Gepflegte Feindbilder – Die #LaTdH vom 5. Mai
Die Evangelische Kirche hat an ihrem Schrumpfen zu knabbern: Weiter wie bisher oder doch ganz anders? Außerdem: Georg Bätzings neues Buch, antisemitische Religionslehrer:innen und Rat von Fulbert Steffensky.
Herzlich Willkommen!
„ROM ist kein Gegner“ – so soll das neue Buch von Georg Bätzing heißen, das in diesem Monat bei Herder erscheinen wird. Glaubt man dem Untertitel, will der Limburger Oberhirte und Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) darin erklären, „warum die Kirche Reformen braucht“. Zwar füllen sich seit Jahrzehnten die Bücherregale mit Antworten auf diese Frage, doch entscheidende Fortschritte bei der Umsetzung der Reformvorschläge sind nicht zu verzeichnen. Während in früheren Pontifikaten das Heil in „Neuevangelisierung“ oder „Entweltlichung“ zu suchen war, wird unter Papst Franziskus jetzt „Synodalität“ groß geschrieben – mal als Schlüssel zur Kirche der Zukunft bejubelt, mal als Trojanisches Pferd innerhalb der römischen Festungsmauern verdächtigt.
„ROM ist kein Gegner“ – man fühlt sich an eine Szene aus dem Filmklassiker „Monty Python’s Life of Brian“ (1979) erinnert, in der ein Kommando der „Kampagne für ein freies Judäa“ bei dem Versuch, die Frau von Pontius Pilatus zu entführen, in der Kanalisation von Jerusalem auf Kämpfer der konkurrierenden „Volksfront von Judäa“ mit dem identischen Plan trifft und eine wüste Prügelei untereinander beginnt.
Brian: „Brüder, wir sollten zusammen ringen!“
Einer aus der Gruppe: „Tun wir doch.“
Brian: „Nein, wir müssen unseren gemeinsamen Feind bekämpfen!“
Alle: „Die Judäische Volksfront!“
Brian: „Nein, die Römer.“
Alle: „Ach so, ja ja, die Römer auch.“
Laut Verlagsankündigung beantwortet Bätzing ausgehend von den Stationen seiner Biografie Fragen von Stefan Orth, dem Chefredakteur der Herder Korrespondenz, und „redet dabei Klartext“, u.a. über den Missbrauchsskandal („Entsetzen und Wut“), den Synodalen Weg („Erfolge und Fehler“) und seine Erfahrungen mit Rom („Faszination und bleibende Distanzierung“). Bleibt nur noch die Frage, was eigentlich aus der „Populären Front“ geworden ist. Vermutlich sitzt sie da drüben. Und boykottiert den „Synodalen Ausschuss“.
Alle: „Spalter!“
Einen guten Start in die neue Woche wünscht Ihnen
Ihr Thomas Wystrach
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Debatte
Die evangelische Kirche musste 2023 sowohl bei der Zahl der Mitglieder als auch beim Kirchensteuer-Aufkommen einen deutlichen Rückgang verzeichnen.
So beginnt die Pressemitteilung der EKD vom 2. Mai, mit der die aktuelle Kirchenstatistik vorgestellt wird. „Nach den aktuellen Berechnungen auf Basis der aus den Landeskirchen gemeldeten vorläufigen Zahlen“ gehörten Ende 2023 noch 18.560.000 Menschen einer der 20 Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) an, das sind 3,1 Prozent weniger als im Vorjahr. Das Gesamtaufkommen an Kirchensteuern lag mit etwa 5,9 Milliarden Euro sogar rund 5,3 Prozent unter der Summe von 2022. Bischöfin Kirsten Fehrs (Sprengel Hamburg und Lübeck, Nordkirche), amtierende Ratsvorsitzende der EKD, interpretiert die Zahlen so:
„Wir werden eine kleinere und ärmere Kirche, dieser Tatsache müssen wir uns stellen. Auch mit weniger Mitgliedern bleibt es aber unsere Aufgabe, uns für Nächstenliebe, Menschlichkeit und die Weitergabe des christlichen Glaubens einzusetzen.“
Die Erosion der Kirche setzt sich fort – wann werden die Konsequenzen gezogen? – Christian Wolff (Blog)
„Schrecklich erwartbar“ nennt Christian Wolff die Reaktionen der Kirchenleitung auf die „nicht überraschenden“ Zahlen. Der frühere Pfarrer an der Thomaskirche Leipzig, nun als „Berater für Kirche, Politik und Kultur“ tätig, wirft der „offiziellen Seite“ vor, drei „Hauptprobleme“ auszublenden:
Die zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft. Sie bedeutet vor allem, dass viele Menschen keine Erwartungen mehr an die Kirchen als Glaubensgemeinschaft haben.
