Land, hätte es im Jahr 2020 mit 2,8 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes Platz Sechs der zehn größten Treibhausgas-Emittenten des Planeten belegt. Zum Vergleich: Deutschland lag im selben Jahr mit einem Verbrauch von etwa 730 Millionen Tonnen CO2 auf Platz Acht.“
Internetnutzung und Datenverbrauch steigen, es werden immer mehr Daten gespeichert. Das alles benötigt eine energieintensive Infrastruktur. Rechenzentren machen die Daten nutzbar, die von Datennetzen weitergeleitet werden. Die damit einhergehenden Treibhausgasemissionen werden durch die Bereitstellung der Technik, jedoch vor allen Dingen durch den Dauerbetrieb technischer Einrichtungen verursacht. Wenn etwa ein Foto über WhatsApp geschickt wird, soll dieses auch ankommen – und zwar zu jeder Zeit. Der Stromfresser Digitalisierung wächst und wächst, was etwa die folgende Darstellung des Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit für das Land Deutschland deutlich macht:
„Facts Stromverbrauch: Rechenzentren verbrauchten im Jahr 2022 17,9 Mrd. kWh Strom. Das sind 3,7 % des deutschen Stromverbrauchs und deutlich mehr als die ganze Stadt Berlin benötigt. Der Stromverbrauch von IT-Komponenten in den Rechenzentren hat sich seit 2010 mehr als verdoppelt. Ein Anstieg auf über 30 Mrd. kWh/a im Jahr 2030 wäre möglich.“
Auch der „KI“-Hype ist ein wahrer Klimakiller. Forscher:innen warnen vor dem enormen Energieverbrauch für das „Training“ der „KI“-Rechenmodelle. Texte, Bilder und bald schon lange Videos und Filme mit „KI“ herzustellen, verbraucht deutlich mehr Energie als die bisherige Produktion. Mit neuen Techniken geht nicht automatisch ein Gewinn an Effizienz einher.
Rebound-Effekte
Für ein solches Wachstum und insbesondere für das permanente Dauerangebot an digitaler Vernetzung lässt sich schlichtweg kein Strom anbieten, der 100% grün ist. Die Sonne scheint nicht in der Nacht, doch die Rechenzentren laufen rund um die Uhr. Zwar gibt es durchaus technische Errungenschaften. Dies wird etwa beim Film-Streaming deutlich: 400g CO2 werden bei Streaming mit älteren Kabeln verbraucht (etwa Kupferkabel), beim mobilen 3G-Netz 90g und beim 5G-Netz sind es nur noch 5g. Jedoch werden diese technischen Errungenschaften sofort von der Masse der Nutzung aufgefressen, ein „Rebound-Effekt“.
„Dem französischen Thinktank The Shift Project zufolge setzt eine einzelne Google-Suche zwar einen verschwindend geringen Ausstoß von 0,2 Gramm CO2 aus. Nur gibt es weltweit mehr als 3,5 Milliarden solcher Suchanfragen – pro Tag.“
„Im Gegensatz zu vielen anderen Industrien, die nach Effizienz streben und die Emissionen senken, werden die Emissionen aus dem Internet in den kommenden Jahren rapide ansteigen. Die Zahl der Menschen weltweit, die Zugang zum Internet haben, nimmt zu, und da die Daten schneller und billiger werden, verbrauchen wir alle mehr.“
Problem Wasserknappheit
Neben dem hohen Verbrauch an Energie benötigen Rechenzentren auch viel Wasser. Der Meta-Konzern, zu dem etwa Facebook, WhatsApp und Instagram gehören, plant im spanischen Talavera de La Reina ein riesiges Rechenzentrum (180 Hektar Land plus 400 Hektar für Solarmodule), das 665 Millionen Liter Wasser im Jahr verbrauchen soll. Gerade in dieser Region wurden im Sommer 2023 Hitzerekorde registriert. Dürre und Trockenheit prägen die heiße Jahreszeit. Je heißer es ist, desto mehr Energie und Wasser wird benötigt, um zu kühlen.
