Foto im Hintergrund: Audimax der KiHo Wuppertal (Xenos/ Wikimedia Commons, CC BY-SA 3.0)

Apokalypse auf dem „Heiligen Berg“

In der Evangelischen Kirche im Rheinland wird über die Zukunft der Kirchlichen Hochschule Wuppertal beraten: Muss die KiHo auf dem „Heiligen Berg“ endgültig dicht machen? Ist die Endzeit der universitären Theologie angebrochen?

Das Ende der Theologie! Solche negativen Prognosen wabern derzeit durch die Gänge mancher theologischer Institute und Fakultäten. Das Ende! Weil die Zahlen sinken, sowohl die der Studierenden als auch die der Kirchenmitglieder. Weil Gepflogenheiten sich ändern. Weil das Ansehen der Theologie in der Gesellschaft, in der Kirche und in den universitären Kontexten, in denen sie unterrichtet wird, merklich gesunken ist. Das Ende?!

Was apokalyptische Endzeitstimmung ist, habe ich verstanden, als ich am letzten möglichen Tag in einem über mehrere Monate schließenden Karstadt-Kaufhaus war. Alles, was noch irgendwie halbwegs Sinn für jemanden gemacht hatte, war schon verkauft worden. Geier kreisten um die verbliebenen Ausstellungsmöbelstücke. Wir nahmen noch Paketverpackung mit 90 % Rabatt mit und dachten, wir hätten einen großartigen Deal gemacht. „Die Struktur des kirchlichen Examens, die bislang an der Vorstellung des Jüngsten Gerichts orientiert war“, sei zu reformieren, erklärte 2022 der Münchener Theologieprofessor Jörg Lauster in der Süddeutschen Zeitung. Seine Kritik an den historischen Fächern, die ordentlich ausgemistet gehören, hatte ich hier in der Eule schon kritisiert. Das Examen als Jüngstes Gericht einerseits, das Ende der Theologie als universitäres Fach andererseits: An der Apokalypse der akademischen Theologie kommt man derzeit schwerlich vorbei.

Verschiedene Diskussionen laufen dabei parallel: Müssen im Theologiestudium auf das Kirchliche Examen hin weiterhin alle drei alten Sprachen (Biblisches Hebräisch, Altgriechisch und Latein) erlernt werden – und wenn ja, wie? Wie können sogenannte „Spätberufene“ ohne komplettes Theologiestudium in den Pfarrberuf kommen? Gibt es dafür Master-Abschlüsse, die berufsbegleitend abgelegt werden können? Soll außerhalb solcher Sonderwege das kirchliche Examen weiterhin der einzige Zugang zur kirchlichen Ausbildung und Tätigkeit als Pfarrer*in bleiben? Was sind Lebens- und Glaubenserfahrung umgerechnet in Ausbildung wert?

Wie steht es um Menschen, die Religion mit der Zielrichtung Lehramt studiert haben, die aber lieber in der Kirche arbeiten möchten als in der Schule – und auf die Landeskirchen zunehmend stärker zurückgreifen wollen, wenn es um die kirchliche Versorgung „in der Fläche“ geht? Wie verändern sich pastorale Berufsbilder und Arbeitsmodelle? Die Zukunft der akademischen Theologie ist mit der Zukunft des Pfarrer*innen-Berufs verschränkt, obwohl an den Fakultäten deutlich häufiger auf Lehramt studiert wird.

Das Wort „Schließung“ wird an den Fakultäten und Instituten an staatlichen Universitäten lieber nicht zu laut gedacht. Die Entscheidung darüber liegt ohnehin nicht bei den Kirchen allein, sondern auch beim Staat. Klar ist: Allein über die Ausbildung von Pfarrer*innen kann und will sich die universitäre Theologie nicht plausibilisieren. Ob die Anstrengungen der vergangenen Jahre – z.B. die Einführung einer Reihe von interdisziplinären Studiengängen – ausreichen, um dem Schwund in den Kernstudiengängen auszugleichen? Die Zukunft der Theologie an staatlichen Universitäten ist jedenfalls keineswegs mehr sicher.

