Analyse Marsch für das Leben 2024

Marsch ohne Segen der Bischöfe?

Der „Marsch für das Leben“ soll wieder durch Berlin und Köln ziehen. Die Lebenschützer und Abtreibungsgegner müssen in diesem Jahr ohne einen Gruß von der Bischofskonferenz auskommen.

Am Samstag wollen Lebensschützer und Abtreibungsgegner wieder mit dem „Marsch für das Leben“ auf ihre politischen Anliegen aufmerksam machen. In Berlin und Köln wurden dafür Kundgebungen und Demonstrationszüge vom Bundesverband Lebensrecht (BVL) angemeldet. In Berlin startet der Marsch um 13 Uhr an der Westseite des Brandenburger Tores und führt über den Potsdamer Platz dorthin zurück. In Köln beginnt die Demo zur gleichen Zeit an der Deutzer Werft. Erwartet werden in beiden Städten jeweils zwischen 2.000 und 4.000 Teilnehmer:innen.

Auch Gegenprotest hat sich in diesem Jahr wieder formiert: In Berlin gestalten mehrere feministische Gruppen den „Aktionstag für sexuelle Selbstbestimmung“ (Start: 12 Uhr an der Ostseite des Brandenburger Tores). In Köln ruft das „Bündnis Pro Choice Köln“ für 12 Uhr zur Gegendemo am Ottoplatz auf. In Köln war es den Gegendemonstrant:innen im vergangenen Jahr gelungen, den Demonstrationszug durch die Stadt zu blockieren. Der BVL und mehrere rechtskatholische Medien kritisierten die Blockaden „gewaltbereiter“ Gegendemonstrant:innen als „Negierung des Meinungs- und Versammlungsrechts“. Die Polizei hatte darauf verzichtet, die Blockade durch den Einsatz weiterer Zwangsmittel aufzulösen.

Der „Marsch für das Leben“ ist die wichtigste Veranstaltung der Lebensschutzbewegung in Deutschland und findet nun das zweite Mal zeitgleich zur Demo in Berlin auch in Köln statt. An den Märschen nehmen christliche Abtreibungsgegner:innen vor allem aus der katholischen Kirche und der evangelikalen Bewegung teil. Im Jahr 2023 war die Teilnehmer:innenzahl im Vergleich zu den Vorjahren zurückgegangen. Die Teilnahme an den Demos ist ein Indikator dafür, wie breitenwirksam die vor allem im Internet aktive Bewegung in Deutschland überhaupt ist.

Zur „Marsch für das Leben“-Koalition gehören aber aber auch Akteur:innen von AfD und deren Jugendverband Junger Alternative, der Identitären Bewegung und aus weiteren Vereinigungen der extremen Rechten. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der AfD-Bundestagsfraktion Beatrix von Storch, die gemeinsam mit ihrem Mann Sven von Storch ein weites Netzwerk von christlich-reaktionären und adeligen Lobbyorganisationen und Medien betreibt, hat ausdrücklich zur Teilnahme am diesjährigen Marsch aufgerufen. Wie auch in den vergangenen Jahren haben sich die Veranstalter nicht von den Partner:innen aus dem Rechtsradikalismus distanziert.

Gespaltene Bischöfe: Kein DBK-Grußwort

In den vergangenen Jahren hatten auch mehrere Bischöfe der römisch-katholischen Kirche in Deutschland an den Märschen teilgenommen. Die Teilnahme von Bischof Rudolf Voderholzer (Regensburg) am Marsch 2023 sorgte für einen Eklat, weil er gemeinsam mit einem rechtsradikalen Demoteilnehmer abgelichtet wurde (s. #LaTdH vom 17. September 2023). Auch in diesem Jahr will Voderholzer wieder am „Marsch für das Leben“ teilnehmen. Eine Messe vor Beginn der Kundgebung im Dominikanerkonvent St. Paulus hält der Augsburger Weihbischof Florian Wörner. Außerdem will, laut KNA, auch der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke am „Marsch für das Leben“ teilnehmen.

Ein offizielles Grußwort der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK) an die Teilnehmer:innen wird es in diesem Jahr aber erstmalig seit vielen Jahren nicht geben. Wie DBK-Pressesprecher Matthias Kopp gegenüber der Kirchenzeitung Kirche + Leben (Bistum Münster) erklärte, sei eine entsprechende Anfrage der Veranstalter an die Bischofskonferenz und ihren Vorsitzenden, Bischof Georg Bätzing (Limburg), in diesem Jahr nicht eingegangen. In den vergangenen Jahren hatten Extremismus-Expert:innen, katholische Jugendverbände und weitere Akteur:innen die offiziellen Grußworte der Bischöfe immer wieder kritisiert.

