Zeit für Buße? – Die #LaTdH vom 1. Mai

Der Kirchentag hat eine visuelle Grußbotschaft und die Ukraine-Krieg-Debatte den nächsten Offenen Brief. Außerdem: #OutInChurch, Buße und der Glaube an den Weltenrichter.

Herzlich Willkommen!

Am Donnerstag enthüllte der Deutsche Evangelische Kirchentag sein Kampagnenmotiv für das Event 2023 in Nürnberg. Die visuelle Umsetzung des Slogans „Jetzt ist die Zeit“, abgewandelt aus Markus 1, 15, ist flott und gut sichtbar. Die Generalsekretärin des Kirchentages, Kristin Jahn, sieht in der Botschaft der Kampagne ein klares Signal gegen Hoffnungslosigkeit:

„Wir stehen auf gegen die Resignation, man könne nichts tun. Denn unser Glaube erschöpft sich nicht in gefalteten Händen. Er führt immer auch hinein in die verantwortliche Tat. Denn jetzt ist die Zeit zu sagen, worauf ich hoffe und was ich aufgrund meiner Hoffnung bereit bin zu tun.“

Das ist umso bemerkenswerter, weil es bei Markus 1, 15 als Zusammenfassung des nun folgenden Evangeliums, quasi vorneweg, deutlich heißt:

Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!

Wenn es da ums Tun geht, dann ums Buße tun. Also mithin ums Händefalten oder sogar auf die Knie werfen. Könnte es die Möglichkeit sein, dass sich der Kirchentag und mit ihm die Protestanten wirklich einmal von ihrem selbstgewählten Slogan herausrufen lassen – und damit ernst machen?

Eine gute Woche wünscht
Philipp Greifenstein

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Debatte

Krieg, Frieden und das Böse dazwischen – Hans-Joachim Sander (feinschwarz.net)

Der Salzburger Dogmatiker Hans-Joachim Sander schreibt im theologischen Feuilleton feinschwarz.net (@feinschwarz_net) über den Ukraine-Krieg und vor allem über das Böse. An das Böse zu denken, so Sander, hilft beim Verstehen weiter, womit wir es beim Krieg Russlands gegen die Ukraine zu tun haben.

In diesem Krieg tritt Böses so klar hervor, dass man schon die Augen davor sehr fest verschließen muss, um es nicht zu sehen. Das erschöpft sich nicht in der Sorte von Bosheiten wie dem langen Kremltisch Putins oder die Winkelzüge seines Außenministers, wie die metaphysischen Hasspredigten eines Kyrill I. über gay-pride oder die auf Rüstungswerbung getrimmten Einsätzen von Superraketen neuester Bauart. […]

Mit dem christlichen Glauben lässt sich solches Böses nicht ungeschehen machen, aber auch unter keinen Umständen verharmlosen. Mit dem Bösem dieser Kategorie darf man keine Kompromisse machen, auch nicht eine Andeutung davon. Böses lebt auf in allem, wo und wie und warum man ihm entgegenkommt.

Die klare und berechtigte Benennung des Bösen führt bei Sander nicht nur zu entschiedenen Urteilen, sondern zu Handlungsempfehlungen, z.B. was die katholisch-orthodoxe Ökumene angeht:

Der Putinismus hat jedenfalls dieses Ressentiments offen zur Kriegswaffe gemacht. Dem muss sich auch die katholische Ökumene mit der russischen Orthodoxie ablehnend stellen. Sonst wird man sich fragen, ob in der katholischen Hochhierarchie bis hinauf zum Papst ähnliche Ressentiments geteilt werden.

Die schwierige Haltung des Papstes zum Ukraine-Krieg und zum Agressor Putin stand ja im Zentrum der #LaTdH von vergangener Woche. Auch aus der evangelischen Kirche erschallt der Ruf nach Ablösung der Beziehungen zur Russisch-Orthodoxen Kirche (ROK) und ihrem Moskauer Patriarchen Kyrill, der Ende August jedenfalls schon mal nicht zur 11. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) nach Karlsruhe kommen wird.

