Essay Die USA unter Trump

Eine Bischöfin als Prophetin

Bischöfin Mariann Edgar Budde predigte zum Amtsantritt Donald Trumps. Ihre prophetischen Schlussworte gingen viral und werden doch nur im Kontext iher Predigt verständlich. Über wahre Gemeinschaft und Prophet:innen:

Die leisen Schlussworte der Predigt hallen weit über die National Cathedral in Washington hinaus. Auf Social-Media-Plattformen gehen sie bereits Minuten nach dem Gottesdienst viral. Die Predigt von Bischöfin Mariann Edgar Budde über Zusammengehörigkeit, Wahrheit, Demut und Barmherzigkeit erfährt ein enormes mediales Echo, weil sie am Ende ihrer Predigt den vor ihr in der ersten Bankreihe sitzenden Donald Trump direkt anspricht.

Ihr Schlussappell an den neuen US-Präsidenten, Barmherzigkeit walten zu lassen, wurde vieltausendfach geteilt, als mutige Widerrede zu den ersten Anordnungen der neuen US-Regierung und als Geste des Widerstands gegen den Trump-Nationalismus interpretiert. Um den kurzen Redeausschnitt richtig zu verstehen, ist es jedoch notwendig, den Kontext der gesamten Predigt Buddes mitzubetrachten. Ihr Appell muss als religiöse Rede und als prophetisches Wort verstanden werden.

Denn in ihren Schlussworten kommt Bischöfin Budde auf jene Botschaften zurück, die sie in der Predigt zuvor entfaltet hat: Die Bedeutung von Menschenwürde, Wahrheit und Demut für eine wahre Gemeinschaftlichkeit (engl. unity). Auch eine politische Predigt, die sich kunstvoll der Rhetorik bedient, bleibt religiöse Rede. Darum lohnt es sich, sie als solche ernst- und wahrzunehmen. Andernfalls läuft man Gefahr, ihre tatsächliche Botschaft misszuverstehen oder gar abstrusen Fehlinterpretationen aufzusitzen, wie der, die Bischöfin habe „Trump um Gnade angefleht“.

Den Schlussappell, so hat es Budde nach dem Gottesdienst der New York Times gegenüber erklärt, habe sie erst gegen Ende der wochenlangen Arbeit an der Predigt für den offiziellen Amtseinführungsgottesdienst in das Manuskript aufgenommen. Angesichts der Ankündingungen von Donald Trump in seiner Antrittsrede habe sie sich gefragt, ob irgendjemand etwas darüber sagen würde, in welche Richtung sich das Land nun offensichtlich bewege: „Was anyone going to say anything?”

Eine Predigt zur rechten Zeit und am richtigen Ort

Budde erkannte, dass sie als Predigerin während des bewusst interreligiös angelegten Einführungsgottesdienstes dafür Gelegenheit haben würde. Sie sah nicht nur die Möglichkeit, das Wort zu ergreifen, sondern sich als Christin, Pastorin und Bischöfin sogar in der Pflicht, von der Kanzel der National Cathedral aus „den Mächtigen die Wahrheit zu sagen“. „Speaking truth to power“ ist eine gewaltfreie politische Aktionsform, wie sie in der Nachfolge der alttestamentlichen Propheten von Quäkern und protestantischen Kirchen in den USA und anderen Bürger:innenrechtler:innen weltweit geübt wurde und wird.

Budde ist Bischöfin von Washington der Episkopalkirche in den Vereinigten Staaten, einer Kirche der Anglikanischen Weltgemeinschaft. Die Episkopalkirche gehört zu den sog. protestantischen Mainline Churches, die das geistige und geistliche Leben Nordamerikas bereits vor der Gründung der USA und seither prägten, aber in den letzten 50 Jahren rapide an Kirchenmitgliedern eingebüßt haben. Heute sind nur noch 1,5 Millionen der 335 Millionen US-Amerikaner:innen Mitglied der Episkopalkirche.

Die Mainline Churches sind, bei aller Unterschiedlichkeit ihrer konfessionellen Traditionen, theologisch auf Wellenlänge mit den evangelischen Landeskirchen in Deutschland. Viele Gemeinden sind betont LGBTQI+ affirming, d.h. offen für die Mitgliedschaft von LGBTQI+, und kümmern sich mit Sozial- und Nachbarschaftsprogrammen um Migrant:innen, Obdachlose und Süchtige. Religionsgemeinschaften und christliche Gemeinden spielen bei der Unterstützung von armen und benachteiligten Menschen, migrantischen Gemeinschaften und People of Color in den USA eine besonders bedeutsame Rolle, weil die Wohlfahrt in den USA in viel größerem Ausmaß auf das private und gemeinschaftliche Engagement der Bürger:innen angewiesen ist als in Europa, wo sich starke Sozialstaaten entwickelt haben.

