Das Gedenken ist frei – Die #LaTdH vom 11. April

Über Antisemitismus und eine neue Erinnerungskultur – auch in den Kirchen. Außerdem: Echte und falsche Querdenker, Ehrung für Katsch und Mertes sowie der vorbildliche Jünger Thomas.

Herzlich Willkommen!

Als der Begriff „Querdenken“ noch nicht von esoterischen Schwurblern und rechtsextremen Verschwörungsideologen gekapert war, verstand man darunter das Abweichen von der „herrschenden Meinung“, die allzuoft einfach die „Meinung der Herrschenden“ ist, die (durchaus eigenwillige) Beschäftigung mit möglichen Alternativen zu eingefahrenen Wegen in Politik und Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur.

„Querdenker“ wagten eine „Horizont-Erweiterung“, die eine andere Perspektive auf Probleme ermöglichte. Häufig nahmen solche „Grenzgänger“ wertvolle Anregungen aus anderen Disziplinen auf und machten sie für Fragestellungen in ihrem Bereich nutzbar. Daran dürfen wir uns dankbar erinnern. In der vergangenen Woche starb der römisch-katholische Konzilstheologe und Weltethos-Inspirator Hans Küng (93). Sein langjähriger evangelischer Kollege in Tübingen, Jürgen Moltmann, konnte seinen 95. Geburtstag feiern.

Anregende Lektüre und ertragreiches Nach- und Weiterdenken wünscht
Thomas Wystrach

Debatte

Jom haScho’a, normalerweise der 27. Nisan im jüdischen Kalender, fiel in diesem Jahr auf den 7. und 8. April. Der „Tag des Gedenkens an Holocaust und Heldentum“ ist ein Nationalfeiertag in Israel, wird aber auch von jüdischen Gemeinden auf der ganzen Welt begangen.

120 Sekunden Stillstand – Meron Mendel (Jüdische Allgemeine)

Angesichts der beeindruckenden israelischen Ergebnisse im Kampf gegen die Corona-Pandemie (mit einer Impfquote von über 61 % weltweit auf Platz 2) überlegt Meron Mendel (@MeronMendel), Direktor der Bildungsstätte Anne Frank (@BS_AnneFrank) in Frankfurt am Main, ob die Deutschen sich vom „Impf-Modellstaat Israel“ nicht auch „in Sachen Erinnerungskultur eine Scheibe abschneiden“ sollten – denn in der Coronakrise zeige sich in aller Deutlichkeit, was in Deutschland auf diesem Gebiet schiefläuft:

Antisemiten haben sich immer als Opfer gefühlt. „Querdenker“ und selbst ernannte „Corona-Rebellen“ versinken in Selbstmitleid und Selbstbezüglichkeit. Ich frage mich, ob viele der hergebrachten Formen deutschen Gedenkens nicht Tür und Tor für solche Verdrehungen und Täter-Opfer-Umkehrungen geöffnet haben.

Im Gegensatz zum verbreiteten Selbstverständnis der Deutschen als „Weltmeister der Erinnerungskultur“ sei bisher die Auseinandersetzung mit den Tätern – und der eigenen Familiengeschichte weitgehend vermieden worden. Die Beteuerung „Opa war kein Nazi“ sei „inzwischen geheimes Motto einer ganzen Generation geworden“.

Was aber tun, wenn die zahlreichen Gedenkinitiativen nicht mehr ausreichen, um die Mehrheit der Bevölkerung – geschweige denn die jüngere Generation – zu erreichen?

Die Forderung von Rechtsradikalen nach einer „180-Grad-Wende“ der Erinnerungskultur sollten wir jetzt für uns reklamieren. Wir wollen eine Kehrtwende, genau in die andere Richtung! Weg von den Sonntagsreden und routinierten Betroffenheitsbekundungen. Mit dem wachsenden zeitlichen Abstand und der zunehmenden Heterogenität der bundesdeutschen Gesellschaft wird Geschichte nur dann relevant bleiben, wenn sie sich im Alltag der Menschen niederschlägt.

Zum diesjährigen Jom haScho’a erinnern jüdische Gemeinden in Deutschland aufgrund der Coronakrise vor allem in Online-Formaten an die Ermordeten. Auf der Seite yellowcandleffm.de kann man etwa eine digitale Gedenkkerze entzünden, um der aus Frankfurt am Main deportierten und ermordeten Juden zu gedenken.

