Sollen sich Journalist:innen mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten? Darüber wird in vielen Medien herzhaft gestritten, seitdem sie durch “Lügenpresse”-Rufe und das Erstarken des Rechtsradikalismus herausgefordert sind. Aber wie verhält es sich mit Medien, die sich mit einer politischen Bewegung verpartnern?
Die katholische Zeitung Die Tagespost ist offizieller Medienpartner der “5. Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz”, die am kommenden Wochenende in Erfurt stattfinden soll. Chefredakteur Oliver Maksan bestätigt gegenüber der Eule das Engagement der Zeitung. Man werde “im Rahmen der Medienpartnerschaft” über die Veranstaltung berichten und habe “die Moderation eines Podiums übernommen”. Diese Aufgabe übernimmt Sebastian Sasse, Chef vom Dienst der Tagespost (s.u.).
Zur “Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz”, einem Netzwerk-Treffen rechter Aktivist:innen, lädt Klaus Kelle ein. Er organisiert einen wichtigen Teil der deutschsprachigen neu-rechten, sich selbst als “konservativ” bezeichnenden “alternativen Medien”. Kelle schreibt vor allem auf seinem Blog “Denken erwünscht” und in seinem Magazin the GermanZ. Dort wirken vornehmlich Autor:innen aus dem libertären, konservativen und rechtsradikalen Spektrum. Kelle schreibt gelegentlich auch für Die Tagespost.
Weitere Medienpartner der “Vollversammlung” sind die neu-rechte Junge Freiheit, die Fake-News-Schleuder Epoch Times sowie eigentümlich frei. Das Magazin steht für eine Mischung aus libertären, wirtschaftliberalen Gedankengut und reaktionären gesellschaftspolitischen Positionen. Auch für eigentümlich frei hat Klaus Kelle zahlreiche Artikel verfasst. Bei den Medienpartnern der “Vollversammlung” werden fleißig Brücken zwischen den unterschiedlichen Strömungen der politischen Rechten gebaut. Auch bei der Tagespost?
Neue Kolumne: Die rechte Ecke
In unseren neuen Kolumne “Die rechte Ecke” befasst sich Philipp Greifenstein (@rockToamna) einmal im Monat mit rechten christlichen Netzwerken, Akteur:innen und Medien. Bisher operieren diese “neuen” rechten Christ:innen an den Rändern der Kirchen, aber sie spinnen ihre Netze, je nach Thema und politischem Anliegen, bis weit in die Institutionen hinein. Diese Verstrickungen sichtbar zu machen, ist Sinn der Kolumne.
Klaus Kelle, Vera Lengsfeld und die Verschwörungsideologen
Klaus Kelle nimmt eine Scharnierfunktion innerhalb der Rechten in Deutschland ein: Er verknüpft die Welt konservativer Christ:innen mit dem libertären, neoliberalen Rechtsradikalismus. Kelle ist Mitglied der CDU und der WerteUnion. Letzteres wird in seinen journalistischen Beiträgen zur Entwicklung dieses christ-demokratischen Rechtsruck-Vereins nur selten thematisiert. Das macht ihn zu einem Paradebeispiel eines rechten Aktivist-Journalisten.
Auf der diesjährigen “Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz” wird u.a. Vera Lengsfeld auftreten. Die ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin und ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete betätigt sich seit einigen Jahren als rechtsradikale Publizistin und Verschwörungsschwurblerin. Lengsfeld initiierte die “Erklärung 2018” der Neuen Rechten (wir berichteten), zu deren Erstunterzeichnern auch Klaus Kelle gehörte.
Lengsfelds Kontakte innerhalb der rechten Szene reichen über das BuchHaus Loschwitz bis in den Schnellroda-Kreis um Götz Kubitschek. Ihre Einladung zur “Vollversammlung” führte als Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, innerhalb der WerteUnion bereits im Vorfeld zu Verwerfungen und Rücktritten von Landesvorsitzenden des Vereins. Hintergrund ist die geplante Übernahme des Landesvorsitzes in Thüringen durch Lengsfeld.
Immer wieder versucht die Neue Rechte den Brückenschlag vom Rechtsradikalismus in die “Mitte der Gesellschaft”. Ein Vehikel dafür sind Christ:innen, die aus einer konservativen, häufig evangelikalen oder streng-katholischen Frömmigkeit herkommend ähnliche Politikinteressen pflegen. Gemeinsame Leib-und-Magen-Themen sind Abtreibungsgegnerschaft (Lebensschutz), die Ablehnung von gender mainstreaming und sexueller Auflärung, der Ehe für alle und Homosexualität im Allgemeinen. Häufig wird auch die Verfolgung von Christ:innen in mehrheitlich muslimischen Ländern und die (vermeintliche) Bedrohung Europas durch den Islam thematisiert.
