Die rechte Ecke: Der lange Abschied des Peter Hahne

Während der Corona-Pandemie hat sich Peter Hahne auf die letzte Etappe einer langen Reise begeben. Angekommen ist er als Karikatur eines Schwurbel-Opas am rechten Rand.

„Ich kämpfe weiter und Sie auch“ – so drückt Peter Hahne im Gespräch mit dem Schwurbel-Propagandisten Boris Reitschuster seine Kampfgenossenschaft mit Querdenkern und Rechtsradikalen aus. Während der Corona-Pandemie hat sich Hahne auf die letzte Etappe einer langen Reise begeben. Angekommen ist er als Karikatur eines Schwurbel-Opas am rechten Rand. Ist die Karriere des evangelikalen Wanderpredigers damit beendet?

Seit Jahr und Tag geht Hahne mit konservativen Werten und rechten Parolen hausieren. Seine Lieblingsthemen der vergangenen Jahre reichen von der „politisch korrekten Sprache“ über die Ablehnung von LGBTQ* bis hin zum allgemeinen Werteverfall. Den verkündet Hahne in immer „neuen“ Büchern als Schreckensbild seiner treuen Leser:innenschaft. Hahnes Bücher schaffen es auf Bestsellerlisten, verkaufen sich tausendfach – was für einen dezidiert christlichen Autor heutzutage schon bemerkenswert ist.

Seine Titel finden sich in nicht wenigen Bücherregalen von Christ:innen, wurden auch gerne verschenkt zu Konfirmationen oder zwischendurch zur empörten Erbauuung. Sein im Herbst 2021 erschienenes neues (sic!) Buch „Nicht auf unsere Kosten!“ war sogar kurzzeitig auf der SPIEGEL-Bestsellerliste vertreten, besteht allerdings aus seinen bereits zuvor veröffentlichten Werken „Schluss mit euren ewigen Mogelpackungen!“ und „Seid ihr noch ganz bei Trost?“.

Doch keine Sorge! Dieser Zweitverwertung soll im Februar 2022 „Das Maß ist voll“ folgen, ein neues Hahne-Buch, in dem der Autor, laut Ankündigung seines Verlages Quadriga / Lübbe, „in alt bewährter Manier den Finger in die Wunde [legt] und die in Krisenzeiten besonders augenfällige Heuchelei und Selbstgerechtigkeit in unserem Land [entlarvt]“. Gemeint sind neben der christlich-konservativen Bereicherung an Maskendeals die gesamte „Lockdown-Politik“ und natürlich eine „Sprachpolizei, die jedes Augenmaß verloren hat“.

Anlass genug, sich einmal zu fragen, ob der ehemalige ZDF-Fernsehmann, heutige BILD am Sonntag– und Tichys Einblick-Autor sowie Handlungsreisender in eigener Sache überhaupt noch bei Trost ist – oder das Maß inzwischen übervoll ist?

Immer weiter nach Rechts

Bereits vor gut anderthalb Jahren erklärte Hahne seinen Abschied von der evangelikalen Nachrichtenagentur idea. Dort habe man grob verzerrend über einen Auftritt von ihm im sächsischen Freiberg berichtet. Pikant: Der evangelikale Christ Peter Hahne gehörte vor vielen Jahren zum Gründungskreis von idea, das als konservative und bibeltreue Alternative zur bestehenden evangelischen Publizistik gegründet wurde. Bis heute wird idea von rechten Christen geprägt, die tendenziöse Berichterstattung des Magazins ideaSpektrum über Muslime in Deutschland und die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) ist legendär und ausführlich belegt.

Dass Hahne idea nun zum Kartell der „Zensurmedien“ zählt, muss amüsieren. Im Gespräch bei Boris Reitschuster im Dezember 2021 bekundet Hahne mehrfach seine Sympathien für die „freien Medien“ im „freien Internet“. Gemeint sind die Präsenzen von Reitschuster, Tichy & Co., die zunehmend zum letzten Refugium Hahnes und weiterer ehemaliger konservativer Spitzenkräfte der Publizistik werden. Wandert Hahne nach Rechts? Oder sind das ZDF, idea, ja, die ganze Bundesrepublik nach Links marschiert? Vor einem Jahr habe ich Hahne als „Gauland des ZDFs“ bezeichnet. Wie der Ehrenvorsitzende der AfD florierte Hahne über viele Jahrzehnte im Zentrum der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Wie Gauland fühlt Hahne sich von dort vertrieben.

