“Ich glaube einfach, dass Gott Präsidenten einsetzt und auch aussetzt!” Was Inka Hammond und Gaby Wentland in einer Videobotschaft verkündigen, ist starker Tobak für die Millionen von US-Wähler:innen, die sich dieser Tage in langen Schlangen die Beine in den Bauch stehen, um ihre Stimme bei der anstehenden Wahl abzugeben.
Nicht nur, dass Gott selbst Donald Trump zum US-Präsidenten erwählt hat, Hammond und Wentland fahren damit fort, ihn als Werkzeug Gottes, als Retter der Christenheit und seines Landes zu preisen. Hammond habe, so gibt sie im Video bekannt, schon vor Monaten von Gott die Anweisung erhalten, den US-Präsidenten gegen üble Angriffe in Schutz zu nehmen. Wentland schließt sich ihr in emphatischen Gebetsformulierungen an.
Nun könnte man dieses Video, das von Hammond obendrein inzwischen von Facebook, YouTube und Instagram gelöscht wurde, einfach als neuesten Klamauk eine hyperfrommen Blase im Netz abtun, wenn sich darin nicht vertraute Erzählungen der christlichen Rechten aus den USA fänden, die hierzulande zwar langsam, doch stetig in den evangelikalen Diskurs eingespeist werden. Weil die Akteurinnen gerade keine “Netzaktivistinnen” sind, die in den Sozialen Netzwerken vor sich hin zetern, sondern einflussreiche Personen der evangelikalen Bewegung, muss man sich mit ihrer Verkündigung auseinandersetzen.
Charismatische “Nationentheologie”
In Hammonds und Wentlands Video sind zwei inzwischen sehr verbreitete evangelikale Erzählungen miteinander verschränkt: Die erste ist aufmerksamen Leser:innen der Eule bereits aus den Frühjahr bekannt, als sie bei “Deutschland betet gemeinsam” die Sprache des vorgeschlagenenen Gebetes und die Wortmeldungen einiger Akteur:innen prägte. Die Rede ist von der “Nationentheologie”, die im Umfeld evangelikaler Zionisten und der Gebetshausbewegung charismatischer Christen gepflegt wird.
Darin ist immer wieder die Rede davon, dass ein ganzes Land sich “unter die Herrschaft Gottes” stellen soll, dass man “stellvertretend für ganz Deutschland” um Vergebung und/oder Segen bitte. Die nationalen Anklänge wirken im deutschen Kontext doppelt missverständlich:
Problematisch ist nicht allein die Selbstidentifikation der Bewegung mit dem biblischen Volk Israel, dessen Texte und Verheißungen ohne weitere Erklärungen oder Einordnungen “übernommen” werden. Die Christen werden nahtlos als Nachfolger des durch viele Bedrängnisse hindurch bewahrten jüdischen Volkes verstanden (“alter” vs. “neuer” Bund). Diese alte antisemitische Erzählung des Christentums wird noch dadurch verschärft, dass ständig nicht von Christen, sondern en passant eben von den Deutschen die Rede ist, die auf diese besondere Weise in der Gunst Gottes stünden.
Der offensichtliche Widerspruch, dass es die Deutschen waren, die sich durch Krieg und Shoah nicht zuletzt am auserwählten Volk Gottes versündigten, wird mit einer Versöhnungs- und Segensrhetorik verschleiert, die deutsche Schuld unsichtbar macht. An dieser Stelle erweist sich der charismatische Evangelikalismus anknüpfungsfähig an solche rechtsradikalen Erzählungen, die eine Überwindung des “Schuldkultes” der Deutschen fordern.
“Wir proklamieren den Namen Jesus über Deutschland. Wir glauben, dass Gott die Schuld unseres Landes vergeben hat. Wir glauben, dass unser Land durch unsere Buße im Blut Jesu gewaschen wurde und nun gereinigt, geheiligt und frei gesprochen wurde.” (Facebook-Seite “Christen in der AfD”)
Bei der “Nationentheologie” handelt es sich aber nicht um eine völkische Ideologie, wie sie von den Deutschen Christen aus der Zeit des Nationalsozialismus bekannt ist. Auch wenn manche Formulierung aus dem Munde Hammonds und Wentlands, auf Hitler statt auf den US-Präsidenten gemünzt, in den Schriften der Nazi-Christen zu finden ist. Vielmehr verdankt sich der charismatische Nationengedanke der Idee, man lebe in einer Endzeit, in der sich alle Völker – inklusive der Juden – bekehren müssten, um die Wiederkunft Christi einzuleiten. Deshalb werden mit Übergabegebeten und Segenszusprüchen explizit einzelne Länder bzw. Kontinente adressiert (“Europe shall be saved”, “Deutschland betet gemeinsam”).
