Bild: Detail aus "Das jüngste Gericht" von Michelangelo (gemeinfrei) & Logos "Deutschland betet gemeinsam"
Kirche

Deutschland betet für das Jüngste Gericht

Charismatische und evangelikale Initiativen laden zum Gebet „für unser Land“ ein. Mit dabei sind Prominente aus Kirche, Gesellschaft und Politik. Was steckt hinter „Deutschland betet gemeinsam“?

Beten tröstet und hilft die Gedanken sammeln. Vielleicht auch noch mehr. Pfarrer*innen, Kirchenleitungen, der Papst und sogar Ministerpräsidenten rufen zum Gebet für Kranke und Tote, für Helfer*innen und Bedrängte auf. Wenn Politiker*innen und Gemeindeleiter*innen allerdings in schwarz-rot-goldener Ästhetik die ganze Nation zum Gebet aufrufen, wird man fragen müssen, wer eigentlich einlädt und welcher Ideologie sich das Ansinnen verdankt.

Die Aktion „Deutschland betet gemeinsam“ ruft für Mittwoch ab 17 Uhr zu einem gemeinsamen Gebet „für unser Land“ auf. Dazu habe, so die Veranstalter, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder aufgerufen, der sogleich auch die Schirmherrschaft über die Aktion übernommen habe. Weil „ein Ruck durch unser Land gehen“ müsse, sollen sich „Hunderttausende“ gleichzeitig um den Stream der Initiatoren digital versammeln. Zum äußeren Anlass des Gebets nehmen die Veranstalter den Beginn des jüdischen Pessachfestes am morgigen Mittwoch. Das Gebet solle auch „ein Zeichen gegen Antisemitismus“ sein.

Am Gebetsaufruf und an der Formulierung des Gebetes selbst entzündet sich Kritik. Warum soll mitten in der globalen Corona-Krise für ein einzelnes Land gebetet werden? Widerspricht dies nicht dem christlichen Denken, nach dem Gott der Schöpfer aller Menschen und der ganzen Welt ist? Feiert hier ein nationales Christentum im Schatten der Krise ein Comeback? Warum gleichen weite Teile des Gebets einem Schuldbekenntnis, ist das Corona-Virus doch eine Folge der Sünde von Menschen oder gar eines ganzen Landes?

Die Veranstalter betonen, mit alldem habe ihr Gebet nichts zu tun. Nach einiger Kritik wurde am Montagnachmittag trotzdem der Aufruf für „unser Land“ zu beten ergänzt. Nun soll auch „für unseren Kontinent und alle Menschen weltweit, die von der Krise betroffen sind“ gebetet werden. Auch den Vorwurf des christlichen Antisemitismus, den sich die Veranstalter aufgrund der fragwürdigen Ineinssetzung der betenden Nation mit dem Volk Israel aus dem Ersten Testament einhandelten, versuchen die Veranstalter zu entkräften.

Illustre Unterstützer*innen

Auf der Unterstützerliste finden sich am Montagabend neben einer Reihe von Organisationen und Gemeindeleiter*innen aus dem evangelikalen und charismatischen Spektrum auch Prominente wie Peter Maffay und Maite Kelly, sowie Kirchenfunktionär*innen – darunter mehrere katholische Diözesan- und Weihbischöfe, zwei bayerische evangelische Regionalbischöf*innen und der Landesbischof der evangelischen Landeskirche in Württemberg Frank Otfried July. Auch Jana Higholder ist dabei, missverständlich als „Social Media Botschafterin der EKD“ bezeichnet.

Als einzige nicht-christliche Religionsvertreter sind auf der Unterstützerliste Landesrabbiner Zsolt Balla von der Orthodoxen Rabbinerkonferenz Deutschland und Max Privorozki, Landesvorsitzender der jüdischen Gemeinden in Sachsen-Anhalt und Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Halle, zu finden. (Anm. d. Red.: Die beiden haben bereits am Dienstag ihre Namen wieder von der Unterstützerliste streichen lassen. Nach Angaben der Veranstalter haben sie dafür keine Gründe angegeben. 8. April 2020, 17:15 Uhr)

Prominent aufgelistet werden ebenso eine Reihe aktiver und ehemaliger Politiker*innen vom ehemaligen Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder angefangen, über den neuen Ostbeauftragten der Bundesregierung Marco Wanderwitz (CDU), bis hin zur „langjährig[en]“ Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Kristina Schröder (2009 – 2013).

Bei einigen von ihnen wird man sich, wie bei vielen der enthusiastischen Mitbeter*innen in den Sozialen Netzwerken, die gestern ihre Zustimmung zur Aktion signalisierten, fragen müssen, ob sie sich das Vorhaben und die Initiatoren dahinter gründlich angeschaut haben, bevor sie ihr Einverständis gaben, mit ihrem Namen für „Deutschland betet gemeinsam“ zu stehen.