Zu seinen verlorenen Heimaten zählt Hahne ausdrücklich auch die evangelische Kirche, in der er über Jahrzehnte an herausgehobener Stelle engagiert war. Von 1992 bis 2009 gehörte er dem Rat der EKD an, wurde immer wieder von der Synode der EKD als Vertreter der Evangelikalen und Konservativen in den Rat gewählt. Neben der Synode und der Kirchenkonferenz, der die leitenden Geistlichen und Juristen der evangelischen Landeskirchen angehören, ist der Rat eines der höchsten Leitungsgremien des Protestantismus hierzulande. Die EKD gilt Hahne heute selbstverständlich als Speerspitze von „Gender-Unfug“ und „linksgrüner“ Gesinnung.

Hahne verbreitet Corona-Verschwörungsmythen

Dergleichen konnte und kann man natürlich auch im evangelikalen Mainstream vertreten, aber Hahne treibt es ins Lager der Verschwörungsideologen. Die Corona-Bekämpfung gilt ihm als „Religion“, die ein Vorläufer dessen ist, was mit der Klimabekämpfung bevorsteht. Anklänge an den Mythos vom „Great Reset“ sind wohl kaum zufällig.

Vor allem die Masken sind ihm ein Graus, die doch so effektiv vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus schützen. „Ein deutsches Kind muss doch Atemwegsbeschwerden kriegen – es ist alles so wahnsinnig“, ist er sich sicher. (Das ist Quatsch, den z.B. die WDR-Sendung „Quarks“ widerlegt hat.) Berechtigte Kritik an Geschäftemachern und Betrug im Umfeld von Corona-Maßnahmen vermischt Hahne mit Polemik gegen sog. „Fake-News“ von einem „Massensterben“. (Stichtag 14. Januar 2021 zählen wir in Deutschland inzwischen über 7 Millionen Infektionen und 115 000 Corona-Tote. Letztere Zahl übertrifft knapp die Einwohnerzahl von Bremerhaven oder Jena.)

Und auch die Interpretation von offiziellen Statistiken und Verlautbarungen von RKI und WHO hat es Hahne angetan. So ist sich Hahne sicher, dass man „vor einem halben Jahr als Verschwörungstheoretiker erschossen“ worden wäre, wenn man wie die WHO von Corona als einer Grippe-Erkrankung gesprochen hätte. (Es wurde überhaupt kein Verschwörungsgläubiger erschossen, allerdings wird einer von ihnen wohl in diesem Januar wegen Mordes angeklagt, nachdem er in Idar-Oberstein einen 20-Jährigen per Kopfschuss tötete.)

Hahne reproduziert die unbewiesene These, auf den Intensivstationen würden mehrheitlich Menschen mit Migrationshintergrund an einer schweren Corona-Erkrankung laborieren. Die Corona-Politik verdanke sich einer Verschwörung der „oberen Etagen“ von Politik und Medien, in der Menschen sich als Teil des „Weltgewissens“ mit allen Maßnahmen einverstanden erklären. Um die Corona-Politik zu verteidigen würde auch die deutsche Vergangenheitsbewältigung „instrumentalisiert“.

Wer sich die hastig angerührte Melange – viele Sätze bleiben unvollendet – aus allerhand Verschwörungs-Versatzstücken, Anekdoten und Mutmaßungen zu Gemüte führt, die Hahne im Gespräch mit Reitschuster zusammenbraut,  zweifelt zunehmend am Verstand des ehemaligen Moderators.

So springt er wild von der Corona-Politik („Quarantäne-Lager“) zur Kritik des Essens im Bundeskanzleramt („vegan … bei Merkel gab’s wenigstens noch Buletten“) hin zum Verschwörungsmythos, die Bundesregierung und das Bundesverfassungsgericht würden sich verfassungswidrig koordinieren. Impfverweigerern empfiehlt er – wohl für den Fall der Einführung einer allgemeinen Impfpflicht – „alle Rechtswege zu beschreiten“, Strafzahlungen zu verweigern und stattdessen ins Gefängnis zu gehen: „Rentner wie ich können das problemlos machen. Jetzt möchte ich mal sehen, in welche Gefängnisse 20 Millionen Deutsche [passen]!“

Der Form halber: 75 % der Bevölkerung, ca. 63 Millionen Menschen sind inzwischen geimpft. In Hahnes Altersgruppe 60+ sind sogar 87 % der Menschen doppelt geimpft und fast 70 % geboostert. Unter den Ungeimpften überwiegen Kinder und Jugendliche, nur eine Minderheit der Ungeimpften drückt eine prinzipielle Impfgegnerschaft aus. Eine allgemeine Impfpflicht wurde (noch) nicht eingeführt, daher stehen auch die Sanktionen für eine Nichteinhaltung noch nicht fest. An Massenverhaftungen ist nicht gedacht.