Jüdisches Leben zwischen Fremdwahrnehmung und Selbstbestimmung – Laura Cazés (Journal Frankfurt)

In Deutschland sei Antisemitismus zwar „verpönt“, wurde aber in seiner gesellschaftlichen Funktion nie wirklich aufgearbeitet, kritisiert auch Laura Cazés (@eslauritaa), Referentin für Verbandsentwicklung der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (@zwst_official), in ihrem Beitrag im Journal Frankfurt (@journalffm):

Deutlich wird das aktuell unter anderem an der Querdenken- und Corona-Leugner-Szene und den damit einhergehenden Verschwörungsideologien, die in ihrer Wirkungsweise nicht offen, aber doch auf Basis antisemitischer Erzählungen funktionieren.

Wenn es gesellschaftlich konform ist und in eine normative Erzählung passt, wird gerne vom „christlich-jüdischen Abendland“ gesprochen. Gleichzeitig ist nie so wirklich klar, was an diesem Konstrukt überhaupt jüdisch ist, wenn das Wissen um jüdisches Leben und jüdische Praxis der Gegenwart kaum vorhanden ist.

Von jüdischer Widerständigkeit in der Differenz der Erinnerung – Ruben Gerczikow und Monty Ott (Belltower.News)

Der Jom haScho’a erinnert an die Opfer und Überlebenden des Holocaust, aber auch an die Helden des jüdischen Widerstandes. In ihrem Beitrag für das Webprojekt Belltower (@belltower_news) plädieren Ruben Gerczikow (@RubenGerczi) und Monty Ott (@MontyAviZeev) dafür, dass auch in Deutschland Jüdinnen und Juden nicht mehr nur als Opfer gesehen werden. Dieser Perspektivwechsel schaffe Raum für Teilhabe und Sichtbarkeit jüdischer Vielfältigkeit:

Deshalb ist es wichtig, das Gedenken an den jüdischen Widerstand und jüdisches Heldentum gegen die nationalsozialistische Barbarei und ihr Auswüchse auch in die Erinnerungskultur in Deutschland zu inkludieren. Um auch die Geschichten zu erzählen, in denen Jüdinnen:Juden selbst kämpften, trotz der ausweglosen Situation, und damit Mut zu machen für gegenwärtige Kämpfe. Kämpfe für eine bessere Gesellschaft, in der die Differenz, frei nach dem Sozialphilosophen Theodor W. Adorno, nicht als Schandmal erachtet wird.

Die Wurzeln antijüdischer Stereotype – (literaturkritik.de)

Am 12. Februar 2021 fand an der Evangelischen Akademie Frankfurt (@ev_akademie) ein interdisziplinärer Workshop zu den Wurzeln antijüdischer Stereotype statt. Organisiert und moderiert wurde die hybride Veranstaltung von den Marburger WissenschaftlerInnen Lukas Bormann (@bormann_lukas), Professor für Evangelische Theologie, Susanne Maurer, Professorin für Sozialpädagogik, und Jan Süselbeck (@JanSueselbeck), Privatdozent für Neuere deutsche Literatur.

Die April-Ausgabe der Rezensionsplattform literaturkritik (@rezensionsforum) macht die (auf Youtube verfügbaren) Vorträge etwa „zur verzerrenden Darstellung des antiken Judentums im Neuen Testament und seiner Rezeption“ (Bormann), über „die scheiternde Aufklärung über Antisemitismus und das Gedächtnis der Literatur“ (Andrea Geier / @geierandrea2017) oder über „Anti-Judaismus als Emotionalisierungsfaktor in Konflikten zwischen den christlichen Konfessionen“ (Süselbeck), in überarbeiteter Form digital bzw. in Print zugänglich.

nachgefasst

Missbrauchs-Aufklärer Matthias Katsch: „Einer musste anfangen“ – Interview mit Kai Doering (vorwärts)

In den 1970er-Jahren wurde Matthias Katsch (@KaMaZhe) am Canisius-Kolleg der Jesuiten in Berlin sexuell missbraucht. Seit der Aufdeckung des Skandals 2010 engagiert er sich, vor allem in der Betroffenen-Initiative Eckiger Tisch (@EckigerTisch), gegen den Missbrauch von Kindern und Jugendlichen: „Damit es aufhört“ – wie er sein 2020 erschienenes Buch genannt hat. Am Donnerstag wurde Katsch, zusammen mit Pater Klaus Mertes SJ, von Bundespräsident Steinmeier mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