Außenstehende Beobachter:innen vermuten eine solche politisch aufgeladene Endzeitideologie vor allem bei “Sekten” und randständigen Extremistengruppen, nicht im Feed einer fröhlich-frommen Jugendbuchautorin oder bei einem Gebets-Event, das von zahlreichen Politiker:innen und Kirchenleuten unterstützt wird. Sie läuft denn auch häufig unbewusst mit. Zum Beispiel in der Gebetssprache, die zu kritisieren viele zufällige Gäste sich nicht anmaßen. Gelegentlich wird der “Nationalismus” der Formulierungen moniert, eine wirksame Kritik aber muss diese charismatische “Nationentheologie” und den ihr innewohnenden Antisemitismus zunächst einmal begreifen, um ihn wirksam zu bekämpfen.
Trump als Wiedergänger Kyros des Großen
Die zweite evangelikale Erzählung, die Hammond und Wentland verbreiten, ist wesentlich weniger opak, sondern bibeltreuen Christen aller Couleur leichter zugänglich. Sie dient als Türöffner hinein in die Gedankenwelt rechter Christen, weil sie in der wortgetreuen Lesart der Bibel wurzelt, die biblische Überlieferungen und Erzählungen als zutreffende Geschichtsschreibung missversteht.
Donald Trump wird mit dem persischen König Kyros des Großen gleichgesetzt, dem die Juden nach biblischer Erzählung die Rückkehr aus dem Exil und den Wiederaufbau des Tempels in Jerusalem verdanken. Kyros sei, trotzdem er einer anderen Religion zugehörte, zum “Messias” des Volkes Israel geworden. Ebenso sei Trump “Retter des christlichen Glaubens”, obwohl er selbst – durch Wort und Tat bezeugt – kein frommer Christ ist.
.@realDonaldTrump receives a blessing he attends a Church Service at the International Church of Las Vegas in Las Vegas, NV. pic.twitter.com/3pIiGLY03P
— Doug Mills (@dougmillsnyt) October 18, 2020
Bei diesem Mythos, der unter den US-Evangelikalen inzwischen weite Verbreitung gefunden hat, handelt es sich um eine doppelte Konstruktion: Zunächst wird das breite und widersprüchliche historische Wissen um Biografie und Bedeutung des persischen Herrschers Kyros II. auf die wenigen biblischen Beschreibungen seiner Person enggeführt. Dabei handelt es sich bei ihnen selbst um Erinnerungspolitik, wie archäologische und text-kritische Erkenntnisse erweisen. Richtig ist wohl, dass Kyros gegenüber den vielen Religionen in seinem Herrschaftsbereich insofern tolerant war, als dass er die private Religionsausübung gestattete, und dass unter seiner Herrschaft Teile des Volkes Israel aus dem Exil zurückkehrten.
Donald Trump ist jedenfalls weder dem historischen, noch dem biblisch bezeugten Kyros gleichzusetzen, sondern ein gewöhnlicher rechtsradikaler Populist, der obendrein eine Abneigung gegen fromme Christen pflegt. Wohl aber hat er sich unter den US-Evangelikalen durch die Berufung konservativer Richter an den Supreme Court und taktische Bauchpinselei hohe Zustimmung erworben. Weiße Evangelikale gehören zu seinen treuesten Anhängern, weil er ihren Rassismus und ihre Pluralismus-Ängste geschickt bespielt.
Trump zeigt sich den Evangelikalen, wie sie ihn sehen wollen und lässt ihre Fantasie den Rest erledigen. Dass ihr “Werkzeug Gottes” Frauen am liebsten ungefragt in den Schritt greift, außereheliche Affären führt, schutzlose Kinder ihren Eltern entreißt, auf Gewalt und rassistische Ideologen ebenso wie auf kraftmeierische Despoten abfährt – also alles in allem in Rhetorik, Habitus und Politik das exakte Gegenteil eines gerechten, christlichen Herrschers ist -, stößt ihnen kaum mehr auf.
