Kirche

Missbrauch: EKD will Betroffenenbeirat aussetzen

Die EKD plant, die Arbeit des erst im Herbst vergangenen Jahres eingesetzten Betroffenenbeirates auszusetzen. Interne Konflikte und die Rücktritte von fünf Mitgliedern ließen eine Weiterarbeit nicht zu. Die Hintergründe:

Wie aus einem internen Dokument der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hervorgeht, das der Eule vorliegt, plant der Beauftragtenrat zum Schutz vor sexualisierter Gewalt den im Herbst 2020 zusammengetretenen Betroffenenbeirat auszusetzen. In der Beiratssitzung am kommenden Montag sollen die verbliebenen Mitglieder des Betroffenenbeirates dieser Entscheidung zustimmen.

In den vergangenen Wochen sind aus dem EKD-Betroffenenbeirat weitere drei Mitglieder zurückgetreten. (Über die vorausgegangenen Rücktritten hatten wir in der Eule bereits berichtet.) Die EKD sieht dadurch im Betroffenenbeirat „leider nicht mehr die ganze Bandbreite von Perspektiven Betroffener abgebildet, sodass zurzeit eine Weiterarbeit des Betroffenenbeirates nicht möglich ist“. „Aufgrund von internen Konflikten“ sei es „zu einer Spaltung des Gremiums gekommen“, außerdem bestünden konzeptionelle Defizite.

Bereits am 23. April hat man den Betroffenenbeiräten einen „Neustart der Betroffenenpartizipation“ vorgeschlagen, dem die Mitglieder ursprünglich auf einer Sitzung in der vergangenen Woche zustimmen sollten. Wie der SPIEGEL berichtet, erwirkten drei der sieben verbliebenen Mitglieder des Gremiums vermittels anwaltlicher Hilfe eine Verschiebung der Entscheidung auf den kommenden Montag – und damit kurz hinter die Tagung der neuen EKD-Synode, die sich am heutigen Freitag konstituiert.

Wie stellt sich die EKD den „Neustart“ vor?

Die EKD schlägt den Betroffenen für die Übergangszeit der „Neuordnung“ vor, die Betroffenenbeteiligung auf anderem Wege sicherzustellen. Wie aus dem internen Schreiben hervorgeht, ist dabei an schriftliche Stellungnahmen zu einigen der in Verhandlung stehenden Projekte des 11-Punkte-Handlungsplans der EKD gedacht.

Für diese einzelne Prozesse, wie die neue Musterordnung für Anerkennungsleistungen (wir berichteten) oder die Evalution der Zentralen Anlaufstelle .help (wir berichteten), will die EKD schriftliche Stellungnahmen bei Betroffenen anfordern, die sich dazu bereit erklären. „Die Stellungnahmen werden in den Entscheidungsprozessen berücksichtigt“, heißt es im Vorschlag der EKD. Für ihren Aufwand sollen die Betroffenen ausweislich des Dokuments mit 350 € pro Arbeitstag, im Falle der Mitarbeit an der Musterordnung, die mit drei Tagen veranschlagt ist, also mit 1 050 €, entschädigt werden.

Ein noch verbliebenes Mitglied des Betroffenenbeirats soll nach der Vorstellung der EKD auch weiterhin an den Verhandlungen mit dem Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig, um eine „Gemeinsame Erklärung“ teilnehmen. Diese Erklärung soll dem Vernehmen nach noch im Sommer 2021 veröffentlicht werden.

Über die Inhalte der „Gemeinsamen Erklärung“ konnte im Verlauf des Jahres 2020 kein Einverständnis mit dem UBSKM hergestellt werden. Mit der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) hatte der UBSKM bereits im April 2020 eine solche Erklärung abgegeben, nach der nun die Aufarbeitungsbemühungen in den römisch-katholischen (Erz-)Bistümern sukzessive ausgerichtet werden.

Die Aufarbeitung in der evangelischen Kirche ist ins Stocken geraten

Die Aufarbeitungsbemühungen der Evangelischen Kirche sind merklich ins Stocken geraten. Eine im Herbst 2019 in den EKD-Gremien verabredete Gewaltschutzrichtlinie wurde bisher nur von einigen der 20 evangelischen Landeskirchen in Kirchenrecht überführt. Die Corona-Pandemie zwingt die Landessynoden dazu, verkürzt und/oder digital zu tagen, sodass komplexe Gesetzgebungsverfahren verzögert werden.