Wie üblich hat allerdings der Apostolische Nuntius, der Botschafter des Vatikan in Deutschland, Nikola Eterovic, im Vorfeld der Veranstaltung ein Grußwort veröffentlicht (gesamter Text). Darin schreibt er: „Beim Marsch für das Leben verbinden sich Menschen guten Willens aus unterschiedlichen Religionen, Konfessionen, Weltanschauungen und politischen Strömungen zu einem friedlichen Statement: Jeder ist gewollt, jeder ist geliebt, jeder ist gebraucht!“ Die Teilnahme von Rechtsradikalen, die bei anderer Gelegenheit gegen Geflüchtete und Migrant:innen hetzen, würdigt Eterovic mit keinem Wort, sondern spricht selbst von Europa als einem „vielfach geschundenen und zum Teil aussterbenden Kontinent“.

Das „Aussterben“ Deutschlands bzw. des christlichen Abendlandes ist ein zentrales Propagandanarrativ von rechtsextremen Bewegungen. Immer wieder zeigt sich die Lebensschutz-Bewegung offen für Unterwanderung selbst von völkischen Rechtsextremen, die in den von den christlichen Abtreibungsgegner:innen kritisierten Schwangerschaftsabbrüchen ein politisches Instrument sehen, das zum „Volkstod“ führt und den „großen Austausch“ (engl. great replacement) der weißen Mehrheitsbevölkerung durch die Zuwanderung von Muslimen vorbereitet. Rechtsextreme Verschwörungsmythen sind in der katholischen Lebensschutz und Anti-Gender-Bewegung weit verbreitet.

Trotz dieser Verknüpfungen hatten im vergangenen Jahr zusätzlich zum Grußwort der Bischofskonferenz Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki (Köln), Erzbischof Stephan Burger (Freiburg), Bischof Gregor Maria Hanke (Eichstätt) und Bischof Karl-Heinz Wiesemann (Speyer) eigene Grußworte bei den Veranstaltern abgegeben.

Der Marsch geht weiter

Zum „Marsch für das Leben“ 2024 in Berlin und Köln wird außerdem mit der Teilnahme und/oder Grußworten von mehreren Akteur:innen der evangelikalen Bewegung und aus anderen christlichen Kirchen gerechnet. Im vergangenen Jahr richteten u.a. die Evangelische Allianz Deutschland, der Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden KdöR (BFP), der Bund Freier evangelischer Gemeinden (FeG), die Selbständige Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) und die Evangelisch-methodistische Kirchen (EmK) Grußworte an die Teilnehmer:innen.

Seine Bedeutung als Zentralveranstaltung der Lebensschützer-Szene in Deutschland hat der „Marsch für das Leben“ nicht eingebüßt. Mit der möglichen Reform der Abtreibungsgesetzgebung in Deutschland durch die Ampel-Regierung will die Bewegung verstärkt mobilisieren. Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP hatte bereits im Jahr 2022 das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche (§ 219a StGB) abgeschafft.

Außerdem wurde eine Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin eingesetzt, die im Frühling 2024 ihren Abschlussbericht vorgelegt hatte. Zu den Themen Schwangerschaftsabbruch, Leihmutterschaft und Eizellenspende hatten die beiden großen Kirchen auf Bitten der Kommission hin ausführlich Stellung genommen (wir berichteten). Dass die Empfehlungen der Kommission noch in dieser Legislatur zu Reformen führen werden, gilt unter Beobachter:innen als unwahrscheinlich.


Ergänzung Sonntag, 22. September 2024, 12 Uhr, aus dem aktuellen #LaTdH-Newsletter:

Der Aufmarsch von Lebensschützer:innen und Abtreibungsgegner:innen in Berlin und Köln wurde 2024 erneut von starkem Gegenprotest begleitet. In Berlin versammelten sich ca. 2.000 Personen, während sich Gegendemonstrant:innen im „mittleren dreistelligen Bereich“ zum „Aktionstag für sexuelle Selbstbestimmung“ trafen. In Köln wurde die vom BVL anvisierte Teilnehmer:innenzahl von 4.000 deutlich unterschritten. Der Gegenprotest von „deutlich mehr als “ 2.500 Personen sei „größer gewesen“, berichtet die KNA. Erneut kam es zu (erfolgreichen) Blockaden des Marschs in beiden Städten. Gegendemonstrant:innen in Berlin gelang es sogar, auf die Bühne der Abschlusskundgebung zu gelangen, berichtet der Tagesspiegel.

Während der „Marsch für das Leben“ in Berlin also in etwa so groß ausfiel wie in den vergangenen Jahren, wenngleich von deutlich weniger Berichterstattung von allen Seiten begleitet, ist die Zahl der demonstrierenden Lebensschützer in Köln bei der zweiten Ausgabe der Parallel-Demo am gleichen Tag geschrumpft. Teilgenommen haben neben der AfD-Politikerin Beatrix von Storch (in Berlin) und weiteren Aktivisten rechtsradikaler und rechtsextremer Vereinigungen auch mehrere katholische Bischöfe (s. KNA): Die Bischöfe Rudolf Voderholzer (Regensburg) und Gregor Maria Hanke (Eichstätt) sowie die Weihbischöfe Matthias Heinrich (Berlin), Josef Graf (Regensburg) und Florian Wörner (Augsburg) in Berlin sowie Weihbischof Dominikus Schwaderlapp (Erzbistum Köln) in Köln.


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