Der „liebe Gott“ ist tot – Gabriele Scherle und Peter Scherle (FAZ)

Das Theologen-Paar Scherle schreibt in der Frankfurter Allgemeinen über die evangelische Friedensethik, die die Orientierung verloren habe, weil sie nichts mehr vom unausweichlichen Gericht Gottes wüsste. Dass das Gericht (post-)modernen Menschen schwer bis überhaupt nicht zu plausibilisieren ist, beschäftigte schon die Theologen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aber was Scherles daraus machen, scheint mir für die gegenwärtige Debatte doch nachdenkenswert zu sein:

Diese Entkernung des christlichen Gottesbildes zeigt sich bei der inzwischen auch unter Vertretern der Kirchen beliebten Aussage, es sei gleichgültig, ob Deutschland der Ukraine Waffen liefere oder nicht, denn wir würden in jedem Fall schuldig werden. Wer diese theologische Figur bemüht, um sich aus der politischen Verantwortung zu stehlen, vergisst, dass die Rede von der Schuld, in die wir verwickelt sind, keine Entschuldigung ist, sondern durch das „Jüngste Gericht“ hindurchmuss.

Ohne eine gerichtsfeste „Vergeltung“ (he­bräisch: schilem) gibt es keinen göttlichen Frieden (schalom). Das Blut der Opfer schreit zum Himmel. Gott wird darauf antworten und Rechenschaft fordern von den verantwortlichen Tätern und ihren religiösen Mittätern, aber auch von den Zuschauern, die vor allem mit ihrer Befindlichkeit und einem reinen Gewissen beschäftigt waren.

Auch im Jesaja-Wort von den Pflugscharen, der Losung vom vergangenen Donnerstag, ist klar, wer die Völker zurechtweisen wird. Scherles betonen, der Glaube an das Weltengericht befreie nicht nur von einem unehrlichen Pazifismus, sondern auch vom „Mythos der erlösenden Gewalt“. Man hofft es. Ich krame an dieser Stelle einen ur-alten Text von mir von 2013 heraus, in dem es zu meiner eigenen Überraschung nicht nur um Schuld, Gericht und Buße geht, sondern auch um Martin Luther: „Ob Du wirklich richtig stehst, siehst Du, wenn das Licht angeht!“

Offene Briefe

In dieser Woche gab es noch einen neuen Offenen Brief zum Ukraine-Krieg, diesmal von einer recht prominenten Riege im feministischen Magazin EMMA. Der Brief richtet sich an Bundeskanzler Olaf Scholz, aber natürlich eigentlich an uns alle. Die Aufregung um das Stück Text steht nach meinem Empfinden in einem reziproken Verhältnis zu den in aller Kürze angetippten Fragen. Natürlich wird den Unterzeichner:innen vorgeworfen, sie würden der Ukraine eine Kapitulation vor Putin – mit Scherles gesprochen: dem Bösen – empfehlen. Das stimmt zwar, wirft mich jetzt aber nicht vom Hocker. Der Gestus des „Das-muss-jetzt-mal-gesagt-werden“, der solche Aktionen umweht, geht mir seit mindestens 2014 auf den Wecker.

Ich habe an diesem Wochenende an der Evangelischen Akademie in Lutherstadt Wittenberg (@evakademie) eine Tagung zu „Sprache der Macht – Macht der Sprache“ besucht, in deren Verlauf der Berliner Sprachwissenschaftler Wolfgang Klein meinte:

„Der Sinn eines großen Teils des öffentlichen Diskurses ist, sich selbst zu überzeugen (Person und Gruppe). Darin liegt die Macht (auf sich bezogen) und Ohnmacht (auf andere bezogen) der Sprache.“

Es bleibt dabei, dass man mit Offenen Briefen wohl niemanden überzeugt, aber eben laut bekundet, was man selbst für richtig hält. Nur nutzt sich das halt spätestens dann ab, wenn man den Überblick darüber verliert, welche Offenen Briefe man in letzter Zeit alles mitgezeichnet hat. Kann man auch etwas anderes machen, um in dieser Zeit Selbstwirksamkeit zu generieren?

Ukraine-Krieg und Trauma-Forschung: Raus aus der Schnappatmung – Benjamin Isaak-Krauß (Die Eule)

Nachdem er im März in der Eule bereits über die Macht des gewaltlosen Widerstands geschrieben hatte, erklärt Benjamin Isaak-Krauß in dieser Woche, wie die Trauma-Forschung uns helfen kann, den Krieg und die vielfältigen Reaktionen auf ihn zu erklären.