All das könnte Hahne, der doch so nach Faktenorientierung im Journalismus jammert, zur Kenntnis nehmen. Allerdings überwiegt bei ihm und seinem Publikum die Angst. Angst, nicht (mehr) gehört und gesehen zu werden. Angst vor Unterdrückung, Zensur und Gleichschaltung. Dieser Bedrohungsphantasie ist Hahne erlegen. Doch täte man seinem Œuvre Unrecht, wenn man nur dessen (vorerst) letztes Kapitel würdigte. Und vielleicht ist an Hahnes Großerzählung ja auch was dran, nach der er und seine Mitstreiter:innen – darunter viele fromme Christen – sich gleich geblieben sind, während das Land „nach Links gerückt“ ist?

Wer ist wohin gerückt?

Dahinter sind ja mehrere Fragen versteckt: Nämlich in wie weit sich das Land liberalisiert hat bzw. „nach Links gerückt ist“ und wie weit man selbst nach Rechts gerückt bzw. in seiner politischen Orientierung unverändert geblieben ist. Fürderhin, wo eine gegebenenfalls gleichgebliebene Festlegung in Einzelfragen heute auf der politischen Skala einzusortieren ist. Es ist also eine geladene Frage, die darauf angelegt ist, Zustimmung zu erheischen für die These, das Land sei „linker“ geworden, während man selbst immer noch so anständig, ja, einfach konservativ sei wie zuvor.

Schauen wir einmal weit zurück in das Jahr 2006. Peter Hahne moderiert im ZDF das Politikmagazin „Berlin direkt“, führt Sommerinterviews mit PolitikerInnen und sitzt seit 14 Jahren im Rat der EKD. Mehr „Mitte“ der bundesrepublikanischen Gesellschaft geht wohl kaum. Währenddessen glauben laut der ersten „Mitte-Studie“ überhaupt aus dem gleichen Jahr 26 % der Bevölkerung, dass Deutschland besser von einer einzigen starken Partei regiert werden sollte. 39,5 % der Befragten meinen, „wir sollten endlich wieder Mut zu einem starken Nationalgefühl haben“. 37 % sind der Überzeugung, Menschen würden nach Deutschland einwandern, um hier den Sozialstaat auszunutzen und 39,1 % sehen das Land gefährlich überfremdet. Mit der Überfremdungsfrage testen die Forscher:innen der „Mitte-Studien“ die rassistische Einstellung der Gesellschaft.

Die „Mitte-Studie 2020/2021“ weist demgegenüber aus: 18,4 % (-7,6) Zustimmung dazu, von einer einzigen starken Partei regiert zu werden. 31,3 % (-8,2) Mut zu einem starken Nationalgefühl. „Ausländer kommen nur hierher, um unseren Sozialstaat auszunutzen“, meinen noch 10,1 % (-26,9). Von einer Überfremdung – Rassismusmarker! – sind noch 11,4 % (-27,7) überzeugt. Für Hahne, dessen nach ihm benannter Sonntagtalk 2017 auslief und der seitdem vor allem als BILD am Sonntag-Kommentator und bei Tichys Einblick publiziert, mögen diese Zahlen einen brandgefährlichen Linksruck bedeuten. Ich interpretiere sie als Zeichen für gesellschaftlichen Fortschritt.

Ein Land, in dem 2020/21 nur 2,2 % (2006: 4,8 %) eine Diktatur befürworten, national-chauvinistische Überzeugungen von 8,6 % (2006: 19,3 %) geteilt werden und die Ausländer-/Fremdenfeindlichkeit von 26,7 % (2006) auf 4,5 (2020/21) gefallen ist, ist ein Land, in dem ich gut und gerne leben kann. Ja, die vollständige Abwesenheit von rechtsextremen Einstellungen ist wünschenswert, aber kaum realistisch.