Im Interview mit Kai Doering (@kai_doering), dem stellvertretenden Chefredakteur des vorwärts (@vorwaerts), erklärt Katsch, was ihn bei seinem Engagement antreibt:

Mich motiviert bis heute die Ungerechtigkeit, dass eine mächtige Institution unserer Gesellschaft – eben die katholische Kirche – es so lange geschafft hat, Verbrechen ihrer eigenen Mitarbeiter unter der Decke zu halten und zu verhindern, dass sie bestraft werden. Diese Auseinandersetzung ist auch nach elf Jahren nicht beendet – zumal sie nicht nur in Deutschland geführt wird, sondern weltweit.

Und es betrifft natürlich auch andere Institutionen wie die evangelische Kirche oder der organisierte Sport, die bisher so ein bisschen im Windschatten der katholischen Kirche segeln. Das zähe Ringen zwischen Betroffenen, die Aufklärung fordern, und der Institution, die sich schwertut, eine Aufarbeitung zuzulassen, ist überall zu beobachten.

„Das ist einfach die falsche Reihenfolge“ – Interview mit Klaus Mertes (Domradio)

Ist die römisch-katholische Sexualmoral verantwortlich für Missbrauchsverbrechen? Im Interview mit dem @domradio sieht Pater Klaus Mertes SJ zwar durchaus Zusammenhänge, wendet sich aber gegen zu kurzgesprungene Konsequenzen. Weder die durchaus berechtigten Forderungen nach einer Kirchenreform noch die Sorge um steigende Kirchenaustrittszahlen dürften dabei im Mittelpunkt stehen:

Wenn die Kirche sofort über Prävention spricht, erleben das viele Opfer schon als Abwendung von ihren Fragen. Da geht es um die Frage nach der Wahrheit, der Gerechtigkeit, der Anerkennung der Wahrheit, ihrer Geschichte, dem Verfahren, mit dem die Gerechtigkeit überhaupt hergestellt werden kann und Entschädigungsfragen. (…)

Es geht um die Betroffenen und es geht um die Gerechtigkeit für die Betroffenen. Wenn man immer wieder die Eigeninteressen der Institution in den Vordergrund stellt, auch die eigene Angst davor, weitere Mitglieder zu verlieren, dann wird man in der Aufarbeitung nicht weiterkommen.

Bundesverdienstkreuz für Klaus Mertes SJ – Tobias Zimmermann (Sinn und Gesellschaft)

Pater Klaus Mertes SJ sorgte als damaliger Leiter des Canisius-Kollegs in Berlin wesentlich dafür, dass der Missbrauchsskandal in der römisch-katholischen Kirche 2010 öffentlich wurde. Mit einem Offenen Brief im Online Magazin Sinn und Gesellschaft (@sinnundgesellschaft) bedankt sich sein Mitbruder Tobias Zimmermann SJ. Angesichts des Versagens der Ordensleitung habe Mertes sein „Gesicht hergegeben“:

Die Übernahme von Verantwortung geschieht fast ausschließlich stellvertretend, weil auch die meisten derer, die damals in Verantwortung standen, heute schweigen. Sollen doch die Nachfolger die Scherben aufräumen! Wenn Du, wenn wir nach innen in die Gemeinschaft hinein die Vorgänger befragen, um zu verstehen, wie es zu all dem kommen konnte, treffen und trafen wir wieder auf dieses hartleibige Schweigen:

Ein fortdauernder, unerträglicher Mangel an Empathie mit den Betroffenen, eine Aufkündigung der Loyalität mit dem Orden und dessen Idealen; eine hartherzige Zurückweisung gegenüber all jenen Ordensmitgliedern, die als Nachkommen mit dem Schatten der Schuld auf der Institution und mit dem Schaden leben müssen und die aus Loyalität bereit sind, in die Verantwortung einzutreten.