Die Kyros-Analogie ist nichts anderes als eine Rationalisierungsstrategie, um genau diesen offensichtlichen Widerspruch vor sich selbst zu rechtfertigen. Als Waffe im Kulturkampf wird sie von evangelikalen Führern bewusst eingesetzt, um einen religiösen Wahn anzufeuern, der Donald Trump die Wiederwahl sichern soll. Hierbei erweist es sich abermals als nützlich, dass die US-Amerikaner wie selbstverständlich davon ausgehen, ähnlich wie das biblische Israel ein “auserwähltes Volk” zu sein. Spätestens bei der Übersetzung in den deutschen Kontext wird der inhärente Antisemitismus dieser Ideologie transparent.
Akteurinnen der christlichen Rechten
In der Kolumne “Die rechte Ecke” soll es erklärtermaßen weniger um rechte Ideologie oder Theoriebildung gehen, sondern um rechte Akteur:innen in Kirchen und Theologie. Sind evangelikale und/oder charismatisch geprägte Christen, die Kyros-Mythos oder Nationentheologie aufsitzen, automatisch rechte Christen?
Das wird man nicht von allen sagen können, die zum Beispiel Hammonds und Wentlands Video in den Sozialen Netzwerken einen Like oder wohlwollenden Kommentar spendierten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass vielen Zuschauer:innen die ideologischen Hintergründe verborgen bleiben. Predigten und insbesondere Gebete, die “von Herzen kommen”, entziehen sich szenetypisch der Kritik, weil die Protagonist:innen göttliche Inspiration für sich in Anspruch nehmen.
Das funktioniert trotz aller – auch evangelikaler – Warnungen vor Privatoffenbarungen immer noch erstaunlich gut. Besonders im Netz, wo Authentizität Vorrang vor redlicher Theologie genießt. Es ist hier nicht zuletzt an evangelikalen Theolog:innen gelegen, den haarsträubenden Ideologien entgegenzutreten, die im Namen ihrer Bewegung verbreitet werden. Hammond und Wentland sind jedoch ganz und gar keine Außenseiterinnen, sondern in der evangelikalen Bewegung hierzulande tief verwurzelt.
Inka Hammond ist nicht nur in den Sozialen Netzwerken sehr präsent – wo sie sich in den vergangenen Wochen zunehmend als “Corona-Kritikerin” positioniert (s.u.) -, sondern vor allem als Autorin der “Tochter Gottes”-Produkte im evangelikalen SCM-Verlag. Hammonds Jugend- und Kinderbücher werden mit großem Aufwand verlegt und für die Arbeit mit Kinder- und Jugendgruppen aufbereitet.
Ich frage mich immer: wenn es hier wirklich um unsere Gesundheit gehen würde, um das Wohl aller, dann würde man sich bemühen die Menschen dazu zu ermutigen, sich gesund zu ernähren, Zeit an der frischen Luft zu verbringen, Sport zu treiben, Gesellschaft zu genießen – all die Dinge, die unserem Immunsystem gut tun! Und nicht jeden Tag neue Schreckensmeldungen (die, ganz nebenbei gesagt, schlicht und ergreifend nicht stimmen) und eine völlig verzerrte Darstellung von Zahlen vermitteln. Dieser Virus hat eine Überlebensrate von fast 100% – das muss man sich mal überlegen. (Inka Hammond zur Corona-Pandemie auf Facebook)
Laut Verlag wurde ihr Buch “Tochter Gottes, erhebe dich” in kürzester Zeit zum Bestseller. Aufgrund der prominenten Positionierung im SCM-Verlagsprogramm werden ihre Bücher auf vielen Büchertischen ausgelegt und in Magazinen und Katalogen weit über die evangelikale Bewegung hinaus beworben.
Als Autorin beim rechtspopulistischen kath.net und Referentin beim Gebetshaus Augsburg und weiteren evangelikalen und charismatischen Vereinen erreicht sie regelmäßig ein fünfstelliges Publikum. Man übertreibt nicht, Hammond eine der führenden christlichen Autorinnen Deutschlands zu nennen.
