Foto: proChrist (M. Weinbrenner)

Die „Heilsame Lehre“ Ulrich Parzanys

Bereits vor einem Monat hat der Studientag des „Netzwerks Bibel und Bekenntnis“ zur Homosexualität unter Leitung von Ulrich Parzany stattgefunden. Ein genauer Blick auf die dort vertretenen Positionen:

Der Studientag „Heilsame Lehre“ des „Netzwerks Bibel und Bekenntnis“ zum Thema Homosexualität in Siegen hat nur wenig Resonanz über die evangelikale Szene hinaus gefunden. Durch einen Bericht von Übermedien hat sich jedoch eine Diskussion über die Berichterstattung der Regionalzeitung über den Studientag entsponnen. Vielen Kommentator*innen ist das Entsetzen darüber anzumerken, was unter dem Deckmantel frommen Christentums in Siegen vermittelt wurde.

Nach Sichtung der Vorträge, die vom Netzwerk selbst auf YouTube dokumentiert wurden, ist klar: Das „Netzwerk Bibel und Bekenntnis“ konstruiert seine „Heilsame Lehre“ bewusst im Widerspruch zu Wissenschaften und geltenden Rechtsnormen. Damit reiht sich das Netzwerk trotz anderslautender Beteuerungen seines Leiters Ulrich Parzany in die Phalanx rechter Organisationen ein, die gegen die freiheitliche Gesellschaft mobil machen.

„Brandstifter“ und Angstprediger

Zu den ausschließlich männlichen Referenten des Fachtages gehörten der einschlägig bekannte Pastor der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) Olaf Latzel, der Neutestamentler Prof. Christian Stettler (Basel und Zürich) und „Schwulenheiler“ Markus Hoffmann.

Olaf Latzel erlangte 2015 durch eine islamkritische Predigt bundesweite Bekanntheit, in der er die Evangelische Kirche dazu aufforderte sich vom interreligiösen Dialog zu „reinigen“. Der damalige Schriftführer (Sprecher der Landeskirche) der BEK, Renke Brahms, nannte die Predigt „geistige Brandstiftung“, deren Formulierungen „sind unerträglich und dazu geeignet, Gewalt gegen Fremde, Andersgläubige oder Asylbewerbern Vorschub zu leisten“.

Latzel und seine Gemeinde lehnen – für die evangelischen Landeskirchen untypisch – die Ordination von Frauen für das geistliche Amt und die Segnung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ab. Tatsächlich widmet sich der Kraftsportler und wuchtige Redner Latzel seit über zehn Jahren immer wieder dem Thema Homosexualität. In seiner „Andacht“ rief er die Teilnehmer*innen des Studientages in Siegen zum Widerstand gegen den Zeitgeist in Kirche und Gesellschaft auf.

Der reformierte Neutestamentler Christian Stettler habilitierte sich 2014 an der Universität Zürich mit einer Arbeit über das Endgericht bei Paulus. Seit 2015 ist er Titularprofessor an der Staatsunabhängigen Theologischen Hochschule Basel (STH Basel), einer evangelikalen Hochschule, die sich bewusst von der universitären Theologie abgrenzt.

Stettler gehört zu den wenigen deutschsprachigen evangelikalen Theologen mit akademischen Meriten. Anders als Latzel hat Stettler gegen die Frauenordination nichts einzuwenden, wie er in seinem Vortrag auf dem Studientag erläutert. Er ist mit der Pfarrerin und Theologin Hanna Stettler verheiratet, die als Privatdozentin für Neues Testament an der Universität Tübingen lehrt. Unterschiede in der „heilsamen Lehre“ dürften, so Stettler in Siegen, nicht dazu führen, dass die Evangelikalen sich völlig zerstritten.

In seinem Referat beharrte Stettler auf der Gültigkeit des Gerichts, vor dem sich alle Menschen, auch die Christ*innen, dereinst zu verantworten haben. Pointiert wendet Stettler sich in seinem Vortrag gegen ein Christentum, das allein auf Liebe und Barmherzigkeit setzt. Eine solche Lehre verkündige billige Gnade, die Liebe brauche vielmehr die Drohung des Gerichts. Durch den sanften Vortragston Stettlers darf man sich nicht täuschen lassen: Selbstverständlich kommen Schwule nicht durchs Gericht.