Die von der Institution Kirche selbst betriebene, systematische Ausdünnung der Basisorganisation der Kirche: die Gemeinde vor Ort – mit der Folge, dass Kirche in der Fläche mehr und mehr aus dem Bewusstsein der Menschen verschwindet.
Die völlig vernachlässigte, unzureichende Nachwuchsakquise für kirchliche Berufe wie Pfarrer:innen, Gemeindepädagog:innen, Kirchenmusiker:innen und der damit einhergehende Qualitätsverlust kirchlicher Arbeit.
Ausführlicher hatte Wolff seine Thesen bereits im März in seinem Vortrag „Kirche in der säkularen Gesellschaft – Endphase oder neuer Aufbruch“ vorgestellt, mit dem er eine „kritische Auswertung der 6. Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU)“ vornehmen wollte. Die Lektüre von Blogbeitrag wie Vortragsmanuskript lässt einen jedoch eher ratlos zurück:
Natürlich verfügt derzeit niemand über die richtige Strategie, wie Kirche mehr Menschen in der säkularen Gesellschaft ansprechen, motivieren, binden kann.
Kirchenaustritte: So fährt es Jahr um Jahr – Philipp Greifenstein (Die Eule)
In seiner Analyse verweist Eule-Redakteur Philipp Greifenstein auf „multiple Krisen als Austrittsfaktoren“: Der gesellschaftliche Wandel und eine „sachlich-nüchterne Kosten-Nutzen-Rechnung“, konkrete Enttäuschungen, Ärger über politische Positionierungen oder der Umgang mit Missbrauch in der Kirche. Bei der Frage nach den Konsequenzen werde „evangelische Orientierungslosigkeit“ sichtbar:
Die alljährliche Diskussion der Kirchenmitgliedschaftszahlen unter Zurhilfename be- und geliebter Erklärungen und Interpretamente ist inzwischen selbst zu einer „bürgerlichen Kasualie“ geworden, „die der Selbstversicherung darüber dient, den Verfall der abendländischen Kultur nicht nur miterlebt, sondern auch bezeugt zu haben“.
Die Zahlen der evangelischen Kirche sind veröffentlicht – die römisch-katholischen folgen bald. Schon jetzt ist klar: Sie bedeuten weniger Geld für Gebäude, Pfarrstellen und soziale Zwecke. Die sinkenden Mitgliedschaftszahlen wirken sich auch gesellschaftlich aus, erklärt Franziska Hein in ihrem epd-Text, der bei katholisch.de veröffentlicht wurde.