Diese Schilderungen haben zwar nur wenig mit der real-existierenden restriktiven Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik der Europäischen Union gemein, aber wen störts? Ganz sicher nicht das pseudo-konservative Milieu, das sich in den letzten Monaten der Corona-Krise noch einmal verstärkt Verschwörungserzählungen zuwendet. Die Grenzen zwischen enttäuschten Konservativen, der Neuen Rechten und Verschwörungsideologen sind gefallen, viele Akteur:innen wechseln mühelos von einem Sujet zum nächsten. Vera Lengsfeld ist dafür nur ein besonders augenfälliges Beispiel.
Jenseits von Lengsfeld führt die Referent:innen-Liste das Who’s Who der Szene zusammen: Ex-Verfassungsschutz-Chef und aktuelles WerteUnion-Maskottchen Hans-Georg Maaßen soll am Sonntagmorgen mit Lengsfeld sowie Junge Freiheit-Chef Dieter Stein und Klaus Kelle über “30 Jahre Deutsche Einheit” diskutieren. Der libertäre Wirtschaftsideologe Markus Krall, bekannt vor allem von Tichys Einblick, hält am Sonnabend einen Vortrag mit dem Titel “Freiheit oder Untergang! Warum wir die Wende vollziehen müssen”.
Prominente Christ:innen tragen vor
Im Tagungsprogramm nehmen Personen aus den Kirchen prominente Plätze ein: Für ein Kurzinterview steht der Erfurter Weihbischof Reinhard Hauke zur Verfügung. Hauke hat sich in der Vergangenheit vor allem um die Pastoral unter Konfessionslosen bemüht (Segensfeiern für Jugendliche, Segnungsgottesdienste zum Valentinstag). Von 2012 bis 2014 vertrat er das vakante Bischofsamt des Bistums Erfurt als Diözesanadministrator. Seit 2009 ist er Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für die Vertriebenen- und Aussiedlerseelsorge.
(Aktualisierung, 4. September 2020, 11:10 Uhr: Weihbischof Hauke wird nicht an der Veranstaltung teilnehmen. Er habe bereits am Donnerstag seine Zusage zur Teilnahme zurückgezogen, informiert die Pressestelle des Bistums Erfurt.)
Das Podium “Die Familie stärken” wird von der “Demo für alle”-Organisatorin Hedwig von Beverfoerde (CDU) moderiert. Beverfoerde ist Teil der Zivilen Koalition von Sven und Beatrix von Storch (AfD), Mitglied des reaktionären Forums Deutscher Katholiken und hat zuletzt das verschwörungsideologische Schreiben zur Corona-Krise von Carlo Maria Viganò unterzeichnet. Die vehemente Gegnerin von “Genderwahn” und “Frühsexualisierung” ist vor allem als Anti-LGBTQI-Kämpferin hervorgetreten. Am Familienpodium nimmt außerdem Ines Pistner von der Katholischen Elternschaft Deutschlands teil.
Über “Den Glauben verteidigen” diskutieren schließlich unter Leitung des Tagespost-Redakteurs Sebastian Sasse der evangelikale Wittenberger Pastor Alexander Garth und Martin Lohmann. Lohmann, ehemaliger Journalist (Rheinischer Merkur, Rhein-Zeitung *) und Fernsehmann (K-TV, “Münchener Runde” im BR), war von 2009 bis 2017 als Bundesvorsitzender des Bundesverbands Lebensrecht tätig (“Marsch für das Leben”).
Der christliche Glaube soll während dieses “Werkstattgesprächs” und in einem eigenständigen Vortrag am Samstag (“Weg zur Neuevangelisierung Deutschlands”) auch von Johannes Hartl verteidigt werden. Hartl ist neben Lohmann sicher die prominenteste christliche Stimme auf der Tagung. Er hatte zuletzt mit der Aktion “Deutschland betet gemeinsam” für Aufmerksamkeit gesorgt (wir berichteten).
(Aktualisierung, 4. September 2020, 21:25 Uhr: Johannes Hartl wird nicht an der Veranstaltung teilnehmen, wie er am Freitagnachmittag auf Twitter informierte. Auf Rückfrage der Eule erklärte er, er habe nach der Rückkehr aus seinem Urlaub Ende August um Streichung von der Rednerliste gebeten. Dort wird er allerdings nach wie vor geführt.)