Warum gerade dort ein Rechenzentrum bauen? Umweltverbände und Bewohner:innen protestieren, internationale Stimmen schließen sich dem Widerstand an. Eine Bürgerinitiative ist entstanden mit dem Namen: „Tu nube seca mi río“ („Deine Cloud trocknet meinen Fluss aus“). Der Ausgang ist ungewiss, dennoch sind solche Aktionen richtig und wichtig. Das Wasser ist knapp. Wo ist ein solcher Bau tatsächlich sinnvoll? Yann Lechelle und Paul Benoit rufen bei Datacenter Insider dazu auf, das Schweigen über die Rechenzentren zu brechen:
„Der Wasserverbrauch der Rechenzentren belief sich in den USA im Jahr 2020 auf schätzungsweise 660 Milliarden Liter. Rechenzentren, die für ein funktionierendes Internet unerlässlich sind, verbrauchen – sogar in Trockengebieten – bis zu 3,8 Millionen Liter Wasser am Tag. Da es durch die vermehrte alltägliche Computernutzung immer mehr Rechenzentren gibt, zählt die IT-Branche bereits zu den Top 10 der Industrien mit dem höchsten Wasserverbrauch weltweit.“
Was tun?
Die Digitalisierung ist nicht wegzudenken – und das ist auch gut so (sonst würde es etwa dieses schöne Online-Magazin gar nicht geben). Aber die Digitalisierung ist nicht einfach der Schlüssel zum neuen sozio-ökologischen Schlaraffenland. Sie muss gesteuert werden und wir haben mit ihr verantwortungsvoll umzugehen.
Da ist zunächst der individuelle Bereich: Welche Suchmaschinen nutze ich? Werden mit jedem Klick beim Suchen vielleicht Bäume gepflanzt (wenigstens eine kleine schöne Nebenwirkung)? Bei welchem Anbieter habe ich mein E-Mail-Konto? Versucht der Anbieter sich so weit wie möglich nachhaltig zu engagieren?
Wer den CO2-Verbrauch von Webseiten messen möchte, kann dies übrigens mit diesem Carbon-Footprint-Tool („Website Carbon Calculator“) tun. Es macht Spaß und man lernt etwas dabei: Die Eule zum Beispiel verbraucht im Jahr etwa so viel CO2, wie 6 Bäume aufsaugen können. Mit den ca. 240 kWh Energie, die diese Website verbraucht, käme ein E-Auto gut 1.500 km weit. Obwohl der Server der Eule nicht ausschließlich grüne Energie nutzt, reicht das noch für ein Rating von „B“ auf der Skala.
Laut kinsta handelt es sich um ein Werkzeug „das Daten über den CO2-Ausstoß pro Seitenaufruf, den jährlichen CO2-Ausstoß […], den jährlichen Energieverbrauch und darüber, ob die Webseite in einem mit erneuerbarer Energie betriebenen Rechenzentrum gehostet wird oder nicht, liefert. Mit diesem Tool ist es möglich, die eigene Webseite mit der Konkurrenz zu vergleichen und Ziele für die eigene Kohlenstoffreduzierung zu setzen.“
Zwei Tests: evangelisch.de, das offizielle evangelische Online-Portal, erhält die schlechteste Bewertung „F“. Nehmen wir einmal an, evangelisch.de besuchten ebenso viele Menschen wie Die Eule (tatsächlich sind es viel mehr!), bräuchte es über 30 Bäume, um das ausgestoßene CO2 wegzuatmen. Laut dem Analyse-Werkzeug läuft auch evangelisch.de nicht auf einem grünen Server. Anders sieht das bei ekd.de aus, der Website der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), die laut Carbon-Rating mit nachhaltiger Energie betrieben wird (und insgesamt auf ein Rating von „D“ kommt).
Es gibt eine ganze Palette an Maßnahmen, wie man eine Website nachhaltig gestalten kann, um weniger CO2 zu verbrauchen (mehr dazu). Testen Sie ruhig mal aus!
Mehr als Du brauchst!
Eine kritische Betrachtung unseres Konsums geht aber nicht in der Betrachtung des Klimafußabdrucks einzelner Angebote auf. Das würde an den Rebound-Effekten (s.o.) vorbeigehen. Wir müssen uns fragen: Wieviel brauchen wir wirklich? Wieviel Streaming und digitaler Dauerbetrieb ist uns wichtig? Es geht also um Suffizienz, die neben Effizienz und Konsistenz eine elementare Nachhaltigkeitsstrategie ist, die auch wir auf dem digitalen Bereich anzuwenden haben. Auch hier stellt sich die Frage: Können wir unendlich wachsen? Oder braucht es bewusste Scherpunktsetzungen – und zwar individuell, aber auch strukturell-politisch?