Welche Gründe gibt es für den Kirchenaustritt und Eintritt? – Interview mit Stephan Lackner (Domradio)
Pastor Stephan Lackner, Leiter der evangelischen Wiedereintrittsstelle „Kirche im Blick“ in Hannover, kennt die Motive für den Kirchenaustritt – aber auch Gründe für den Eintritt. Jedes Jahr treten ca. 20.000 Menschen in die Evangelische Kirche ein, deutlich mehr als bei der Katholischen Kirche üblich. Im Interview mit Elena Hong vom Domradio hält Lackner es für „naheliegend“, die Kirchenmitgliedschaft aufzukündigen, wenn die „Beziehung zur Kirche“ verloren gegangen sei. Auch wenn es nachvollziehbare Gründe und berechtigte Kritik gebe, sei die hohe Zahl an Kirchenaustritten nicht einfach durch Unzufriedenheit über die schlechte Arbeit der Kirchen zu erklären:
„Ich glaube, dass wir in einer gesellschaftlichen Strömung sind, dass eine ewig dauernde Bindung zu einem Verein, ein Abo einer Zeitung, ein Klub, öffentlich-rechtliches Fernsehen, nicht mehr gewährleistet ist.“
Gleichzeitig seien die Kirchen gesellschaftlich durchaus anerkannt, gerade ihr soziales und diakonisches Engagement:
„Gerade wenn ich daran denke, wie wir mit Schicksalsschlägen umgehen, wenn Katastrophen passieren und Ereignisse dramatischer Art passieren. Wo finden wir Worte, wo finden wir Räume, wo finden wir Möglichkeiten, damit umzugehen? Plötzlich ist eine ganz große Zufriedenheit und Offenheit und Dankbarkeit dafür da, dass es so eine Institution wie die Kirche gibt, die einen Gedenkgottesdienst macht, die Kerzen anzündet und die Worte findet.“
Gott und das Brot der Armen – Fulbert Steffensky im Gespräch mit Klara Butting (Junge Kirche)
Mitgliederrückgang, Nachwuchsmangel – die Evangelische Kirche in Deutschland sei im „Zukunftsstress“, meint Klara Butting und wünscht sich „eine prophetische Stimme, die sagt, was zu tun ist“. Antworten erwartet sie vom Theologen und Religionspädagogen Fulbert Steffensky. Der legt im Interview für die Junge Kirche auch gleich los:
„Wir werden kleiner? Na und? Wachsen ist zunächst ein geistlicher Begriff, er bedeutet nicht einfach Größer- und Mehrwerden. Wir müssen in schmerzlicher Heiterkeit einsehen und zugeben, dass wir Kirche im Exil sind. Die Ehre und das Recht Gottes sollen wachsen; das Reich Gottes soll wachsen, und das heißt nicht einfach, dass die Kirche wachsen soll. Es gibt die ekklesiologische Verblendung, in der wir heimlich und unbewusst die real existierende Kirche und Reich Gottes in eins setzen. Es genügt, wenn Rom dies tut, wir müssen es nicht nachmachen.“
Einen Abschied von den Wachstumsmetaphern hatte bereits im Sommer 2022 Viola Schrenk bei einem Eule-Live-Abend zur Krise der Kirche empfohlen. Sie schlägt stattdessen eine andere Sprache vor, um über den Wandel in der Kirche zu sprechen.
Fulbert Steffensky warnt vor dem „Selbstbetrug, (…) den Reichtum und die Schönheit zu verkennen, die in den Kirchen überliefert sind“. Zwar sollten Christ:innen ihre Kirchengeschichte kritisch aufarbeiten und „die unerbittlichen Wächter und Richter ihrer eigenen Kirche“ sein:
„Aber sie sollen auch den Stolz – nicht die Arroganz – haben, die Schönheit des eigenen Hauses zu achten. Etwas schön finden ist auch eine Frage der Suche und der Erwartung. Man kann auf Dauer nur an etwas glauben, das man schön gefunden hat.“
Wagt den Schritt von der Gemeinde- zur Kommunikationspastoral! – Ludger Verst (katholisch.de)
An der bereits erwähnten Kirchenmitgliedschaftsuntersuchung (KMU 6) hatte sich erstmals auch die römisch-katholische Kirche beteiligt. Ludger Verst, Lehrbeauftragter am Institut für Pastoralpsychologie und Spiritualität der PTH Sankt Georgen (Frankfurt/Main), sieht die empirischen Daten aus früheren Studien bestätigt: Religiöse Menschen würden in Deutschland immer mehr zur Minderheit – dies müsse endlich ernstgenommen werden.
