Kirchentag 2025 in Hannover

Fest des Glaubens im „letzten Sommer des Friedens“

Heute beginnt in Hannover der 39. Deutsche Evangelische Kirchentag. Welche Themen und Personen stehen im Zentrum des größten Glaubensfestes des Landes? Der Eule-Vorbericht.

„Aus den Dörfern und aus Städten, von ganz nah und auch von fern, mal gespannt, mal eher skeptisch, manche zögernd, viele gern“ – kommen die Menschen, die im Klassiker des Neuen Geistlichen Liedes von Eugen Eckert zum „Fest des Glaubens“ eingeladen sind. Von heute an feiern, diskutieren, beten und singen tausende evangelische Christ:innen und Gäste wieder einmal auf dem Kirchentag: Der 39. Deutsche Evangelische Kirchentag (DEKT) ist in diesem Jahr in Hannover zu Gast.

Die einen nennen den Kirchentag die größte gesellschaftspolitische Versammlung des Landes, andere sehen in ihm schlicht das größte Treffen von Christ:innen bzw. religiösen Menschen und wieder andere freuen sich einfach auf die Begegnungen mit Bekannten und Freunden, das Kennenlernen und die zahlreichen Gottesdienste, Andachten, das gemeinsame „Offene Singen“, die Konzerte und die stimmungsvollen Abendsegen: Ein Fest des Glaubens.

Rund 1.500 Veranstaltungen wird es auf dem Kirchentag 2025 geben, gut 500 weniger als noch beim Kirchentag 2023 in Nürnberg und Fürth. Das Schrumpfen des Angebots wollen die Veranstalter aber vor allem als Konzentrationsprozess verstanden wissen. Es sind allerdings einfach auch nicht mehr „für alles“ Kraft und Ressourcen da. Welche Schwerpunkte enthält das diesjährige Kirchentagsprogramm?

Junge Kirche, weniger Promis

Streift man durch Programm und die Social-Media-Plattformen dominieren vor allem Themen junger Menschen die Szenerie. LGBTQI+ und Vielfalt sind als Anliegen weit über das eigentliche „Zentrum Geschlechterwelten und Regenbogen“ hinaus präsent. Ein Veranstaltungscluster („Forum“) befasst sich mit den „Überlebensfragen junger Menschen“, zudem wird es in der Innenstadt und Messe ein Zentrum Jugend und reichlich #digitaleKirche geben. Influencer:innen und Digitalisierer:innen werden in diesem Jahr nicht in die Nachbarstadt abgeschoben, sondern bieten ihre Angebote inmitten des Kirchentagsgeschehens feil.

Deutlich weniger Promis aus Kultur und Politik finden in diesem Jahr den Weg auf den Kirchentag. Der scheidende Kanzler, Olaf Scholz, bleibt fern kommt allerdings doch noch für einen letzten Abschiedsgruß aufs Podium des Kirchentages. Mit dem Kirchentagspublikum war er 2023 nicht wirklich nicht warm geworden. Auch der (vermutlich) neue Kanzler Friedrich Merz taucht, anders als zunächst angekündigt, nicht im offiziellen Programm des Kirchentages auf. Doch wird Merz auf dem abendlichen Empfang des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU (EAK) sprechen. Bereits auf dem Katholikentag in Erfurt im vergangenen Jahr war Merz nur auf dem „hauseigenen“ Empfang (damals beim Empfang der Konrad-Adenauer-Stiftung) aufgetreten.

Außer von der AfD, die traditionell und selbstverständlich nicht eingeladen ist, nehmen Politiker:innen aus allen demokratischen Parteien am Kirchentag in Hannover teil. Der neue Bundestagsvizepräsident und Kirchen- und Katholikentagsveteran Bodo Ramelow (LINKE) hält eine Bibelarbeit, ebenso wie auch die neue Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU), deren „Kirchenkritik“ in den vergangenen Tagen für heftige (digitale) Diskussionen sorgte. Auf dem „Roten Sofa“ der evangelischen Publizistik wird sie am Samstagnachmittag auch mit Anna-Nicole Heinrich, der Präses der EKD-Synode, und Anja Siegesmund (Grüne), der aktuellen Kirchentagspräsidentin, diskutieren. Es bleibt also bei der guten evangelischen Sitte, dass man sich die Aufmerksamkeit der Evangelischen am besten durch Rummotzen sichert und sie stets gesprächsbereit sind.

