„Es gibt eine gezielte Unterwanderung durch Rechtsradikale“

In der katholischen Kirche wird über den Umgang mit Rechtsradikalen diskutiert. Können AfD-Unterstützer:innen in der Kirche Verantwortung übernehmen? Hat die Kirche ein Rechtsradikalismus-Problem?

Eule: Frau Strube, hat die katholische Kirche ein Rechtsradikalismus-Problem?

Strube: Das ist eine sehr globale Frage, auf die ich mit einem entschiedenen „Jein“ antworten würde. Auf der einen Seite haben in den letzten 15 Jahren in der katholischen Kirche bereits Klärungsprozesse stattgefunden: Die Aufmerksamkeit wurde sowohl auf den Rechtspopulismus in der politischen Sphäre gerichtet, an dem es auch Kritik gibt und von dem man sich zumeist distanziert, als auch auf problematische Frömmigkeitsstile im rechtskatholischen Bereich. Andererseits habe ich schon den Eindruck, dass rechte Interventionen in der katholischen Kirche durchaus sichtbarer und lauter geworden sind.

Diese Entwicklung der vergangenen Jahre hängt mit dem Pontifikat von Papst Franziskus zusammen. Rechtskatholische Gruppierungen durften sich noch unter Benedikt XVI. gebauchpinselt fühlen, ohne groß in Erscheinung zu treten, während sie seit dem Beginn des Pontifikats von Franziskus zunehmend kirchliche Kritik erfahren, auch durch den Papst selbst.

Sonja Angelika Strube

PD Dr. Sonja Angelika Strube ist Privatdozentin für Praktische Theologie / Religionspädagogik am Institut für Katholische Theologie der Universität Osnabrück und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Katholische Theologie der RPTU Kaiserslautern-Landau. Sie forscht und veröffentlicht seit 2011 schwerpunktmäßig zu Christlicher Rechter, Rechtskatholizismus, christlichem Fundamentalismus und neurechten Zugriffen auf Christentum und Theologie.

Eule: Wenn wir vom Rechtsradikalismus als Problem der Kirche sprechen, dann ist das keine freischwebende Ideologie, sondern hat mit konkreten Akteur:innen zu tun. Gibt es rechtsradikale katholische Akteure?

Strube: Ja, die gibt es. Gemeint sind damit allerdings nicht einfach besonders konservative Katholikinnen und Katholiken, sondern Menschen, die wirklich als Aktivistinnen und Aktivsten unterwegs sind und sowohl eine kirchliche als auch eine politische Agenda haben. Das zeigt sich zum einen schon länger beim Anti-Gender-Aktivismus, wo es ein gemeinsames Themenfeld gibt, auf dem sich Akteure mit sehr unterschiedlichen Hintergründen engagieren und vermischen. Und in den letzten Jahren sehen wir auch, dass neue theologische oder pseudo-theologische Entwürfe entwickelt werden.

Eule: Sie haben den Anti-Gender-Diskurs bereits erwähnt, in dem KatholikInnen gemeinsam mit anderen rechten Christen und Rechtsradikalen aktiv sind. Gibt es außer Anti-Gender noch weitere Themen, bei denen die katholische Kirche rechtsoffen ist?

Strube: Im Bereich des Lebensschutzes gibt es zum Beispiel Fragen, die der Kirche immer schon am Herzen lagen. Es gibt auch durchaus problematische Einstellungen auf dem Gebiet der Sexualmoral, die aus einer katholisch-theologischen Tradition kommen und tatsächlich den Anti-Gender-Aktivismus in den 1990er Jahren mitinitiiert haben. Heute ist es natürlich denkbar schwierig, dass dann wieder auseinanderzudividieren. Diese theologischen Anliegen wurden durch kirchliche Player politisiert, und jetzt hat man falsche Freunde, mit denen teilweise bis in die Bischofsränge hinein koaliert wird – ich denke hier etwa an eine zwischenzeitliche Zusammenarbeit Raymond Burkes mit Steve Bannon. Katholischen Lebensschützern fällt es sehr schwer, zugleich die Dringlichkeit ihres Thema zu betonen und sich von Rechtsradikalen abzugrenzen.

Bei anderen Themen erleben wir allerdings eher eine „Christianisierung“ politischer Themen durch Rechtspopulisten und Rechtsradikale. Da werden Versatzstücke kirchlicher Lehre genutzt, gerne auch Zitate von Päpsten und aus Lehrschreiben, um die eigene politische Agenda zu fundieren und im kirchlichen Bereich Partner zu finden. So will man sich gegenüber Konservativen als harmlose Christen darstellen.