Eine „Erfolg versprechende Sanierung“ erfordere den „Mut, die lange geltenden Etikettierungen des Säkularisierungsnarrativs zu hinterfragen“. Die Auflösung der volkskirchlich-konfessionellen Strukturen sei zugleich eine Chance, weil sie dazu zwinge, „Gott zuvörderst nicht (mehr) in kirchlichen Milieus, sondern wieder mitten im Leben zu suchen“:
Aus guten Gründen zerbrechen gerade unsere Kirchen-, Lehr- und Heiligungskonstrukte: eine konfessionelle Dekonstruktion, die den Glauben der Kirche auf seine Brüche, Spannungen und Widersprüche befragt, ohne ihn deshalb gleich verabschieden zu wollen. Kirchlicher Glaube ist ja – wo er in Hochburgen angeblich sicherer Gewissheiten sich zu Hause wähnt – selbst immer schon ein Widerspruch in sich. Spannungen und Widersprüche aber sind grundsätzlich konstruktiv, weil sie die Wirklichkeit des Glaubens als dessen latente innere Dynamik immer schon begleiten. (…)
Erneuerung – „ecclesia semper reformanda“ könnte pastoralpraktisch bedeuten: eine (noch) stärkere Umgewichtung von klassischer Gemeindepastoral hin zu einer konfessions-, in Metropolen auch religionsübergreifenden Kommunikationspastoral. Das hieße, nicht mehr primär dem Paradigma der Versorgung, sondern der Logik der Beteiligung und Vernetzung zu folgen.
nachgefasst
„Viele reaktionäre Christen pflegen ähnliche Feindbilder wie die AfD“ – Interview mit Katja Voges (katholisch.de)
Seit der im Februar veröffentlichten Erklärung „Völkischer Nationalismus und Christentum sind unvereinbar“ der Deutschen Bischofskonferenz, die vor allem als Distanzierung gegenüber der AfD wahrgenommen wurde, wird auch in der römisch-katholischen Kirche intensiv über den angemessenen Umgang mit der Partei und mit rechten Strömungen in den eigenen Reihen diskutiert. In den vergangenen Jahren hatten Rechtspopulisten verstärkt versucht, mit dem Versprechen, das „christliche Abendland“ retten zu wollen, Anschluss an reaktionäre Gläubige zu finden.
Im Interview mit katholisch.de begrüßt Katja Voges, Leiterin des Teams Menschenrechte und Religionsfreiheit bei missio Aachen, die DBK-Erklärung als „total wichtiges Signal“, mit dem sich die Bischöfe „in einer zentralen gesellschaftlichen und politischen Frage klar positioniert“ hätten. Allerdings seien nun „konkrete Vorgaben“ erforderlich, wie damit in der Praxis umzugehen sei:
„Damit die Kirche gegen nationalistische und extremistische Umtriebe auch in den eigenen Reihen vorgehen kann, braucht es klare rechtliche Regelungen, um etwa haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter, die entsprechend auffällig werden, sanktionieren zu können. (…)
Zum anderen sind auch alle Katholiken vor Ort gefragt. Sie sind gefordert, sich Nationalismus und Extremismus in den eigenen Reihen – in der Pfarrgemeinde, im kirchlichen Verband, in der Schule – laut und kraftvoll entgegenzustellen und dagegen vorzugehen.“
Mit Themen wie Abtreibung oder Homosexualität gibt es zwischen der AfD und rechten Katholiken inhaltliche Schnittmengen. Zwar haben sich die römisch-katholischen Bischöfe klar von Nationalismus und Rassismus abgegrenzt. Doch reicht das aus? Dieser Frage geht Mechthild Klein in ihrem Beitrag für den Deutschlandfunk nach.
Stehen die römisch-katholische Kirche und die AfD bei der Ablehnung von Abtreibungen auf derselben Seite? Nein, meint Steffen Zimmermann in seinem „Standpunkt“ auf katholisch.de – und verweist auf die unterschiedlichen Begründungen. Während die Kirche für jedes Leben eintrete, verfolge die AfD ganz andere Ziele. Christen sollten der AfD daher nicht auf den Leim gehen.
