#DiePassion: Ein Hoch auf Jesus
„Die Passion“ auf RTL schockierte und bewegte viele Menschen. Eule-Redakteur Philipp Greifenstein hat das Musical-Event für uns angeschaut und nachgefragt:
Am Mittwochabend schockierte, erheiterte und bewegte #DiePassion auf RTL viele Menschen in Deutschland. Fast drei Millionen Menschen verfolgten das Musical-Event, bei dem die biblischen Passionsgeschichten in Essen in „modernem Gewand“ erzählt wurden: „Vor 2000 Jahren zog Jesus auf einem Esel in Jerusalem ein, in Essen 2022 nimmt er den Bus.“ Ich habe mir das Fernseh-Event als Redakteur des Magazins für Kirche, Politik und Kultur auftragsgemäß angeschaut und live auf Twitter kommentiert. Was lässt sich über dieses denkwürdige Ereignis mit gewonnenem Abstand sagen?
Erfolg
„2,91 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer entschieden sich ab 20:15 Uhr für die Übertragung aus Essen, sodass der Marktanteil beim Gesamtpublikum überzeugende 11,1 Prozent betrug“, informiert das Branchenmedium DWDL. Nicht nur das: RTL hatte mit „Die Passion“ vor allem in der Zielgruppe der Zuschauer:innen mit einer formal hohen Bildung Erfolg, bei Frauen und bei der Jugend: „Mehr junges Publikum erreichte am Mittwoch nur die ‚Tagesschau‘“.
Die Quoten setzen vor allem jene Beobachter:innen aus Kirchen und digitaler Öffentlichkeit (Twitter) ins Unrecht, die in „Die Passion“ eine Verhackstückelung der Passionsgeschichte für ein Unterschichtenpublikum gesehen haben. Nach der Logik dieser, zumeist bildungsbürgerlich geprägten, Kommentator:innen ist alles, dem der Geruch allzu leichter Zugänglichkeit anhaftet, von vornherein einer ausführlichen und darum auch kritischen Betrachtung unwürdig. Das Argument gibt es gleichwohl auch in seiner paternalistischen Überformung, nach der derlei Events Mitgliedern der Arbeiterklasse unbedingt zu gefallen haben. Kritik wird dann gerne als Klassismus geframed.
Als authentisches Kind der Arbeiterklasse mag ich weder Kitsch noch deutschen Schlager-Pop, Telenovelas und Soaps. Das macht mich nicht zu einem besseren Menschen, sondern in erster Linie zu einem anstrengenden Gesprächspartner. So ziemlich alles an der konkreten Gestaltung des Passions-Musicals hätte mir darum nicht gefallen dürfen, ich fand es schlussendlich aber gar nicht so schlimm.
Im Grunde haben wir es hier nämlich mit einem klassischen Fall des Erwartungsmanagements zu tun. Wer an „Die Passion“ in der Erwartung herantrat, mit Hochkultur konfrontiert zu werden, musste natürlich enttäuscht werden. Stattdessen begegnete dem/der Zuschauer:in deutsche Leitkultur, zu der eben gehört „Ein Hoch auf uns“ zu singen, wenn man fröhlich ist, und Andreas Gabaliers „Amoi seg ma uns wieder“ zu Rate zu ziehen, wenn es ans Trauern geht. Wer das alles unterschiedslos abkanzelt, hat am Ende gar kein Instrumentarium mehr zur Hand, mit dessen Hilfe er die wirklich schlimmen Dinge benennen kann („Wenn ein Lied meine Lippen verlässt“).
Smell-the-Fart-Acting und Identifikationsangebote
„Die Produzenten haben ernstgenommen, dass die Geschichte auch eine religiöse Dimension hat, die über das Beziehungsgeschehen der Protagonisten hinausgeht, und die Christen anders wichtig ist“, hat Pfarrer Jan Vicari beobachtet. Vicari ist Pfarrer an der Essener Marktkirche und hat gemeinsam mit der katholischen Theologin Theresa Kohlmeyer den Schlusssegen auf der großen Bühne gesprochen – da waren die Fernsehkameras längst aus.
Sowohl die Testimonials der Kreuzträger:innen, die auf einer Art Prozession durch Essen zogen und immer wieder nach ihren persönlichen Beweggründen und Geschichten befragt wurden, als auch die Erzählung der Beziehungen zwischen den Protagonisten im eigentlichen Skript waren darauf angelegt, Identifikationsfiguren für die Zuschauer:innen anzubieten. Eine legitime Erzähltechnik, die im Falle von Petrus, Judas und Maria auch aufging. „Diese Beziehungen, wie zwischen Jesus und Petrus oder auch seiner Mutter Maria, finde ich sehr wichtig. Jesus war auch wahrer Mensch und die Figuren der Bibelgeschichte haben richtige Gefühle“, erklärt Vikari gegenüber der Eule: „Ich glaube, das ist sehr gut durchgedrungen. Natürlich können sich Menschen so auch mit den Protagonisten identifizieren.“
Laith Al-Deen (Petrus), Ella Endlich (Maria) und vor allem Mark Keller (Judas) lieferten ab. Ich weiß nicht, ob es fürs Burgtheater reichen würde, aber die genretypische Darstellung („Smell-the-Fart-Acting“) beherrschten sie gut. Die Presseankündigungen im Vorfeld des Events ließen hingegen Schlimmstes befürchten: Eine Reihe von Fernsehpersonal und C-Promis sollte die Szenerie ausstaffieren. Tatsächlich wurden die Cameos von Reiner Calmund & Co. überraschend geschmackvoll untergebracht.