Die Nebel einer unmoralischen Amtsführung – Hermann Häring (hjhaering.de)

Die Veröffentlichung des Gercke-Gutachtens zum Umgang mit sexualisierter Gewalt im Erzbistum Köln sei ein „misslungener Befreiungsschlag“, so der Theologe Hermann Häring im jüngsten Beitrag seines Blogs. Kardinal Woelki habe zwar die Präsentation wie ein „Schauspiel (…) klug inszeniert“ und sich vom eklatanten Führungsversagen seines Vorgängers Meisner mit seiner Nachsicht für die „Brüder im Nebel“ distanziert, doch das Ablenkungsmanöver von seiner eigenen Verantwortung und den strukturellen Ursachen von Missbrauch in der Kirche habe nicht überzeugen können:

Woelki verkörpert exemplarisch eine reformunfähige Hierarchie. Stellvertretend für sie verschweigt er die dogmatischen Handlungsmotive, ignoriert er die Argumente der Kritiker, konfrontiert er das Gottesvolk mit dem knallharten Autoritarismus und antimodernen Klerikalismus, den Rom seit 150 Jahren entwickelt und propagiert. (…)

Daraus ergibt sich auch die Übergriffigkeit, mit der er ein missliebiges WSW-Gutachten und dessen Autorenteam mit unbewegter Miene diskriminiert. Dies ermöglicht auch schließlich sein unbußfertiges Verhalten, mit dem er Leute absetzt und seine eigene Haut rettet, ohne die entsprechenden Gutachten in Ruhe gelesen zu haben.

Auch der Hamburger Zeithistoriker Thomas Großbölting kritisiert, dass der Kölner Erzbischof an seinem Amt festhält. Zwar könne sich Kardinal Woelki durch das Gercke-Gutachten juristisch freigesprochen fühlen, so der Wissenschaftler im Podcast „Doppelkopf“ des Hessischen Rundfunks. Doch für einen Repräsentanten einer religiösen Gemeinschaft mit hohem Selbstanspruch sei der nicht erfolgte Rücktritt „indiskutabel“. Großbölting leitet auch die Historiker-Kommission, die den Umgang mit Missbrauch im Bistum Münster untersucht.

Buntes

Nur ein bedauerndes Achselzucken für Transsexuelle – Interview mit Georg Bier (katholisch.de)

Das von Papst Franziskus gutgeheißene „Responsum ad dubium“ der Glaubenskongregation, dass vor einem Monat die Verweigerung des Segens für gleichgeschlechtliche Paare bestätigte, hat großen Protest hervorgerufen (vgl. die #LaTdH vom 21. März). Auch Transsexuelle dürfen weder heiraten noch Priester werden.

Der Freiburger Kirchenrechtler Georg Bier erklärt im Interview mit dem Portal @katholisch_de, was die römisch-katholische Kirche vom Geschlecht hält, wo ihre Argumentation Lücken aufweist – und warum sie sich trotzdem nicht ändert:

Das ist Macht, die im Ohnmachtsgestus („Wir haben nicht die Vollmacht“) ausgeübt wird. Was das für die Betroffenen und ihren persönlichen Glauben bedeutet und ob sie sich damit in ihrer Individualität ernstgenommen fühlen, spielt keine erkennbare Rolle – auch nicht die Frage, ob und wie all das den Menschen pastoral überhaupt noch zu vermitteln ist. Mehr als ein bedauerndes Achselzucken hat die Amtskirche für diese Menschen nicht übrig.

Fehlgeleitete Widerstandsromantik – Arnd Henze (zeitzeichen)

Seit Beginn der Corona-Proteste beteiligen sich auch Christen an Demonstrationen von Querdenkern und anderen Populisten. Dabei merken sie nicht, dass sie von den Organisatoren häufig nur als Feigenblatt benutzt werden, zum Beispiel, wenn sie zu DDR-Zeiten Oppositionelle waren, zeigt Arnd Henze (@arndhenze):

Fehlender Mindestabstand, eine diffuse Protestromantik und die Trivialisierung historischer Widerstandserfahrungen fanden allerdings schon vor Corona bis in Teile des linksliberalen christlichen Milieus hinein Resonanz. Das Geschäftsmodell der Corona-Kundgebungen setzte deshalb geschickt darauf, mit dem Begriff des „Querdenkens“ die Illusion maximaler Offenheit und Teilhabe zu wecken: die Inszenierung der Proteste als eine Art Kirchentag – nur eben in alle (und damit auch ganz rechte) Richtungen offen. (…)

Was fehlt, ist eine gelebte und streitbare Erinnerungskultur, die sich nicht nur der zynischen Vereinnahmung von rechts, sondern auch der gefühligen Trivialisierung und Nivellierung historischer Widerstandserfahrungen entgegenstellt. Hier ist die evangelische Kirche besonders gefordert. Denn sie trägt zum einen das sperrige Erbe des Kirchenkampfes in der NS-Zeit, zum anderen war sie einer der wesentlichen Akteure der Friedlichen Revolution in der DDR.