Im vergangenen Jahr diagnostizierte der Evangelische Fakultätentag einen erheblichen Reform- und Gesprächsbedarf, sodass im April 2024 ein „ThinkTank“ zusammengestellt wurde, der eine Neuausrichtung des Theologiestudiums beraten soll. Genauere Infos dazu stehen bisher nicht auf der Website des Fakultätentages, aber dafür immerhin ein Foto mit vielen grinsenden Gesichtern, aufgenommen im Foyer des EKD-Kirchenamtes in Hannover, und die Info: „In anregender und produktiver Atmosphäre wurden wichtige Impulse gesetzt und verschiedene Positionen erörtert. Wir sind gespannt auf den weiteren Prozess!“

Ist das Modell KiHo am Ende?

Aktuell wird allerdings vor allem über die Kirchliche Hochschule Wuppertal (KiHo) diskutiert. Die Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland (EKiR) will sich auf einer außerordentlichen digitalen Tagung vom 6. bis 11. Juni mit der Zukunft der KiHo befassen. Muss die Hochschule auf dem „Heiligen Berg“ dichtmachen?

Unter der Vielzahl von kirchlichen Hochschulen sind es nur zwei, die Studiengänge anbieten, die für den Pfarrberuf qualifizieren: Die Augustana-Hochschule wurde 1947 in Neuendettelsau (Bayern) gegründet. Auch als Antwort darauf, dass die Theologie an staatlich geführten Universitäten während des Nationalsozialismus keine widerständige, sondern – im Großen und Ganzen – gleichgeschaltete Theologie war. Getragen wird die Augustana von der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern (ELKB). Die Geschichte der Kirchlichen Hochschule Wuppertal reicht zurück bis in die NS-Zeit: Die bereits bestehende, an der diakonischen Praxis ausgerichtete Hochschule wurde 1935 um die Ausbildung für das Pfarramt erweitert. Im Hintergrund steht die am 31. Mai 1934 – also vor 90 Jahren –  veröffentlichte Barmer Theologische Erklärung. An der KiHo sollte der Pfarrnachwuchs für die Bekennende Kirche ausgebildet werden. Ein Anliegen, dass aufgrund staatlicher Repressionen während des Nationalsozialismus nur in Ansätzen umgesetzt werden konnte. Auch in der DDR gab es kirchliche Hochschulen, an denen Theologie studiert werden konnte und deren Absolventen Pfarrer in den Kirchen in der DDR wurden. Diese Hochschulen wurden in den 1990er Jahren geschlossen.

Dass eine Schließung der KiHo ernsthaft erwogen wird, bezeugt mit Blick auf die Geschichte der Theolog*innen-Ausbildung an kirchlichen Hochschulen ein massives Vertrauen darauf, dass dieser Staat und unsere Freiheiten in ihm so erhalten bleiben, wie sie jetzt zu sein scheinen. In der jüngeren deutschen Kirchengeschichte hat sich gezeigt, dass sich Theologie in staatlicher Hand staatlicher Indoktrination nicht entziehen kann. Während der beiden Diktaturen waren nur sehr eingeschränkt anti-totalitäre Gedanken und Kräfte an den Universitäten zu finden. Man könnte es also fast „optimistisch“ nennen zu meinen, man könne die KiHo schließen. Leider kann ich diesen Optimismus nicht mittragen.

Wer mag sich vorstellen, was künftige rechtsradikale Landesregierungen für die Universitäten in ihrem Wirkungsbereich im Sinn haben? Schon heute steht die Universitätspolitik im Zentrum eines Kulturkampfes von Rechts. Erstaunlicherweise sind es die beiden bestehenden Kirchlichen Hochschulen, die einen besonderen Schwerpunkt auf Gender und Disability legen! Auch durch diese Schwerpunkte machen sich die KiHos stark gegen Rechts in einer Weise, die an anderen theologischen Ausbildungsstätten nicht zu beobachten ist.

Kolumne: Sektion F

In unserer Kolumne „Sektion F“ schreibt Carlotta Israel über feministische Theologie und Kämpfe in Kirche und Wissenschaft. Was haben Feminist:innen unterschiedlicher Generationen einander zu sagen? Welche feministischen Fragestellungen können die Diskussion in Kirche und Gesellschaft bereichern? Als Feminismus-Agentin begibt sich Carlotta Israel für uns auf die Spuren des Feminismus in Kirche und Theologie.

Wie geht es mit der KiHo weiter?