Mehr muss man zum Schauspiel, das durchaus an Anspiele aus Jugendgottesdiensten erinnerte, eigentlich nicht sagen, außer dass in den spärlichen Dialogen die eingestreuten Bibelworte besonders herausstachen. Das wird beim Großteil der dann doch nicht so unfrommen Zuschauer:innen Wiedererkennensmomente ausgelöst haben, aber auch religiös unmusikalischen Menschen dürfte die sprachliche Qualität und erfrischende Abständigkeit der Bibelpassagen aufgefallen sein.
Emo-Quark an der Stadl-Grenze
Im Zentrum des Fernsehevents aber stand sicher die Musik. Und an der Idee, deutschsprachige Pop-Songs und Schlager zu verwenden, stößt sich auch vernehmlich die Kritik. Wurde dadurch die Passionserzählung trivialisiert? Ich glaube nicht. Die Zuschauer:innen konnten auch hier Mitschwingen und die bekannten Melodien als erstaunlich passend wahrnehmen.
Das gilt auch für die Liedtexte, die von den Produzenten im Großen und Ganzen sinnfällig eingesetzt wurden. „Das Schlusslied des Auferstandenen – „Halt dich an mir fest“ von Revolverheld – war die perfekte Steilvorlage für uns“, erzählt Vicari. „Möge Gott dich festhalten, wenn dein Leben dich zerreißt“, rief Kohlmeyer beim Schlusssegen den Menschen zu, „Möge Gott dich festhalten, wenn du nicht mehr weiter weißt“, ergänzte Vicari. Kitschig, ja, aber kitschiger als irische Segenssprüche?
Zwei veritable Fails fanden sich jedoch unter den gewählten Songs: Udo Jürgens‘ „Immer wieder geht die Sonne auf“, dargeboten von Endlichs Maria, nahm zwar die aus Osterliedern bekannte Lichtmetaphorik auf, überschritt allerdings die Stadl-Grenze. Daran änderte auch die bewusst herunterkalibrierte Darbietung nichts. Und „Wenn ein Lied meine Lippen verlässt“ von den Söhnen Mannheims (Songwriter: Xavier Naidoo / Michael Herberger) gehört in meinen Augen in den Giftschrank deutscher Popmusik. Es ist schlimmer, wirklich schlimmer Emo-Quark, der obendrein vom Schwurbler Naidoo zusammengerührt wurde. Diese Reminiszenz hätte man sich gerne sparen können.
Frommes Personal vor und hinter den Kulissen
Der Rückgriff auf Naidoo erklärt sich natürlich dadurch, dass für „Die Passion“ das ehemalige Söhne-Mitglied Michael Herberger als musikalischer Direktor tätig war. Die den Söhnen eigene Mischung aus Emotionalisierung, biblischen Motiven und charismatischer Frömmigkeit fand sich auch an anderen Stellen der Inszenierung wieder: Insbesondere bei den Teilnehmer:innen der Prozession, die ihre Lebensgeschichten mit zum Teil emphatischen Glaubenszeugnissen verbanden. Die Produzenten hatten im Vorfeld nach Freiwilligen gesucht, ein Überhang auf der „frommen Seite“ war darum zu erwarten. Wer das peinlich findet, muss beim nächsten Mal halt selbst hingehen.
In diesen Momenten wurde ansichtig, dass die unterschiedlichen Akteure durchaus verschiedene Ziele mit „Die Passion“ verfolgten: Herbergers Crew mag ihre Beteiligung als missionarischen Einsatz verstanden haben. RTL war sichtlich froh, etwas für ein erwachsenes Publikum jenseits von Trash im Programm zu haben. Insofern passte „Die Passion“ hervorragend in die Senderstrategie, vermehrt auf seriösen und wholesome Content zu setzen. Und Künstler wie Alexander Klaws (Jesus) sahen in „Die Passion“ wohl vor allem die Möglichkeit, vor einem Millionenpublikum aufzutreten. Why not?
Übrigens wurde im Verlauf des Events, das – wie die Veranstalter und Moderator Thomas Gottschalk mehrfach betonten – alles, nur um Himmels Willen kein Gottesdienst sein sollte, durchaus gepredigt. Und zwar so, wie man es insbesondere der evangelischen Kirche gerne zum Vorwurf macht, nämlich ganz auf das moralische Richtigverhalten abgestellt. Henning Baum in der Rolle des Pilatus und Gottschalk lieferten bündige Predigt-Miniaturen ab, von deren Komposition Prediger:innen allerdings durchaus etwas lernen können: Kürze und Verständlichkeit vor allem.