„Schwulenheilung“ oder Seelsorge?

Markus Hoffmann ist Gesamtleiter des „Instituts für dialogische und identitätsstiftende Seelsorge und Beratung e.V.“ (vormals „Wuestenstrom“). Der Verein berät Menschen, die ihre Sexualität als konfliktbeladen empfinden. Hoffmann wird seit Jahren vorgeworfen, sich als „Schwulenheiler“ zu betätigen und in seinen Vereinen Konversionstherapien anzubieten. In einer Presseerklärung nimmt Hoffmann im Juni diesen Jahres Bezug auf die Forderung von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, Konversionstherapien zu verbieten.

In dieser Erklärung distanziert sich Hoffmann von Konversionstherapien und spricht demgegenüber von einer ergebnisoffenen Beratung. Freiwilligkeit und ergebnisoffene Gestaltung sind Maßstäbe jeder Beratung. Ein ehemaliger Teilnehmer des Programms berichtete jedoch gegenüber den Stuttgarter Nachrichten davon, dass auf ihn Druck ausgeübt worden sei, als deutlich wurde, dass er sich von seiner homosexuellen Orientierung nicht lösen könne: „Die wollten mir dann nicht mehr helfen – die wollten aus mir mit aller Macht einen Heterosexuellen machen.“

Stichwort: „Konversionstherapie“

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich der Forderung zahlreicher psychiatrischer Verbände und LGBTQI*-Aktivist*innen angeschlossen, sog. Konversionstherapien zu verbieten. Heute will das Bundeskabinett dazu eine verschärfte Version seines Gesetzesentwurfs auf den Weg bringen, die auch ein Verbot von Therapien für Jugendliche vorsieht. Das Verbot soll im Strafrecht verankert werden. „Momentan werden Schätzungen zufolge in Deutschland jedes Jahr bis zu 2000 Konversionstherapien durchgeführt. Das sind 2000 zu viel“, so Spahn gegenüber dem RND.

Wie Markus Gross hier in der Eule schilderte, handelt es sich bei der Rede von „ergebnisoffener Konversionstherapie“ um einen Trick evangelikaler Organisationen wie der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA), mit dessen Hilfe die Angebote evangelikaler Initiativen vom Verdacht freigesprochen werden sollen, Konversionstherapien anzubieten: „Die Veränderung der sexuellen Orientierung wird nicht mehr als Ziel, sondern nur als mögliches Ergebnis einer Therapie dargestellt.“ In einem eigenen kurzen Zeugnis auf der Website des Instituts spricht Hoffmann bezüglich seiner eigenen Biographie weiter von Heilung.

Die jahrelange Kritik an „Wuestenstrom“ hat dazu geführt, dass der Verein unter neuem Namen arbeitet. Hoffmann selbst agiert auch als Prior einer „Bruderschaft des Weges“. In der Gemeinschaft haben sich Männer zusammengeschlossen, die ihre eigene homosexuelle Orientierung nicht ausleben wollen (s. Bericht der Stuttgarter Zeitung).

In seinem Vortrag in Siegen stellt Hoffmann den Teilnehmer*innen seine Arbeit vor. Dabei scheinen die Erwähnung seiner eigenen homosexuellen Neigung und die Forderung nach einem seelsorglichen Umgang mit „Betroffenen“ den Teilnehmer*innen bereits einiges abzuverlangen. In evangelikalen Gemeinden outen sich Homosexuelle nur sehr selten, da damit fast immer der Ausschluss aus der Gemeinde verbunden ist.