Dass gerade jetzt über die Schließung der KiHo Wuppertal beraten wird, hängt natürlich mit den Finanzen der beteiligten Kirchen zusammen. Mit weiter sinkenden Kirchensteuereinnahmen ist zu rechnen, die Kirche reagiert auf diesen Trend. So wird der Zuschuss, den die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zur Finanzierung der Hochschule beiträgt, in den kommenden Jahren planmäßig weiter sinken (derzeit: 720.000 Euro, 2030: 560.000 Euro).

Die Evangelische Kirche von Westfalen (EKvW) ist bisher mit 750.000 Euro im Jahr beteiligt. Sie möchte in Zukunft weniger zahlen oder sich eventuell ganz aus der Kooperation verabschieden, die sich einmal der Fusion mit der Kirchlichen Hochschule Bethel verdankte. Vor nicht einmal 20 Jahren (2005 bzw. 2007) gingen die Theologie in Wuppertal und die Diakoniewissenschaften in Bethel zusammen. 2021/2022 wurde das Institut für Diakoniewissenschaft und Diakoniemanagement (IDM) dann an die staatliche Universität Bielefeld abgegeben. Die Von Bodelschwinghschen Stiftungen in Bielefeld-Bethel verabschiedeten sich aus der Kooperation, die westfälische Kirche aber blieb.  

Den Löwenanteil der Kosten für die KiHo trägt bisher die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR) mit 2,77 Millionen. Die Zeit für eine Entscheidung drängt auch deshalb, weil der bisherige Trägervertrag im kommenden Jahr ausläuft. Der Landessynode der EKiR liegen vier Vorschläge vor (PDF):

  1. Fortbestehen der KiHo in Trägerschaft der EKiR wie bisher.
  2. In Absprache mit der EKvW wird die KiHo abgewickelt. Dafür wird als Termin der 31. März 2026 vorgeschlagen.
  3. In Absprache mit der EKvW soll die KiHo abgewickelt werden, aber an der staatlichen Bergischen Universität Wuppertal eine neue „Forschungs- und Lehreinheit“ für evangelische Theologie entstehen, die von der EKiR weiterhin auch finanziell unterstützt werden soll (aber im viel geringeren Ausmaß von ca. 900.000 Euro). Die Synodalen können darüber entscheiden, ob entsprechende Verhandlungen mit dem Land Nordrhein-Westfalen über eine solche Kooperation weitergeführt werden sollen.
  4. Der „Umbau“ der KiHo zu einem „Theologischen Bildungscampus“ mit längerfristig geringeren finanziellen Mitteln. In den vergangenen zwanzig Jahren wurden bereits viele Aus-, Fort- und Weiterbildungseinrichtungen auf den „Heiligen Berg“ in Wuppertal verlegt, zwischenzeitlich auch in einem „Theologischen Zentrum“ gebündelt. Ein „finalisiertes“ Konzept für ein neues „Basismodell“ soll, wenn sich die Synodalen mehrheitlich für die vierte Option entscheiden, der Landessynode auf ihrer nächsten Tagung vorgelegt werden.

Es ist verständlich und begrüßenswert, dass die EKiR transparent macht, dass das schwindende Geld für die Schließungs- bzw. Veränderungsdiskussion die maßgebliche Triebfeder darstellt. Wiederum wird dadurch die Frage aufgeworfen: Was „lohnt“ sich denn insgesamt an kirchlichen Institutionen? Braucht es zentralisierte Verwaltungsapparate, Funktionspfarrämter, Schwerpunktsetzungen oder steht die personelle bzw. pastorale Versorgung einzelner Gemeinden im Fokus? Ich weiß, dass das eine plakative Gegenüberstellung ist, die in kirchlichen Debatten nicht besonders zielführend ist. Aber könnte die Stellschraube bei Sparrunden nicht vielleicht eher in der Verwaltung und/oder in der Besoldung von Kirchenleitenden angezogen werden statt in der Ausbildung der zukünftigen kirchlichen Mitarbeitenden? Es stellt sich die Grundsatzfrage: Warum als Kirche in akademische Theologie investieren?

Wie hältst du’s mit der Theologie?