Bisher boten Religionsgemeinschaften und Kirchen auch „illegalen Migrant:innen“ Schutz. Bei einer Sonntagsmesse in Mexiko-Stadt äußerte auch der römisch-katholische Erzbischof von Chicago, Kardinal Joseph Cupich, seine Sorge über die von der Trump-Regierung angekündigten Razzien und Festnahmen von Migrant:innen in Kirchen. Er forderte die Beibehaltung einer Regelung der Biden-Regierung, derzufolge Festnahmen von Migrant:innen in Kirchen und Gemeinden nicht zulässig sind.

Die Predigt

Auf dem YouTube-Account der National Cathedral steht die gesamte Predigt von Bischöfin Mariann Edgar Buddes zum Anschauen zur Verfügung (s.u.). Die Kameraeinstellung wechselt nicht zwischen ihr und den Zuhörer:innen, unter ihnen Präsident Donald Trump, Vizepräsident J.D. Vance und ihre Familien. Das hier eingebundene Video startet bei den viel diskutierten Schlussworten, es ist aber möglich an den Beginn der Predigt zurückzuspulen. Unter dem Video stellen wir ein Transkript des Schlusswortes auf Englisch und eine deutsche Übersetzung zur Verfügung.



+ Transskript Schlusswort auf Englisch

+ Übersetzung Schlusswort auf Deutsch


In den Stunden und Tagen seit der Predigt wurde viel über Bischöfin Mariann Edgar Budde, ihre Predigt und die öffentlichen Reaktionen von Präsident Trump und weiteren Akteur:innen berichtet und diskutiert. Trump beschwerte sich über den „gemeinen Ton“ ihrer Ansprache, nannte Budde eine „sogenannte Bischöfin“ und eine „linksradikale Trump-Hasserin“, der gesamte Gottesdienst sei eine öde Angelegenheit gewesen. Die Bischöfin habe sich stellvertretend für ihre Kirche unbotmäßig in die Politik eingemischt. Akteur:innen der Christlichen Rechten in den USA, wie Franklin Graham, kritisierten Budde und äußerten weitere Verleumdungen. Ein republikanischer Abgeordneter forderte, Budde auf eine „Deportationsliste“ zu setzen. Die BILD und weitere rechtsblinkende Medien schrieben, die Bischöfin habe Trump „attackiert“.

Die Überzeichnungen und Verleumdungen wird jede:r, der:die sich die Zeit nimmt, Budde auch nur wenige Minuten zuzuhören als unwahr erkennen und zurückweisen. Einige Kirchenvertreter:innen und viele Christ:innen verteidigten sie und ihre Predigt auf den Social-Media-Plattformen. Dort fanden die Schlussworte der Predigt auch unter nicht-religiösen Menschen ein großes Publikum. Viele Menschen bewundern die „Rede“ und die Bischöfin als „mutig“. Manche Kommentator:innen schrieben davon, Budde habe ihr „Gnadengesuch“ mit „bebender Stimme“ vorgebracht.

Es liegt in der Natur des Predigens, dass die Prediger:in die Reaktionen auf das gesprochene, dargestellte Wort nicht vollständig lenken kann. Es liegt mir fern, persönliche Rezeptionen der Predigt für falsch zu erklären. Ich trage hier meine eigenen Beobachtungen ein, also die eines fernen Beobachters, der sich aber mit christlicher Predigt ausführlich auseinandergesetzt hat – auch und besonders mit der Form rhetorisch geprägter religiöser Rede, wie sie Bischöfin Budde im Gottesdienst zur Amtseinführung gehalten hat.

Ich habe eine rhetorisch geübte, wohlüberlegte Predigerin gehört, die auch und insbesondere ihre Stimme zum Instrument ihrer Predigtkunst gemacht hat. Was als wegbrechende oder bebende Stimme gehört werden kann, ist meinem Eindruck nach nichts anderes als eine absichtsvolle Kontrastierung ihrer prophetischen Worte mit dem in den USA (und anderswo) üblich gewordenenen Geschrei und Gezänk des politischen Theaters. Wer durchdringen will, der:die kann nicht einfach lauter brüllen als alle anderen, sondern muss zu flüstern beginnen.

