Interview #digitaleKirche in der Corona-Pandemie

„Die Krise ist kein Ort für Wachstumsfantasien“

In der Corona-Krise wächst die #digitaleKirche: Zahlreiche neue christliche Angebote im Netz sollen die Gläubigen erreichen. Wie sieht gute Glaubenskommunikation im Netz aus?

Eule: Im Moment produziert die #digitaleKirche eine Menge neuer Formate. Was ist daran gut?

Sauer: Selbst Menschen, die das digitale Engagement bis vor kurzem noch abgelehnt haben, wird bewusst, welches Potential in digitalen Kanälen steckt. Es wächst auch die Erkenntnis, dass man die digitalen Kanäle lange vernachlässigt hat. Das fängt schon mit der Gemeindewebsite an, auf die man jetzt eben nicht einfach mal Andachten, aktuelle Infos oder gar Videos und Audiodateien hochstellen kann.

Eule: Was ist an der Flut der neuen #digitaleKirche-Angebote schlecht?

Sauer: Mir geht es nicht um Schwarz-Weiß-Malerei, von wegen das ist „gut“ und das ist „schlecht“. Es geht darum, die eigenen Kräfte klug einzusetzen. Ich sehe eine Menge Aktionismus, der sich auch den Versäumnissen der letzten Jahre verdankt. Anstatt sich zunächst zu überlegen, was man eigentlich möchte, und warum man einen bestimmten Kanal wählt, geht es um die ganz schnelle Umsetzung und nicht um Qualität.

Eule: Man könnte fast den Eindruck haben, dass es so etwas wie eine Euphorie in der digitalen Kirche gibt.

Sauer: Die Krise ist kein Ort für Wachstumsfantasien. Es ist jetzt nicht der Zeitpunkt, wo wir denken sollten: „Nice, jetzt bauen wir so richtig viel auf, damit wir ganz viele Menschen fangen!“ Ich empfinde das als extrem übergriffig. Wer jetzt denkt, die Stunde der Mission in der digitalen Kirche sei gekommen, weil sich die Leute daheim nicht mehr wehren können, der spinnt. Es geht nicht darum, mehr und immer mehr zu senden!

Da es einen höheren seelsorgerischen Bedarf im Netz geben wird, sollten wir lieber Strukturen schaffen, in denen Kirche mit ihren Kompetenzen ansprechbar ist. Wir brauchen mehr Projekte, die Beziehungen bauen und auf die tatsächlichen seelsorglichen Nöte eingehen.

Was ist zum Beispiel mit dem Thema Bestattungen? Da können zurzeit flächendeckend nur die engsten Verwandten dran teilnehmen. Selbst das ist schwierig, weil ja die Mobilität sehr eingegrenzt wird. Für Familien und Freunde, die heute häufig in verschiedenen Gegenden und Städten wohnen, ein riesiges Problem. Wie wird die Kirche reagieren, wenn immer mehr Menschen sterben oder um Angehörige trauern?

Eule: Wie kann „die Kirche“ jetzt gute digitale Angebote machen?

Sauer: Zunächst einmal: Durchatmen. Mir begegnen in den Kirchen immer wieder Pfarrer*innen, die klagen: „Wir haben so viel zu tun! Wir kommen zu gar nichts mehr! Wenn ich die ganzen Gottesdienste nur nicht hätte, dann könnte ich ja innovativ arbeiten!“ Jetzt ist diese Struktur auf einmal weg und ich sehe, dass einige trotzdem diese analoge Struktur digital nachbauen: „Gott sei Dank, jetzt hab‘ ich wieder einen Gottesdienst, da kann ich wieder eine Predigt für schreiben!“

Eule: Und dann ab damit in den Livestream.

Sauer: Livestreams wurden ja nicht gerade erst erfunden. Es gibt sehr viele erfolgreiche Livestreamer*innen, vor allem im Gaming-Bereich. Was machen die? Die interagieren mit ihrem Chat. Die sind vor allem erfolgreich, weil sie mit ihrer Community sprechen, nicht weil sie das Spiel besonders gut beherrschen. Das habe ich bisher noch nicht erlebt, dass jemand während der Andacht sagt: „Was sagt der Chat dazu?“

Eule: In der Krise scheint der Fokus stark auf den hauptamtlichen Religionsbediensteten zu liegen.

Sauer: Digitale Kanäle können auch dazu genutzt werden, ein ganz traditionelles Amtsverständnis zu zementieren. Es gibt Angebote, da geht es nur darum, dass jemand „in Amt und Würden“ spricht. Die Inszenierung von Gottesdiensten befördert das natürlich, weil da zumeist Pfarrer*innen und Priester oder Bischöfe die Hauptdarsteller*innen sind. Vor allem jetzt, da die Laien zuhause bleiben müssen.