Der neue Staatssekretär für Digitalisierung, Philipp Amthor (CDU), wird auf einem Podium mit der ehemaligen Grünen-Vorsitzenden Ricarda Lang diskutieren. Die Reihe von Akteur:innen aus der zweiten und dritten Reihe der aktiven Politik ließe sich noch länger forsetzen, die großen Namen fehlen im Vergleich zu Nürnberg jedoch. Das liegt vor allem daran, dass die Ampel-Politiker nach ihrer Wahlniederlage ja großteils ihren Hut genommen haben. Robert Habeck, der in Nürnberg noch zu überzeugen wusste, war zwar am vergangenen Wochenende noch im taz.lab zu Gast, zu den Evangelischen kommt er nun (erst einmal) nicht mehr. Eine vermutlich triumphale Rückkehr wird die ehemalige Bundeskanzlerin Angela Merkel feiern, die den letzten Kirchentag ausgelassen hatte.

Überhaupt wird der Hannoversche Kirchentag, gerade im Kontrast zum anstehenden Konklave der römisch-katholischen Freunde in Rom, von vielen (Kirchen-)Frauen geprägt. Anna-Nicole Heinrich allein absolviert an den eigentlich ja nur drei vollen Veranstaltungstagen neun offizielle Veranstaltungen. Im offiziellen Programm taucht auch die ehemalige Landesbischöfin der gastgebenden Hannoverschen Landeskirche und EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann wieder auf, nachdem sie dem Kirchentag in Nürnberg im Dissens über die Friedensethik fern geblieben war.

Die aktuelle EKD-Ratsvorsitzende, Bischöfin Kirsten Fehrs, absolviert eine Reihe von Podien und Gottesdiensten und Stargast des Kirchentages ist sicherlich Bischöfin Mariann Budde von der Episkopalkirche in Washington D.C. (USA), die mit ihrer mutigen Predigt zum Amtsantritt von Donald Trump weltweit bekannt wurde (s. hier ausführlich in der Eule).

Der politische Protestantismus: Bunt und kritikfähig?

Zukunft, Frieden, Verständigung und Gerechtigkeit sollen die zentralen Themen des Kirchentages werden, der unter der reichlich unbestimmten Losung „mutig – stark – beherzt“ (1. Korintherbrief 16, 13-14) steht. Der letzte Kirchentag in Hannover im Jahr 2005 stand noch unter dem sehr viel triftigeren Motto „Wenn Dein Kind dich morgen fragt …“. Die Bibelarbeiten im Jahr 2025 sollen sich allesamt um die Zukunft drehen, die evangelischen Christ:innen traditionell offen steht. Wo so viel im Zentrum steht, fällt die Konzentration allerdings schwer. Erstaunlich ist auch die weitgehende Abstinenz von Theologie im Programm, wenn es nicht gerade um aktuelle ethisch-moralische Fragen geht. Interessiert sich dafür wirklich keine:r mehr?

Weil der Kirchentag in diesem Jahr auch am 1. Mai, dem „Tag der Arbeit“, gefeiert wird, stehen an einem eigenen Thementag auch „Arbeit und Chancen“ im Fokus. Hier engagieren sich vor allem Sozialdemokrat:innen wie der Ministerpräsident Niedersachsens, Stephan Weil (SPD), und die Kirchentagsinfluencerin Lilly Blaudszun. Christliche Friedensgruppen werden vom 1. bis zum 3. Mai in den ver.di-Höfen ihre Zelte aufschlagen: Außerhalb des offiziellen Programms bieten sie dort unter der Schirmherrschaft von Margot Käßmann ein erweitertes friedensethisches Programm an.

In der Vielfalt des offiziellen Programms droht die prekäre Friedensfrage ein wenig unterzugehen. Zwar greifen mehrere Veranstaltungen des Zentrums „Jüdisch und Christlich“ auch den Nahost-Konflikt auf. Ein Podium mit der evangelischen Pfarrerin Sally Azar (s. Eule-Interview von 2023) aus der Kirche im Heiligen Land und Jordanien befasst sich mit der Situation palästinensischer Christ:innen. Wer im Programm allerdings nach einer expliziten und ausführlichen Befassung mit dem Gaza-Krieg sucht, sieht sich enttäuscht.

Überhaupt hat sich der Kirchentag unter der Ägide von Siegesmund und ihrem direkten Vorgänger Thomas de Maizière (CDU) antizipatorisch der „Zeitenwende“ genähert. Auf dem wichtigen Podium „Deutsche Zerrissenheit“ über die Frage, ob mit Waffen Frieden geschaffen werden kann, spiegelt sich der angeteaserte gesellschaftliche Konflikt kaum wieder: Roderich Kiesewetter (CDU) diskutiert mit dem Militärhistoriker Sönke Neitzel („Der letzte Sommer im Frieden“) und dem katholischen Militärbischof Franz-Josef Overbeck (Bistum Essen). Auch er ist nicht als „Taube“ in der Friedensethik bekannt. Ihnen sitzt als einziger Vertreter eines Pazifismus linksprotestantischer Prägung Bodo Ramelow gegenüber.

