Kirchenasyl in Wuppertal gebrochen

Aus dem Kirchenasyl in Abschiebehaft

In Wuppertal hat die Polizei ein Kirchenasyl aufgelöst, der Schutzsuchende sitzt nun in Abschiebehaft. Damit setzt sich die Reihe von Unterbrechungen von Kirchenasylen der vergangenen Monate fort.

Wie die Westdeutsche Zeitung berichtet, wurde in Wuppertal bereits vergangene Woche ein Mann mit Unterstützung der Polizei aus einem Kirchenasyl in Abschiebehaft verbracht. Damit setzt sich die Reihe von Räumungen von Kirchenasylen fort, über die wir hier in der Eule bereits im Frühsommer berichtet hatten. Der Mann aus Tadschikistan wartet nun in Büren auf die Abschiebung in sein Heimatland, wo er als Mitglied einer Oppositionspartei verfolgt wird. Ein Eilantrag gegen die Abschiebung wurde gestellt.

Der Zugriff auf den Mann erfolgte nach Informationen der Westdeutschen Zeitung auf einen Hinweis durch die tadschikische Regierung hin, es handele sich bei ihm um einen Unterstützer der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS). Tadschikistan hatte eine sog. Red Notice über Interpol geteilt, die die deutschen Behörden zum Handeln veranlasste. Der Mann war in Litauen in die Europäische Union eingereist und soll dem Integrationsministerium von Nordrhein-Westfalen zufolge nun im Rahmen einer Dublin-III-Rücküberstellung dorthin zurückgeführt werden. Von Litauen aus droht ihm die Auslieferung nach Tadschikistan.

Schutz im Kirchenasyl

Der Evangelische Kirchenkreis Wuppertal, der zur Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) gehört, hatte dem Mann Kirchenasyl gewährt und ihn in einer Wohnung untergebracht. Dort wurde er von den Behörden angetroffen und mitgenommen. Wie beim Kirchenasyl üblich, war sein Aufenthaltsort den zuständigen Behörden von den Kirchenasylgebenden mitgeteilt worden. Der Westdeutschen Zeitung gegenüber erklärte Superintendentin Ilka Federschmidt: „Kirchenasyl ist kein Versteck, wie oft angenommen wird. Es ist auch kein Spielchen von Gutmenschen. Wir erheben uns nicht über geltendes Gesetz.“

Der Mann sei, so Federschmidt weiter, von ehrenamtlichen Helfer:innen und der Flüchtlingsberatung der Diakonie intensiv betreut worden. Familienmitglieder des Mannes, die als anerkannte Flüchtlinge in Wuppertal leben, hatten sich bisher an dessen Unterstützung beteiligt. Ziel des Kirchenasyls sei es gewesen, dem Mann in Deutschland eine ordentliche Untersuchung der Vorwürfe nach rechtsstaatlichen Prinzipien zu ermöglichen – das sei in Litauen nicht gewährleistet.

Die Mitarbeitenden von Diakonie und Kirchenkreis seien zur Überzeugung gelangt, dass die Vorwürfe gegen den Mann ein „Vorwand der tadschikischen Regierung“ seien, „um die Abschiebung des Mannes aus Deutschland und dessen Überstellung aus Litauen nach Tadschikistan zu erwirken“. Superintendentin Federschmidt erklärte gegenüber der Zeitung: „Wir schützen keine IS-Kämpfer.“ Gegen den Mann liege nur die Red Notice der tadschikischen Regierung vor, „sonst nichts“. Die Oppositionspartei „Islamische Wiedergeburt“, der der Mann angehöre, sei eine gemäßigt islamische Partei vergleichbar mit der Christdemokratie in Deutschland, erklärte sie weiter.

Die Partei wurde im Jahr 2015 in Tadschikistan offiziell verboten. Ausweislich einer Antwort des damaligen Staatsministers im Außenministerium, Michael Roth (SPD), vom 19. Oktober 2015 auf eine schriftliche Frage des Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke (LINKE) wurde dieses Verbot vom Botschafter der Bundesrepublik Deutschland „kritisch“ gegenüber der tadschikischen Regierung angesprochen. Ebenso „kritisch“ bewertete man 2015 von Seiten der Bundesregierung aus die Rechtsstaatlichkeit des Verbotsverfahrens sowie die sich daran anchließenden Verhaftungen von Parteifunktionären. Mit dem Parteivorsitzenden Muhiddin Kabiri stehe die Bundesregierung „in kontinuierlichem Kontakt“.

Gegen die Abschiebung des Mannes wurde ein Eilantrag eingebracht. Die Unterstützer:innen des Kirchenasyls befürchten, die gegenwärtig angestachelte Stimmung gegen Geflüchtete nach dem Anschlag von Solingen trage dazu bei, die Aussichten des Mannes auf eine faire Behandlung zu schmälern: „Die Behörden stehen seit dem Anschlag in Solingen unter Druck. Das ist verständlich angesichts der schrecklichen Tat. Aber es wäre furchtbar für unseren Rechtsstaat, wenn ein Unschuldiger keine Chance auf ein faires Verfahren bekommt“, erklärte Superintendentin Federschmidt gegenüber der Westdeutschen Zeitung.

Das Kirchenasyl im Fadenkreuz

In den vergangenen Monaten ist es mindestens sieben Mal zu einer Unterbrechung eines Kirchenasyls gekommen. Gegen mehrere Unterstützer:innen von Kirchenasylen wurde zwischenzeitlich von der Polizei ermittelt. Im Zuge der Unterbrechung eines Kirchenasyls in Schwerin kam im Dezember 2023 sogar ein Spezialeinsatzkommando der Polizei zum Einsatz. Zuletzt kam es im Mai 2024 zu einer Räumung eines Kirchenasyls in Uelzen.