In den USA rollt indes die Impf-Kampagne gegen Corona auf Hochtouren. Ein Drittel der Bevölkerung lehnt jedoch die Anti-Virus-Spritze ab. Wie Glaubensführer verschiedener Religionen das ändern und die Skeptiker überzeugen wollen, hat Thomas Spang in einer Meldung der @KNA_Redaktion zusammengestellt.

Theologie

„Einer der größten Querdenker in der katholischen Kirche“ (@3sat), „einer der größten Vordenker unserer Zeit“ (Weltethos Institut, @weltethosinst), ist tot: Hans Küng, römisch-katholischer Theologe und ökumenischer Brückenbauer, erst junger Konzilsberater, dann prominenter Kirchenkritiker und schließlich Inspirator des Projekts „Weltethos“, starb im Alter von 93 Jahren in Tübingen.

In ungezählten Stellungnahmen aus Kirchen und Politik sowie Nachrufen in säkularen wie kirchlichen Medien wird an die Stationen seines Wirkens erinnert und der „visionäre Vordenker für eine gerechtere und friedlichere Welt“ (Stiftung Weltethos) gewürdigt. Gute Zusammenstellungen, auch von Interviews und Texten von Küng, finden sich im Münsteraner Forum für Theologie und Kirche und bei kath.ch (@kathch), dem römisch-katholischen Portal der Schweiz. Aber auch jüngere Stimmen sind zu vernehmen – sie sehen Küng als „Influencer und Prophet“ bzw. als „Vorbild für die Millenial-Generation“.

Erwin Koller würdigt die „Suchbewegungen eines zeitkritischen Theologen“ in der Online-Zeitung @journal21:

50 Jahre nach Küngs grundsätzlicher Infragestellung des absolutistischen römischen Systems steht die kirchliche Autorität am Abgrund: Kleriker haben Tausende von Menschen sexuell missbraucht, Bischöfe haben lange Zeit die Aufdeckung verhindert, der moralische Zerfall kommt vor aller Augen ans Licht.

Wer es damals nicht glauben wollte, muss sich heute fragen, ob ein lernunfähiges System nicht implodieren muss. Hans Küng war überzeugt, dass der Klerikalismus tödlich ist und einstürzen muss. Doch er fügt hinzu: Der Kern der Kirche, die Botschaft Jesu, ist damit nicht korrumpiert und bleibt liebenswert trotz allem.

Küng, der gerne mit seiner Funktion als „Loyale Opposition Seiner Heiligkeit“ kokettierte, sei „einer der Wortführer des weltweit verbreiteten informellen liberalen Katholizismus“ geblieben, so Bernhard Lang in seinem Nachruf in der Neuen Zürcher Zeitung (@NZZ):

Eine neue Kirche wollte Küng nie gründen. Sein Anliegen war es, die römisch-katholische Kirche – die grösste religiöse Organisation der Welt – zu einer Reform zu bewegen. Am 18. Dezember 1979 ist Küngs bis zu diesem Zeitpunkt gültiges Lebenskonzept gescheitert. Doch er fand die Kraft, sich neu zu erfinden. Sein neues Thema hiess: Dialog zwischen den Weltreligionen.

Sein leises Abrücken vom kirchlichen Christentum ist Küng selbst offenbar nur undeutlich zu Bewusstsein gekommen. Hans Küng wird der Theologie beider Konfessionen im Gedächtnis und der durch Krisen erschütterten katholischen Kirche eine Mahnung und ein «Stachel im Fleisch» bleiben.