Eule: Gelegentlich wird über den Rechtsradikalismus in der Kirche ausschließlich so gesprochen, als ob er von außen an sie herangetragen würde.

Strube: Im Anti-Gender-Diskurs begegnet uns beides: Es gibt eine gezielte Unterwanderung durch Rechtsradikale. Von der wissen wir schon seit zehn, fünfzehn Jahren. Bischof Voderholzer zum Beispiel könnte seit Jahren wissen, dass er auf einem „Marsch für das Leben“ mit Vertretern der Identitären Bewegung, der White-Pride-Bewegung und Neonazis gemeinsam demonstriert und daher auch die Möglichkeit besteht, mit ihnen gemeinsam auf einem Foto zu landen (Anm. d. Red.: s. #LaTdH vom 17. September 2023 & dieser Eule-Background von 2022).

Es wird seit vielen Jahren angemahnt, dass jene Menschen, die aus ehrlichen christlichen Beweggründen für den Lebensschutz engagiert sind, sich viel stärker von solchen Gruppen abgrenzen müssen und alles in ihrer Macht stehende tun, um sie nicht dabei zu haben. Das wird immer wieder nicht getan oder nur als Lippenbekenntnis, weil man doch auf die Teilnehmerzahlen schaut.

Auf der anderen Seite sehen wir bei einigen zentralen AkteurInnen, dass sie zugleich als aktive KatholikInnen und dezidiert als ProtagonistInnen der Neuen Rechten auftreten, indem sie für neurechte Medien schreiben, mit der AfD zusammenarbeiten oder sie unterstützen. Es ist übrigens bemerkenswert, dass das Thema Lebensschutz auch in diesen rechten Kreisen als „Frauenthema“ besetzt wird. Dem Vorwurf, da sprächen Männer autoritär über Frauen, will man sich nicht aussetzen. Ziemlich zeitgeistig eigentlich.

Eule: Wo wäre eine Grenze denn zu ziehen, ab der man nicht mehr zusammenarbeiten kann?

Strube: Ein erster Schritt wäre, klar zu benennen, welche Gruppen man nicht mehr dabei haben will, von wem man sich also deutlich distanziert. Dazu gehören müsste neben der Identitären Bewegung und Neonazis durchaus auch die AfD. Damit hätte man einige klare Linien benannt. Wichtige AkteurInnen der Lebensschutz-Bewegung aber wollen diese Abgrenzung gegenüber der AfD nicht ziehen.

Wenn es um die Frage nach rechtextremen Einstellungen geht, bleibt es wichtig, sich klar zu machen, welche Formen von Menschenfeindlichkeit man mit bestimmten Inhalten unterstützt. Es ginge also auch darum, Begriffe wie „Gender-Ideologie“ nicht zu benutzen, die an sich schon unwahrhaftig sind. Wer sagt: „Wir müssen gegen die Gender-Ideologie ankämpfen“, zeigt, dass er einer Verschwörungsideologie anhängt und sich mit dem Themenbereich nicht gut auseinandergesetzt hat. Es gibt leider sogar einzelne katholische Bischöfe, die dann ausführen, welche weltweiten Verschwörungen sie da am Werk sehen. Das ist im Grunde alles schon problematische Rede, mit der man sich innerkirchlich auseinandersetzen und von der man sich distanzieren müsste.

Eule: In den vergangenen Monaten wurde in der katholischen Kirche vor allem über das Problem der AfD-Mitglieder in den eigenen Reihen diskutiert. Warum ist das gerade so aktuell?

Strube: Die Diskussion darüber, wie man AfD-Funktionäre von kirchlichen Ämtern ausschließen kann, wird schon seit Jahren geführt, zumeist aber nicht öffentlich. Die Frage gewinnt natürlich an Dringlichkeit durch die fortschreitende Radikalisierung der AfD und weil immer deutlicher wird, welche große Bedrohung sie für unsere Demokratie darstellt. Hinzu kommen natürlich die Zuwächse für die AfD bei Wahlen und in Umfragen. Aber im Kern ist das Thema nicht neu, sondern gärt seit vielen Jahren schon. Mit der katholischen Kirche ist es ja häufig so, dass etwas lange bedacht und besprochen wird, bevor man zur Umsetzung kommt.

