Kolumne Gotteskind und Satansbraten

(K)ein Wahlkampf für Familien

Die Familienpolitik spielt kaum eine Rolle im Bundestagswahlkampf. Es dominieren die großen Fragen nach Sicherheit und Wohlstand. Sind wir an der Wahlurne uns selbst die Nächsten?

Falls es irgendwem entgangen sein sollte: Es ist Wahlkampf! Ich merke es an politischen Statements zu umgefallenen Sandsäcken, an zu viel Aufmerksamkeit für Profilneurotiker:innen aller Art, Weihnachtslieder trällernden Ministerpräsidenten, Dauerempörung in sozialen Medien – und heute habe ich auch ein gutes altes Wahlplakat gesehen. Allerdings sollte ich dessen QR-Code scannen. Gemeinsam mit meiner 81-jährigen Nachbarin bin ich lieber kopfschüttelnd und „neumodischer Quatsch“ murmelnd daran vorbeigegangen.

Aber als Mutter und Familienkolumnistin habe ich Fragen an die Parteien. Neben der Frage, ob es dieses Jahr im Advent eine Markus-Söder-Elf-on-the-Shelf-Edition geben wird, interessieren mich vor allem die familienpolitischen Ziele von SPD, CDU & Co..

Nun ist es nicht so, dass Bundestagswahlen in der Vergangenheit Feuerwerke der innovativen familienpolitischen Ideen gewesen wären. Natürlich: Es gab eine kurze Zeitspanne in den Nullerjahren, da diskutierte dieses Land emotional übertrieben aufgeladen über Elterngeld, Krippenplatzgarantien und das Betreuungsgeld. Aber selbst damals waren dies Randthemen. Wichtig sind andere Fragen. Das gilt diesmal aufgrund der multiplen Krisen ganz besonders.

Aber was ist Familien bei der Bundestagswahl 2025 wichtig? Ich glaube, sie interessiert genau das, was die meisten von uns in diesen Wochen umtreibt. Auch Familien wollen wissen, wie die Wirtschaft sich in den nächsten Jahren entwickeln wird. Ich lebe in Nordhessen, einer Region, in der nicht wenige ihre Arbeitsplätze in der Automobilindustrie gefunden haben. Es gibt mehrere kleine Städte und Dörfer, in denen es den Menschen vor allen Dingen deshalb immer recht gut ging, weil VW dort der größte Arbeitgeber ist.

Es sind beschauliche Örtchen, in denen sich bis vor kurzen auch Menschen mit Jobs in der Autoindustrie oder einem durchschnittlichen monatlichen Einkommen in der Pflege, im pädagogischen Bereich oder auch im Groß- und Einzelhandel ein kleines Einfamilienhaus oder zumindest eine geräumige, gut gelegene Wohnung leisten konnten. Es sind Dörfer und Kleinstädte, die schon lange vor dem entsprechenden Beschluss des Landes Hessen auf Kitagebühren verzichten konnten, weil die Steuereinnahmen hoch genug waren.

Diese Kommunen waren schon immer für junge Familien attraktiv, weil sie trotz ländlicher Lage eine gute Infrastruktur bieten konnten. Die Krise bei VW trifft genau diese Menschen. Wohlstand und Annehmlichkeiten bröckeln, die man für gesetzt hielt. Der Glaubenssatz, dass der eigene Job sicher ist und ein gewisser Lebensstandard erhalten bleibt, solange man nur fleißig zur Arbeit geht, wackelt.

Dazu kommen die übergeordneten Fragen, die nicht nur Angestellte von Volkswagen umtreiben: Was wird aus der guten Infrastruktur dieser Orte, sollten die Steuereinnahmen von VW wegbrechen? Wie würden sich Entlassungen, vielleicht sogar eine Werksschließung, auf die Region auswirken? Betrifft das alles nicht auch die pädagogischen Mitarbeiter:innen der Kitas, den Einzelhandel und viele andere Bereiche?

Die brüchig gewordene Sicherheit

Sicherheit, ein weiteres wichtiges Thema in diesem Wahlkampf, ist für Familien ebenso relevant. Was macht es mit Eltern, wenn sie sehen, dass kurz vor Weihnachten in Magdeburg eine Familie mit einem Kind auf den Weihnachtsmarkt geht und ohne dieses Kind zurückkommt, nur um fortan mit diesem Schmerz, dem Verlust, dieser Grausamkeit leben zu müssen?

Wir Menschen sind so gestrickt, dass wir uns umso mehr in andere einfühlen können, desto ähnlicher sie uns sind. Besonders Eltern leiden mit der verwaisten Mutter des getöteten neunjährigen Jungen. Letzteres wussten wenig überraschend vor allen Dingen Rechtspopulisten und -extremisten für sich zu nutzen. Glücklicherweise fällt die Mehrheit der Menschen nicht auf deren simple Narrative rein. Umso wichtiger sind aber Antworten der demokratischen Parteien auf die Fragen, die seit dem Anschlag in Magdeburg (erneut) diskutiert werden.

Familien wollen, wie viele Menschen in diesem Land, wissen, was die Parteien planen, um ihnen das brüchig gewordene Gefühl von Sicherheit zurückzugeben. Wie können Behörden besser zusammenarbeiten? Wir können gerade Orte, die wir gerne mit unseren Kindern besuchen, wie zum Beispiel Weihnachtsmärkte, sicherer werden? Wie kann dafür gesorgt werden, dass Hinweise, die doch im Falle des Attentäters von Magdeburg offenbar bereits auf dem Tisch lagen, nicht ignoriert werden? Was lernt ein Staat aus so einer Tragödie? Und was liegt vielleicht auch einfach nicht in den Händen von Politiker:innen, was sind Risiken, mit denen wir leben müssen? Auch diese Wahrheiten kann und muss man uns zumuten! Falsche Versprechungen, die sowieso nicht umsetzbar sind, stärken auf Dauer nur wieder das rechte Lager.