Der AfD-Mythos – Michelle Becka (feinschwarz.net)
Im Theologischen Feuilleton feinschwarz.net beschäftigt sich die Würzburger Sozialethikerin Michelle Becka mit dem „AfD-Paradoxon“: Die Partei würde mit der Umsetzung ihres Programms ihren eigenen Wähler:innen am meisten schaden. Nichtsdestotrotz pflege die AfD weiterhin das elitenkritische Selbstbild von der „Partei der kleinen Leute“. Klare Positionierungen gegen Rechtsextremismus, wie sie von Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden vorgenommen werden, hält Becka für richtig und wichtig. Neben Aufklärung und mühsamer Überzeugungsarbeit seien aber auch politische Veränderungen nötig:
Es braucht eine Politik, die ernsthaft soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen sucht, indem sie konkret Fragen von Arbeitsbedingungen, Mitsprache und Anerkennung angeht. Sie sollte zudem grundsätzlich in Verteilungsfragen nicht nur Bürgergeldempfänger*innen und Geringverdiener*innen in den Blick nehmen, sondern auch Vermögende. Das alles ist schwierig, aber dringend notwendig.
Nachhaltig leben, gerecht handeln: Macht der Glaube einen Unterschied? – Joni Merz (ERF Medien)
Denken Christinnen und Christen sozialer und grüner, weil sie der Glaube an Gott dazu motiviert? Und werden diese Themen auch von der Kanzel gepredigt? Damit hat sich die neue „Ge-Na-Studie“ rund um soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit beschäftigt. Joni Merz spricht in seinem Podcast mit den Forschern des Instituts empirica der CVJM-Hochschule in Deutschland und der Schweiz, und geht der Frage nach, welche Bedeutung es hat, dass Kirchen und christliche Organisationen den Einsatz für Klimagerechtigkeit mit Theologie und Glaube verbinden.
Zur Europawahl am 9. Juni 2024 hat die Diakonie Deutschland wieder eine Orientierungshilfe erstellt. Wer sich über die verschiedenen Standpunkte der Parteien zu den wichtigsten Themen aus Sozial-, Umwelt- und Wirtschaftspolitik informieren will, kann die Positionen mit dem „Sozial-O-Mat“ vergleichen.
Buntes
Mehr als Pinkel- und Bierholpause: 70 Jahre „Wort zum Sonntag“ – Gottfried Bohl (katholisch.de)
Das „Wort zum Sonntag“ ist eine seltene Konstante in der ARD, sein bisweilen bemühtes „Kirchensprech“ hat Otto Waalkes treffend parodiert, die Toten Hosen haben eines ihrer bekanntesten Lieder nach ihm genannt. Zwar haben sich die TV-Gewohnheiten inzwischen völlig geändert, doch im „linearen Fernsehen“ läuft die Sendung unbeirrt seit 70 Jahren. Seit der ersten Ausstrahlung am 8. Mai 1954 äußern sich im Wechsel römisch-katholische und evangelische Sprecher:innen jeweils zu theologischen Fragen und aktuellen Themen. Jeden Samstagabend nach den „Tagesthemen“ werden – je nach Perspektive – „vier Minuten religiöser Frontalunterricht“ (Jörg Thadeusz) ausgestrahlt oder ein „niedrigschwelliger Berührungspunkt mit dem Evangelium“ (Nikolaus Schneider) angeboten. Gottfried Bohls nachdenkliches Fazit:
Dass ein Mensch am Stück einfach nur drei bis vier Minuten direkt zu den Zuschauern spricht – ohne großes Drumherum, ohne schnelle Schnitte, ohne Spezialeffekte, scheint ziemlich aus der Zeit gefallen. Aber vielleicht gehört auch gerade das zum Erfolgsrezept.
Weg da, ich will neben Jesus sitzen! – Maren Hoffmann (DER SPIEGEL)
Carmen García Jiménez versetzt uns ins Jahr 33 zurück: Jesus und seine Jünger kommen zum Letzten Abendmahl zusammen. Mit „Ierusalem Anno Domini“ hat die spanische Theologiestudentin aus einer der zentralen Geschichten des christlichen Glaubens ein Brettspiel gemacht, das pünktlich zu Ostern 2024 auch in einer deutschen Fassung erschienen ist.