Ihre Gesprächs- und Gebetspartnerin Gaby Wentland bewirbt sich selbst als “Pastorenfrau und Buchautorin”. Wentland wirkte 16 Jahre lang als Missionarin des pfingstlerischen “Propheten” Reinhard Bonnke in Afrika und leitet heute eine Gemeinde in Hamburg. Sie engagiert sich mit einem eigenen Verein gegen Menschenhandel, die dazu gehörigen Medien werden bei Gerth Medien vertrieben, einer Marke des SCM-Verlags.
Vor allem aber ist Wentland seit Jahren Mitglied im Hauptvorstand der Deutschen Evangelischen Allianz (DEA), der führende und “bewährte” Akteur:innen des deutschen Evangelikalismus umfasst und die Arbeit des evangelikalen Dachverbandes “leitet und verantwortet”.
In ihren Predigten und Gebeten hat so ziemlich alles einen Platz, womit sich in Krisenzeiten Aufmerksamkeit und Umsatz generieren lässt. Corona ist ihr eine Chance, die Gott den Menschen geschenkt hat. Mit Hinweis auf Exodus 15, 26 rät sie gar vom Besuch von Ärzten und wissenschaftlichen Diagnosen ab, denn “unheilbare Krankheiten können im Namen Jesu einfach weichen”. Die Bibel wird von ihr nach Gutdünken für die Verkündigung ihres Wohlstands-Evangeliums ausgeschlachtet. Auch ihre “Alltagssieger”-Community umfasst online tausende Nutzer:innen.
Bibel, Trump, Corona-Schwurbel
Corona-Schwurbler finden sich bei weitem nicht nur unter evangelikalen und charismatischen Christen, so ist erst vor kurzem der Pfarrer i.R. und Esoterik-Aficionado Jürgen Fliege auf einer “Corona-Demo” in München aufgetreten. Bei evangelikalen und besonders bei charismatischen Christen wird die “Corona-Kritik” allerdings theologisch durch eine “Geistheilungs”-Theologie aufgeladen und dadurch besonders gefährlich.
“Corona-Kritik” kann nicht per se als rechts gelten, auch wenn die mangelnde Abgrenzung vieler Akteur:innen gegenüber Rechtspopulisten und -Radikalen frappierend ist. Inzwischen sind alle rechten “alternativen Medien” auf den Corona-Schwurbel-Zug aufgesprungen und rechte Christen mischen dort kräftig mit. Corona hin oder her: Man muss Christen sicher nicht so weit entgegenkommen, ihre Trump-Begeisterung als etwas anderes als rechte Gesinnung misszuverstehen.
Hammond hat ihr Trump-Video inzwischen vom Netz genommen und beschwert sich bitterlich über einen “Shitstorm”, in den sie wegen der Aufnahme geraten sei. Zwar hat es unter dem Video auch Kritik gegeben, die meisten Zuschauer:innen äußerten sich aber per Like und Kommentar zustimmend. In einer Stellungnahme beharrt Hammond darauf, “Trump nicht als Retter oder Heiligen an[zu]sehen und auch in keiner Weise rassistisches und frauenfeindliches Gedankengut [zu] unterstützen”. Die nachträgliche Stellungnahme steht damit im krassen Kontrast zum Inhalt des Videos. Ob sich darin ein ehrlicher Gesinnungswandel ausdrückt, wird man abwarten müssen.
Ihren Leser:innen und Zuschauer:innen begegnen Hammond und Wentland weiterhin als treu-sorgende Mütter, die sich mit ganzem Herzen um das Wohlergehen ihres Publikums sorgen. Dauerlächeln und Emphase sollten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sie in die Ermunterung für Mädchen, junge Frauen und “Alltagssieger” rechte Ideologien verpacken. Hinter der familienfreundlichen Oberfläche und der Betonung wertkonservativer Erziehung und Lebensführung verbirgt sich eine hoch-politisierte Verkündigung, deren ideologische Zuspitzung den meisten Zuschauer:innen und Leser:innen möglicherweise verborgen bleibt.