Graubereich oder Honeypot: Rechtsextreme Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft

Besteht also Anlass zum Jubel? Nur bedingt. Erstens lasse ich die Einschätzungen beiseite, die von den Mitte-Forscher:innen gerade zu den Einstellungen der Bevölkerung während der Corona-Pandemie getroffen werden. Zweitens muss der sog. Graubereich nachdenklich stimmen. Rechtsextreme Einstellungen sind bis weit in die Mitte der Gesellschaft präsent, wenn sie dort womöglich auch nicht (öffentlich) akzeptiert werden. Damit ist die Herausforderung für die Zivilgesellschaft umrissen: Ganz egal, ob die „schweigende Mehrheit“ der Demokrat:innen nun 3/4 (ost) oder 5/6 (west) umfasst.

Natürlich schwanken die Ergebnisse der „Mitte-Studien“ über die vergangenen 15 Jahre hinweg. Gesellschaftliche Großereignisse wie das Erstarken rechtsradikaler Populisten seit 2013/14 und die sog. „Flüchtlingskrise“ 2015 spiegeln sich in ihnen wider. Erkennbar auch: Nach einer Phase der Beunruhigung setzt sich der allgemeine Trend zu weniger Hass, weniger Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Nationalchauvinismus durch.

Nun wird man die „Mitte-Studien“ noch mit weiteren Studien und Befragungen von anderen Forscher:innen und Instituten ergänzen müssen, um ein noch genaueres Bild der gesellschaftlichen Zustände zu erhalten, allerdings wird auch so klar: Hahne hat Recht! Das Land steht heute nicht mehr dort, wo es vor 15 oder gar 30 Jahren stand. Aber könnte es nicht sein, dass nicht allein das Land sich bewegt hat, sondern auch Hahne wanderte?

Eine Heimstatt den Rechten

Wie schaut es bei den Konservativen aus, zu denen sich Hahne ja bis heute zählt? Die „Mitte“-Forscher:innen fragten 2006 auch, welche Parteien von Rechtsextremen gewählt werden (S. 53). Die beiden großen Parteien CDU/CSU mit 35,1 % und SPD mit 34,4 % bewiesen damals eine hohe Bindungskraft auch für Menschen mit rechtsextremen Einstellungen. 2020/21 hat sich das Bild in sofern gewandelt, als dass es „der AfD [gelingt], einen deutlich überproportionalen Anteil davon auf sich zu ziehen“. Die AfD ist besonders für jene Menschen attraktiv, die national-chauvinistisch und fremdenfeindlich gesinnt sind (S. 106 f.). Aber das weiß Peter Hahne natürlich, jedenfalls wenn er sich an eine legendäre Ausgabe seiner eigenen ZDF-Sendung von 2017 erinnert.

Menschen mit rechtsextremen Einstellungen sind heute weniger in Union, SPD und FDP beheimat, dafür in der AfD. Wurden sie von dort „vertrieben“, wie Hahne, Tichy & Co. insinuieren oder hat sie vielmehr die AfD als Gefäß ihrer politischen Gesinnung und Ambitionen umarmt? Sind Union, SPD und FDP heute in ihrer antifaschistischen Positionierung deutlicher als vor 15 Jahren? Wenn ja, ist das eine Reaktion auf das Erstarken der AfD oder ist es ihm vorausgegangen? Was hat sich, sagen wir zwischen 2006 und 2014, ereignet, das „die etablierten Parteien“ zu einem klaren Anti-Rechts-Kurs motiviert haben könnte, der die AfD als „Gegenwehr“ hervorgebracht haben könnte?

Mir fällt wenig ein. Es waren die Finanz- und Euro-Schulden-Krisenjahre, in denen gerade die Union und die FDP nicht mit sonderlich viel Herz und Solidarität aufgetreten sind. Erinnert sei an das Griechen-Bashing in der konservativen Presse und anhaltende Streitigkeiten um die europäische Austeritätspolitik im konservativ-liberalen Lager. Ja, die Gründungsväter der AfD behaupten bis heute, dieser Konflikt sei Auslöser ihres politischen Engagements gewesen. Aber muss man dem auf den Leim gehen? Liegen die Gründe für die Gründung der AfD nicht tiefer? Nämlich genau in dem Reservoir rechtsextremer Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft, die von den „Mitte-Studien“ seit 15 Jahren kontinuierlich dokumentiert werden?

Es spricht in meinen Augen jedenfalls mehr für die These, dass sich Konservative mit Rechtsdrall in den vergangenen 15 Jahren vom „bürgerlichen Lager“ als politischer Heimat verabschiedet haben, nicht weil dieses zuvor „linker“ geworden war, sondern weil sie in der AfD nebst politischen Vorfeldorganisationen eine bessere Heimat für ihre rechten politischen Überzeugungen gefunden haben. Ganz so wie es neu-rechte Strategen spätestens seit den 1970er-Jahren planten: Die AfD als rechte Einheits- und Sammlungspartei. Das erste Mal, dass das in der Bundesrepublik nachhaltig geklappt hat. Als Folge dieser Migration stehen Union, FDP und auch die SPD heute „mittiger“ da.