Einige dieser schwierigen Lebensgeschichten haben homo-, bi- und transsexuellen Christ*innen im Buch „Nicht mehr schweigen“ aus eigenem Erleben aufgeschrieben. Initiator Timo Platte berichtete im Interview mit der Eule:

„In sehr konservativen Gemeinden und Kirchen unterschiedlicher Couleur ist die Situation für homosexuelle oder transidente Menschen nach wie vor sehr schwierig. Das Thema wird ja nach wie vor diskutiert, der Umgang damit und wie man dazu steht. Man diskutiert das dann biologisch oder theologisch, es gibt gesellschaftliche Debatten. Der Mensch, den es betrifft, geht dabei häufig unter.“

Sehr wohlwollend betrachtet unternimmt Hoffmann in Siegen den Versuch, die persönliche Perspektive in die Diskussion einzuführen. Ob dies ohne eine glaubwürdige Abkehr vom Ziel der „Heilung“ von Homosexuellen und im Kontext des „Netzwerks Bibel und Bekenntnis“ glaubwürdig ist, darf bezweifelt werden.

Die Verteidigung der „Heilung“ von Homosexualität ist maßgeblich für die Diskriminierung von homosexuellen und transidenten Menschen im evangelikalen Spektrum. Darunter leiden besonders Jugendliche, die auf der Suche nach ihrer eigenen sexuellen Identität beeinflusst werden. Die evangelikale Verkündingung und die damit verknüpfte Diskriminierung stellen einen Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung dar und sind dort, wo sie theologisch legitimiert werden, nichts anderes als geistlicher Missbrauch.

Immer wieder die Schwulen

Der Studientag „Heilsame Lehre“ hatte die Sammlung der versprengten Truppen zum Ziel, die sich überall im deutschsprachigem Raum und vor allem in Süddeutschland gegen die Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften in den Kirchen wehren. Die Mehrheit der evangelischen Landeskirchen hat inzwischen Segnungen und Trauungen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ausdrücklich erlaubt. Viele junge Evangelikale verlassen traditionell-evangelikale Gemeinden, weil sie sich gegen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben wehren.

Ein Ende dieses Kampfes ist nicht in Sicht: Sei es aus persönlicher Betroffenenheit oder theologischer Präferenz, das Thema Homosexualität lässt evangelikale Christ*innen nicht los. Dabei handelt es sich nicht um ein Zentralthema biblischer Ethik, von der evangelikale Theologen gerne sprechen. Tatsächlich müssen die wenigen biblischen Verse, die sich mit homosexuellen Praktiken befassen, im Lichte historisch-kritischer Bibelwissenschaft verstanden werden (mehr dazu).

Die Vorträge auf dem Studientag ignorieren diese wissenschaftlichen Erkenntnisse, wie auch die der modernen Sexualforschung nahezu vollständig. Es drängt sich der Eindruck einer fundamentalistischen Parallelgesellschaft auf, die sich mit Vorliebe und unter Auslassung wichtiger Erkenntnisse mit ihren Leib-und-Magen-Themen beschäftigt. Damit reiht sich das Netzwerk in eine Phalanx von rechten Organisationen ein, die sich ihre eigene Welt konstruieren.

In dieser Welt ist vor allem „der Zeitgeist“ schuld an gesellschaftlichen und kirchlichen Entwicklungen, die mit dem eigenen evangelikalen Glauben nicht vereinbart werden können. Das Netzwerk bereitet damit den Boden für eine weitere Radikalisierung evangelikaler Christ*innen, denn die erzkonservativen Einstellungen der Evangelikalen zu Sexualität, Ehe und Partnerschaft werden von Rechtsradikalen längst als Türöffner in die Szene genutzt. Die Themen Islam und Homosexualität spielen beim Zusammengehen des evangelikalen Spektrums mit rechten Verschwörungsgläubigen die zentrale Rolle.

Auch wenn der Studientag des „Netzwerks Bibel und Bekenntnis“ nur wenige Teilnehmer*innen und kaum Resonanz über die evangelikale Blase hinaus hatte, ein sorgfältiger Blick auf die Entwicklungen in der Szene ist notwendig:

Die Andacht von Pastor Olaf Latzel wurde auf YouTube fast 30 000 Mal angeklickt. Die gefährliche „Heilsame Lehre“ der Netzwerker findet Gehör und kann von weniger geübten Beobachter*innen leicht als einzige „christliche“ Stellungnahme zum Thema missverstanden werden.

Mehr: Alle LGBTQI*-Beiträge in der Eule.