Ingesamt ist das Programm wieder so voll, dass man unmöglich alle Highlights live mitverfolgen wird können. Zudem lädt der „Markt der Möglichkeiten“ in der Messe wieder zum Entdecken und Kennenlernen ein. In der Messe gibt es in diesem Jahr erstmals auch eine zentrale Podcast-Bühne, auf der vor allem evangelische Podcasts Live-Episoden aufnehmen werden, darunter die „Pfarrerstöchter“, „Mit Stachel und Herz“ und auch der „Eule-Podcast“.

Erfreulich großen Raum im offiziellen Programm nehmen erstmals Veranstaltungen zur Missbrauchskrise der Kirchen ein, die noch in Nürnberg, aber zum Beispiel auch auf dem Katholikentag 2024 in Erfurt, eine eher untergeordnete Rolle gespielt haben. Die Veranstaltungen, auf denen Expert:innen, Betroffene und Kirchenvertreter:innen diskutieren, sind in einer Podienreihe „Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt“ im Programm zusammengefasst. Ein Gottesdienst zum „Glauben nach Gewalterfahrung“ wird am Freitagvormittag vom sächischen Landesbischof und stellvertretenden EKD-Ratsvorsitzenden Tobias Bilz und der Theologin und Aktivistin Sarah Vecera gestaltet. In einem „Live-Podcast“ von „Vertuschung beenden“ diskutiert Martin Wazlawik von der „ForuM-Studie“ mit den BetroffenenaktivistInnen Jakob Feisthauer und Katharina Kracht.

„Eingeladen zum Fest des Glaubens“

Es werden also bunte, laute und vermutlich auch sonnige Tage in Hannovers Innenstadt und Messe werden. Der DEKT rechnet fest damit, die Teilnehmer:innenzahlen nach Jahren des Abwärtstrends nicht nur stabilisieren, sondern vergrößern zu können. In Niedersachsen und Bremen haben heute alle Schulkinder frei: Kirchentag sei dank! Zum Abschluss des Kirchentages in Nürnberg gab DEKT-Generalsekretärin Kristin Jahn offenherzig zu, man suche für den Kirchentag nach Orten, an denen sich die vielen tausenden Teilnehmer:innen auch nicht verlaufen können: „Wir wollen ja nicht, dass die Bilder gegen uns predigen“.

Die Zeichen stehen gut, dass es dem Kirchentag gelingt, zu den großen Gottesdiensten und Abendsegen die Plätze in der Stadt an der Leine „voll zu machen“. Dazu beitragen werden sicher auch wieder die Konzerte und die musikalische Begleitung mit Bands und durch den Posaunenchor des Kirchentages. Heute Nachmittag geht es mit zwei Eröffnungsgottesdiensten auf dem Platz der Menschenrechte, mit Predigt des Hannoverschen Landesbischofs Ralf Meister, und auf dem Opernplatz los.

Ist das alles noch zeitgemäß? Lohnt sich der Aufwand? Lohnt sich auch die finanzielle, organisatorische und idelle Unterstützung, die der Kirchentag von Politik und Staat erhält? Bei katholisch.de gibt Felix Neumann zu bedenken, in Zukunft sollten die Christ:innen nur mehr Ökumenische Kirchentage gemeinsam feiern. Religionskritiker:innen beklagen beständig die Subventionen, die der Kirchentag von Stadt, Land und Bund erhält. Aber will – und kann – das Land auf ein Event wie dieses wirklich verzichten?

„Und so kamen sie in Scharen, brachten ihre Kinder mit, ihre Kranken, auch die Alten, selbst die Lahmen hielten schritt. Von der Straße, aus der Gosse kamen Menschen ohne Zahl, und sie hungerten nach Liebe und nach Gottes Freudenmahl“, heißt es ja nicht nur in „Eingeladen zum Fest des Glaubens“. Es braucht Orte und Gelegenheiten, zu denen Menschen nach Vielfalt, Gerechtigkeit und Versöhnung suchen und sich statt in apokalyptischer Angstlust in Hoffnung üben.


Für Die Eule berichtet Philipp Greifenstein vom 30. April bis zum 4. Mai aus Hannover vom 39. Deutschen Evangelischen Kirchentag.


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