Zeigt die Debatte um die KiHo nicht auch, wie weit sich die Kirche von der akademischen Theologie entfernt fühlt? In der Theologiegeschichte wurden auf diese Frage bereits viele Antwortversuche unternommen. Johann Arndt (1555–1621) schreibt an der Wende zum 17. Jahrhundert in seiner Vorrede zum Ersten Buch „Von wahrem Christentum“ (hier & hier, zitiert in heutiger Rechtschreibung):

„Viele meinen, die Theologie sei nur eine bloße Wissenschaft und Wortkunst, [obwohl] sie doch eine lebendige Erfahrung und Übung ist. Jedermann studiert jetzt, wie er hoch und berühmt in der Welt sein möge, aber fromm sein will niemand lernen. Jedermann sucht jetzt hochgelehrte Leute, von denen er Kunst, Sprachen und Weisheit lernen möge, aber von unserem einigen Doktor Jesus Christus will niemand lernen Sanftmut und herzliche Demut, da doch sein heiliges lebendiges Exempel die rechte Regel und Richtschnur unsers Lebens ist.“

Der „Vater“ des Pietismus und Superintendent in Celle (1611–1621) formulierte eine deutliche Anklage gegen die Theologie seiner Zeit: Statt von Jesus Demut zu lernen, würde von Gelehrten Hochmut gelehrt. Arndt wollte die Theologie reformieren. Bei ihm hieß das: Demut lernen und Buße. Lehrende sollten mit entsprechendem Beispiel vorangehen. Philipp Jacob Spener entwickelte in seiner „Pia Desideria“ Arndts Gedanken weiter und schlug ein stärker geistlich ausgerichtetes Leben für Theologiestudierende vor.

Bitte nicht falsch verstehen: Es geht nicht darum, die pietistische Reform des Theologiestudiums als Rettungsanker der KiHo Wuppertal heraufzubeschwören. Aber dieser historische Befund zeigt doch: Damals wurde sich von Theologie noch etwas erwartet! Das scheint nun nicht mehr der Fall zu sein, wenn eine kirchliche Investition in Theologie derart in Frage gestellt wird.

Viele Fragen stehen auf dem „Kipppunkt volkskirchlicher Religiosität“ in Deutschland zugleich im Raum: Wie soll die universitäre, wie soll die kirchliche Ausbildung von pfarramtlich Tätigen aussehen? Wer darf unter welchen Voraussetzungen Pfarrdienst übernehmen? Welches Rüstzeug wird dafür benötigt? Wie sehr muss oder darf ein Theologiestudium verzweckt sein auf den Lehr- oder Pfarrberuf? Welche neuen Wege müssen und können beschritten werden? Diese Fragen stehen nicht allein in Wuppertal auf der Tagesordnung, sondern zum Beispiel auch in Jena (s. #LaTdH vom 26. Mai).

Apokalypse oder neue Wege?

Solche Fragen nach der Zukunft der akademischen Theologie an Universitäten und Hochschulen wirken auf den ersten Blick wahnsinnig kleinteilig und auf das Innenleben der Kirchen und ihre Pfarrer*innenschaft fokussiert. In der Bibel ist mit Apokalypse zunächst nicht das Weltenende gemeint, sondern eine Zeit der „Offenbarung“ und „Entschlüsselung“. Tatsächlich wird mit den obengenannten Fragen auch darüber verhandelt, wofür das Geld „jetzt noch“ reichen soll, wie das Schrumpfen der Kirche funktionieren kann und welche Gestaltungsmöglichkeiten den Kirchen trotz ihres Relevanzverlusts bleiben.

Im Kontext dieser Fragen und vor allem im Blick auf die interdisziplinäre Arbeit mit Gender- und Disability-Studien wäre eine Schließung der KiHo ein großer Verlust. Wie Philipp Greifenstein hier in der Eule bereits geschrieben hat: „Was man einmal kostspielig abgewickelt hat, bekommt man nicht mehr wieder.“

Wäre ich eine Landessynodale in der rheinischen Kirche, würde ich für den Erhalt der KiHo votieren. Schon allein aus historisch-politischen Gründen. Dann müsste an anderer Stelle der Geldhahn zugedreht werden. Ich persönlich wäre Fan davon, wenn in der Kirche in allen kirchlichen Berufen maximal A 15 verdient werden könnte und niemand in die „B“-Besoldung eingruppiert würde: #Dienstgemeinschaft. Aber dieses Anliegen würde ich sicher nur schwerlich durch eine Synode kriegen. Vielleicht könnte trotzdem jemensch mal durchrechnen, ob es dann für die KiHo reichen würde?


Alle Ausgaben von „Sektion F“ hier in der Eule.


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