Eule: Wurde die AfD von den Bischöfen unterschätzt?

Strube: Ich glaube nicht, dass alle Bischöfe die AfD unterschätzt haben. Ich nehme bei ihnen ein sehr unterschiedlich ausgeprägtes Problembewusstsein wahr. Auch bisher wurde da sicher je nach Bistum unterschiedlich gehandelt.

Eule: Über viele Themen, bei denen eine Anschlussfähigkeit zum Rechtsradikalismus besteht, wurde beim Synodalen Weg diskutiert, wenn auch zumeist aus anderen Perspektiven. Das Themenfeld Sexualität und Gender hatten Sie ja schon erwähnt. Täuscht der Eindruck, dass der Synodale Weg und die Synodalität, die Papst Franziskus für die Kirche wünscht, als Feindbilder eine Art Katalysator für rechte Katholiken sind?

Strube: Wir müssen wirklich genau hinschauen, was diejenigen inhaltlich vertreten, die derzeit so scharf gegen den Synodalen Weg argumentieren. Es sind zunächst einmal wenige Protagonistinnen und Protagonisten. Ihre theologischen Positionen sind außerdem so traditionalistisch, dass sie sich eigentlich sogar vom Zweiten Vaticanum absetzen. In den Texten aus diesem Milieu tauchen immer wieder Formulierungen auf, die unterstellen, dass mit und seit dem 2. Vatikanischen Konzil etwas in der Kirche passiert ist, was gar nicht hätte geschehen dürfen. Es sind Gruppierungen, die man traditionalistisch und zu Teilen auch sedisvakantistisch nennen müsste. Kirchenpolitisch stellt sich hier die Frage, ob man solche Akteure wirklich noch einmal an einen gemeinsamen Tisch einladen muss. Müssen wir noch einmal diskutieren, ob das Zweite Vaticanum zur katholischen Kirche gehört? Ich meine: Nein.

Eule: Das ist eine stark binnenkirchliche Debatte, aber es spiegelt sich im Rechtskatholizismus natürlich eine große Verachtung der Demokratie im Allgemeinen gegenüber. Hat die katholische Kirche also nicht nur ein Rechtsradikalismusproblem, sondern ein Demokratiedefizit?

Strube: Innerkirchlich hat sie ein Defizit, weil ja immer wieder betont wird, dass selbst Synodalität nicht Demokratie bedeute. Nach außen hin, in die Politik hinein, hat sie eigentlich keines, wenn sie konsequent bei den Einsichten des 2. Vaticanums bleibt. Und von dort aus vielleicht einen – aber entscheidenden – Schritt weiterginge, der noch aussteht: Nämlich die Charta der Menschenrechte anerkennen und sich als Kirche und Vatikanstaat klar zu positionieren. Ich sehe keine grundlegenden Hemmnisse, die das inhaltlich verhindern.

Eule: Muss die katholische Kirche nicht schon aus Gründen des Selbsterhalts für die Demokratie eintreten?

Strube: Die katholische Kirche sollte unbedingt wertschätzen, welcher Status ihr gerade im Kontext der Bundesrepublik eingeräumt wurde und wird. Das ist ein riesengroßes Privileg. Ein Blick in viele andere demokratische Staaten zeigt, dass die Kirchen dort viel geringere Möglichkeiten haben, zivilgesellschaftlich und im weiten Sinne des Wortes auch politisch zu wirken. Wo ein strikter Laiizismus herrscht, kann die Kirche auch ein wenig in eine sektiererische Ecke gedrängt werden.

Ich würde hoffen wollen, dass auch unter ungünstigeren Bedingungen als in der Demokratie kirchliche Gemeinschaft gelebt werden kann. Aber wenn ich mir historische Beispiele für das Leben der Kirchen in rechten Diktaturen wie etwa in Spanien unter Franco oder in Argentinien während der Militärdiktatur anschaue, dann gruselt es mich regelmäßig. Die Kirche hat Diktaturen häufig genug nur deswegen überlebt, weil sie sich mit den Diktatoren gut gestellt hat. Authentische Kirche in der Diktatur kann tatsächlich nur Kirche im Widerspruch, im Widerstand oder im Untergrund sein. Wenn man da nicht hin will, muss man sich auch und besonders als Katholikin und Katholik für die Demokratie einsetzen.


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Literatur:


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Das Gespräch führte Philipp Greifenstein.