Eltern & Kinderlose: Leben in verschiedenen Welten?

Sollten Kinderlose stärker finanziell belastet werden, weil sie schließlich keine Kinder großziehen? Was wir verlieren, wenn wir die Verantwortung für Kinder ausschließlich Eltern auflasten

Alle Jubeljahre diskutieren wir es neu: Wann, wie und wo sollten kinderlose Menschen in unserer Gesellschaft stärker zur Kasse gebeten werden als Eltern? Natürlich ist dieses Thema auch jetzt wieder aufgepoppt, denn aufgrund der angespannten Wirtschaftslage wird es gerade für Familien finanziell eng. Es macht einfach einen Unterschied, ob du einen Kühlschrank für fünf Leute füllen musst oder nur für ein bis zwei.

Absurd ist die Diskussion in meinen Augen dennoch, und zwar, weil sie einer gesellschaftlichen Entwicklung entspringt, die wir heute als gegeben und natürlich hinnehmen, die es aber die längste Zeit der Menschheitsgeschichte gar nicht hätte geben können: Nämlich, dass nur die Eltern die Verantwortung für ihre Kinder übernehmen und kinderlose Menschen per se, zumindest was das Großziehen der nächsten Generation angeht, keinerlei Verpflichtungen haben.

Zwei getrennte Welten

Irgendwann, meist ab dem Alter, in dem Menschen normalerweise beginnen, sich fortzupflanzen, kann man diese Entwicklung beobachten. Einstige Freund:innen:kreise lösen sich auf und Menschen verschwinden in verschiedene Sphären: Kinderlose in ihre Welt und Eltern in ihre ganz eigene, die plötzlich größtenteils aus Fürsorgearbeit besteht. Berührungspunkte scheinen immer weniger zu werden.

Wir sind schnell geneigt, die Gründe hierfür einseitig bei den Menschen ohne Nachwuchs zu suchen. Sie gehen zu wenig auf die frischgebackenen Eltern ein, können halt nicht verstehen, dass diese nun anders leben und stellen insgesamt völlig unrealistische Erwartungen an gemeinsame Aktivitäten und den Fortbestand der Freundschaft.

Und ja, schaue ich auf mein Leben als Mutter zurück, dann fällt mir die eine oder andere Episode ein, die dazu passen will. Ich könnte zum Beispiel von dem Freund erzählen, der tödlich beleidigt war, als ich ihm mitteilte, dass ich mich als Mutter nicht in der Lage sah, am 23. Dezember abends an einer 250 Kilometer entfernten Party teilzunehmen, die er schmeißen wollte, weil am nächsten Tag nun einmal Heiligabend war und ich eine Familie daheim habe.

Anderseits erlebe ich aber auch, dass gerade frischgebackene Eltern ihre kinderlosen Freunde sehr schnell aus dem Blick verlieren, wenn diese nicht (wie meine beste Freundin damals zum Glück) wöchentlich mit hilfreichen Händen und Schoko-Schoko-Schoko-Kuchen vor der Tür stehen. Oft sind unsere Erwartungen da nämlich sehr einseitig: Unser Leben hat sich um 180 Grad gedreht und das müssen jetzt gefälligst alle mitmachen.

Ansonsten sind sie raus. Die Wochenenden verbringen wir lieber mit der netten Familie aus der Krabbelgruppe als mit Single Ida, der wir erklären müssten, warum wir uns nicht zwischen 12 und 14 Uhr, sondern entweder davor oder danach treffen können. Wie es Ida damit geht, dass um sie herum alle Kinder bekommen und neue Wege gehen, während sie „zurückbleibt“, ist eine Frage, die in unseren müden Köpfen ebenfalls wenig Platz findet.

Wir haben also durchaus unseren Anteil daran, dass die Welten von Eltern und Kinderlosen oft Lichtjahre voneinander entfernt sind.

Komplette Individualisierung und Separierung

Doch diese Entfernung wäre menschheitsgeschichtlich bis vor einem Wimpernschlag nicht möglich gewesen. Denn da wäre Ida nicht unsere verständnislose Singlefreundin, sondern unsere Schwester, Cousine, Nichte oder Nachbarin gewesen. Wir hätten ihr nicht erklären müssen, wie unser Kind tickt und warum dieses und jenes gerade nicht geht: Sie wüsste es, weil sie selbstverständlich in unseren Alltag eingebunden wäre. Ihre helfenden Hände würden gebraucht. Und auch sie selbst würde sich die Frage gar nicht stellen, ob sie lieber eine Party schmeißen oder babysitten möchte, denn sie wäre Teil einer Gemeinschaft, in der man Kinder zusammen aufzieht.

Was in Jäger- und Sammlerzeiten Grundvoraussetzung für das Überleben von Menschenkindern war – die kooperative Aufzucht des Nachwuchses – wurde mit der Sesshaftwerdung des Menschen immer weniger. Die heutige komplette Individualisierung und Separierung ist aber ein Lebensmodell, dass nicht mal unsere Großeltern in dieser Schärfe kannten.

Umso erstaunlicher, dass die meisten von uns diesen Zustand ganz unhinterfragt annehmen, obwohl er niemandem nützt. Kinderlosen nimmt er die Erfahrung des Verbundenseins mit der jungen Generation und den Raum, eigene väterliche und mütterliche Seiten, die wir alle in uns tragen, leben zu dürfen. Kindern nimmt er die wertvolle Erfahrung, von verschiedenen Persönlichkeiten geprägt und getragen zu werden. Doch gerade mit dieser Erfahrung geht Lern- und Empathiefähigkeit einher und sie ist wichtig, damit sich soziale Wesen entwickeln. Eltern zu guter Letzt nimmt sie hilfreiche Hände und jemanden, der Versorgung leisten kann, wenn sie es einmal nicht können.

Aus Liebe und Verbundenheit handeln

Ich glaube, hätten wir diese engen Bande, bräuchten wir gar nicht darüber diskutieren, wer wann wie und wo mehr bezahlen muss, damit wir den Nachwuchs gut und sicher groß bekommen. Menschen, die sich von Anfang an mit an die kleinen Lebewesen binden durften, lassen sie nicht hängen. Kinderlose Freunde können nämlich ein großer Gewinn für alle sein, wenn sie sich auf uns einlassen: Auf einmal wären da in unserer Mitte Menschen, die über andere zeitliche und oft auch finanzielle Ressourcen verfügen würden als wir. Stellen wir uns mal eine Minute lang vor, was wäre, wenn sie die in unsere Kinder investieren würden. Nicht, weil ein Staat sie dazu zwingt, sondern weil sie es aus Liebe und Verbundenheit tun wollen.

Nun werden wir das Rad nicht in die Jäger- und Sammlergesellschaft zurückdrehen können oder in einer globalisierten Welt die Verbundenheit alter Großfamilien und Clans schaffen – das Aufbrechen solcher Strukturen hatte ja, nebenbei bemerkt, auch viele positive Seiten. Vielleicht können wir im Kleinen anfangen, die Sphären wieder stärker miteinander zu vermischen.

Vielleicht denken wir bei der Planung des nächsten Gemeindefestes mal nicht in „Kinderprogramm“, „Seniorennachmittag“ und „Gottesdienst für Erwachsene“, sondern richten den Tag bewusst auf Durchmischung aus. Oder Du meldest dich für den Anfang mal wieder bei Ida und fragst sie, wie es ihr geht und ob sie Lust hat, am Sonntag mit euch in den Zoo zu gehen.