Und die Kirchenmitglieder?

Appropos Vorfeldorganisationen: Ein vergleichender Blick auf die Kirchen bietet sich hier an, denn ihnen – besonders den evangelischen Landeskirchen – wird ja von Hahne & Co. in besonderer Weise „linksgrünliberale“ Gesinnung vorgeworfen. 2006 stellten die „Mitte“-Forscher:innen fest, dass sich Kirchenmitglieder von Konfessionslosen durchaus unterscheiden:

Protestanten wie Katholiken weisen niedrigere Werte in der Skala „Ausländerfeindlichkeit“ auf“ (ev.: 27,7 %, kath.: 25,8 %, konfessionslos: 28,4 %), „dafür zeigen sie sich antisemitischer als die Konfessionslosen“ (ev.: 8,6 %, kath.: 9,9 %, konfessionslos: 6 %). Die Befragten katholischen Glaubens stachen mit einem statistisch bedeutsamen, höheren Chauvinismuswert heraus (ev.: 18,5 %, kath.: 21 %, konfessionlos: 18,8 %).

Im Vergleich zu anderen sozialen Merkmalen fiel die Religionszugehörigkeit jedoch gerade nicht als bedeutsamer Marker auf, was die geringen Abweichungen zeigen. Auch 2020/2021 sind, wenngleich auf viel niedrigerem Niveau, „die Unterschiede zwischen den Konfessionen beziehungsweise zu Konfessionslosen insgesamt nicht sehr hoch“. „[E]ine pauschale Antwort auf die Frage, ob Christ_innen nun mehr oder weniger rechtsextrem eingestellt sind“, lässt sich auf Grundlage der Daten nicht geben (S. 104).

Haben die Kirchen also mit ihrer „links-liberal-grünen“ Gesinnung einfach nur mit der Gesellschaft Schritt gehalten? Haben die Konservativen diesen allgemeinen gesellschaftlichen Trend innerhalb der Institutionen nur hemmen, aber nicht aufhalten können? Oder sind die Kirchen wirklich Vorreiter eines gesellschaftlichen „Linksrucks“, wie Hahne & Co. meinen? Das würde jedenfalls für eine erstaunliche Wirksamkeit der kirchlichen Verkündigung gerade der evangelischen Kirchen sprechen. Haben die Protestanten das Land nach Links gepredigt?

Die Kirchen als Vorreiter einer links-grün-liberalen Agenda – really?

Überzeugender scheint mir die Deutung zu sein, dass „die Gemeindeleitungen der evangelischen Landeskirchen“, die man laut FAZ (€), „mehrheitlich dem links-liberal-grünen Spektrum zuordnen darf“, schlicht die Mitte der Gesellschaft repräsentieren und keine Avantgarde darstellen – mit allen Konsequenzen. Zu denen gehört zuforderst, dass sie, was die politischen Einstellungen angeht, weitaus differenzierter aufgestellt sind, als es der FAZ-Autor Wolfgang Krischke meint. „Grün“ heißt eben nicht gleich „links“, kirchenliberal nicht gleich „sozial“ und „sozialdemokratisch“ nicht immer „progressiv“ – um nur ein paar der schillendern Chiffren und Selbstzuschreibungen ins Spiel zu bringen. Und „Mitte“ heißt eben auch nicht „frei von rechtsextremen Einstellungen“.

Vielleicht ist ja schon die Annahme falsch, es würden gerade unter den amtskirchlich hochengagierten Christ:innen „links-liberal-grüne“ Personen überwiegen? Lässt man sich hier vom medialen Eindruck, auch im Netz, blenden? Die aktivistische Kirche jedenfalls unterscheidet sich katholisch wie evangelisch von derjenigen, die sich in Gemeindekirchenräten, Synoden und kirchlichen Vereinen zeigt. Dort sind Konservative keineswegs marginalisiert, je nach Landstrich bilden sie nach wie vor die Mehrheit.