Die Kraft der Geschwisterlichkeit

Ich habe eine durchkomponierte Predigt gehört, die um die Grundidee der unity kreiste. Ein Wort, das wir nur unzulänglich ins Deutsche übersetzen können. Auch in den Kirchen hierzulande wird viel vom „Zusammenhalt“ gepredigt, aber unity ist mehr und anderes. An entscheidenden Stellen ihrer Predigt und auch im Schlusswort rekurriert Budde auf die Gemeinschaften des Glaubens, die die US-amerikanischen Gesellschaft prägen. Das ist mehr als ein Verweis auf den interreligiösen Charakter des Gottesdienstes und auf den Anspruch der National Cathedral, „ein Gebetshaus für alle“ sein zu wollen. Die religiösen Communities haben in ihrer Predigt Subjektcharakter.

Menschen kommen bei Budde nicht als einzelne oder vereinzelte Individuen in den Blick, sondern als Glieder von Gemeinschaften, aus denen sich die größere nationale Gemeinschaft zusammensetzt. Darum sind ihre Schmerzen, Sorgen und Ängste zugleich die Schmerzen, Sorgen und Ängste ihrer Gemeinden und Communities – und werden zum Makel der nationalen Gemeinschaft. Buddes Predigt kreist nicht um „Zusammenhalt“ oder „Gemeinsinn“ in einem wohl emphatischen, aber allgemeinen Sinne, sondern um eine Gemeinschaftlichkeit, wie sie dem Christentum und vielen weiteren religiösen Traditionen zugrunde liegt.

LGBTQI+ und Migrant:innen, die Budde ausdrücklich erwähnt, sind in diesem Bild nicht „nur“ Mitbürger:innen oder Mitmenschen, sondern Mitgeschöpfe, Schwestern und Brüder. Die Mitgeschöpflichkeit aller Menschen transzendiert Unterschiede von politischer Einstellung, religiöser Orientierung, Geschlecht, Sexualität und Herkunft, doch nicht „nur“ in einem auf die individuelle Würde der Einzelnen abstellenden Sinn, sondern in einem gemeinschaftlichen Sinn (engl. communal).

Trotzdem Buddes Predigt durch ihre Bezüge auf Mitgeschöpflichkeit und Gemeinschaftlichkeit dezidiert offen ist für die Beteiligung von Menschen anderer Religion und von Nicht-Gläubigen, ist sie darüber hinaus zutiefst von einer christlichen Vorstellung von Gemeinschaftlichkeit geprägt, wie sie uns bereits im Neuen Testament begegnet und im Verlauf der Christentumsgeschichte immer wieder neu von vielen Menschen entdeckt und gelebt wurde.

Christliche Gemeinschaft ist aufgrund der Gottesebenbildlichkeit aller Menschen Verbundenheit mit anderen Menschen als Geschwistern und Gemeinschaft mit Jesus Christus: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Geschwistern, das habt ihr mir getan.“ (Matthäus 25, 40) Der Apostel Paulus beschreibt diese spezifisch christliche Gemeinschaft im 1. Brief an die Gemeinde in Korinth im Bild von einem Leib mit vielen Gliedern (1. Kor 12, 12-31):

„Aber Gott hat den Leib zusammengefügt und dem geringeren Glied höhere Ehre gegeben, auf dass im Leib keine Spaltung sei, sondern die Glieder einträchtig füreinander sorgen. Und wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied geehrt wird, so freuen sich alle Glieder mit. Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ein Glied.“ (1. Kor 12, 24b-27)

Die eigentümliche Kraft von Buddes Predigt scheint mir zunächst in der besonderen historischen Situation des Predigtanlasses zu liegen, also in der Sehnsucht der Hörenden nach klärenden, wahrhaftigen Worten in erschreckender Lage und unsicherer Zeit. Sodann in der Form ihrer Predigt als leisem, demütigen Appell. Also durch den Kontrast der Rede zum sonst üblichen Geplapper und Geschrei im öffentlichen Leben, der durch Wortwahl, Klugheit, Komposition und Redestil der Predigt geschaffen wird. Und nicht zuletzt darin, dass Budde an Vorstellungen und Erfahrungen erlebter Gemeinschaftlichkeit anknüpft, die für viele Zuhörer:innen religiösen Hintergrund haben, also keineswegs allgemein und appelativ, sondern spezifisch und persönlich sind.

