Die Waffen müssen schweigen

Rüstung und Krieg gefährden den Frieden und die notwendige Bekämpfung der Klimakrise. Ostern sollte uns Anlass sein, über Alternativen nachzudenken.

Ostern – der Garant dafür, dass das Unmögliche möglich wird. Christ:innen sind eingeladen, aufzustehen und für das vermeintlich „Noch-nicht-Reale“ (U-topie) einzutreten. Es geht um Himmelsstürmer, es geht darum, „Gott zu bestürmen und alles dafür zu tun, dass die Welt Schritt für Schritt ihrer besseren Zukunft entgegen gebracht wird.“ (Friedrich- Wilhelm Marquardt).

Das bezieht sich auch auf die gegenwärtige sogenannte „Zeitenwende“. Bundeskanzler Olaf Scholz hat sie in seiner Regierungserklärung am 27. Februar 2022 in den Diskurs eingeführt. Nicht nur, dass sich verhärtete Machtblöcke feindlich gegenüberstehen und ein neues Wettrüsten beginnt, sondern auch dass tatsächlich Krieg in Europa ist, markiert diese Zeitwende – eine Zeitenwende, die so viel kaputt macht.

Krieg ist Gift – für die Demokratie und für jegliches Leben in Würde, Freiheit und Frieden. Krieg konterkariert jegliche Mühen für eine sozio-ökologische Transformation. Friedrich Kramer, Landesbischof der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) und Friedensbeauftragter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), hat es in seiner Ansprache bei der Friedensdemonstration beim Deutschen Evangelischen Kirchentag in Nürnberg 2023 so ausgedrückt:

„Jeder Krieg zerstört massiv die Umwelt. Er hinterlässt verseuchte Böden, Meere und Flüsse. Verbrannte Wälder und verminte Landschaften sind von den Menschen lange nicht mehr nutzbar. Es braucht viele Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte, um diese Schäden zu heilen. Und wenn davon ein Land wie die Ukraine betroffen ist. eine Kornkammer Mitteleuropas. dann droht auch Menschen im globalen Süden Not und Hunger.“

Krieg und Waffen zerstören die Transformation

Rüstung und Militär sind Klimakiller. Bruno Kern stellt in seinem neuesten Buch „Industrielle Abrüstung jetzt!“ dar, dass sie wahrscheinlich 5 bis 6% der Treibhausgasemissionen ausmachen. Und er wird deutlich:

„Ist dies in Bezug auf die Klimakatastrophe nun eine eher zu vernachlässigende Größenordnung? Keineswegs! Wäre das Militär ein Land, dann wäre es nach den USA, China und Indien der viertgrößte Emittent. Vor dem Hintergrund der verzweifelten Lage, in der wir uns inzwischen befinden, […] können wir uns dieses Ausmaß an Energie- und Ressourcenverschwendung nicht mehr leisten. Wenn wir uns noch eine geringe Chance bewahren wollen, die Folgen des Klimawandels zu begrenzen und einzuhegen, müssen wir uns zugleich von jeder militärischen Logik verabschieden.“

Unsere Ressourcen sind endlich und wir müssen uns beeilen unsere Wirtschaft zu dekarbonisieren. Wir haben weltweit, aber auch in Deutschland Armut und die sozio-ökonomische Ungleichheit nimmt immer stärker zu – sie gefährdet unsere Demokratie. Was für einen Impuls könnte man mit einem 100 Milliarden-Sondervermögen für die anstehende Transformation setzen, anstatt sie in die Rüstung der Bundeswehr zu investieren?

Mit den Worten von Hans-Martin Gutmann aus seinem neuesten Buch „Fatales Missverstehen“ geht es für die Menschheit „um die Rettung der weiteren Lebensmöglichkeiten auf unserem gemeinsam geteilten Planeten“. Wir können es uns nicht leisten, die endlichen Mittel der Natur in Tötungsmaschinerien zu investieren. Bernhard Trautvetter hat es in Jahresausgabe 2023 von Christ und Sozialist/ Christin und Sozialistin festgestellt:

„Jetzt schon geben die Nato-Staaten im Minutentakt fast 2,5 Millionen US-Dollar für den Militärsektor aus. Damit verbunden ist eine Ressourcenvernichtung und eine Zerstörung des Sozialstaates, Einsparung auf Kosten der Gesundheit, der Bildung und der Infrastruktur und Umwelt fehlen.“

Unser Wirtschaftssystem – Hass und Abgrenzung werden geschürt

Die Notwendigkeit des Kapitalismus, ständig wachsen zu müssen und immer weiter die eigenen Lebensgrundlagen zu gefährden, entfesselt den Kampf um Ressourcen. Sehr spitz mit Bruno Kern formuliert: „Eine Industrialisierung, die ihrem Hunger nach Ressourcen der ‚Selektion‘ bedarf, gerade weil ihr Wohlstandsniveau nicht universalisierbar ist – das ist der eigentliche Grund für den Nationalsozialismus.“ Wenn Krisen auf der Tagesordnung stehen, erhöht sich der Drang nach Abgrenzung, Nationalismus und Drangsalierung „des Anderen“.