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Ergänzung 23.10.2020, 18:15 Uhr:
Mit einem Schreiben, das von Ekkehart Vetter (1. Vorsitzender), Siegfried Winkler (2. Vorsitzender) und Reinhardt Schink (Generalsekretär) unterzeichnet wurde, reagiert die Evangelische Allianz am heutigen Freitag auf die Kritik am Video von Inka Hammond und Gaby Wentland:
“Zwar gehört Gaby zum Hauptvorstand der EAD – wie Kommentatoren auf FB bemerken – aber in dem Video hat sie nicht in dieser Funktion gesprochen und die EAD auch nicht erwähnt. […]
Es geht uns nicht primär um die inhaltliche Bewertung des aktuellen US-Präsidenten durch die beiden Sprecherinnen, sondern darum, dass hier ein Mann, den man sachlich kritisieren kann und muss, durch den Anspruch eines „Wortes von Gott“ einer Kritik weitestgehend entzogen wird, da Kritiker den Segen Gottes verlieren würden. Das Video lädt nicht zum Prüfen des prophetischen Wortes ein […], es enthält vielmehr den Absolutheitsanspruch, ein „prophetisches Wort für Deutschland“ zu sein. […] Dennoch teilen wir die Art und Weise, wie in dem Video ein prophetisches Wort weitergegeben wurde, sowohl methodisch als auch inhaltlich nicht.”
12 Kommentare zum Artikel
“Donald Trump ist … ein gewöhnlicher rechtsradikaler Populist”.
……………………………………………………………………………………………..
“gewöhnlich”, “rechtsradikal”:
solche Werturteile erwecken in mir Misstrauen.
Wenn jemand schreibt:
„…………..
„gewöhnlich“, „rechtsradikal“:
solche Werturteile erwecken in mir Misstrauen.
„
dann erweckt das in mir Misstrauen.
Das alles ist sehr fantasievoll. Gut, diese Damen scheinen gerade von Fantasie einen nicht geringen Überschuss zu haben.
Theologisch? Na ja, weniger, doch das ist ja dort, wo das “Charisma” daheim ist, oft so.
Dazu kommt die Nähe von Frau Wendtland zu dem Herrn Bonke, dessen merkwürdiges Traktat “Vom Minus zum Plus” nicht wenig Aufregung in manchen Kreisen der Gemeinden, gesorgt hat.
Aber was setzen wir, als Menschen, die eine verfasste Kirche und ihre Theologie vertreten, dagegen?
Ich habe nichts gegen den Gedanken, das ein Land, das unser Land, gemeinsam betet. Es betrifft ja eh nur jene Menschen, die Christen sind, wenn es hoch kommt.
Ich bin auch nicht verschlossen gegenüber dem Gedanken, das Gott uns, gerade nach dem zweiten Weltkrieg und dem Holocaust, in der Wende, eine Chance zum Neubeginn gab.
Falsch wäre es jedoch die Lehren aus dem, was unser Volk ins Unglück stürzte, zu vergessen.
Ich wünschte mir schon, das wir, als Kirche, die Hoffnung, die wir geschenkt bekommen haben, etwas deutlicher zur Sprache bringen würden.
Sehr gut, Philipp! Danke!
Die Kritik an einer “Nationentheologie” und einer Politisierung des Glaubens ist sehr berechtigt.
Dennoch wünsche ich mir, dass nicht ganze Gruppen für das Irrlichtern von Einzelpersonen haftbar gemacht werden. Die erwähnte Aktion “Deutschland betet gemeinsam” ist – wie jeder leicht überprüfen kann: https://www.youtube.com/watch?v=JCcANvd9h8I – weit entfernt gewesen von Nationentheologie, einer Politisierung des Glaubens oder von Corona-Leugnung.
Hier die Begrüßungsworte von Johannes Hartl, dem Leiter des Gebetshauses, zu dieser Aktion: “In einer Zeit von Social distancing wollen wir das Gegenteil tun mit unseren Herzen, nämlich ein Zusammenkommen der Herzen in dieser Zeit der Krise, und da ist das Gemeinsam wirklich das, worum es geht. Ein ganz herzlicher Gruß an alle Menschen in diesem Land, egal ob mit oder ohne deutschen Pass, ein ganz herzliches Willkommen an alle, die aus anderen Ländern zuschalten, ein herzliches Willkommen an Christen, die zu den unterschiedlichsten Kirchen gehören, ein ganz herzliches Willkommen, wenn Sie zu gar keiner Kirche gehören, wenn Sie zu einer anderen Religionsgemeinschaft gehören.”