Die Kraft wahrer Gemeinschaftlichkeit

Deutsche Zuhörer:innen, allzumal jene ohne Bezug zu Glauben und religiöser Gemeinschaft, hören diese vielschichtigen Bezugnahmen in Buddes Predigt, so scheint es, vielleicht noch als gefühlsbetontes Beharren auf Menschenwürde und Solidarität. Als solche vermögen sie noch immer zu rühren. Doch haben sie ihre Kraft, wahre Gemeinschaft zu stiften, zu einem großen Teil eingebüßt, weil die Quellen, aus denen sie sich speisen, nicht mehr gekannt und erinnert werden.

Die Bischöfin erwähnt die Moscheegemeinden, Tempel und Kirchen in ihren Schlussworten nicht umsonst: Es sind in diesen Tagen in den USA und anderswo die Gemeinden der Gläubigen, die ihren Geschwistern Schutz versprechen und bieten – und in denen um unity gerungen wird. Die Predigt rechnet mit Gemeinschaften, die Verantwortung übernehmen, weiter übernehmen werden und für Menschen einstehen. Auch und gerade dann und dort, wo einzelne fehlbare Menschen an Kraft einbüßen und die Hoffnung verlieren.

Buddes Predigt ist das jüngste Kapitel einer Tradition, die um die Macht gottgewirkter Gemeinschaft weiß und aus der Geschwisterlichkeit der Menschen konsequente, auch radikale Schlüsse zieht. Es ist dies eine andere Traditionslinie des Christentums in den USA, als diejenige, deren christlichen Nationalismus wir in dieser Zeit so häufig beobachten können. Buddes Predigt weiß darum, dass christlicher Glaube mehr und anderes bedeutet als der individuelle Erlösunsglauben, wie er von evangelikalen und charismatischen Mega Churches verkündigt wird. Ihre Predigt wurzelt in der collective action (kollektives Handeln) der Black Theology und in einem US-Protestantismus, der beharrlich an ein „besseres Amerika“, eine „more perfect union“, an ein Land mit einer (göttlichen) Bestimmung glaubt. „Mach dir Sorgen um deinen Bruder“, erklärte Martin Luther King in seiner Rede „I’ve Been to the Mountaintop“ am Vorabend seiner Ermordung: „Lasst uns eine gefährliche Selbstlosigkeit entwickeln“.

„Für unity lässt sich zu feierlichen Anlässen leicht beten“, erklärt Budde gegen Ende ihrer Predigt. „Es ist viel schwieriger, wenn wir mit tatsächlichen Unterschieden klarkommen müssen, in unserem privaten Leben und im öffentlichen Leben. Aber ohne unity bauen wir das Haus unserer Nation auf Sand.“ (s. Matthäus 7, 24-29) Auf festen Grund baut hingegen, wer wahre Gemeinschaftlichkeit stiftet, predigt Budde. Die Grundlagen wahrer Gemeinschaft (unity), auf die sie im vorletzten Satz ihrer Ansprache refrainartig verweist, entfaltet sie im Mittelteil der Predigt.

Würde, Wahrheit, Demut

Die Bischöfin identifiziert in den heiligen Texten drei solche Grundlagen:

1) Das Hochhalten der Würde aller Menschen, die in der Gottesebenbildlichkeit begründet liegt. Daraus folgen der Verzicht darauf, politische Gegner zu dämonisieren, und die Bereitschaft dazu, wann immer möglich Kompromisse zu finden.

2) Wahrheit sowohl im Privaten als auch im gesellschaftlichen Diskurs. Denn nur Wahrhaftigkeit führt zu wahrem Verständnis füreinander und nicht zu einem Einverständnis der Wenigen über vermeintliche Wahrheiten, die in Partikulargruppen geglaubt werden. Wer die Wahrheit weiß und sie nicht sagt, der versündigt sich, erklärt die Bischöfin. Die Wahrheit müsse gesagt werden, auch wenn dies bedeute, persönlich Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.

3) Demut. Alle Menschen bedürfen der Einübung in Demut, weil alle Menschen fehlbar sind. Es muss Platz für guten Selbstzweifel geschaffen werden, die Möglichkeit, nicht richtig zu liegen.

