Newsletter #LaTdH

Enthemmt – Die #LaTdH vom 5. Januar

Der EKD-Ratsvorsitzende erhält Morddrohungen: Ist das eine Netz-Debatte? Außerdem: Appeasement der Rechten, zwecklose Orte und eine Predigt zum neuen Jahrzehnt.

Willkommen zu den ersten „Links am Tag des Herrn“ im neuen Jahr! Nun da die Abwesenheitsnotizen wieder abgestellt werden und der Arbeitsalltag aufs Neue beginnt, kehren wir wieder zum bewährten Format der #LaTdH zurück, nachdem wir davon in der Zeit „zwischen den Jahren“ für ein Special über bedeutende Jahrestage eine Ausnahme gemacht haben. Los geht’s:

Debatte

Morddrohungen gegen Bischof Bedford-Strohm nach Flüchtlingsschiff-Initiative (Augsburger Allgemeine)

Im lesenswerten Interview mit der Augsburger Allgemeinen berichtet der EKD-Ratsvorsitzende @landesbischof Heinrich Bedford-Strohm u.a. von „recht konkrete[n] Drohungen“, die er im Netz aufgrund seines Engagements für die Seenotrettung erhalten habe. Im Kontext der Morddrohungen gegenüber WDR-Journalist*innen, stellt Bedford-Strohm fest:

Soziale Netzwerke sind zum Schutzraum für Hetzer geworden, das kann nicht sein. […] Menschen stacheln sich im Netz gegenseitig an und werden immun gegen andere Meinungen. Menschen, die dort hetzen, bekommen das Gefühl, dass ihre menschenfeindlichen Äußerungen salonfähig sind – zumindest in den Filterblasen, in denen sie sich bewegen. Daher sind soziale Medien häufig Katalysatoren für eine Art des Umgangs miteinander, die inakzeptabel ist.

In der gerade anschwellenden Diskussion über die Rolle der Sozialen Medien bei der gesellschaftlichen Enthemmung (einer jährlichen Tradition) wird es nicht lange dauern, bis wieder härtere Strafen und feinmaschigere Gesetze gefordert werden. Wichtig dabei: Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) soll eigentlich genau das leisten, wird von den großen Plattformen aber unterlaufen.

Mann Oh Mann, irgendwann gewöhntest du dich dran

Auf Twitter und Facebook, über die Kommentarfunktion und per Email erhalte auch ich immer wieder geschmacklose Anwürfe und Drohgebärden. Vor allem nach Berichten über Asyl- und Migrationsthemen und den Themenkomplex Rechtsradikalismus und Kirche häuft es sich. Man gewöhnt sich dran, so wie auch Bedford-Strohm meint: „Ich nehme [die Drohungen] nicht sehr ernst“.

Man täte mancher ordinären Netz-Hetze auch zu viel der Ehre an, wenn man sich von ihr aus der Bahn werfen lassen würde. Doch wo verläuft die Grenze? Ab wann ist es wirklich nicht mehr witzig, sondern todernst?

Um das zu entscheiden braucht es neben Erfahrung und Kompetenz vor allem einen breiteren Blickwinkel: Denn Hass und Hetze gibt es nicht allein im Netz, die Diskussion darf nicht zu einer Netz-Debatte verkürzt werden. Dort wo es gefährlich wird, hetzen eben nicht nur aus dem Ausland bestellte „Trolle und Bots“, sondern konkrete Menschen, die ihren Drohungen auch Taten folgen lassen können. Was sonst haben die Morde an Walter Lübcke und in Halle im vergangenen Jahr wieder einmal gezeigt?

Schweigen ist keine Option – Philipp Greifenstein (Die Eule)

Bereits gestern Abend habe ich vier Einsichten zum Thema formuliert, die von Christ*innen jedenfalls mehr fordern, als über „das Netz“ zu schimpfen. Die Enthemmung von Rechts ist eine Herausforderung für die ganze Gesellschaft und darum auch für uns Christ*innen:

Dass mit Bedford-Strohm ein prominenter Kirchenmann Drohungen gegen ihn öffentlich macht, ist vor allem deshalb wichtig, weil überall im Land weniger exponierte Menschen davon betroffen sind. Für die dringend notwendige Debatte darüber könnte Bedford-Strohm als Katalysator dienen.

Das Abschiedsinterview mit Ilse Junkermann – Philipp Greifenstein (Die Eule)

Im Juli des vergangenen Jahres habe ich Ilse Junkermann interviewt, die im Herbst 2019 als Landesbischöfin der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) ausgeschieden ist. Im Interview sind wir auch auf die Morddrohungen zu sprechen gekommen, die sie als Reaktion auf ihr Engagement gegen Rechtsextremismus erhalten hat.

Eule: Es ist ja die Aufgabe einer Bischöfin aus dem Evangelium heraus ein Wort in die Gesellschaft, in die aktuelle Zeit hinein zu geben. Das haben sie nach meiner Wahrnehmung getan, gerade in der Frage des Rechtsextremismus. Hat das was genützt?