Netzwerken mit Rechtsradikalen
Vorträge und Podiumsrunden sind laut Veranstalter jedoch nur ein Teil des Appeals des Treffens, bei dem “an den Infoständen, beim gemeinsamen Mittagessen und in den Kaffeepausen viel Gelegenheit zum Kennenlernen, gegenseitigen Austausch und Netzwerken” bestehen wird. Deshalb lohnt sich auch ein Blick auf die weitere Gästeliste, die zum Teil öffentlich ist.
Auf der Gästeliste finden sich nach Eule-Recherchen mindestens 16 AfD-Politiker:innen aus dem gesamten Bundesgebiet. Darunter viele Kommunalpolitiker:innen, aber auch ein Landtagsfraktions-Geschäftsführer und mindestens ein Unterzeichner der “Erfurter Resolution”, des Gründungsdokuments des “Flügels” in der AfD.
Hinzu kommen führende Politiker:innen von den Liberal-Konservativen Reformern (LKR, ehem. ALFA), der AfD-Abspaltung des ehemaligen AfD-Bundessprechers Bernd Lucke, z.B. ein ehemaliger Bundesvorsitzender und der aktuelle stellvertretende Bundesvorsitzende. Vereinzelt finden sich auch Politiker:inner der FDP und CDU auf der Liste, unter ihnen ein Erfurter Stadtrat.
“Wirtschaftsliberale” und “Wertkonservative”
Das Teilnehmer:innenfeld setzt sich aus vier unterschiedlichen Gruppen zusammen: Vertreter:innen der rechtsradikalen AfD, Aktivist:innen von anderen rechten Parteien und Vereinen wie der WerteUnion, “Wirtschaftsliberale” aus dem Umfeld der Hayek-Gesellschaft sowie konservative Christ:innen. Unter ihnen ein freikirchlicher Pastor und ein Pastor i.R. aus der Nordkirche.
Inhaltlich formieren sich die Gäste um zwei Kernthemen: Den Schutz der traditionellen Familie, die sich um die Ehe von Mann und Frau organisiert, und eine libertäre Wirtschaftsideologie.
Gleich mehrere Teilnehmer:innen engagieren sich in Familien- und Elternvereinen. Hier hält das Amalgam aus katholischer bzw. evangelikaler Frömmigkeit und rechtsradikaler Familien- und Bevölkerungspolitik wie gewohnt besonders fest zusammen. Gut die Hälfte der Teilnehmer:innen ist “wirtschaftsliberal” interessiert. Die Fans von Markus Krall – der sich dafür einsetzt, Transferempfängern das Wahlrecht zu entziehen – mit den christlichen Aktivist:innen ins Gespräch zu bringen, dürfte durchaus eine Herausforderung sein.
Allein, auf die Kohärenz der vermittelten Botschaften legen die Teilnehmer:innen vielleicht keinen gesteigerten Wert. Vielmehr steht auf der “Vollversammlung” die Selbsterfahrung als eine Bewegung im Vordergrund, die sich gegen die “Abschaffung Deutschlands” zur Wehr setzt. Oder wie es Klaus Kelle mit Bezug auf den mutmaßlich islamistischen Anschlag in Berlin schreibt: “Das Maß ist randvoll. Wenn jetzt nicht konsequent gehandelt wird, werden wir unser Land verlieren.”

Wie konsequent ist der Konservatismus der Tagespost? (Bild: Screenshot Die Tagespost)
Kampf ums Überleben
Die Tagespost ist dabei nicht zufällig Medienpartner. Schon heute zieht sie mit zum Teil tendenziöser Berichterstattung, z.B. zu den Pachamama-Figuren während der Amazonas-Synode in Rom, das chauvinistische, katholische Publikum an. Alexander Tschugguel, der die Statuen in den Tiber warf, durfte sich in der Zeitung ausgiebig verbreiten. In Kommentaren der Tagespost werden die Grenzen zum Rechtspopulismus überschritten (wir berichteten).
Die Tagespost tritt unter ihrem Chefredakteur Oliver Maksan in einen Wettkampf mit kath.net, dem “Branchenprimus” der katholischen Rechtsausleger. Dabei lobt man sich eines distinguierten Stils, der sich vom Geplärr der Konkurrenz abheben soll. Man wolle, so Maksan, wahrhaft katholisch sein und damit ein Gegengewicht zur offiziellen Kirchenpresse von Bistümern und Bischofskonferenz darstellen. Da passt es, dass Tagespost-Autor Tobias Klein das Internet-Magazin der Bischofskonferenz auf seinem Blog durchgängig als “häretisch.de” diffamiert.