Endzeitideologen werben für die Wiederkunft Christi

Zum Gebet laden evangelikale und charismatische Organisationen ein. Darunter Prediger, die sich als Verkünder der Endzeit verstehen. Fadi Krikor vom „Fathers House for all Nations“ bekennt auf seiner Website freimütig, Gott habe „persönlich und durch mehrere prophetische Worte“ zu ihm gesprochen. Krikors Mission besteht darin, „die Völker“ in der Endzeit zu sammeln. Es gäbe dafür eine „Dringlichkeit im spirituellen Reich“, Gott selbst habe „Alarm geläutet, seine Armee und Wächter zu sammeln“.

Es ginge nun darum, die „Global Bride“ („weltweite Braut“, die Kirche als Braut des wiederkehrenden Christus) auf das Kommen des Königs und Bräutigams (Christi Wiederkehr, Christus als Bräutigam der Kirche) vorzubereiten, damit sie sich ihm „ohne einen Flecken oder eine Falte, bereit, strahlend und voll seiner Ehre“ präsentiert.

Diese Endzeitidelogie breitet sich derzeit unter evangelikalen und charismatischen Christ*innen aus. Die Corona-Krise wirkt als Katalysator dieser Entwicklung, Endzeit-Prophetien haben in unsicheren Zeiten Konjunktur. Messianische Juden und evangelikalen Zionisten predigen die Überzeugung, dass die Bekehrung aller Völker und ganz Israels die Wiederkunft Christi auslösen wird. Diese werde in Jerusalem geschehen, wohin sich alle Völker und ganz Israel wenden müssen.

In die Krisensituation hinein kann bei einiger rhetorischer Zurückhaltung anschlussfähig kommuniziert werden: Im Gebet von „Deutschland betet gemeinsam“ wird die Krise als „Chance, durch die viele Menschen neu zu Dir [Gott] finden“, gedeutet.

Auf die Wiederkunft Christi müssen sich demnach alle Völker der Erde vorbereiten, weshalb auch stellvertretend für einzelne Nationen oder Kontinente („Europe Shall Be Saved“) gebetet werden muss. Diesem Denken verdankt sich der Nationenbegriff, von dem die Veranstalter von „Deutschland betet gemeinsam“ ausgehen. Es geht dabei also nicht um völkischen Nationalismus, sondern um eine Aufnahme der biblischen Gegenüberstellung der „Fremdvölker“ zum Volk Israel. In den Worten von Markus Wenz, Jugendpastor des Gospelforums in Stuttgart, mit denen für die Aktion geworben wird, klingt das dann so: „Ich hoffe, Du klinkst Dich mit ein, wenn wir als gesamtes Land für unsere Nation im Gebet einstehen.“

Vielleicht der wichtigste Anker dieser Endzeitideologie im gewöhnlichen evangelikalen Denken ist die Notwendigkeit der Bekehrung zu Christus. Da Jesus Christus als „der Weg und die Wahrheit und das Leben“ geglaubt wird, ohne den niemand „zum Vater kommt“, umfasst der Bekehrungsaufruf auch Jüdinnen und Juden. Darin widersprechen Teile der charismatischen und evangelikalen Bewegung den Überzeugungen der beiden großen Konfessionen.

Notwendigkeit der Judenmission

Sowohl die evangelischen Landeskirchen, als auch die röm.-kath. Kirche nehmen heute Abstand von der Judenmission. Gott habe Israel, so schreibt schon Paulus im Brief an die Gemeinde in Rom, zuerst erwählt und seine Erwählung könne ihn niemals gereuen. Gott habe sich nie von seinem Volk abgewandt. Zu dieser klaren Linie sind die Kirchen nach der Shoa im Dialog mit dem Judentum gekommen.

Es darf darum überraschen, dass immer wieder auch in evangelischen Landeskirchen und katholischen Bistümern zur Judenmission aufgerufen wird, obwohl Synodenbeschlüsse evangelischerseits und die Ergebnisse des 2. Vatikanischen Konzils katholischerseits dem eigentlich einen Riegel vorschieben.

Das Augsburger Gebetshaus und Johannes Hartl fungieren hier als Türöffner in den Mainstream-Katholizismus. Das Gebetshaus wird immer wieder als eine der führenden ökumenischen Initiativen für junge Menschen und für seine moderne Ästhetik gelobt, über den Inhalt der Verkündigung wird gerne hinweggesehen. Hartl gehört zu den Initiatoren von „Deutschland betet gemeinsam“ und hält Kontakte zu Organisationen, die sich dem endzeitlichen Glauben und der Judenmission verschrieben haben.

Gemeinsame Bestimmung von Deutschen und Juden?

Dazu gehört Asher Intrater, ein international bekannter Leiter der messianisch-jüdischen Bewegung, dessen Buch „Alignment – Die Rolle der messianischen Juden, Jerusalems und der Nationen“ auf Deutsch im schweizerischen Schleife-Verlag erschienen ist und im evangelikalen SCM-Shop vertrieben wird. Intrater trat zuletzt als Referent auf der MEHR-Konferenz des Gebetshauses auf, die im Januar 2020 nach Angaben der Veranstalter 12 000 Teilnehmer*innen anzog.