Die Aktion war weltoffen und ökumenisch und enthielt Beiträge von katholischen, evangelischen, orthodoxen und freikirchlichen Christen, bis hin zu Bischöfen. Das war top!
Wir erleben ja gerade einen historischen Schwund an praktiziertem Glaubensleben – bisweilen lösen sich auch ganze Gemeinden auf -, und da ist es erfreulich, wenn es junge Bewegungen gibt, die sich zum Gebet treffen und Gott loben, danken und bitten.
Wir leben immer offensichtlicher in einem “säkularen Zeitalter” (Charles Taylor). Die historische Aufgabe von uns Christen ist von daher ganz einfach: Anhand des Evangeliums den Glauben an Gott, dem wir unser ganzes Dasein verdanken, wach zu halten.
Natürlich kann eine solche Lebenseinstellung von anderen als deviante politische Einstellung oder als unreflektierte Naivität wahrgenommen werden, aber da müssen wir jetzt durch.
Im Übrigen sehe ich sogar Win-win-Potenzial: Die jungen Gebetsinitiativen können von den Amtskirchen lernen, wie man Auswüchse vermeidet; und die Amtskirchen können von den Gebetsinitiativen lernen, wie eine lebendige Gottesbeziehung wieder in Schwung kommt.
Zu “Deutschland betet gemeinsam”, das in diesem Artikel ja nur en passant Erwähnung findet, ist, denke ich, (auch von mir) alles gesagt. Hier noch einmal der Verweis auf den damaligen Artikel: https://eulemagazin.de/deutschland-betet-fuer-das-juengste-gericht/
Damit sollte sich auch klären, welche Form der Ökumene dort gelebt wurde und insbesondere, ob der Claim der Veranstalter ein interreligiöses Gebet zu veranstalten, so haltbar ist.
Wir leben ganz und gar nicht in einem säkularen Zeitalter, immer mehr Menschen auf der Welt gehören einer Religion an und auch in Deutschland sehen wir zwar einen Rückgang bei der Kirchenmitgliedschaft, aber keinen beim Glauben. Das sind einfach zwei Paar verschiedene Schuh. Wohl leben wir in einer Zeit, da institutionelle Bindungen für die Menschen im globalen Westen weniger bedeutsam sind.
Umso wichtiger ist es, auch religiöse Bewegungen und ihre Lebensäußerungen kritisch zu hinterfragen und zwar gerade für Christ:innen selbst, die dieses Geschäft nicht einfach den allgemeinen Religionskritiker:innen überlassen sollten. Es ist also beileibe nicht so einfach, dass man sich hier und dort unter gleichwertigen Angeboten einfach mal was aussuchen kann, jedenfalls nicht, wenn man seinen Glauben verantwortlich leben will.
Als letzten Punkt: Auch in der vielgescholtenen “Amtskirche” gibt es mehr als genug – quantitativ (wenn es schon darum gehen soll) jedenfalls sicher mehr als in den sehr viel kleineren evangelikalen Freikirchen – lebendige Gottesbeziehungen. Nicht zuletzt sind ja reichlich Evangelikale aus guten Gründen genau dort Mitglied. Auch diese simplifizierende Gegenüberstellung von “alter” Kirche und “neuen” Gebetsbewegungen geht nicht auf. Mal ganz abgesehen davon, dass die Theologie der Pfingstbewegung so neu nun auch nicht ist.
Es stimmt, dass weltweit betrachtet die Zahl der Menschen, die einer Religion angehören, anwächst, v. a. von Christen und Muslimen in Asien und Afrika. Der Philosoph Charles Taylor hat in seinem Werk “Ein säkulares Zeitalter” eher Europa und Nordamerika im Blick. Für diesen Kulturraum konstatiert er, dass säkulare Weltdeutungen (die ohne Gott auskommen) in der Tendenz zunehmen.