Den Kampf um die Rechtgläubigkeit hat Die Tagespost also längst aufgenommen. Mit Partnerschaften wie mit der “Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz” schafft sie sich ein zweites Standbein in rechten politischen Szenen. Verbinden die Zeitungsmacher damit die Hoffnung, zahlende Kunden für ihr Medium zu finden? Wie alle konfessionellen (Print-)Medien spürt auch Die Tagespost am Auflagenrückgang den Medienwandel und das Wegsterben alter konfessioneller Bindungen.
Seit 2018 erscheint die Zeitung nurmehr als Wochenzeitung und hat ein Online-Bezahlmodell aufgelegt. Ob nun ausgerechnet die Rechten die Zeitung nachhaltig vor dem Untergang bewahren können, muss sich erst herausstellen. Auf dem reaktionär-katholischen Medienmarkt balgen sich viele Angebote um die Zuwendungen der Leser:innen, auch in den rechten Szenen zwischen WerteUnion und Verschwörungsgläubigen grassiert die “Gratiskultur”. Erstaunlich für eine solch “werte- und wirtschaftsorientierte” Runde.
Will Die Tagespost tatsächlich mit kath.net und Junge Freiheit mithalten, steht ihr eine weitere Radikalisierung bevor. Bis dato schreiben auch tatsächlich konservative Autor:innen für die Zeitung. An Formaten wie der “Vollversammlung der wahren Schwarmintelligenz” aber sieht man, dass es einen anständigen Konservatismus nicht geben kann, wenn man sich mit Verschwörungsideologen und rechten Kulturkämpfern gemein macht.
* an dieser Stelle wurde als ehemalige Arbeitsstelle von Martin Lohmann auch die Christ & Welt aufgeführt. Das war missverständlich, weil Lohmann für das Ressort “Christ & Welt” des Rheinischen Merkurs tätig war. 1980 war die Zeitschrift gleichen Namens in dieser Zeitung aufgegangen, seit 2010 erscheint die Christ & Welt als Teil der Wochenzeitung Die Zeit. Wir haben sie deshalb aus der Aufzählung entfernt.
11 Kommentare zum Artikel
Wird die “Tagespost” (die ja seit Jahrzehnten entgegen ihrem Namen nicht mehr täglich erscheint) eigentlich immer noch von der Bayerioschen Bischofskonferenz finanziell unterstützt? Das wäre mal eine Recherche wert!
Brücken bauen
Ich kann mir gut vorstellen, dass auf der Versammlung Dinge geäußert werden, die dem christlichen Geist widersprechen. Einige Akteure scheinen Interessen zu haben, die ich als Christ nicht teilen kann.
Und dennoch habe ich kein gutes Gefühl dabei, wenn alle Teilnehmenden einer solchen Veranstaltung in eine Schmuddel-Ecke gestellt werden.
Ich denke da an Jesus, der den Zeloten Simon sogar zu einem seiner Jünger gemacht hat. Zeloten waren Eiferer, die leicht in Hass und Rage gerieten, vielleicht so etwas wie die Leute vom AfD-Flügel heute. Und Jesus machte so einen Zeloten zu seinem Jünger! Obwohl er dessen Ansichten fundamental ablehnte, man denke nur an das pazifistische Ethos der Bergpredigt!
Warum hat Jesus das gemacht? Ich glaube, er war felsenfest davon überzeugt, dass seine Botschaft der Liebe stärker ist als der Hass eines Zeloten. Jesus wäre nie auf die Idee gekommen, dass es so etwas wie eine “Kontaktschuld” gibt, dass man sich also auf keinen Fall mit Personen treffen sollte, deren Ansichten oder Verhaltensweisen als problematisch gelten. Im Gegenteil. Nicht die Gesunden brauchen den Arzt…
Ich stelle mir vor, dass es auf dem Treffen in Erfurt problematische Inhalte geben wird, aber auch solche, die unterrepräsentiert und tatsächlich wichtig sind. Diese sollten nicht pauschal abgekanzelt werden. Auch dann nicht, wenn ein Podium weiter jemand dumme Sätze von sich gibt.
Mir erschließt sich zum Beispiel nicht, warum man den “Schutz der traditionellen Familie” gleich mit “rechtsradikaler Bevölkerungspolitik” in Verbindung bringen muss. Es soll Menschen geben, die eine Familie der schönen neuen Tinder-Welt vorziehen, und die sich eine kinder- und familienfreundliche Politik wünschen. Diese Stimmen dürfen nicht aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen werden.
Wenn eine christliche Zeitung wie die Tagespost oder ein Leiter eines Gebetshauses mit konservativen Menschen (auch solchen mit problematischen Einstellungen) im Gespräch bleibt, dann verdient das Respekt. Allerdings muss man dann auch der Botschaft Jesu treu bleiben. Ganz ohne Risiko ist das nicht.
