Kolumne Sektion F

Normschönheit und Theologie: Perfekt verpasst!

Mit der Jesus-Diät Gewicht verlieren? Dank niedrigem BMI ins Pfarramt? Mit Körpern und Schönheitsnormen sollten sich Theologie und Kirche intensiv befassen, schließlich hat G*tt uns body positivity vorgemacht.

Auf die Serie „Perfekt verpasst“ von Bastian Pastewka und Anke Engelke auf Amazon Prime Video habe ich mich sehr gefreut. Als dann auch noch kurz das „Marburger Jahrbuch für Theologie“ vor der Kamera zu sehen war (in Folge 1, 25. Minute), musste ich ziemlich lachen. Dass aber die Theologie noch einmal vorkommen würde, war aber doch eine Überraschung:

Ich spoiler nicht, um wen es genau geht, aber eine männlich gelesene, sehr trainierte Person, die in Folge 7 vorkommt, studiert Theologie. Und – so scheint es – das bricht mit einem Klischee davon, dass trainierte Menschen eben nicht Theologie studieren oder andersherum, dass Theologiestudierende sich nicht ästhetischen Normen anpassen. Interesting.

Ich erinnere mich: Ein Schulfreund fragte mich, als ich ihm von meiner Studienwahl erzählte, ob ich dann meine Achseln nicht mehr rasieren würde, eine bunte Brille und eine asymmetrische Kurzhaarfrisur tragen wolle. Das geht in eine ähnliche Richtung wie in der Serie. Ich hatte gleich Bilder von manchen Pastor*innen im Kopf.

Und solche Stereotype treffen ja auch auf andere Fächer oder Berufe zu. Perlenohrringe und Jura, Karohemden und Agrarwissenschaften. Dabei ist klar wie Kloßbrühe: Nicht alle Personen mit Perlenohrringen studieren Jura, nicht alle in Karohemden Agrarwissenschaften. Überhaupt studieren ja längst nicht alle Menschen und selbstverständlich sind diejenigen, die studieren, auch nicht entlang ihrer Fächerwahl über einen Kamm zu scheren. Und doch gibt es das Stereotyp von nicht-normschönen Theolog*innen. Ist das vielleicht sogar was Gutes?

Normschönheit und body positivity

Was heißt überhaupt normschön? Normschön ist zunächst ein Begriff, der gegenüber „schön“ zeigt: Auch bei Schönheit geht es um Normen. „Schönheit“ ist nicht von Anbeginn aller Zeiten so definiert gewesen, wie sie uns heute begegnet. Klassischerweise reicht ein Verweis auf die Werbung und Medien aus, um sich einen Eindruck davon zu verschaffen, dass es in unserer Gesellschaft an vielen Orten um weiße, nicht-mehrgewichtige, nicht-behinderte Körper geht, die Körperstandards setzen.

Und ja: In den meisten Fällen waren und sind es Männer, die darüber bestimmen, wie Frauenkörper auszusehen haben. Doch auch im Tatort oder gar in Amazon-Werbungen sind es nicht mehr nur diese Norm-Körper, die zu sehen sind. Immerhin! Es tut sich was!

Dass sich aber etwas tut, ist allerdings nicht der „unsichtbaren Hand“ des Kapitalismus zu verdanken. Wenn dies so wäre, könnten wir ja davon ausgehen, dass bei einem steigenden Anteil von mehrgewichtigen Personen in der Gesellschaft (zu Mehrgewichtigkeit gleich noch mehr), der Markt ein größeres Interesse an ihnen hätte. Es müsste also mehr Unternehmen geben, die zum Beispiel Kleidung in größeren Größen verkaufen. Das scheint aber nicht wirklich der Fall zu sein. Verkauft werden sollen stattdessen zum Beispiel Abnehm-„Medikamente“. Den Hype um die eigentlich für die Diabetes-Behandlung vorgesehenen Mittel vor allem in den USA haben alle Internetnutzer*innen schon mitbekommen. Nein, dass gelegentlich auch nicht-normschöne Personen positiv medial rezipiert werden, ist auf das unermüdliche Engagement von einzelnen Aktivist*innen zurückzuführen.

Für dieses Engagement werden einige Begriffe genutzt: Body positivity ist sicherlich einer der am weitesten verbreiteten. Vom Begriff her bedeutet er eigentlich nur: Körper-Positivität, also Körper in allen ihren Formen erst einmal gut zu finden. Manche verwenden daher auch den Begriff body acceptance oder fat acceptance – eine Akzeptanz von Körpern bzw. fetten Körpern. Andere sprechen von body neutrality. Dabei geht es darum, sich neutral gegenüber Körpern zu verhalten, nicht zu bewerten oder zu klassifizieren.