Es ist strukturell bedingt, dass etwa auf Migrationsströme, die immer stärker klimabedingt mit verursacht sind, mit Gewalt, Grenzschutz und Aushöhlung von Menschenrechten reagiert wird. In einer Ausgabe der Zeitschrift Luxemburg (2022), in der es um die Ungepasstheit der gegenwärtigen Gesellschaften an die Klimakataststrophe geht, folgert Nick Buxton in seinem Beitrag:

„Flüchtende und Migrant*innen als Feinde zu sehen und entsprechend zu behandeln und der Aufruf, sie mit militärischen Mitteln zu bekämpfen – es sind nur die sichtbarsten Zeichen einer militärischen Bearbeitung der Klimakrise.“

Die Massenmigration wird als Bedrohung gesehen. Die reichsten Länder investieren laut Buxton doppelt so viel in Migrationsabwehr und Grenzsicherung als in die Finanzierung ihrer Klimaziele. Und weiter stellt er dar:

„Anstatt Finanzmittel für einkommensschwächere Länder bereitzustellen, die den durch die Klimafolgen vertriebenen Menschen die Möglichkeit geben, ein neues Leben aufzubauen, investieren die reichsten Länder in Maßnahmen, die Migration noch gefährlicher und noch tödlicher machen.“

Unsere Zukunft: Klimakriege?

Die „Anderen“ werden als Bedrohung gesehen und sollen maximal für die eigenen Ausbeutungsbedürfnisse instrumentalisiert werden. Facharbeiter:innen aber sind willkommen. Dabei wird die Konkurrenz zwischen Staaten und ganzen Machtblöcken befeuert. „Der Kampf um schwindende Ressourcen“ (Bruno Kern) entbrennt, weil der Wachstumszwang unserer neoliberalen Ökonomie Wettkampf und Feindseligkeit schürt. Unser Wirtschaftssystem gefährdet den Frieden. Es geht um die Macht über kleiner werdende Bodenschätze, die militärisch abgesichert werden sollen. Michael Müller kommt so zum Ergebnis, dass Klimakriege die Kriege der Zukunft werden könnten:

„Künftig sind […] erbitterte Verteilungskämpfe und vor allem ‚Klimakriege‘ zu erwarten, denn die Folgen der negativen Synergien, die sich aus der Erderwärmung, Ressourcenverknappung, Hyperindustrialisierung, Überbevölkerung und sozialen Ungleichheit in den Lebenschancen des neoliberalen Kapitalismus ergeben, werden, wenn es nicht schnell zu radikalen Strukturreformen kommt, unser Leben prägen.“

Die Arbeit an der sozio-ökologischen Transformation, die sich nach wirtschaftlichen Formen jenseits der gegenwärtigen neoliberalen Ausuferungen ausstreckt, ist so verstanden gleichzeitig Friedensarbeit. Wer Verteilungs- und Klimagerechtigkeit unterstützt und mit Ressourcen klug und sparsam umgeht, fördert Stabilität, Sicherheit und ein friedliches Zusammenleben. Wenn hingegen die „Ursachen der Klimakrise nicht angegangen werden, muss auch das bewaffnete Rettungsboot [einer abgeschotteten Europäischen Union] am Ende sinken.“ (Nick Buxton)

Je mehr Waffen der kapitalistische Expansionszwang im Umlauf bringt, desto höher steigt die Gefahr einer Eskalationsspirale. „Das gilt genauso für den privaten wie für den öffentlichen Bereich, wie wir an den unzähligen shootings in den USA […] sehen können.“ (Friedrich Kramer)

Es gibt Alternativen: Ziviler Ungehorsam

Schnell wurde gerade in Anbetracht des kriegerischen Überfalls Russlands auf die Ukraine alternativen (oder gar pazifistischen) Herangehensweisen Realitätsferne und Naivität vorgeworfen. Krieg und Aufrüstung seien alternativlos.

Benjamin Isaak-Krauß, Pastor einer Mennonitengemeinde in Frankfurt am Main und Vorstandsmitglied der internationalen Menschenrechtsorganisation „Community Peacemaker Teams“, stellt bemerkenswerte Zusammenhänge dar. Sowohl in der Jahresausgabe 2022 von Christ und Sozialist / Christin und Sozialistin als auch hier in der Eule hatte er für Strategien zivilen Ungehorsams geworben.

Eine zentrale Rolle für seine Argumentation spielt die Studie „Why Civil Resistance works. The strategic logic of conflict“ – durchgeführt von Erica Chenoweth und Maria Stephan aus dem Jahr 2011 (PDF). 323 Aufstände im Zeitraum von 1900 bis 2006 wurden untersucht. Davon waren 218 bewaffnet und 105 gewaltfrei. Analysiert wurde, wie erfolgreich Aufstände und Revolutionen gewesen waren. Unter erfolgreich wird verstanden, dass eine Besatzung beendet ist, ein Territorium unabhängig wird oder der Machthaber abtreten muss. Isaak-Krauß fasst die Ergebnisse der Studie so zusammen:

„Zwar scheiterten sowohl gewaltfreie als auch gewaltsame Aufstände gegen militäri­sche Besatzungen oder autoritäre Regime deprimierend oft, allerdings waren gewalt­freie Bewegungen im Schnitt etwa doppelt so erfolgreich wie gewaltsame (53 % im Vergleich zu 25 %). Außerdem bemerkten sie, dass selbst im Falle eines Scheiterns die langfristigen Konsequenzen gewaltfreier Bewegungen eher Richtung Demokratie wiesen, während gewaltsame gescheiterte und erfolgreiche Revolutionen die Chancen von Bürgerkriegen oder Diktaturen erhöhten.