Ausgrenzen und in eine Ecke stellen halte ich hingegen für weniger christlich. Das Christliche sollte nicht verengt werden auf das, was politisch links ist; es ist etwas Spirituelles, das tiefer reicht als das Links-Rechts-Schema.
“Mir erschließt sich zum Beispiel nicht, warum man den „Schutz der traditionellen Familie“ gleich mit „rechtsradikaler Bevölkerungspolitik“ in Verbindung bringen muss.”
Mir auch nicht. Diese Verbindung gehen allerdings nicht wenige Christ:innen ein, wenn sie gemeinsame Sache mit der AfD und anderen Rechten machen. Dann geht es schnell nicht nur um das traute Heim, sondern um die Bekämpfung eines “Bevölkerungsaustauschs”. Auch die Begründungen für die Ablehnung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften gleichen sich immer mehr an: Unter Christ:innen ist dann davon die Rede, dass eine Ehe immer auf Fortpflanzung ausgelegt ist. Das ist ein biologistisches Argument (und darüber hinaus verletzend für viele Eheleute, die keine Kinder bekommen wollen oder können).
“Es soll Menschen geben, die eine Familie der schönen neuen Tinder-Welt vorziehen, und die sich eine kinder- und familienfreundliche Politik wünschen. Diese Stimmen dürfen nicht aus dem öffentlichen Diskurs ausgeschlossen werden.”
Da bin ich sehr dafür (und zähle mich selbst zu diesen Menschen). Warum aber eine kinder- und familienfreundliche Politik die Ausgrenzung anderer Menschen (wie LGBTQI+ oder Zuwander:innen und Flüchtlinge) nötig haben sollte, erschließt sich mir nicht. Ich bin jedenfalls in meinem Familienleben nicht dadurch beeinträchtigt, dass ein lesbisches Pärchen Kinder hat oder zunehmend mehr Menschen aus anderen Ländern in Deutschland leben. Genauso wenig bin ich übrigens davon gekränkt, dass andere Menschen einer anderen Religion, z.B. dem Islam, angehören.
Ich kann Ihre Bedenken sehr gut verstehen, allein, die Verknüpfungen entstehen nicht durch die Berichterstattung über rechte Christen. Sie werden von den Akteur:innen selbst geknüpft.
Ich bin Philipp Greifenstein dankbar dafür, dass er für uns die Tiefen- und Oberflächen-Verbindungen herausgeschält hat, Vebindungen zwischen Wirtschaftsvertretern, einzelnen “Glaubens – Organisationen” , und den darin sich tummelnden Persönlichkeiten samt ihren Presseorganen auf der einen Seite und politischen Ideologien – hier speziell rechten Ideologien – und deren “Organisationen” samt ihren Presseorganen auf der anderen Seite.
Im Parteiprogramm der AFD ist sehr gut nachzulesen, wie sehr die “geschlechtsspezifischen” Rollenklischees und das Familienbild kopiert zu sein scheinen, nämlich von Parolen, Programmen und bildnerischen Gestaltungen aus dunklen Zeiten, die 75 Jahre hinter uns liegen und überwunden sein sollten.
Für gefährlich halte ich auch z.B. die ” Pro-Life-Bewegung” , in der m.E. “d a s (?) Christliche” mit fast schon militanten Methoden gegen Frauen, Ärztinnen und Ärzte missbraucht wird.
Wer sich – wie Philipp Greifenstein es analysiert und beobachtet hat –
in derartigen Allianzen auf diverse Podien begibt, müsste sich kritischen, entlarvenden und not- wendigen Gegenwind gefallen lassen.
Der Gegenwind in Gestalt von entlarvenden Gesprächen und Anti – Reden käme mit Sicherheit auch von einem Mann Namens Jesus. Er hat ja bekanntlich Heuchler entlarvt, statt mit ihnen gemeinsame “Sache” zu machen ( denken wir nur an seine zornige “Tempelreinigung” ) , sonst wäre er ja nicht hingerichtet worden.
Und – die offenen, aber g e r a d e a u c h die versteckten, in der Öffentlichkeit kaum sichtbaren Allianzen, wie Philipp Greifenstein sie analysiert und belegt hat, halte ich für unsere Demokratie für sehr gefährlich.
Liebe Frau Brand,
in manchen Punkten stimme ich Ihnen durchaus zu. Mit den Familienmodellen und -rollen denke ich, dass sie einfach für die Partner so passen müssen – und das kann dann moderner oder traditioneller sein.