Es sind diese Gedanken, die auch im prophetischen Schlusswort der Predigt wieder auftauchen. Ohne den weiteren Kontext der Predigt erscheinen diese Worte womöglich als vergebliches Flehen. Als eine Bitte um Gnade gegenüber einem doch demokratisch gewählten Präsidenten, als ob er ein von Gottes Gnaden ernannter Herrscher wäre.

Die prophetischen Worte von Bischöfin Budde wurzeln in der Predigt und in der Verkündigung nicht allein des Christentums, sondern zahlreicher religiöser Traditionen: Gnade, Barmherzigkeit, Würde, Wahrheit und Demut. Das sind Worte, die in Predigten hierzulande selten so kräftig und selbstverständlich benutzt werden, wie in dieser Predigt. Sie sind auch unserem politischen Diskurs entrückt, der sich (noch) nicht so unglaublich überhitzt hat wie in den USA. Es sind Worte, die an eine lange Tradition des Glaubens in Gemeinschaft ermahnen, lebensweise Worte. Worte, die nicht leichtfertig in den politischen Diskurs geworfen werden sollten, in dem es zunächst um das Austarieren unterschiedlicher Interessen und den demokratischen Wettstreit von Ideen, Parteien und Personen geht.

Religion und Politik: Ein prophetisches Wort

Buddes Predigt wurde in den vergangenen Tagen vor allem als politische Intervention, als politische Rede verstanden. Vielleicht ist dies auch eine Eigenheit des deutschen Diskurses, der regelmäßig Schwierigkeiten damit hat, religiöse Rede als solche wahr- und ernstzunehmen (s. „Gott ist queer“ von Pastor Quinton Ceasar auf dem Kirchentag 2023). Die Predigt und auch den Schlussappell Buddes ihrer religiösen Dimension zu entkleiden, bedeutet jedoch mittelbar auch, der Argumentation von Donald Trump – und vieler Rechtsradikaler zu unterschiedlichen Anlässen – auf den Leim zu gehen, derzufolge es sich um unbotmäßige und unzulässige Einmischungen in „die“ Politik von Seiten „der“ Kirche handele, die doch bei ihrem „Kerngeschäft“ von Spiritualität und Seelsorge bleiben solle.

Spiritualität und gesellschaftspolitische Verantwortung sind jedoch im Christentum aufeinander bezogene Größen. Diakonie und Verkündigung überschneiden sich. Seelsorge ohne die Sorge um die systemischen Ursachen von Leiden bliebe bloßes Verbinden der Wunden, die Menschen in unserer gefallenen Welt geschlagen werden – und die sie sich gegenseitig zufügen.

Bischöfin Budde auf der Kanzel der National Cathedral während ihrer Predigt (Bild: Screenshot / YouTube National Cathedral)

Die Grenze von Politik und Religion, die für liberale Demokratien fundamental ist, insofern damit die Gleichberechtigung aller Bürger:innen unabhängig von ihrer Glaubensüberzeugung und Religionszugehörigkeit gemeint ist, hat nicht Bischöfin Budde übertreten. Sie wird vor allem von jenen christlichen Nationalisten unter den weißen US-Evangelikalen und -Katholiken bekämpft, die nun wegen Buddes Predigt Zeter und Mordio schreien.

Der „Make America Great Again“-Kult um Trump ist in diesem endzeitlich aufgeladenen Kampf nur die jüngste Zuspitzung. Im Kern geht es um einen Nationalchauvinismus, der christlich verbrämt wird. Trump wird wahlweise als Wiedergänger Kyros des Großen, also als ungläubiger Bewahrer des wahren Glaubens, oder gleich als Messias des weißen, christlichen Amerikas verehrt.

Auf dem Glauben der Evangelikalen und Charismatiker an die USA „als eine christliche Nation“, der ja Anker in der civil religion des gesamten Landes hat („One Nation under God“ heißt es im Treueschwur), auf diesem spezifisch christlichen amerikanischen Exzeptionalismus hat Trump sein Imperium der Lügen aufgebaut, dem zufolge er der einzige Retter des wahren Christentums und des wahren Amerikas ist. Alle anderen Christentümer – u.a. der aufgeklärte Patriotismus der Mainline Churches sowie die „ultramontane“ Weltkirchlichkeit der römisch-katholischen Kirche – erscheinen Trump und den seinen als Abirrung vom wahren Glauben.