Diese empirischen Erkenntnisse widerlegen die weitverbreitete und auch in den kritischen Beiträgen zur ‚neuen Friedensethik‘ unhinterfragte Annahme, im Angesicht skrupelloser Autokraten helfe nur noch Gewalt. Im Gegenteil, die Entscheidung auf die militärische Verteidigung zu setzen, reduziert die Erfolgschancen erheblich!“

Ziviler Ungehorsam bzw. „Soziale Verteidigung“ ist eine realistische Option und sie geht keineswegs mit Ineffektivität einher. Sie können trainiert und angeeignet werden.

Ostern: Nach Alternativen suchen

Gewiss, niemand kann Wege zivilen Ungehorsams anderen Menschen vorschreiben. Zumal, wenn man nicht direkt betroffen ist. Für solche Mittel werben, darf man aber allemal. „Wir müssen sie wahrnehmen, ihnen den größten Respekt zollen und von ihnen lernen“, erklärte Landesbischof Kramer auf dem letzten Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Strategien abseits von militärischen Handlungen bedeuten gerade nicht, dass kein Widerstand geleistet wird.

Selbstverständlich stößt auch die Praxis des zivilen Ungehorsams auf zahlreiche Situationen des Dilemmas, eine Garantie auf Erfolg gibt es nicht. Es muss aber gefragt werden, ob ein Aufrüstungs- und Stellungskrieg in der Ukraine, der seit Februar 2022 wütet, tatsächlich Leid mindern, die Anzahl von Toten verringern und Frieden schaffen kann. Die Chance auf Verhandlungen rückt in immer weitere Ferne. Wird sich um sie noch ernsthaft bemüht? Mit den Worten des Sozialethikers Franz Segbers:

„Die ultima ratio militärischer Gewaltanwendung bedeutet zunächst, einzugestehen, dass die Politik und Diplomatie gescheitert sind. Gewaltanwendung im Sinne einer ultima ratio sind jedenfalls erst dann, und zwar nur dann verantwortungspazifistisch zu legitimieren, wenn sie begrenzt sind, nur für eine befristete Etappe gelten, nicht von einer Konfliktpartei, sondern von der UNO legitimiert zum Einsatz kommt und nachdem zuvor wirklich alle gewaltlosen und zivilen Konfliktlösungsversuche gescheitert sind.“

Frieden braucht andere Mittel als Aufrüstung. Die Waffen müssen schweigen und abgebaut werden. Für die Rettung unserer Schöpfung sind Investitionen in Bomben und Militär Gift. Ostern lädt uns ein, nach Alternativen militärischer Praxis zu suchen und sich für diese einzusetzen – gerade im Zeitalter der Tipping Points. Als katholischer Referent für Friedensfragen in der DDR hatte es Joachim Garstecki auf dem Evangelischen Kirchentag in Erfurt im Juni 1988 in Anbetracht des Rüstungswahnsinns und der atomaren Bedrohung im Kalten Krieg so ausgedrückt:

„Vielleicht liegt die größte Herausforderung [der Christ:innen] an die Politik darin, den Raum des Denkens und Handelns offenzuhalten für das, was heute, politisch gesehen, [vermeintlich] noch gar nicht ‚geht‘. Sicherheitspolitik muß in diesem Sinne für ihre eigene Selbst-Überwindung arbeiten, damit sie leisten kann, was sie eigentlich erreichen will: einen Frieden, der nicht mehr durch Waffen geschützt werden muß.“ („Die Verantwortungsgemeinschaft der beiden deutschen Staaten für den Frieden und der Beitrag der Christen“)


Kolumne „Tipping Point“

In unserer Kolumne „Tipping Point“ schreibt Tobias Foß über die sozial-ökologische Transformation. Welchen Beitrag können Christ:innen und Kirchen leisten? Welche Probleme müssen bewältigt werden? Welche Kipppunkte gilt es in Theologie und Glaubensleben wahrzunehmen?

Mit „Tipping Point“ wollen wir in der Eule an Fragestellungen im Licht der Klimakrise dranbleiben. Dabei stehen nicht allein Klima- und Umweltschutz im Zentrum, sondern auch die Auswirkungen von Klimawandel und Umweltzerstörung auf unser Zusammenleben. Die Klimakrise verändert schon jetzt unsere Gesellschaft(en). In „Tipping Point“ geht Tobias Foß diesen Veränderungen auf den Grund und beschreibt Ressourcen und neue Wege.

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