Papst Franziskus, Foto: Long Thiên (Flickr), Public Domain

Das Papsttum ist das Problem

Statt über Prävention und Ahndung von Missbrauchsfällen diskutiert die röm.-kath. Kirche über eine „Homo-Mafia“ und die Zukunft des Papstes. Ein Kommentar.

Die Diskussion über die letzten Missbrauchsskandale in der röm.-kath. Kirche spitzt sich auf die Frage zu: „Stehst Du bei Franziskus oder nicht?“ Diese Eskalation und Engführung ist Teil der Agenda derjenigen, die im Gefolge Kardinal Raymond Burkes und nun Erzbischof Viganòs den Papst zum Rücktritt zwingen wollen. Um Missbrauch an Schutzbefohlenen und Kindern geht es ihnen nur am Rande. Ihre große Sorge gilt stattdessen der sog. „Homo-Mafia“, einem angeblichen Netzwerk von schwulen Priestern und Bischöfen, das „großes Unglück“ über die Kirche bringt.

In diesem Zusammenhang ist dann von „Unzucht“ und „frevelhaften Handlungen“ die Rede. Von Begriffen also, die Unbedarfte leicht als Beschreibungen von Missbrauch missverstehen können. Gemeint ist allerdings häufig genug einvernehmlicher Sex zwischen homosexuellen Erwachsenen. Dieser gilt der röm.-kath. Kirche selbstverständlich als Sünde, doch sollten sich außenstehende oder distanzierte Beobachter die homofeindliche Weltsicht der Reaktionäre nicht so leicht zu eigen machen. Schwulsein und schwulen Sex aus eigener Verklemmung heraus nur andeutungsweise und raunend zu thematisieren, rückt ihn in die Nähe von Verbrechen wie Kindesmissbrauch und Vergewaltigungen.

Klemmis in der Klemme

Burke und Viganò sehen in Franziskus einen Freund der Homosexuellen, weil er sich gelegentlich für einen barmherzigen Umgang mit homosexuellen Katholiken ausspricht. Dass Franziskus selbst in dieser Sache ganz und gar nicht als liberal im herkömmlichen, weltlichen Sinne gelten kann, ignorieren nicht nur seine Gegner, sondern auch viele seiner Fans in Medienöffentlichkeit und Ökumene.

Wie Bischof Stefan Oster (Passau) in seiner Unterstützungserklärung pro Franziskus klarstellt, lesen wohlwollende Liberale in Franziskus‘ Äußerungen viele eigene Überzeugungen hinein. Bei Franziskus findet jeder etwas nach eigenem Gefallen. Seine Freunde beschreiben das als neue Offenheit, die er der Kirche um des Evangeliums Willen zumutet. Seine Gegner halten das gleiche Phänomen für Wankelmut und sehen die von Benedikt XVI. permanent beschworene „Diktatur des Relativismus“ in der Kirche an Macht gewinnen.

Was ist da dran?

Ja, Franziskus will Kinder mit homosexuellen Neigungen vielleicht nicht mehr zum Psychiater schicken und er spricht sich gegen die offene Diskriminierung von Schwulen, Lesben und transgeschlechtlichen Menschen aus. An der Lehrmeinung seiner Kirche aber rüttelt er nicht: Homosexualität gilt nach röm.-kath. (Naturrechts-)Lehre als schöpfungswidrig, homosexueller Sex und Partnerschaften als schwere Sünden.

Wer auf schwule Priester mit dem ausgestreckten Zeigefinger zeigt, der deutet mit drei Fingern seiner Hand auf sich selbst. Und er lenkt in jedem Fall von den systemischen Ursachen des Missbrauchs in der röm.-kath. Kirche ab, die da wären: Machtmissbrauch, mangelnde Kontrolle, verklemmte und unterdrückte Sexualität der Priester, eine reaktionäre Sexualmoral, Männerbünde und Corpsdenken, theologische Überhebung und die Weigerung, Teil der Welt zu sein oder auch nur sich weltlicher Gerichtsbarkeit anzuvertrauen. Kurz: All jene Sünden der Kirche, die Franziskus unter dem Schlagwort Klerikalismus summiert und kritisiert.

Es geht um Franziskus, nicht um die Opfer

Dass so mancher Angriff auf den Papst aus den eigenen Reihen nicht allein (wenn überhaupt) aus Sorge um die Missbrauchsopfer gefahren wird, ist offensichtlich. Immer steht der Schutz der Institution im Vordergrund, den die reaktionärsten unter Franziskus‘ Anklägern nur dann gewahrt sehen, wenn der Papst „vom Ende der Welt“ seinen Hut nimmt.

Darin mischen sich je nach Neigung und Profession der Kritiker weitere Vorurteile gegen Bergoglio: Er sei eben kein so großer Theologe wie sein Vorgänger Ratzinger, eine Behauptung die man mit Blick auf das theologische Werk beider Männer ruhigen Gewissens zurückweisen kann. Größe liegt halt im Auge des Betrachters. Darauf, dass gerade im Falle seiner us-amerikanischen Kritiker durchaus auch ein rassistisches Ressentiment in der Bergoglio-Kritik mitklingt, hat zuletzt der Erzbischof von Chicago Blase Cupich hingewiesen („Ehrlich gesagt, sie können ihn auch deshalb nicht leiden, weil er Latino ist“).