Natürlich gibt es in jeder politischen Richtung Extreme, der sehr schädlich sind. Die Extreme bauen sich aber eher durch Begegnungen und Gespräche ab als durch Ausgrenzung – ich habe da ganz praktische Beispiele erlebt. Grundsätzlich denke ich:
1. Jesus ist für alle Menschen gestorben – ob links oder rechts.
2. In Jesu Botschaft finden sich, wie Sie ja auch ansprechen, deutlich “linke” Positionen (Eintreten für die Armen, Entrechteten, Ausgegrenzten), aber eben auch “rechte” (Gebot, seinem Ehepartner treu zu bleiben).
3. Das Links-Rechts-Schema führt (meistens unbewusst) dazu, dass man die eigene “In-Group” als durchweg gut ansieht – und die Anderen sind dann die Schlechten. So entsteht eine Polarisierung und ein Blame-Game. Jesus hingegen betont, dass jeder bei sich anfangen muss: “Kehrt um” sind die ersten Worte seiner Verkündigung.
Mein Eindruck ist, dass die Bereitschaft, eigene Schuld einzugestehen, in den letzten Jahren gesunken ist. Vielleicht ist das, was wir in der westlichen Welt zur Zeit an Polarisierung beobachten (am deutlichsten vielleicht in den USA), eine Folge der nachlassenden Bereitschaft, eigene Fehler einzugestehen – ich schließe mich da nicht aus. Und dann sucht sich jeder einen Sündenbock…
Von daher wünsche ich mir halt ein Christentum, dass Linken wie Rechten Platz zum Atmen lässt – und vor allem, dass es zu einer spirituellen Vertiefung kommt, von der aus Brüderlichkeit entstehen kann und links und rechts unwichtiger wird.
Leider wenig sachorientiert und nur mutmaßend. Eigentlich ein verschwörungstheoretischer Beitrag.
Sehr geehrter Herr Greifenstein,
mit Interesse und Schmerz habe ich Ihren Artikel gelesen. Meine Anmerkung dazu ist (neben Zustimmung) klein und persönlich.
Viele eher dem Zeitgeist huldigende Menschen, für die “Katholische Kirche” ein Synonym für “Kinderfickersekte” geworden ist, nehmen so ziemlich alles für “bare Münze”, was im unbewältigbaren Medienrauschen über die Kirche verbreitet wird.
Dabei wird kaum noch etwas (jenseits interessegeleiteter Schlagzeilen) von diesem Glauben und seinen Gläubigen gewußt.
Es gibt eine große Zahl katholischer Millieus, die durchaus die gesamte Breite der gesellschaftlichen Schichten, Strömungen und Interessen abbilden.
Im Gespräch sind immer die extremen Aussreißer an den Polen der Exkurse.
Ich z.B. sehe mich lebenslang in der Tradition der Katholiken der Weimarer Republik, von John Henry Newman über Romano Guardini bis Hans Urs von Balthasar und Josef Ratzinger (um Ihnen eine unzureichende Orientierung mittels “name dropping” zu geben). Eine gesellschaftliche, geistige Avantgarde, aufklärerisch UND fromm und durchweg immun gegen die extremistischen Strömungen und Gewalten ihrer Zeit (UND unserer Zeit!).
Wer will das noch wissen?
Katholiken dieser Denk- und Glaubenstradition kommen nur noch in Akademietagungen und Diplomarbeiten vor und ich nehme seit Jahrzehnten eine vollkommene Marginalisierung bis Feindseligkeit – generell mindestens Gleichgültigkeit in der Gesellschaft wahr.
1961 geboren und in diesem Sinne gläubig und den Glauben lebend befinde ich mich in Dauerdefensive: Extrem Traditionalisten, “protestantische” Katholiken, militante Atheisten, evangelikale und “deutsche” Lutheraner – ich weiß gar nicht welche Strömungen ich da nennen soll – es sind ja auch unscharfe, verallgemeinernde Begriffe.
Meine sozialen “Coping – Strategien” reichten von völligem Verstummen und Rückzug ins Private bis zu verbittertem Protest und sich “ins Schwert stürzen” – was außer Blessuren nichts gebracht hat.
Ich bitte (und mehr bleibt mir für meinen Lebensrest nicht) um Differenzierung im Blick auf Katholiken. Falsche Label zerstören und vertreibe
Postscriptum:
Falsche Label zerstören und vertreiben aus dem Diskurs.
Was mich besonders fassungslos sein läßt, im Beobachten der Gegenwart, ist die verallgemeinernde Feindseligkeit der Kultur gegenüber einem Herzstück katholischen Glaubens, dem bedingungslosen Lebensschutz.