„Darf das Spaß machen?“, fragt sich Maren Hoffmann, Mitglied in der Spiel des Jahres-Jury, in ihrer Kritik in der SPIEGEL Netzwelt. Die auf 28 Seiten ausgeführten Regeln seien durchaus komplex, das Spiel biete damit aber auch „eine überbordende Fülle an Optionen“:
„Ierusalem“ inszeniert die biblische Geschichte als das, was sie ist: eine Geschichte. Das Spiel beschreibt, wie sich ein letztes Abendmahl zugetragen haben könnte, frei von Glaubenssätzen. Kann das Spiel religiöse Gefühle verletzen? Das kann ich, ehrlich gesagt, schwer beurteilen, weil ich keine religiösen Gefühle habe. Es ist aber kein Spott im Spiel zu finden, keine Verhohnepipelung wie etwa „Das Leben des Brian“. Der theologische Hintergrund der Autorin legt auch einen gewissen Respekt nahe – es fühlt sich dennoch auf der anderen Seite überhaupt nicht missionarisch an.
Mich beeindruckt, wie unbeschwert die Autorin die alte Geschichte in ein packendes Spiel übersetzt hat. Das ist großes Spieltisch-Kino, und es hilft beim Eintauchen ins Thema, dass die Anleitung viele passende Bibelzitate und Hintergründe mitliefert.
Theologie
Mehr als jeder Dritte angehende islamische Religionslehrer hält Juden für Feinde – Nathan Giwerzew (Berliner Zeitung)
Eigentlich sollten die Lehrstühle für Islamische Theologie und Religionspädagogik den wachsenden Islamismus an vielen Schulen entschärfen. Doch offenbar vertreten viele angehende Religionslehrer:innen selbst islamistische Einstellungen. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest eine Studie des Zentrums für Islamische Theologie an der Universität Münster, die kürzlich in der Fachzeitschrift British Journal of Religious Education veröffentlicht wurde. So stimmen 47,2 % der Befragten „eher“ oder „vollständig“ der Aussage zu, Israel habe kein Existenzrecht. 37,3 % sehen sogar in Juden ihre Feinde – und sind der Ansicht, diese hätten zu viel Macht und Einfluss. Für die Studie befragten die Wissenschaftler 252 Studierende an elf Hochschulen zu ihren religiösen und politischen Einstellungen.
Wie die politische Theologie erdacht wurde – Kuno Füssel (medienforum münster)
Der Mathematiker und römisch-katholische Befreiungstheologe Kuno Füssel spricht im Podcast über die Entstehung der „Neuen politischen Theologie“ in den 1960er Jahren. Nach seiner Promotion bei Karl Rahner SJ und Johann Baptist Metz in Münster wurde ihm die Habilitation wegen seines Engagements bei den „Christen für den Sozialismus“ verweigert. Bis heute bewegen Füssel Fragen wie: Mit welchem Recht kann Theologie beanspruchen, eine Wissenschaft zu sein? Hat Religion notwendig Ideologiecharakter, oder trifft dies nur auf ihre bürgerliche Form zu? Kann es eine produktive Annäherung zwischen Theologie und Historischem Materialismus geben?
Füssels Gesammelte Schriften in sieben Bänden beschäftigen sich mit materialistischer Bibellektüre, Religionskritik, Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, Befreiungstheologie und Politischer Theologie, Marxismus und linker Theorie, und wurden zu seinem 80. Geburtstag vom Institut für Theologie und Politik (Münster) und der Edition Exodus (Luzern) veröffentlicht.
Ein guter Satz
Angesichts der wieder mal sinkenden Mitgliederzahlen in den evangelischen Kirchen ist mir unverständlich, warum die Landeskirchen das gelöste Problem „personalisierte Mitgliederkommunikation“ nicht schon alle konsequent angegangen sind – so lange sie noch können.
— Hanno Terbuyken (@dailybug.bsky.social) May 3, 2024 at 19:59