Ein weiteres Argument dafür, dass es der reaktionären Clique nicht um Missbrauchsopfer oder die reine Lehre geht, sondern um ein Zurückdrehen jeglicher Öffnungen der Kirche, die mit der Person Bergoglio verbunden werden, ist ihre Verfemung der Person Franziskus‘ bei gleichzeitiger Ehrerbietung vor seinen Vorgängern Benedikt XVI. und Johannes Paul II.. Wenn Viganòs Anschuldigungen der Wahrheit entsprechen – woran berechtigte Zweifel bestehen, wie Andrea Tornielli auseinandersetzt, aber sei’s drum – dann treffen sie mehr noch als den amtierenden Papst seine beiden Vorgänger.

Statue von Johannes Paul II. in Izamal, Mexiko Foto: Jorge Zapata (Unsplash)

Johannes Paul II. wurde 2014 sogar schon heilig gesprochen, obwohl während seines Pontifikats in Diözesen zahlreicher Länder geistlicher, körperlicher und sexueller Missbrauch in den Einrichtungen der Kirche an der Tagesordnung war, der ganz und gar nicht „zeittypisch“ gewesen ist, wie die abertausenden Seiten Untersuchungsberichte aus Australien, Irland, den USA und auch Deutschland belegen. Wie ist es eigentlich um das historische Urteil über das Pontifikat dieses Papstes bestellt?

Und wie um das seines Wachhundes Ratzinger, der in seiner Funktion als Präfekt der Glaubenskongregation direkt und als Wojtylas Nachfolger im Papstamt mittelbar mit dem Schutz der katholischen Sitten betraut war? Und wie steht es um die Motive derjenigen, die Bergoglio verteufeln, Ratzinger hingegen anhimmeln?

Systemimmanente Autoritätshörigkeit

Im Bezug auf die von Franziskus begonnene und wohl schon gescheiterte Kurienreform analysiert Felix Neumann auf katholisch.de zutreffend:

„Die Rechtsförmigkeit und Bürokratie von weiten Teilen der Kirche darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kirche keine echten rechtsstaatlichen Strukturen hat – schon weil im Kirchenrecht immer der Trumpf des can. 331 CIC sticht: Der Papst verfügt „kraft seines Amtes in der Kirche über höchste, volle, unmittelbare und universale ordentliche Gewalt, die er immer frei ausüben kann.“

Das mag ekklesiologisch schlüssig sein. Für eine Organisation ist es aber verheerend, wenn keine unabhängigen Überprüfungen möglich sind, wenn Macht und Autorität statt Recht und Gesetz die Abläufe bestimmen. Das sind Strukturen, die nicht nur schlechte Verwaltung erzeugen: Sie begünstigen auch Missbrauch und Vertuschung.“

Als guter Katholik fordert er, den Papst in die Verantwortung zu nehmen, wenn es darum geht, der römischen Kurie und den Diözesen eine Verwaltungs- und Verantwortungstruktur zu verpassen, die einigermaßen demokratischen Ansprüchen genügt. Man könnte hinzufügen, dass dabei auch die Verfehlungen vergangener Päpste nicht aus dem Blick rücken dürfen: Statt an die nächste Heiligsprechung wäre wohl eher an eine Bitte um Vergebung zu denken.

Als beherzter Protestant aber kann man noch weiter gehen: Wenn der von Franziskus beklagte Klerikalismus, der im Aufstand der Reaktionäre gegenwärtig seine hässlichste Fratze zeigt, tatsächlich das Problem ist, dann rückt man ihm wohl am gründlichsten dadurch zu Leibe, indem man ihn enthauptet. Ohne Papsttum steht die Kirche besser da, der Fisch stinkt in jedem Fall vom Kopf her. Dazu muss Franziskus gar nicht persönlich in Vertuschungen verwickelt sein, es genügt, dass sich noch „im größten Schicksalsmoment der Kirche seit der Reformation“ (Alexander Görlach) Reaktionäre wie Reformer, liberale und konservative Medien, überforderte Kleriker und beschämte Laien die Rettung einzig von einem Mann erhoffen, der vielleicht zu spät auf den „Stuhl Petri“ gelangte, um seiner Kirche wirklich helfen zu können.

Es ist diese Autoritätshörigkeit, die Bergoglio zu bekämpfen angetreten ist, und in die er – Mensch, der er ist – selbst gelegentlich zurückfällt. Wenn er, wie vergangene Woche in seinem Schuldeingeständnis in Irland, statt von Priestern und Bischöfen vom ganzen „Volk Gottes“ spricht, dann, weil nur von dort her, aus der Mitte der katholischen Christenheit und nicht von ihrer Leitung her, eine Zukunft der röm.-kath. Kirche wachsen kann.