Die Präsenz von Hauptamtlichen und Bischöf*innen auf digitalen Kanälen ist an sich nicht schlecht. Dafür haben viele Menschen in den Kirchen lange gekämpft. Gerade in Krisenzeiten ist es auch wichtig, dass diejenigen, die von den Gläubigen bezahlt werden, sich digital engagieren. Das darf aber nicht dazu führen, dass man sich allein darauf verlässt. Die Kirche ist mehr als einfach eine Gruppe von Amtsträger*innen. Ein wichtiger Auftrag ist Gemeinschaft zu schaffen. Das gelingt nicht, wenn man sich um sich selbst dreht. Es geht darum, ohne Territorium Gemeinde zu bauen.

Eule: Ressourcen stehen nicht endlos zur Verfügung, besonders in den beiden großen Kirchen, die aufgrund sinkender Mitgliedschaftszahlen sparen müssen. Bisher wird da mit dem Schermesser vorgegangen, d.h. überall wird gleichermaßen gespart. Auch #digitaleKirche kann sich der Rationalisierung nicht einfach unter dem Schlagwort der Erprobung entziehen.

Sauer: Die Kirchen stoßen jetzt in der Krise auf ihre eigenen Versäumnisse. Seit Jahren wird gekürzt, weil es schon bald weniger Kirchensteuermittel zu verteilen gibt. Es gibt weniger Angebote in der Fläche, weniger Mitarbeiter usw. . Was passiert, wenn das Territorium als Bezugskategorie wegfällt, ist doch die Frage, die alle Reformprozesse der Kirchen der letzten Jahre bestimmt hat.

Trotzdem hat sich in den Kirchen irgendwie das Denken festgesetzt: Unsere Grundstruktur bleibt. Wir dünnen das Netz aus, aber uns wird’s immer geben. In der Krise sieht man jetzt, wie es ausschauen könnte, wenn es die traditionellen Strukturen wirklich nicht mehr gäbe. Und wir sehen, was übrigbleibt: Beziehungsarbeit nah an den Menschen, egal ob analog oder digital.

Eule: Gibt es den #CoronaBestPractises, wo digitale Glaubenskommunikation derzeit gut gelingt?

Sauer: Es gibt Beispiele, wo die digitalen Kanäle nicht dazu genutzt werden, einfach 1 zu 1 zu übertragen was man sonst so macht. Gerade beim Video geht es nicht darum, dort jemanden reden zu sehen, sondern einen „Film“ zu schauen. Der Kindergottesdienst von Hannah Detken ist darum ein schönes Beispiel, wie man es richtig macht. Auf Instagram gibt es das fAk1, das Feministische Andachts-Kollektiv, das sich fragt: Wie kann eine Andacht als Instagram-Story eigentlich ausschauen?

Im Bistum Erfurt gestaltet ein Diakon in Saalfeld die Sonntagsliturgie gemeinsam mit den Gläubigen: Da gab es den Aufruf, kleine Schnipsel einzusenden, aus denen dann ein Video produziert wurde.2 Und in Köln bei den beymeistern sieht man, dass die in der Krise ein Angebot machen, das ganz der Identität ihres analogen Projekts entspricht.

Eule: Das sind ja vier ganz neue Sachen.

Sauer: Die aber alle davon profitieren, dass die Macher*innen schon länger gedanklich der gesamten Kirche voraus sind, was Beziehungsarbeit, Medieneinsatz und neue Formen von Kirche angeht. Von denen kann man jetzt natürlich lernen! Es gibt ja schon eine Reihe Angebote, man muss das Rad nicht neu erfinden, sondern kann sich gute Dinge abschauen oder – ganz verwegen – auf diese Angebote verweisen. Mein Tipp: Ruhig erstmal machen, aber auch an die Nachhaltigkeit der Projekte denken, denn es wird nicht das letzte Mal sein, dass der Kirche die Territorien wegbrechen.


Das Interview führte Philipp Greifenstein.


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1 Das Feministische Andachtskollektiv (fak) wird vom ruach.jetzt-Netzwerk unterstützt, dessen Initiator Tobias Sauer ist.

2 Korrektur: Zunächst war im Text die Rede davon, dass das Bistum Erfurt die Bischofsliturgie gemeinschaftlich gestaltet. Es handelt sich allerdings um ein Projekt der Gemeinde in Saalfeld. Wir haben das korrigiert. Danke für den Hinweis!

Offenlegung: Gemeinsam mit dem ruach.jetzt-Netzwerk hat Die Eule ein Podcast-Special produziert. Außerdem wirbt ruach.jetzt gelegentlich in der Eule für Produkte und Veranstaltungen des Netzwerks.