Nur vor diesem Hintergrund wird verständlich, warum Trump Budde als eine „sogenannte Bischöfin“ bezeichnet, obwohl es in den non-denominational Churches des MAGA-Kosmos (etwa: bekenntnis-ungebunden, ohne Anbindung an Kirchenbünde), „zahllose selbsternannte Bischöfe, Propheten und Apostel“ gibt, wie Sarah Posner, Expertin für die Christliche Rechte in den USA, auf Bluesky bemerkte. Nur im Kontext dieses Kampfes um die Zukunft des Christentums (in den USA) wird verständlich, warum rechte Medien und Beobachter davon sprechen, Trump wäre in der Kirche „attackiert“ worden – durch eine Predigt, die jesuanische Tugenden pries.

In diesem Kontext ist es auch bedeutsam, dass Budde gleich zu Beginn ihres Appells an Trump auf dessen öffentliches Bekenntnis zu sprechen kommt, das Attentat auf ihn vom Sommer 2024 sei durch göttliche Fügung fehlgeschlagen („As you told the nation yesterday, you have felt the providential hand of a loving God.“) Mit providence wird in der christlichen Theologie die göttliche Vorsehung bezeichnet. Bischöfin Budde erinnert Trump daran, was er Gott und den Menschen schuldig ist, wenn er sich tatsächlich als von Gott gerettet empfindet.

Die Predigt Buddes muss die MAGA-Kultler provozieren, weil sie tatsächlich prophetische Rede war, keine Wahrsagerei, wie sie in charismatischen Mega Churches praktiziert wird. Buddes Predigt und Schlussworte waren deshalb prophetisch, weil sie im Angesicht der Mächtigen der Wahrheit und Gerechtigkeit das Wort redete. Buddes Schlussappell ist, auch wenn er erst spät dem Manuskript hinzugefügt wurde, eine Performance, ein Exempel dessen, was sie zuvor in ihrer Predigt erklärt hat.

Wenn Prophet:innen sprechen

Wenn eine Prophetin auftritt, dann ist die Lage hoffnungslos. Gott selbst sendet seine Prophet:innen, so erzählen es die heiligen Schriften, in aussichtslose Lagen. Nicht mit der Erwartungshaltung, dass ihnen zugejubelt werde, dass ihnen Verständnis und Achtung entgegen gebracht würde. Aber doch mit der Forderung, auf sie zu hören, sich von ihren Botschaften herausrufen zu lassen. „Es ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der HERR von dir fordert, nämlich Gottes Wort halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott.“ (Micha 6,8) Wahre Prophet:innen erinnern an ewige Wahrheiten, an Gottes gute Setzungen, und rufen zu Gerechtigkeit und Barmherzigkeit auf. Und nur deshalb können sie auch in einer Haltung eschatologischer Entspanntheit lächeln und lachen.

Prophet:innenworte werden in den Wüsten unserer Welt gesprochen und nur selten live im Fernsehen übertragen. Sie werden, um es deutlich zu sagen, üblicherweise auch nicht von Vertreter:innen der institutionalisierten Religion gesprochen. Das Prophet:innen-Amt ist im Ersten wie im Zweiten Testament nicht an die sakrale (exklusiv männliche) Macht gebunden. Doch macht es Buddes Predigt keineswegs weniger „mutig“, dass sie aus der relativen Sicherheit heraus spricht, die ihr Bischofsamt in der Episkopalkirche bedeutet, letztlich ihre Einbindung in die institutionalisierte Gemeinschaft der Kirche. Prophet:innen rufen seit alttestamentlichen Zeiten die Mächtigen zur Ordnung. Und das ist nie einfach und erfordert immer Mut.

Prophet:innenworte kommen von der Seite, aus der Niedrigkeit der Welt. Darum ist die „Gnadenbitte“ der Bischöfin auch keine undemokratische Unterwerfung unter einen Gott-Kaiser-Präsidenten, sondern eine Darstellung in Wort und Geste, wie Gott selbst in der Welt wirksam wird: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig“. (2. Kor 12, 9) In jenen, die demütig werden, die sich nicht zu schade sind zu flehen, zu bitten, zu beten.

Wenige Stunden nach dem Gottesdienst in der National Cathedral hat Präsident Donald Trump die Regelung der Biden-Regierung außer Kraft gesetzt, der zufolge Migrant:innen ohne Aufenthaltstitel nicht in Hilfseinrichtungen, medizinischen Einrichtungen, Schulen und in Kirchen und Gebetshäusern festgenommen werden dürfen.


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