Auf politischer Ebene könnte man etwa Impulse setzen, dass auch große Tech-Konzerne ihren Beitrag leisten, wie Joel Schmidt schreibt:
„Etwa, indem sie ihre Geschäftsmodelle anpassen und das Speichern von Cookies unterlassen, mit denen das Verhalten von Nutzer*innen zu Werbezwecken überwacht wird. Schätzungen des niederländischen Forschungsinstituts CE Delft zufolge erzeugen allein die Tracking- und Werbeaktivitäten mobiler Apps innerhalb der Europäischen Union jährlich Datenströme zwischen 29,6 und 50,4 Milliarden Gigabyte. Das entspricht CO2-Emissionen von fünf bis 14 Millionen Tonnen: So viel, wie 950 000 Menschen im Jahr produzieren.“
Datenschutz- und Datensparsamkeit sind also auch gut für das Klima. Es gibt politische Wege, die wir gehen können und für die wir uns zivilgesellschaftlich einsetzen können. Und es gibt positive Synergie-Effekte, die ausgebaut werden sollten, z.B. etwa die Einspeisung der Abwärme von Rechenzentren in Fernwärmesysteme. Borderstep hat ermittelt:
Facts Abwärme: Aktuell könnten theoretisch 350.000 Wohnungen mit der Abwärme aus Deutschlands 90 Großrechenzentren geheizt werden. Bis 2035 könnten auch praktisch bis zu 6 Mrd. kWh/a an Abwärme aus Rechenzentren genutzt werden. Damit könnten bis zu 600.000 Wohnungen mit Wärme aus Rechenzentren versorgt werden.
Und die Kirchen?
Die Kirchen schweigen in ihrer öffentlichen Kommunikation bisher größtenteils, wenn es um den zwiespältigen und problembehafteten Zusammenhang von Digitalisierung und Nachhaltigkeit geht. Dabei betreffen diese Themen uns alle! Die Kirchen stehen vor der doppelten Herausforderung, sich den digitalen Raum anzueignen und kritisch danach zu fragen, wie er nachhaltig genutzt werden kann. Dabei sollten sie sich beeilen, um als transformative Kraft im digitalen Raum mitspielen zu können. Einzubringen haben sie viel, denn statt auf Gier und Wachstum setzt christliche Wirtschaftsethik auf das Maßhalten und das gute Auskommen mit der Schöpfung.
Die Digitaldenkschrift der EKD von 2021 „Freiheit digital“ (hier in der Eule, PDF) verhandelt den Zusammenhang von Nachhaltigkeit und Digitalisierung unter dem Stichwort Generationengerechtigkeit und entwirft auf knapp vier Seiten auch ein Bild davon, wie nachhaltiges digitales Wirtschaften in Kirche und Diakonie ausschauen kann (ab. S. 120).
„Digitalisierung und Nachhaltigkeit – nicht allein in Bezug auf Mobilität – konsequent zusammenzudenken, wird auch ökonomisch sinnvoll, wenn die umwelt- und klimaschädigenden Kosten von Produktion, Konsum und Transport in unternehmerische und politische Entscheidungen einbezogen werden.“ (S. 117)
Die zur Digitaldenkschrift gehörende Website ekd-digital.de erhält im Website-Carbon-Calculator übrigens die Bestnote „A+“. Mit „Freiheit digital“ bekennt sich die Kirche dazu, gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Partnern die Digitalisierung stärker ethisch zu reflektieren und entsprechend zu gestalten:
„Diese Herausforderung für Politik, Kirche und Gesellschaft bedeutet auch die Bereitschaft, sich für notwendige grundlegende, systemische Veränderungen einzusetzen, etwa im Sinne einer konsequenten Dekarbonisierung und der Abkehr von einem ressourcen- und energieintensiven, an quantitativem Wachstum orientierten Wirtschafts- und Gesellschaftssystem.“ (S. 123 f.)
Kolumne „Tipping Point“
In unserer Kolumne „Tipping Point“ schreibt Tobias Foß über die sozial-ökologische Transformation. Welchen Beitrag können Christ:innen und Kirchen leisten? Welche Probleme müssen bewältigt werden? Welche Kipppunkte gilt es in Theologie und Glaubensleben wahrzunehmen?
Mit „Tipping Point“ wollen wir in der Eule an Fragestellungen im Licht der Klimakrise dranbleiben. Dabei stehen nicht allein Klima- und Umweltschutz im Zentrum, sondern auch die Auswirkungen von Klimawandel und Umweltzerstörung auf unser Zusammenleben. Die Klimakrise verändert schon jetzt unsere Gesellschaft(en). In „Tipping Point“ geht Tobias Foß diesen Veränderungen auf den Grund und beschreibt Ressourcen und neue Wege.
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Mitarbeit: Philipp Greifenstein