In ihrer „Erklärung zum Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis Prof. Dr. Hans Küngs“ hatten die deutschen Bischöfe 1980 einen „allmählich unerträglichen Selbstwiderspruch“ festgestellt, „daß ein einflußreicher Theologe über Jahre hinweg gegen den übernommenen Auftrag handelt“. Vierzig Jahre später würdigt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (@dbk_online), der Limburger Bischof Georg Bätzing, den Verstorbenen nicht nur als „anerkannten und streitbaren Forscher“:

Hans Küng hat es sich nie nehmen lassen, für seine Überzeugungen einzutreten. Auch wenn es diesbezüglich Spannungen und Konflikte gab, danke ich ihm in dieser Stunde des Abschieds ausdrücklich für sein jahrelanges Engagement als katholischer Theologe in der Vermittlung des Evangeliums.

Hatte sich der verstorbene Theologe vor seinem Tod mit der Kirche versöhnt? So jedenfalls behauptet das Kurienkardinal Walter Kasper, in den 1960er -Jahren Assistent von Küng, in einem Interview. Doch dieser Einschätzung widerspricht der Generalsekretär der Stiftung Weltethos, Stephan Schlensog. Kasper sagt nun, dass ihm ein Journalist die Aussage in den Mund gelegt habe. Dass eine offizielle Rehabilitierung von Küng ausgeblieben ist, hält die Tübinger katholische Theologin Johanna Rahner „für einen großen Fehler der katholischen Kirche“.

Der Trauergottesdienst für Hans Küng findet statt am Freitag, 16. April, um 12.30 Uhr, in der Kirche St. Johannes in Tübingen und wird im Livestream übertragen.

Jürgen Moltmann (@JuergenMoltmann), ein Tübinger Weggefährte von Küng, vollendete in der vergangenen Woche sein 95. Lebensjahr in geistiger Frische – bis heute betreut er noch Promovenden! Gewürdigt wurde der mit seiner „Theologie der Hoffnung“ bekannt gewordene reformierte Theologe u.a. mit Stellungnahmen des Ökumenischen Rats der Kirchen (@Oikoumene) und einer Gratulation des Ratsvorsitzenden der @EKD, Heinrich Bedford-Strohm (@landesbischof).

Beim Zweiten Ökumenischen Kirchentag 2010 in München hatten Küng und Moltmann einen Dialog über „Ökumenische Spiritualität — heute schon gelebt“ geführt, der weiterhin lesenwert ist.

Predigt

Predigtgedanken zum 2. Sonntag in der Osterzeit – Pfarrerin Sabine Clasani (mannheim.alt-katholisch.de)

Der oft „ungläubig“ genannte Apostel Thomas ist für die alt-katholische Pfarrerin Sabine Clasani (Gemeinden Mannheim und Ludwigshafen) eine ihrer absoluten Lieblingsfiguren der Bibel:

Eigentlich ist er nicht ungläubig, sondern nur ein Zweifelnder. Er ist ein Mensch, der nachfragt, der hinterfragt und der nicht bereit ist, zu allem Ja und Amen zu sagen und einfach das zu glauben, was ihm andere erzählen, er selbst aber nicht verstehen und nicht nachvollziehen kann. Ich mag diesen zweifelnden Thomas und ich kann ihn so gut verstehen, dass ich ihm bei meiner Priesterinnenweihe sogar in die Allerheiligenlitanei einfügen ließ.

In der Auslegung des heutigen Tagesevangeliums (Joh 20,19-31) weist Clasani darauf hin, mit der Figur des zweifelnden Thomas mache der Evangelist Johannes ein Identifikationsangebot für alle Menschen, die damals – kurz nach Jesu Tod – aber auch heute nicht dabei waren, und die den schwierigen Glauben an die Auferstehung zunächst nur durch das Zeugnis anderer vermittelt bekommen können. Anders als die „Querdenker“ und „Fake News“-Populisten der Coronakrise habe der Apostel Thomas echte – existentielle – Zweifel gehabt.

Aber es wird auch deutlich, dass er sie gerne überwinden würde, dass er sich danach sehnt, dem auferstandenen Jesus so nahe zu kommen, dass auch er glauben kann. (…)

Ich wünsche uns allen, dass wir immer wieder die Nähe Gottes in unserem Leben finden und erfahren dürfen – gerade auch in diesen schwierigen Zeiten. Eine Nähe, die auch uns spüren lässt, dass Jesus lebendig unter uns ist, in der Solidarität, der Gemeinschaft, der Liebe und der Hingabe, die gerade in diesen Tagen von so vielen Menschen in unserem Land vorgelebt wird.

Ein guter Satz