Einer der wichtigsten der 11-Punkte, die sich die EKD bei der Bearbeitung sexualisierter Gewalt in ihren Kirchen und Diakonischen Werken vorgenommen hat, ist die Betroffenenbeteiligung. Ein EKD-Betroffenenbeirat konnte aber erst im Sommer 2020 unter großen Schwierigkeiten einberufen werden. Zunächst hatten sich nicht genügen Interessent:innen für eine Mitarbeit bereitgefunden.

Im EKD-Betroffenenbeirat sind Betroffene aus unterschiedlichen evangelischen Tatkontexten (z.B. Diakonie, Heimerziehung, Gemeinde, Jugendarbeit) vertreten, darunter auch Personen, die in einem Anstellungs- oder Dienstverhältnis mit evangelischen Landeskirchen, den Gliedkirchen der EKD, stehen und/oder deren Aufarbeitungsverfahren innerhalb der evangelischen Kirche noch nicht abgeschlossen sind. Die Diskussion um womögliche Loyalitätskonflikte begleitet den Betroffenenbeirat seit seiner Konstituierung im September 2020.

Seit der Konstituierung des Gremiums haben die Betroffenenbeiräte mehrere systemische Gründe für die Dysfunktionalität des Beirates identifiziert und in einem eigenen Positionspapier dem Beauftragtenrat übermittelt. Zentrale Forderungen aus diesem Papier wurden bisher nicht umgesetzt (wir berichteten).

Wie die EKD auf Nachfrage der Eule bereits Anfang der Woche mitteilte, führe „der Beauftragtenrat zurzeit Gespräche mit den zurückgetretenen und den verbliebenen Mitgliedern des Betroffenenbeirats, um die Situation im Betroffenenbeirat zu klären“, aus diesen laufenden Gesprächen wolle man nicht berichten.

Erfolg der Aufarbeitung nur mit den Betroffenen möglich

In einer Pressemitteilung von heute reagiert die EKD auf die Berichterstattung im SPIEGEL. Der Sprecher des EKD-Beauftragtenrates zum Schutz vor sexualisierter Gewalt, Landesbischof Christoph Meyns (Braunschweig), äußert darin seine Sorge ob der seit dem letzten Herbst in schneller Folge erfolgten Rücktritte aus dem Betroffenenbeirat.

Er weist außerdem darauf hin, dass „zudem aus dem Gremium heraus selbst ein Antrag auf Auflösung gestellt“ wurde. Wie die Eule erfahren hat, hatte ein Mitglied des Betroffenenbeirats einen dementsprechenden Vorschlag dem Beauftragtenrat bereits vor einigen Wochen unterbreitet. Ein Ansinnen, von dem sich andere Betroffenenbeiräte auf einer darauffolgenden Sitzung des Gremiums distanzierten.

Wie es mit dem EKD-Betroffenenbeirat weitergeht und wie die Beteiligung von Betroffenen bei Aufklärung, Aufarbeitung und Prävention sexuellen Missbrauchs innerhalb der Evangelischen Kirche sichergestellt werden kann, wird die nächste Sitzung des Betroffenenbeirates am Montag zeigen. Immerhin ist die Mitarbeit von Betroffenen auch bei den regionalen Aufarbeitungskommissionen vorgesehen, die Gegenstand der Verhandlungen mit dem UBSKM sind.

Im ersten Punkt des 11-Punkte-Handlungsplans der EKD heißt es zur Mitarbeit von Betroffenen: „Wir brauchen ihre Erfahrung bei allem, was wir im Bereich Aufarbeitung und Prävention tun.“ Bischöfin Kirsten Fehrs, damals Sprecherin des Beauftragtenrates, sprach 2019 auf der EKD-Synode über die Notwendigkeit der Betroffenenperspektive für die Arbeit an allen elf Punkten des Handlungsplans, die eine übergeordnete Querschnittsaufgabe bei den Aufarbeitungsbemühungen sei. Eine erfolgreiche Umsetzung der 11 Punkte sei elementar: „Und dies wiederum ist nicht möglich ohne die Partizipation von betroffenen Menschen.“