Peter Hahne (erste Reihe, zweiter von rechts, neben Margot Käßmann) während der EKD-Synode vom April/Mai (2009), Foto: EKD (CC BY-SA 2.0)

Das sollte Hahne bei seinem Lieblingsthema „Sprachpolizei“ beruhigen: Nur weil im Netz und in offiziellen EKD-Verlautbarungen zunehmend gendersensibel formuliert wird, weil eben auch LGBTQI* und Feminist:innen auf den Kanzeln des Landes stehen, hat sich „die Kirche“ nicht vollends zum Hort des „Genderismus“ gewandelt. Ein Blick in die größeren Medien der evangelischen und katholischen Publizistik, in gewöhnliche regionale Kirchenzeitungen oder gar Pfarrerblätter würde Hahne genügen, um das festzustellen.

Da muss man die Gendersternchen schon mit der Lupe suchen – oder halt mit dem Eifer des Empörten – und der alte weiße Mann ist immer noch die vorherrschende Dareichungsform eines Publizisten. Keine Rede davon, ausgerechnet konservativ tickende Altvordere würden in der christlichen Publizistik ausgegrenzt oder gar zensiert. Auch Hahne selbst publiziert ja nicht allein bei rechtspopulistischen Periodika, sondern bei einem der größten deutschsprachigen Publikumsverlage.

Die bösen Schwulen

Nehmen wir ein anderes Leib-und-Magen-Thema Peter Hahnes auf: Die letzte Dekade war in den evangelischen Landeskirchen unter anderem davon geprägt, für die Gleichstellung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu sorgen. LGBTQ* und ihre Unterstützer:innen mussten dafür mit teils harten Bandagen kämpfen. Die Widerstände in nicht wenigen der EKD-Gliedkirchen waren hoch und existieren bis heute. Inzwischen ist in 11 von 20 Landeskirchen die Trauung auch für gleichgeschlechtliche Partnerschaften ermöglicht, in den restlichen wenigstens eine Einsegnung des Paares, die in drei von ihnen der kirchlichen Trauung kirchenrechtlich gleichgestellt wurde.

Sollen die Kirchen, denen dieser Erfolg für die Gleichstellung von Lesben und Schwulen abgerungen wurde, nun vollständig dem „links-liberal grünem Spektrum“ zugeschlagen werden? Dürfen wenigstens diejenigen Landeskirchen noch als konservativ gelten, die die Trauuung von Ehen verweigern, die Schwule und Lesben vor dem Gesetz gültig schließen?

Für Hahne ist das trotzdem eine „Diktur des Relativismus“, unter der die „christlich geprägte europäische Kultur vor die Hunde“ geht. „Selbst Kirchen und Parteien mit intelligenten Leuten an der Spitze fallen auf diese Meinungsdiktatur oft schon in vorauseilendem Gehorsam rein“, meinte er bereits 2018. Wer in gleichgeschlechtlichen Ehepaaren und schwulen konservativen Politikern wie dem ehemaligen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn den Untergang des Abendlandes angebrochen sieht, der weiß mit diesem realexistierenden konservativen Mainstream in der Tat nichts anzufangen.

Vom Geist der Unterscheidung

Ja, was heute unter Konservativen öffentlich und respektiert gelebt werden kann, galt vor 30 Jahren noch als links oder liberal. Aber was Hahne seit Jahr und Tag publiziert, ist auch ohne diese reziproke Seitwärtsbewegung nicht konservativ zu nennen. Er ventilliert Ressentiments aus dem Sortiment rechtsextremer Einstellungen. Ein Glück, dass diese in unserer Gesellschaft – besonders außerhalb von Krisenzeiten – immer weniger verfangen.

Das kann jemanden wie Hahne schon sehr beunruhigen. Das Geschäftsmodell ist bedroht! Hahne meint, er „schaue dem Volk aufs Maul“, dabei redet er seinem Publikum nur nach dem Mund. Weil sich dieses in Corona-Zeiten nach noch mehr Spektakel sehnt, sich von Verschwörungsideologen bequasseln lässt und zunehmend radikalisiert, marschiert auch Hahne mit. So befruchten sich Publikum und Vortänzer gegenseitig, eine Radikalisierungsspirale entsteht.

Die Echokammer Hahnes wird seit Jahren merklich kleiner, wenn auch der Lärm in ihr stetig dröhnt. Die immer gleichen Parolen gegen „Meinungsdikatur“, „Sprachverwirrung“ und die „Diktatur des Relativismus“ als radikal und neu zu verkaufen, wird zunehmend schwer. Die Auflagen gehen zurück. Gut, dass es immer wieder neue Krisen gibt!