Johannes Paul II. kurz vor seinem Tod:
“An euch alle, Brüder und Schwestern, richte ich den dringlichen Appell, daß ihr alles in eurer Macht Stehende tut, damit das Leben, das ganze Leben, von der Empfängnis bis zu seinem natürlichen Ende geachtet wird. Das Leben ist ein heiliges Geschenk, niemand darf sich zum Herrn darüber erheben.”
Für mich ergibt sich diese Weisung so natürlich und zweifellos aus der Nachfolge Christi, daß ich kaum glauben kann, wieso es in unserer Zivilisation plötzlich zu einem derart umstrittenen Wert werden konnte.
Es kommt mir so vor, als stellten sie diese Zusammenkunft unter einen Generalverdacht, den ich so nicht teile. Sätze wie “rechtsradikale Familien- und Bevölkerungspolitik” im gleichen Atemzug genannt, wie die katholische Haltung zum Lebensschutz, rauben mir regelrecht den Atem.
Natürlich gibt es auch unter Katholiken den Bevölkerungsdurchschnitt von Spinnern, denkfaulen Großmäulern und Menschenverächtern – what else?
Militanz und Bösartigkeit, gar Gewaltbereitschaft sind Persönlichkeitsdefizite, die Sie in jedem Kontext erleben und studieren können.
Dort, wo sie den gerechtfertigten Wertekanon von gläubigen Katholiken (Moslems, Evangelikalen, Juden etc.) ohne Differenzierung in die hochbrisante Ecke “rechtsextrem” denken und schreiben, schließen Sie sich der Diskursform eines Schmidt – Salomon “Keine Macht den Doofen” an.
Sie argumentieren wie jene, die ganzen Gruppen der Gesellschaft die Diskursfähigkeit (ja Diskurserlaubnis) absprechen.
Das Beobachten, aus Ihrer Warte (und Kenntnis) Interpretieren und Bewerten nehme ich mit Interesse und Zustimmung wahr.
Die Anschwärzung von Grundwerten katholischer Gläubiger als “rechtsextrem” läßt mich jedoch genauso ratlos, sprachlos, verständnislos und letztlich verletzt zurück, wie ich es oben beschrieben habe.
Why? What for?
Ich grüße Sie mit besten Wünschen und bin auf Ihre Antwort sehr gespannt!
Vielen Dank, dass Sie sich für den Artikel so viel Zeit genommen haben und für Ihren Kommentar!
“Sätze wie „rechtsradikale Familien- und Bevölkerungspolitik“ im gleichen Atemzug genannt, wie die katholische Haltung zum Lebensschutz, rauben mir regelrecht den Atem.”
Ich kann sehr gut verstehen, dass das eine Herausforderung ist. Leider ist es so, dass wir seit Jahren eine absichtsvolle Vermengung dieser beiden – wie ich meine, sich eigentlich ausschließenden – Haltungen beobachten können. Ich bin jedes Mal wieder überrascht, wenn sich Katholik:innen auf einmal einer biologistischen Argumentation bedienen, als ob es bei der Familie tatsächlich nur um “richtiges” Bevölkerungswachstum gehen würde (und ja, das führt dann am Ende zu einem rassistischen Denkmuster, das Familien biodeutscher Herkunft Kinder und Familien mit Migrationshintergrund vorzieht). Gerade die Lebensschutz-Bewegung hat sich als extrem anfällig für die politische Manipulation rechter Kreise herausgestellt. Woran das im Detail liegt, müsste man ausführlicher erörtern, als ich es in diesem Kommentar kann.
Die Anschwärzung von Grundwerten katholischer Gläubiger als „rechtsextrem“ läßt mich jedoch genauso ratlos, sprachlos, verständnislos und letztlich verletzt zurück, wie ich es oben beschrieben habe.
Ein Hinweis noch. Im gesamten Text schreibe ich nicht ein einziges Mal von “rechtsextrem” oder “Rechtsextremen”, sondern gelegentlich im Blick auf einige ausgewählte (!) Akteur:innen von “rechtsradikal”, bei anderen wiederum einfach “rechts”, bei anderen gar nichts. Auch wenn all diese Begriffe schillern und über ihre Definition teilweise hart gestritten wird – wie über die (Un-)Möglichkeit der Anwendung einer Rechts-Mitte-Links-Skala überhaupt -, so meinen sie doch verschiedene Dinge. Ich bezeichne also wirklich nicht alle möglichen Akteur:innen einfach als “rechtsextrem” oder “rechtsradikal”, und erst recht nicht alle katholischen Gläubigen.