In der breiteren Bevölkerung gibt es viele, deren Angststress sich im Fluchtmodus (flight) auswirkt. In persönlichen Gesprächen höre ich viel mehr Menschen, die tatsächlich Angst vor einem Atomkrieg haben, als ich es im Verhältnis der Meinungsbeiträge in den Zeitungen wahrnehme. Hier kommen die längst beerdigt geglaubten Ängste des Kalten Krieges wieder hoch. Natürlich schürt die russische Propaganda gezielt Angst vor den Atomwaffen, aber der Hinweis darauf hilft kaum jemanden, der in der Angst versinkt. Was also könnte helfen?

Kirchen sollten Orte sein, so der junge Mennoniten-Pastor, an „denen Trauer, Schock und Anteilnahme Platz finden“, wo „nicht nur Trauer, auch Angst und Wut oder gar Hass zur Sprache kommen können und so auch in ihrer Macht gebrochen werden“. Dann sei es auch möglich, aus Flucht- oder Freeze-Modus raus und ins Handeln zu kommen. Der Kirchentag unterstreicht ja das „Machen“ extra, Isaak-Krauß meint:

Mit Greta Thunberg gesprochen: Hoffnung kommt durch Handeln. Das Einüben und Anwenden gewaltfreier Aktion befreit aus Angststress und eröffnet neue Horizonte.

nachgefasst

#OutInChurch

Drei Monate nach oder mit #OutInChurch (wir berichteten) findet sich bei katholisch.de ein Interview von Roland Müller (@roland_molitor) mit zwei der Initiator:innen des öffentlichen Coming-Outs in der römisch-katholischen Kirche. Bernd Mönkebüscher, Priester im Erzbistum Paderborn, und Rainer Teuber, Mitarbeiter der Domschatzkammer im Bistum Essen, sprechen auch über ihre Erwartungen an die Bischöfe:

Frage: #OutInChurch hat dazu geführt, dass viele Bischöfe und Generalvikare Selbstverpflichtungen ausgesprochen und Änderungen beim kirchlichen Arbeitsrecht in Aussicht gestellt haben. Wie beurteilen Sie diese Aussagen?

Mönkebüscher: Es wird wahrscheinlich bald wirklich Änderungen beim Arbeitsrecht geben. Daran wird seitens der Bischöfe bereits länger gearbeitet, wie man fairerweise sagen muss. #OutInChurch hat die Dringlichkeit dieser Reformen aber sehr deutlich gemacht. Ich glaube nicht, dass die Bischöfe hier auf einen fahrenden Zug aufspringen, sondern merken, dass die Schieflagen sonst anders aufgelöst werden, etwa dadurch, dass die Politik künftig tätig wird. Die Kirche muss an dieser Stelle endlich die Menschenrechte akzeptieren und umsetzen.

Eine Tendenz, die man oft beobachten kann: Kirche möchte das Heft des Handelns gerne in der Hand behalten. Das äußert sich in Beschwichtigungen wie: „Wir sorgen schon für Euch, es ist alles nicht so schlimm.“ Das war eine Botschaft, die ich aus dem Gespräch mit den Bischöfen bei der Übergabe der Unterschriften am Rande der Frühlingsvollversammlung der Bischofskonferenz mitgenommen habe.

Und das theologische Feuilleton feinschwarz.net veröffentlichte den Appell einer Initiativgruppe von Beschäftigten der Caritas, die „für ein transparentes Verfahren zur Erstellung einer neuen Grundordnung für den kirchlichen Dienst“ eintreten.

In einer pluralen, zwar christlich geprägten, aber weitgehend säkular funktionierenden Gesellschaft bedarf es nur einiger weniger Leitplanken (z. B. Menschenrechte, katholische Soziallehre, Nachhaltigkeit, Vielfalt, Lebensschutz in jedem Lebensalter …). Ob diese eine Verankerung über das Arbeitsrecht benötigen, ist mehr als fraglich, denn das Arbeitsrecht ist als Schutzrecht für Arbeitnehmer*innen konzipiert.

Die Aufgabe des Arbeitsrechts liegt nicht in der Identitätsbildung oder Sicherstellung von Mitarbeitendenbindung, denn hierzu stehen Trägern andere Instrumente zur Verfügung.