Dass dieser Anspruch aber keineswegs unhinterfragt ist oder sogar hart erkämpft werden muss, davon zeugen – wie für Vieles – Social-Media-Kommentare unter entsprechenden Posts. Während andere widerliche diskriminierende Äußerungen als rassistisch, sexistisch oder ableistisch eingeordnet werden können und damit auch irgendwie ihre eigene Begrenztheit haben, ist beim Thema Gewicht ein ähnliches Phänomen wie gegenüber queeren Personen zu erkennen: Von „Das ist doch nicht natürlich!“ bis hin zu „Du musst es nur wollen und dich ändern!“ sind sowohl queerfeindliche als auch fatphobe Kommentare voll. Sie meinen: Du gehst gerade in die Irre, jetzt komm zurück auf den „tugendhaften“ Pfad!

Der Body-Mass-Index als Norm?

Ein kleiner Exkurs zum Begriff mehrgewichtig: Oft gilt ja der BMI (Body-Mass-Index) als Leitlinie für Körper. Das beginnt in gewisser Hinsicht schon bei der Geburt und endet bei extra großen Särgen, weil Särge „von der Stange“ sich auch an entsprechenden Normen orientieren. Der BMI, der in unter-, norm- und übergewichtig unterscheidet und durch die Berechnung des Verhältnisses von Gewicht zur Körpergröße ermittelt wird, geht im Ursprung zurück auf den 1796 geborenen belgischen Mathematiker Adolphe Quetelet, dessen Formel 1972 vom US-amerikanischen Ernährungswissenschaftler Ancel Keys wieder aufgetan wurde. Bei Keys stand die Bewertung von Mehrgewichtigkeit im Vordergrund. Während „Übergewicht“ härter klassifiziert, geht „Mehrgewichtigkeit“ nicht von einer festen Norm aus. Wie auch in anderen Fällen, in denen sich beleidigende Worte angeeignet wurden – bspw. „Pietist“ oder „queer“ – werden auch die Begriffe „dick“ und „fett“ als Selbstbezeichnungen gewählt.

Gewicht wird oft als rein medizinisches und als vermeintlich änderbares Phänomen wahrgenommen. Mehrgewichtigkeit als Gesundheitsrisiko: Statistiken zeigen Verbindungen von Mehrgewichtigkeit und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Aber wie mit den Perlenohrringen oder Karohemden so auch hier: Nicht alle Mehrgewichtigen haben Herz-Kreislauf-Probleme und nicht alle Menschen mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen auch Mehrgewicht. Das wäre zu kurz gedacht.

Dass unser Gewicht etwas total änderbares sei, ist auch nicht ganz richtig: Auch hier sind u. a. die Gene mitentscheidend. Erst ab dem 20. Jahrhundert und in der nördlichen Hemisphäre wurde ein Körperideal von Schlankheit in diesem Maße und mit diesen Maßen etabliert. Auf kolonialistischen und durchkapitalisierten Pfaden wurde das Ideal global verbreitet und der BMI – dessen Ursprünge auch auf die Vermessung schottischer Soldaten zurückgeht – als Norm universalisiert.

Die Körper und die Theologie

Warum sind Normschönheit und body positivity Themen für die Theologie? In der Theologie bzw. The*logie sprechen wir von G*tt zum Beispiel als Schöpfer*in, der*die Menschen macht. In Genesis 1 wird erzählt, dass es G*tt ein Anliegen sei, Menschen so zu gestalten, dass sie G*tt ähneln – und, dass sie „sehr gut“ geraten sind. G*tt hat body positivity verstanden! In der Schöpfungserzählung in Genesis 2 formt G*tt den Körper des Menschen sogar selbst „aus Erde vom Ackerboden“. Zum Menschsein gehört Vieles mit dazu, auch unsere Körper. Unser Gewicht ist eine Realität, die für manche Menschen einen größeren, für andere einen kleineren Stellenwert hat. Weil es zum Menschsein dazugehört, gehört es auch mit zum Theologietreiben. Drei Beispiele möchte ich dafür nennen:

Es gibt eine Fülle von Diät-Plänen, die sich auf die Bibel oder auf Jesu Speiseplan beziehen und aus ihnen Tipps für die Ernährung heute ableiten wollen. Dabei wird tatsächlich auch und total sinnentstellend „Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen“ (Johannes 3,30) zitiert. Auf eine solche Vermarktung von Diättipps muss auch theologisch geblickt werden. Was bedeutet es, dass manche Menschen auch für ihre Ernährung eine Orientierung an Jesus oder für ihre Diäten Beistand von ihm erhoffen? Manche christlichen Diät-Berater*innen empfehlen gar gleich zu beten, statt zu essen. Das kann zu Essstörungen führen.