Es ist allerdings ebenso gefährlich, wenn viele Christ:innen Rechtsextremismus erst dann wahrnehmen, wenn er in Gestalt von Neonazis mit Springerstiefeln vor ihnen steht. Gerade Christ:innen, denen ihr Glaube und ihre Kirche etwas bedeuten, müssen hier viel “früher” aufmerksam sein und dort einschreiten, wo das Evangelium für rechtsradikale Zwecke eingespannt wird.
Lieber Herr Greifenstein,
Frau Austermann hat sich zur Thematik Lebensschutz ganz ausdrücklich keiner biologistischen Argumentation bedient und steht nicht in der Nähe von rassistischen Personen. Sie beruft sich auf das Zitat “Das Leben ist ein heiliges Geschenk, niemand darf sich zum Herrn darüber erheben” von Johannes Paul II. Das ist eine universalistische Begründung (ob man die Aussage teilt oder nicht) – und das genaue Gegenteil eines “rassistischen Denkmusters”. Zudem distanziert sich Frau Austermann explizit von Menschenverächtern, von denen sie zugibt, dass es diese auch unter Katholiken gibt. Frau Austermann ist nicht naiv und braucht nicht belehrt zu werden.
Ich möchte an die immer noch gültige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erinnern: “Das Grundgesetz verpflichtet den Staat, menschliches Leben, auch das ungeborene, zu schützen. Diese Schutzpflicht hat ihren Grund in Art. 1 Abs. 1 GG; ihr Gegenstand und – von ihm her – ihr Maß werden durch Art. 2 Abs. 2 GG näher bestimmt. Menschenwürde kommt schon dem ungeborenen menschlichen Leben zu.”
Ist das Bundesverfassungsgericht jetzt rechtsextrem?
Die zitierte Rechtsprechung schließt explizit nicht aus, dass Schwangerschaftsabbrüche möglich sind. Sie sind es. Das Grundgesetz verbietet Abtreibungen nicht. Aber die Rechtsprechung des BVerfG ist ein Echo darauf, dass das Leben ein heiliges Geschenk ist, und dass menschliches Leben nicht der Welt der Dinge zuzuordnen ist.
Darf man das sagen, ohne in eine braune Ecke gestellt zu werden?
Leider wird heute begrifflich oft ungemein vergröbert. Das ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Wir denken oft twitter- und whatsApp-haft: drei Sätze, zwei Schlagworte, ein Vorurteil.
Sie beobachten ja selbst, Herr Greifenstein, dass es oft zu einer Vermengung von sich eigentlich ausschließenden Positionen kommt. Sie bedauern das, aber fast alles, was nach diesem Intro folgt, bringt beide Sichtweisen (hier die theologische und dort die rassistische) dann doch wieder so nah zusammen, dass es sich wie vermengt anhört. Ein Interesse an einer sachgemäßen Differenzierung sehe ich nicht.
Und auf einmal ist jemand mit einem feinen Gespür für die Würde des menschlichen Lebens in einem Topf mit einer Springerstiefel-Kameradschaft; oder jemand, der ehrenamtlich Deutsch-Kurse für Flüchtlinge gegeben hat, ist auf einmal ausländerfeindlich, weil er ein Wort verwendet, das auf dem Index der “Gegen-rechts-Kämpfer” steht.
Ich bin mir sehr bewusst, dass gerade ein Thema wie der Lebensschutz sehr heikel ist, und ich möchte in keiner Weise moralisieren oder über irgendwen urteilen.
Ich möchte aber Frau Austermann ausdrücklich verteidigen, die sich – trotz aller gesellschaftlicher Nachteile für sie – ein Gespür für die Würde des menschlichen Lebens bewahrt hat. Das verdient Hochachtung.
Sie brauchen Frau Austermann garnicht ritterlich verteidigen. Ich habe Sie ja nicht angegriffen, sondern im Gegenteil versucht, auf ihren Kommentar einzugehen. Noch einmal: Die von Ihnen beklagte Vermengung von “theologischer” und “rassistischer” Sichtweise (als ob es nicht auch rassistische Theologie gäbe?) wird nicht von mir betrieben, sondern nur beschrieben. Was das Thema Lebensschutz angeht, habe ich vor sehr langer Zeit einen Artikel geschrieben, der meine Gedanken dazu immer noch gut wiedergibt: https://philipp-greifenstein.de/die-schwangerschaftskonfliktberatung-in-der-abtreibungsdebatte/ Jedenfalls ist es nicht nötig zu raunen, dass hier oder anderswo bestimmte Meinungen nicht erlaubt wären.