Das Interview mit den #OutInChurch-Initiatoren führt auch in das schwierige Feld von Entschuldigung bei, „Versöhnung“ mit, Friedensschluss zwischen, Bußhandeln an Gewaltopfern zurück, dass nicht allein beim Umgang der Kirche mit LGBTQI* oder Missbrauchs-Betroffenen irgendwie „im Spiel ist“, sondern wohl auch bei der Bearbeitung der Friedensethik. Mönkebüscher sagt:

Ich bin beim Thema Entschuldigung deshalb so reserviert, weil wir bei den Missbrauchsverbrechen merken, dass es mit einer Entschuldigung bei weitem nicht getan ist. Für die Kirche ist eine einfache Entschuldigung sehr bequem, denn sie ist schnell gesagt und kostet nichts.

Was kostet uns die Umkehr? Ist eine richtige Umkehr, von der am Anfang des Markusevangeliums die Rede ist, nicht eine, die wir uns auch etwas kosten lassen müssen?

Buntes

„Wer sagt ihr, dass ich sei?“ Selbstverständnisse christlicher Blogger:innen und Content-Produzent:innen – Philipp Greifenstein (eair, YouTube, 35 Minuten)

Im September des vergangenen Jahres war ich auf das Blogger:innen-Treffen bei der Evangelischen Akademie im Rheinland (eair, @EvAkaRhein) eingeladen. Ich habe über die Selbstverständnisse von christlichen Blogger:innen und Content-Produzent:innen gesprochen und was sie voneinander lernen können. Mein Vortrag ist jetzt auch auf dem YouTube-Kanal der Akademie zu finden. Mir scheint das Thema – natürlich – immer noch aktuell zu sein.

Nur Mitläufer? In „Final Account“ erzählen Menschen von ihrer Zeit als Nazis – Alexandra Senfft (Berliner Zeitung)

Zwölf Jahre lang hat Regisseur Luke Holland Zeitzeugen des Dritten Reichs befragt, „Final Account“ kommt jetzt nach dem Tod des Filmemachers in die Kinos. Alexandra Senfft (@AlexandraSenfft) schreibt in der Berliner Zeitung über den Film und die ihm zugrundeliegenden Täterbiographien.

Eine Erinnerungskultur, die der Opfer huldigt, ohne zugleich die Täter kenntlich zu machen, hielt Luke Holland für unzureichend. „Ritualisiertes Erinnern erleichtert das Vergessen“, betonte er. Dem Vergessen wirkt er mit diesem außergewöhnlichen Zeitdokument entgegen: Seine Zuschauer holt er aus der Komfortzone, in der sie sich in ihrer Identifikation mit den Opfern eingerichtet haben. Dabei konfrontiert er sie mit ihrem eigenen „inneren Nazi“ und der beunruhigenden Tatsache, dass die Täter und Komplizen von einst Menschen sind wie du und ich.

Theologie

Die Frage nach den Priestern: Interview mit dem Neutestamentler Martin Ebner (KirchenZeitung Oberösterreich)

Was der katholische Theologe Martin Ebner, ehemals Professor für Neues Testament in Münster und Bonn, in diesem unterhaltsamen Interview sagt, leuchtet mir als evangelischem Christen unmittelbar ein.

Predigt

Die Grenzen der Domestosstrategie – Peter Otten (Theosalon)

Nach einer halben Ewigkeit mal wieder eine richtige Predigt in den #LaTdH! Peter Ottens (@PeterOtten) Predigt tut gut, auch wenn ich schon verstehen kann, warum Kirchgemeinden „Vorkurse“ machen. Z.B., weil man so mal die wechselseitigen Erwartungen klären kann. Für mich ist die Predigt ein guter Anlass mich selbst zu fragen, welche Erwartungen ich eigentlich an Gottes Handeln habe, das nicht im kirchlichen Handeln aufgeht.

Warum sind wir in der Kirche allzu oft die Menschen, die den anderen Kummer machen? Warum erscheinen wir zu oft als die besserwissenden Sonderlinge mit den fixen Ideen und Mächten? Geht’s echt nur über den verpflichtenden Vorkurs zur Verklärung? Was für einen Sinn hätte das? Wie wäre es mit mehr Offenheit. Mehr Hinsehen. Mehr Freundlichkeit. Mehr Vertrauen. Mehr Interesse. Mehr Gelassenheit.

Ein guter Satz