Eltern, die sich heute solche Fragen stellen, sind aber auch nicht mit einem reflexartigen Wegwischen der Diskussion, aus Angst, eben dieses Lager könnte sie für sich instrumentalisieren, zu beruhigen. Sie wollen ernstgenommen werden. In ihren Zukunftssorgen und Ängsten, in ihrer Verunsicherung über all die Dinge, die gerade auf dieser Welt geschehen.

Sich selbst der Nächste

Die meisten Menschen, die ich kenne, wollen von den Parteien aus dem demokratischen Spektrum gesehen werden und nicht von den Extremist:innen. Die meisten Menschen, die ich kenne, haben das Herz am richtigen Fleck. Sie sorgen sich um ihre Kinder, ihre Zukunft und um ihre Nachbarn – und meistens ist es ihnen dabei egal, wo diese herkommen und ob sie schwul, lesbisch, trans oder genauso hetero-spießig-ottonormal sind wie ich. Sie haben ihr Leben lang CDU, SPD oder die Grünen gewählt. Manche entscheiden sich auch jedes Mal neu, irgendwo auf diesem Spektrum. Sie sind auch nicht so blöd, dass sie auf die Versprechen der AfD reinfallen oder dass sie deren Vertreter:innen zutrauen, eine lebenswerte Welt für sie zu gestalten.

Und doch: In der Wahlurne ist jede:r allein und sich selbst am nächsten. Der Leidensdruck vieler Familien ist derzeit groß, und zwar auf ganz andere Weise als in anderen Jahren, in denen man sich vielleicht familienpolitisch übersehen, aber doch sicher fühlte. Familien wollen Antworten, und sie brauchen gute. Wir sind nicht dumm, wir wissen, dass diese Antworten nicht als Geschenke von Himmel fallen, sondern uns auf die eine oder andere Weise etwas kosten werden. Man darf uns auch diese Wahrheit zumuten.

Eine Mutter im Speckgürtel einer Automobilkonzern geprägten Stadt interessiert es nicht, was Friedrich Merz vor 20 Jahren Unmögliches gesagt hat oder in welches Fettnäpfchen Robert Habeck gerade wieder getreten ist. Sie möchte wissen, ob sie nächstes Jahr einen Arbeitsplatz hat, ob sie ihre Familie ernähren kann, ob ihr Kind Bildungschancen hat, Gesundheitsversorgung erhält und ob es sicher ist. Deshalb bedienen jene Influencer:innen, die sich täglich an irgendwelchen aus dem Zusammenhang gerissenen Sätzen der politschen Gegner:innen ihrer Wahl hochschaukeln und mit ihrer Empörung Klicks generieren, niemanden anders als die eigene Klientel. Die Sorgen und Nöte der Mehrheit der Menschen da draußen und ihrer Kinder, kommen auch bei ihnen nicht vor.

Die großen Fragen

Ich habe ja schon mehrfach drüber geschrieben, dass wir aufpassen sollten, dass wir gerade Familien nicht in die Arme der Falschen treiben. In diesem Wahlkampf gilt das für Mütter, Väter und Kinderlose gleichermaßen.

Uns treiben dieselben existenziellen Fragen um: Wer sichert ein auskömmliches Leben? Wie sichern wir öffentliche Veranstaltungen? Wer hat den Mut, langfristige und nachhaltige Lösungen für drängende Fragen zu finden? Wer kann uns gut in dieser Welt, die mehr und mehr von sich aufspielenden Halbstarken regiert wird, gut vertreten und für einen anderen Politikstil stehen?

Einer Mehrheit der Menschen ist 2025 klar, dass die Verteter:innen der AfD nicht diejenigen sind, in deren Hand man diese Themen legen möchte. Auch wenn diese Mehrheit derzeit nicht, wie noch vor einem Jahr, auf den Straßen demonstriert. Doch den demokratischen Parteien kommt jetzt die schwierige Aufgabe zu, dafür zu sorgen, dass diese Menschen auch im Jahr 2029 immer noch an sie glauben. Redet Klartext mit den Menschen, sagt ihnen, was geht und was nicht geht!

Und bitte – reißt euch gefälligst am Riemen, wenn es irgendwann darum gehen wird, zu zweit, zu dritt oder vielleicht sogar zu viert eine Regierung zu bilden, die ohne Rechtsradikale auskommt. Denn das wird ein Moment sein, an dem ihr zeigen müsst, dass ihr tatsächlich bereit seid, die eigene Eitelkeit und hehre Glaubenssätze für ein größeres Wohl zurückzustellen. Denn es mag deutsche Familien geben, die gern in Österreich Urlaub machen – vor österreichischen Verhältnissen haben wir Angst!


Alle Ausgaben der Familienkolumne „Gotteskind und Satansbraten“ von Daniela Albert in der Eule.


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Eule-Podcast Q & R mit Daniela Albert

Wie können Kinder und Erwachsene gut miteinander Gottesdienst feiern? Wieviel Medienzeit ist für Kinder angemessen? Was sind Tradwifes – und geraten Familien mit konservativen Werten wirklich ins Hintertreffen? Im „Eule-Podcast Q & R“ vom September 2024 beantwortet Eule-Kolumnistin Daniela Albert Fragen aus der Leser:innen- und Hörer:innenschaft.

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