Das ich auch recht gut belegt. Spiegel Online schrieb z. B. am 19.4.2019 unter der Überschrift “Christen und ihre Religion – Immer weniger Deutsche glauben an Gott”: “Nur 55 Prozent der Deutschen glauben heute noch an “einen Gott”. 2005, als dieselbe Frage gestellt wurde, lag der Anteil noch bei 66 Prozent. Das hat eine repräsentative Umfrage ergeben, die der SPIEGEL beim Institut Kantar Public in Auftrag gegeben hat. (…) Auch die weiteren Ergebnisse der vom SPIEGEL beauftragten Meinungsforscher zeigen, wie weit sich ein großer Teil der Kirchenmitglieder vom heißen Kern des Christentums entfernt hat. Auf ein Leben nach dem Tod, das aufrechten Gläubigen im Neuen Testament versprochen wird, hofft lediglich bei den Katholiken eine Mehrheit, die mit 53 Prozent bereits knapp geworden ist. 2005 waren es noch 65 Prozent.”
Noch fundierter findet man das bei Jean Twenge, die sich die Mühe gemacht hat, sozialpsychologische Langzeitstudien auszuwerten, u. a. zur Religion. Und auch wenn die Daten für die USA noch besser sind als die für Deutschland, gehen die Werte für “Glauben an ein Leben nach dem Tod”, “Glaube an göttliche Inspiration der Hl. Schrift” und “Glaube an Gott” seit etwa der Jahrtausendwende klar nach unten, insbesondere für die “Generation Internet”. Nicht nur die institutionalisierte Religion schwindet also, es schwindet auch Glaubenssubstanz. Eigentlich genügt ein ganz einfacher Test: Ist für mich das Ich die letzte und höchste Instanz – oder glaube ich, dass es noch jemanden gibt, der über diesem Ich steht? Und hier hat sich in den letzten Jahrzehnten im Westen schon etwas verschoben.
Damit ist natürlich nicht gesagt, dass es weiterhin religiöse Sehnsüchte gibt und neue Ausdrucksformen des Glaubens. Und natürlich gibt es auch lebendige Gottesbeziehungen in unseren Noch-Großkirchen (für die ich gerade sonntags sehr dankbar bin) – aber es ist ja auch nicht zu übersehen, dass hier eine demographische Uhr tickt: Die Glaubensweitergabe an die nächste Generation gelingt oft nicht mehr. Eltern fühlen sich damit überfordert, teils weil sie selbst in ihrem Glauben unsicher sind, teils weil die einschlägigen Skandale im Raum der Kirche den Blick auf den Glauben getrübt haben.
Johannes Hartl muss man es da hoch anrechnen, dass er in einem solchen Umfeld junge Leute für den Glauben gewinnen kann und dass er (vor Corona) Konferenzen mit tausenden jungen Christen auf die Beine gestellt hat.
Ich muss da an das Gleichnis vom Unkraut und dem Weizen denken, in dem die Knechte das Unkraut gleich ausreißen wollen. Jesus entgegnet aber: “Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte.” Wenn man bei jeder Erneuerungsbewegung nach Unkraut sucht, wird auch kein Weizen mehr wachsen.
Wir sollten der jungen Generation zugestehen, ihren religiösen Acker (auch auf unkonventionelle Weise) zu bebauen – und ich habe großes Zutrauen, dass da am Ende auch Gutes wachsen wird, vielleicht sogar mehr als erhofft. (Und das Unkraut dazwischen wird sowieso eingehen.)
Jedenfalls hat das Aussäen (d. h. das aktive Weitertragen oder Bezeugen des Evangeliums) momentan Vorrang vor einer allzu gründlichen Gartenpflege. Ich würde es sehr begrüßen, wenn sich liberale und konservative Christen (meinetwegen auch die Eule und das Gebetshaus Augsburg) an einen Tisch setzen und ihre Erfahrungen austauschen, wie sie die nächste Generation für das Evangelium gewinnen wollen.
Das wäre dann sogar Geschwisterlichkeit, wie sich Franziskus sie wünscht.
Bis zum jüngsten Gericht kann eine kritische Kirchenberichterstattung nicht warten mit der Urteilsbildung. Auch ist es nicht die Aufgabe der Eule Glauben zu säen. Ich glaube, Sie machen da einen – zumal in den evangelikalen und charismatischen Bewegungen häufig anzutreffenden – Kategorienfehler. Nicht nur ist die “gründliche Gartenpflege” dringend geboten, es gibt sogar extra dafür zuständige Institutionen in den Glaubensgemeinschaften und eben auch eine freie Presse, die sich mit niemanden an den Tisch setzen muss.