Die Jesus-Diäten sortieren sich zwischen Paleo-Diäten, also Essen wie in der Steinzeit, und den Lobeshymnen auf eine „mediterrane Ernährung“ ein. Vor allem soll der Verzicht auf bestimmte Lebensmittel zu Gunsten einer Gewichtsreduktion begründet werden. Andere Perspektiven wie Nachhaltigkeit und Gesundheit, die ebenso theologisch relevant sind, treten demgegenüber in den Hintergrund. In der Bibel geht es in vielen Erzählungen und Gesetzestexten um eine auskömmliche Ernährung, nicht nur für die*den Einzelne*n, sondern zumeist für das gesamte Volk (vgl. Josephs-Erzählung im Genesis-Buch). Und es geht auch um die Bekömmlichkeit von Speisen: Jesus lässt es sich bei einer Reihe von Gastmahlen gut gehen. Nicht zuletzt stehen Brot und Wein im Zentrum des christlichen Abendmahls. Trotzdem wird – wie Heiko Reinhold hier in der Eule beschrieben hat – in unseren Gemeinden zu selten über gutes Essen gesprochen.

Die Jesus-Diäten weisen auch auf die Jesus-Bilder zurück, die Menschen sich machen: Ist der Jesus in deiner nächstgelegenen Kirche zufälligerweise auch weiß und hängt muskulös am Kreuz? Außer den Rippen wird auch oft ein Six-Pack an Kruzifixen sichtbar. Auch in Jesus-Darstellungen zeigt sich die Weiterverbreitung von zeitgebundenen Körperidealen – bis hin zur Anbetung.

Das Bild vom hageren Jesus reicht bis in die Gestaltung von kirchlichen Dienst- und Arbeitsverhältnissen: Wer landeskirchliche*r Pfarrer*in wird, muss durch eine*n Vertrauens- oder Amtsärzt*in vor dem Berufseinstieg untersucht werden. Das liegt vor allem am Beamt*innenstatus von Pfarrer*innen. Zum Berufseinstieg werden Theolog*innen also gewogen. Ihr BMI kann mit darüber entscheiden, ob sie in den Pfarrberuf oder das Vikariat als verbeamtete Person (auf Widerruf oder Probe) starten können oder nicht. Wie sehr das Gewicht zum Tragen kommt, entscheiden die untersuchenden Mediziner*innen und ggf. auch Personalabteilungen in den Landeskirchenämtern. Auch wenn der Nachwuchsmangel aktuell dafür sorgt, dass tendenziell mehr Möglichkeiten geschaffen werden für diejenigen, die sich den Pfarrdienst überhaupt vorstellen können, übernimmt diese Praxis doch Gewichtsnormen für den kirchlichen Dienst.

Dem Klischee entsprechend

Dass nicht nur bei Bastian Pastewka und Anke Engelke angenommen wird, es sei einen Lacher wert, einen durchtrainierten Theologiestudenten zu zeigen, ist angesichts von Jesus-Diäten und Amtsärzt*innen-Untersuchungen also fast schon ein Kompliment. Den Theolog*innen wird unterstellt, sie seien von den gängigen Schönheitsidealen, von der Normschönheit, emanzipiert. (Und ein kleines bisschen unmodisch.)

Ich kann diesem Klischee eine Menge abgewinnen und hoffe darauf, dass wir ihm immer mehr gerecht werden dadurch, dass Körper im theologischen bzw. kirchlichen Kontext einfach sein dürfen und angenommen sind. Denn das ist meine feste Glaubensüberzeugung.

Solche Vereinnahmungen, wie sie in den Jesus-Diäten passieren, sind ein weiteres Beispiel menschenfeindlicher Bibelinterpretationen. Dass sie nicht flächendeckend für Kirche und Christ*innentum stehen oder für „typisch christlich“ gehalten werden, finde ich gut. Der Erfolg solcher fixen Ideen auf Social-Media-Plattformen und insbesondere bei FLINTA* und jungen Menschen zeigt aber an, dass Körper und Schönheitsnormen in Theologie und Kirche verstärkt thematisiert werden müssen.


Alle Ausgaben von „Sektion F“ hier in der Eule.


Eule-Podcast Q & R mit Carlotta Israel

Wie können wir mit Mansplaining in der Kirche umgehen? Welche feministischen Themen sind für Theologie und Kirche wichtig? Kommt die (Frauen-)Quote? Im „Eule-Podcast Q & R“ beantwortet Carlotta Israel Fragen aus der Leser:innen- und Hörer:innenschaft der Eule.

Carlotta schreibt seit 2021 die Eule-Kolumne „Sektion F“ und ist vielfältig engagiert für einen intersektionalen Feminismus in Theologie und Kirche. In diesem Jahr wird sie mit dem Dorothee-Sölle-Preis ausgezeichnet.

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