Damals berichtete auch die Eule bezugnehmend auf einen Podcast von netzpolitik.org zum Thema über die jüngsten Angriffe auf das Kirchenasyl. Gegenüber netzpolitik.org erklärte der Präses (Leitende Geistliche) der Evangelischen Kirche im Rheinland, Thorsten Latzel, im Mai: „Nur in solchen besonderen Fällen, wo es starke Gründe dafür gibt, dass eine humanitäre Not droht und eine rechtliche Überprüfung geboten ist, werden Kirchenasyle gewährt.“

Nachdem sich die Spitzen der Evangelischen Kirche zunächst über Monate sehr zurückhaltend angesichts der vermehrten Räumungen verhalten hatten, verteidigten sie im Sommer das Kirchenasyl auch gegenüber den Partnern in der Politik. Auf dem traditionellen Johannisempfang der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) „rief“ die amtierende EKD-Ratsvorsitzende, Bischöfin Kirsten Fehrs, den Gäst:innen, inklusive der Bundesministerin des Innern, Nancy Faeser (SPD), zu: „Kirchenasyl, meine Damen und Herren, ist nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung“. Das Instrument des Kirchenasyls sei zwar „politisch umstritten“, aber trage „erheblich zum gesellschaftlichen Frieden“ bei.

Die Recherchen von netzpolitik.org im Mai 2024 zeigten: „Seitdem der Kurs in der Europäischen Union und in Deutschland erneut auf Verschärfung des Asylrechts ausgerichtet ist, häufen sich auch staatliche Widerstände gegen das Kirchenasyl.“ Wird das Kirchenasyl deshalb attackiert, weil es ein Symbol für einen menschenwürdigen Umgang mit Flüchtlingen ist?

Kirchenasyl als Bauernopfer nach Solingen?

Nach dem Anschlag von Solingen hatten Beobachter:innen befürchtet, dass sich die Kritik am Kirchenasyl von Seiten der Union und rechtsradikaler Kräfte verschärft, weil die überwiegende Mehrzahl von Kirchenasylnehmenden sog. Dublin-Fälle sind.

Der mutmaßliche Täter von Solingen, Issa Al H., hatte sich fortgesetzt in Deutschland aufgehalten, obwohl er im Rahmen der Dublin-Vereinbarungen eigentlich hätte nach Bulgarien, in das Land seiner Erstregistrierung in der EU, zurückgeführt werden müssen. Die nordrhein-westfälischen Behörden hatten allerdings die für eine solche Überstellung vorgesehene Frist verstreichen lassen, da Issa Al H. „untergetaucht“ war. Nach Ablauf der sechsmonatigen Überstellfrist ging die Zuständigkeit für ihn im August 2023 auf Deutschland über. Hier habe er, wie mehrere Medien übereinstimmend berichteten, subsidiären Schutz erhalten und sei der Stadt Solingen zur Unterbringung zugeteilt worden.

Das Kirchenasyl soll bei Dublin-Fällen eine (erneute) Einzelfallprüfung ermöglichen, häufig auch auf dem Klageweg bei Verwaltungsgerichten, die in der Vergangenheit viele Bescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) kassierten. Alle bisherigen über 20 Fälle von Kirchenasyl in Wuppertal wurden mit einer Anerkennung der Schutzsuchenden beendet, erklärte Superintendentin Federschmidt gegenüber der Westdeutschen Zeitung in Übereinstimmung mit diesen bisherigen Erfahrungen mit dem Kirchenasyl.

Trotz dieser Erfolge stehen Helfer:innen und Schutzsuchende zunehmend unter Druck. So berichten Helfer:innen von einer Reihe von Kirchenasylfällen, in denen die von den Schutzsuchenden erstellten Dossiers über ihre Situation von den Ausländerbehörden nicht gewürdigt worden seien. Die Übergabe eines solchen „Härtefalldossiers“ möglichst zu Beginn eines Kirchenasyls sieht eine Verbredung zwischen Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) aus dem Jahre 2022 vor (PDF). „Leider werden so gut wie alle vorgelegten Dossiers vom BAMF abgelehnt“, klagte im Frühjahr 2024 Dieter Müller SJ, der stellvertretende Vorsitzende der Ökumenischen Bundesarbeitsgemeinschaft Asyl in der Kirche.

Das Kirchenasyl selbst ist nicht gesetzlich geregelt. Der Schutz, den die Kirche gewährt, ist weitgehend symbolisch. Laut der Vereinbarung zwischen dem BAMF und den Kirchen sollen Kirchenasyle „als Ausdruck einer christlich-humanitären Tradition respektiert“ werden. Die Vereinbarung war bereits im Jahr 2015 als ein Ergebnis des andauernden Dialogs zwischen den Lobbyisten der evangelischen und katholischen Kirchen und dem BAMF bzw. dem Bundesministerium des Innern geschlossen worden. Vor zwei Jahren wurde das „Merkblatt Kirchenasyl im Kontext von Dublin-Verfahren“ in gegenseitigem Einvernehmen aktualisiert.

Die Absprache sieht vor, dass ein ordnungsgemäß angemeldetes Kirchenasyl von den staatlichen Behörden respektiert wird, also nicht gewaltsam unterbrochen oder beendet. Über diese Absprache haben sich nun in den vergangenen Monaten Ausländerbehörden und Polizei in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Hessen hinweggesetzt. Der Beauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) für Flüchtlingsfragen, Bischof Christian Stäblein aus der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO), zeigte sich im Mai gegenüber netzpolitik.org aufgrund der neuesten Entwicklungen besorgt: „Wir sind in großer Sorge, dass diese Übereinkunft, die wir über viele Jahrzehnte gehabt haben, jetzt aufgebrochen wird.“


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