Ja, Sie haben Recht, ein Journalist darf eine beobachtende Perspektive einnehmen und muss nicht den Standpunkt haben, den einzelne Leserinnen und Leser sich wünschen. So gesehen war mein Wunsch etwas übergriffig. Entschuldigen Sie.
Ich hoffe und bete aber weiterhin, dass gerade unter Christen das Verständnis für die unterschiedlichen Glaubensformen wächst, und dass Ökumene auch orthodoxe und evangelikale Christen miteinschließt, die nun mal auch zu unserer religiösen Landschaft in Deutschland dazugehören. Die Gruppe der bekennenden Christen wird in unserer Gesellschaft kleiner und da ist dann Zusammenhalt wichtig. Kritik ist manchmal geboten, aber das wichtigste Gebot im Evangelium ist ein anderes.
Oh, ich glaube schon, das immer mehr Menschen auf der Welt religiös sind. Das liegt aber weniger an “Erweckung”, als an der Geburtenrate, die dort herrscht.
Natürlich “glauben” auch in der Mitte Europas, mehr Menschen, als man, wenn man die kirchlichen Statistiken ansieht, denken würde.
Sie glauben an Wiedergeburt. Sie glauben an “Karma”. Sie glauben dieses und jenes.
Wir geben ihnen nicht wirklich viel, was ihnen Trost und Hoffnung sein könnte. Viel zu viele Theologen tun sich selbst mit dem “glauben” schwer. Erst gestern erzählte mir jemand, das er in einem Gottesdienst in einer der großen Kirchen in Leipzig war, in der er und seine Frau mal getraut wurden. Er fühlte sich, wie in einer Wahlveranstaltung für den Leipziger OB. Letztlich fühlte er sich und seinen Gedanken, etwas tröstliches für sein Leben zu erfahren, verraten.
Ich bin, weiß Gott, kein Freund der Evangelikalen. Aber wenn ich zwischen einer freikirchlichen Predigt von der Hoffnung der Auferstehung und einer Wahlkampfrede für Jung wählen müsste, weiß ich, wie ich mich entscheiden würde.
Mir ist bewusst: Nicht alles in eine Soße rühren, ja…
Aber in diesem Beitrag von ZOOM werden die strategischen Verbindungen gewisser „rechter“ und „evangelikaler“ Personen deutlich miteinander verknüpft. Da wurde mir die Begründung der „Kyros-Theologie“ und ihre Folgen, wie sie hier Thema waren, nochmal erschreckend deutlich:
https://www.zdf.de/dokumentation/zdfzoom/us-wahl-2020-zdfzoom—dunkle-machenschaften-100.html
Ich möchte hier nur kurz auf die – für mich – sehr erhellende Studie “Make America Christian Again: Christian Nationalism and Voting for Donald Trump in the 2016 Presidential Election” hinweisen.
Hier werden verschiedene soziologische Studien aus den USA ausgewertet, die den Zusammenhang von Glaube und nationalistischen Einstellungen – speziel in Amerika – untersuchen. Im Grunde genommen ist die Studie eine soziologische “Erklärung” der Nationen-Theologie, die die Eule in diesem Artikel beschreibt.
Im Englischen Abstract zur Studie klingt das so: Why did Americans vote for Donald Trump in the 2016 Presidential election? Social scientists have proposed a variety of explanations, including economic dissatisfaction, sexism, racism, Islamophobia, and xenophobia. The current study establishes that, independent of these influences, voting for Trump was, at least for many Americans, a symbolic defense of the United States’ perceived Christian heritage. Data from a national probability sample of Americans surveyed soon after the 2016 election shows that greater adherence to Christian nationalist ideology was a robust predictor of voting for Trump, even after controlling for economic dissatisfaction, sexism, anti-black prejudice, anti-Muslim refugee attitudes, and anti-immigrant sentiment, as well as measures of religion, sociodemographics, and political identity more generally. These findings indicate that Christian nationalist ideology—although correlated with a variety of class-based, sexist, racist, and ethnocentric views—is not synonymous with, reducible to, or strictly epiphenomenal of such views. Rather, Christian nationalism operates as a unique and independent ideology that can influence political actions by calling forth a defense of mythological narratives about America’s distinctively Christian heritage and future.