„Wir haben bei den Produzenten eine große Offenheit dafür wahrgenommen, dass sich die Kirche im Umfeld engagiert. Wenn sich die Kirche zu solchen Anlässen öffnet, dann entsteht Raum für Kontakte zu Menschen, die sonst eher fern bleiben“, ist sich Marktkirchenpfarrer Jan Vicari sicher. „Die Passion“ wird im kommenden Jahr wohl in einer anderen deutschen Stadt wiederholt. Nach dieser Premiere spricht wenig dagegen und viel dafür, dass sich die großen Kirchen am Ort nicht nur am Rande, sondern gerne auch im Programm stärker engagieren.
Dissonanzen am Rande
Es gibt auf deutschen Freilichtbühnen jedenfalls deutlich peinlichere Winnetou-Darbietungen als diese Darstellung der Passionsgeschichte in Essen. „Wahrscheinlich schon im ersten Jahrtausend n. Chr. war es üblich, dass die Passionsgeschichte in einer Art Sprechgesang während des Gottesdienstes vorgetragen wurde. Um diese Deklamation lebendiger zu gestalten, wurde in verschiedenen Rollen gesungen“, erklärt Theologin Andrea Hofmann in ihrem Durchgang durch die Matthäuspassion von Johann Sebastian Bach (hier in der Eule). An diese Tradition knüpft auch „Die Passion“ bewusst oder unbewusst an.
Dabei ist es den Produzent:innen gelungen, die gefährlichsten Klippen einer Passionsinszenierung zu umschiffen: Weder war bei RTL ein Splatter-Fest a’la Mel Gibsons „Die Passion Christi“ zu erleben, noch tappte man in die zahlreichen Antisemitismus-Fallen, die der biblische Text bei oberflächlichem Verständnis eben auch stellt. Gibsons Passion ist voll von antisemitischen Motiven, von denen auch Bachs Johannespassion nicht frei ist. Zwar rief auch in Essen das Volk „Kreuzigt ihn!“, um überhaupt keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, wurde Jesu‘ und des Volkes Judentum jedoch vollständig umschifft; zum Preise dessen, dass Jesus bereits vor seinem qualvollen Tod als entrückter König einer anderen Welt geframed wurde.
Bedauerlich ist es, dass Klaws im Nachgang des Events erstaunlich unsouverän mit der Kritik der Theologin Sarah Vecera umging, die in Anlehnung an ihr aktuelles Buch „Wie ist Jesus weiß geworden?“ (s. #LaTdH vom vergangenen Sonntag), auf Instagram bei ihm nachfragte, wie er sich als weißer Jesus denn so fühle. Seiner ersten pampigen Antwort folgte noch ein Gespräch bei yeet, dem „Sinnfluencer:innen“-Netzwerk des Gemeinschaftswerkes der evangelischen Publizistik (GEP), dem Medienwerk der EKD. So wahnsinnig überzeugend ist das alles nicht, und man fragt sich, ob nicht ein so professionell inszeniertes Event bei der Außenkommunikation offenbar an der falschen Stelle gespart hat. Vielleicht tut auch ein wenig mehr professionelle theologische Beratung Not.
Kann man die Rolle des Jesus mit einem weißen Enddreißiger besetzen? Natürlich. Aber aus der Grundidee der Produktion, die biblische Geschichte konsequent ins Essen des Jahres 2022 zu übertragen, hätte sich auch die Möglichkeit ergeben, die Rolle von einem PoC, vermutlich mit türkischem Familienhintergrund, spielen zu lassen. Das hätte der historischen Situation des Galiläers jedenfalls mehr entsprochen.
„Raus aus der Bubble“
Die Kirche solle „Raus der Bubble“ fordert die Präses der EKD-Synode Anna-Nicole Heinrich immer wieder. Events wie „Die Passion“ zeigen, welches Potential die Kirchen ungenutzt lassen, wenn sie sich auf eine hochkulturelle Darstellung ihrer Geschichten beschränken. Dabei war „Die Passion“ bei weitem nicht so mutig und einzigartig, wie es die Produzenten häufig genug erklärten. Der Unterschied zu den inzwischen zahlreichen Kirchen-Musicals war marginal.
Man kann die Passion Christi respektvoll auch mit deutschen Popliedern erzählen. Das sagt mehr über die Universalität der Geschichte aus als über die Qualität der Darbietung. „Wir haben die Wirkung dieser Geschichte nicht unter Kontrolle. Aber wir geben Teil an unserer Hoffnung, dass Gott auch im Leben der Zuschauer:innen spürbar wird“, erklärt Jan Vicari seine Motivation, mit dem Schlusssegen Teil von „Die Passion“ gewesen zu sein.
Und was die Bubble angeht? „Ich gehöre ja nicht zur Zielgruppe“, habe ich als entschuldigende Einordnung des eigenen Missfallens dieser Tage häufig gehört. Sicher? Auf dem Essener Marktplatz waren jedenfalls nicht wenige Menschen zugegen, die sich beim Schlusssegen bekreuzigten. Thomas Gottschalk immerhin war sich sicher: „In einer Zeit, in der viele Menschen den Halt verlieren“, brauche es die Passionsgeschichte.