Der Teufel habe die Shoa verursacht, um die „gemeinsame Bestimmung des jüdischen und deutschen Volkes“ zu zerstören, referierte Intrater dort. Gott aber wolle, das Deutsche und Juden gemeinsam in der Welt wirken. „Der Höhepunkt der ganzen MEHR und vielleicht des ganzen Jahres“, berichtete eine Teilnehmerin der katholischen Tagespost, „war für mich die ,Aufhebung des Fluchs‘ über Deutschland und die deutsche Geschichte durch Asher. Ich bin überzeugt, dass durch diesen jüdischen Segen etwas ganz Großartiges über Deutschland kommen wird.“

Bei der Übersetzung der endzeitlichen Völker-Ideologie in den Kontext des deutsch-israelischen oder jüdisch-christlichen Kontext knirscht es gewaltig: Es waren Deutsche und Christen, die den Völkermord an den europäischen Juden begangen. Die Geschichte lässt sich nicht durch ein emphatisches Zusammengehen in Richtung Weltenende auslöschen. Die religiöse Schuld- und Segenstopik verschleiert die Erinnerung an den Holocaust.

Ein Echo der „gemeinsamen Bestimmung“ von Deutschen und Juden kann man in der Formulierung des Gebets von „Deutschland betet gemeinsam“ wiederfinden. Im Gebet wird aus dem alttestamentlichen Buch 2. Chronik zitiert:

„Wenn mein Volk, über das mein Name genannt ist, sich demütigt, dass sie beten und mein Angesicht suchen und sich von ihren bösen Wegen bekehren, so will ich vom Himmel her hören und ihre Sünde vergeben und ihr Land heilen“

Mit Volk ist in diesem Kontext eindeutig das biblische Volk Israel gemeint. Durch den Gebetsaufruf „Wir beten für unser Land und sprechen: …“ machen sich die Mitbeter*innen diese Verse zu eigen. Und zwar nicht als persönliches Gebet, sondern bewusst „für unser Land“, kritisiert der Theologe Georg Bloch-Jessen: „Das ‚deutsche‘ Volk ist nicht Israel, es hat keine besondere Auserwählung in der Heilsgeschichte. Dem jüdischen Volk die Gottesnähe abzusprechen, indem man den Segen auf ein national konstruiertes Volk überträgt, ist meiner Meinung nach antisemitisch.“

Das Gebet von „Deutschland betet gemeinsam“: oben in der ursprünglichen Fassung, unten mit Ergänzungen vom Montag (Screenshot)

Auf diesen, vielleicht schwersten, Vorwurf reagierten die Veranstalter mit Umformulierungen am Gebet (s. Bild) am Montag. Auf Twitter begegnete Johannes Hartl dem Vorwurf des christlichen Antisemitismus auch mit dem Hinweis auf die jüdischen Unterstützer der Aktion. Besonders die Unterstützung durch den Gemeindevorsitzenden der jüdischen Gemeinde in Halle, die im Herbst letzten Jahres Ziel eines rechtsextremen Terroranschlags war, spreche doch dafür, dass das Gebet als Zeichen gegen Antisemitismus anerkannt würde. (Anm. d. Red.: Die beiden jüdischen Religionsvertreter haben bereits am Dienstag ihre Namen wieder von der Unterstützerliste streichen lassen. Nach Angaben der Veranstalter haben sie dafür keine Gründe angegeben. 8. April 2020, 17:15 Uhr)

Auf die Kritik hin wurden Aufruf und Gebet ergänzt und bearbeitet. Beides geschah leider, ohne die vorgenommenen Veränderungen kenntlich zu machen. Als „Theologischer Beirat“ der Aktion wurde Thomas Schirrmacher bestellt, ein anglikanischer Erzbischof und bekannter Missionstheologe. Auf Twitter sprach Hartl von „Nachbesserungsbedarf“, der sich bei einer in „wenigen Tagen aus dem Boden gestampfte[n] Aktion, die plötzlich weite Kreise zieht“ ergebe. Für die ästhetisch hochwertige Gestaltung der Kampagne und das Rühren der Werbetrommel war jedoch Zeit genug.

Christlicher Antisemitismus

Christliche Judenfeindschaft hat eine lange, traurige Tradition. Sie beginnt bereits bei der Deutung des Kreuzestodes Jesu und der Behauptung, die Juden wären seine „Mörder“. Über den Zusammenhang des christlichen Judenhasses mit den Passionserzählungen, die in der Woche vor Ostern im Zentrum der Verkündigung stehen, hat Philipp Greifenstein bereits 2018 geschrieben. Alle weiteren der zahlreichen Beiträge zum Thema christlicher Antisemitismus in der Eule findest du hier.