Junkermann: Natürlich hat es genutzt, […]. Es hat viele örtliche Initiativen gegen Rechtsradikale gestärkt und ermutigt, dass da eine sich wagt, mit ihrem Gesicht dafür zu stehen und damit auch Unmut zu erregen, bis hin zu massiven Morddrohungen. In meinem persönlichen Leben bedroht zu werden, war für mich grenzwertig, zeigt aber nurmehr, wie nötig das Engagement ist! Viele Menschen in der EKM und auch darüber hinaus, fragen mich: Wer sagt jetzt noch ein klares Wort?

nachgefasst

„Notoperation“ in Connewitz: Medien als Echokammer der Polizei – Andrej Reisin (Übermedien, €)

Haben Sie trotz der mit der Jahresendtrunkenheit verbundenen neujährlichen Katerstimmung in den vergangenen Tagen von Connewitz gehört? Wenn ja, dann wahrscheinlich ein Potpourri unterschiedlicher Meldungen und Meinungen zum „linken Terror“ im Stadtteil der Messe- und Revolutionsstadt Leipzig. Denn es ist so gar nicht friedlich zugegangen.

Licht ins Dunkel der Polizeimeldungen und Berichterstattung der Medien bringt Andrej Reisin (@Andrejnalin77) bei Übermedien, inkl. einer Kontextualisierung mit den übrigen Polizei-Medien-Verfehlungen der letzten Jahre.

„Bild“ vermischt den Connewitzer Angriff mit einem brennenden Polizeiauto in Hamburg (das an Silvester von Jugendlichen in einem allgemein als Problemstadtteil geltenden Viertel angezündet wurde) und anderen unaufgeklärten Vorfällen zu einer neuen Dimension „linker Gewalt“ – obwohl in keinem einzigen Fall eine politische Motivation der Täter belegt ist. […]

[…] die polizeiliche Darstellung der Realität ist nicht in jedem Fall zutreffender als die anderer Beteiligter – und auch sie kann von Eigeninteressen durchsetzt sein.

Was tun, wenn nicht nur BILD und Tag24 nicht zu trauen ist, sondern auch der Polizei? Abschied vom Autoritätsfimmel, vielleicht? Wir alle sind nur interessengeleitete Akteur*innen und Teil der gefallenen Schöpfung. Ansonsten sind vor allem die Reflexe der Lokal- und Landespolitik bemerkenswert – in Sachsen darf es doch „Terror“ heißen, solange er vermeintlich von links kommt.

Bildung: Kopftuchverbot bis 14 und Bildungspflicht bis 18 – Lisa Nimmervoll (Der Standard)

Neuigkeiten aus Österreich: Dort haben die türkisfarbene Kurz-Partei (ehem. ÖVP) und die Grünen einen Koalitionsvertrag ausgehandelt, der von der österreichischen Presse nun durchleuchtet wird. Anscheinend haben sich die Grünen als Preis für reichlich Klima im Vertragswerk auf anderen Politikfeldern wichtige Anliegen abverhandeln lassen. Natascha Strobl (@Natascha_Strobl) warnt darum bei VICE die anderen grünen Parteien schon mal vor.

Lisa Nimmervoll beschreibt im Standard das Misstrauen insbesondere gegenüber muslimischen Bildungseinrichtungen und das Kopftuchverbot bis 14. Der christliche Religionsunterricht wurde übrigens gestärkt.

Der jeden rechtspopulistischen Odeurs unverdächtige Chefredakteur des Falters, Florian Klenk, hat sich beim islamfreundlichen Teil der progressiven Crowd in die Nesseln gesetzt, weil er das schulische Kopftuchverbot als „säkulare Pause“ interpretiert. Doch auch wer Klenk und den Koalitionär*innen darin nicht zustimmt, muss sich fragen: Welche Argumente sind dagegen sinnvoll ins Feld zu führen?

Buntes

Warum ich nicht mehr mit Rechtsextremen spreche – Linda Rachel Sabiers (SZMagazin)

Dieser Text vom letzten Sommer hält mehr als die leicht generische Überschrift verspricht: Denn es geht der Autorin @LindaSabiers nicht um eine Einmischung in einen intellektualisierten Diskurs über gesellschaftliche Debatten. Sie schreibt aus eigener Erfahrung.

Im Lichte der jüngsten Ereignisse von Connewitz angefangen, über die Mode der Morddrohungen bis hin zum politischen Appeasement der Rechten eine unverzichtbare Lektüre. Denn vielfach zeichnet sich der Umgang mit Rechtsradikalen nicht nur durch eine permanente Dialoghaltung aus, sondern gleicht einem willfährigen Entgegengehen.

Wo Millennials auch am Mittwoch beten – Matthias Drobinski (Süddeutsche Zeitung)

Matthias Drobinski (@MatthiasDrobins) hat für die SZ das Gebetshaus von Johannes Hartl (@DrJohannesHartl) und das Raumschiff Ruhr mit Hanna Jacobs (@hannagelb) besucht und findet, dass beide trotz einiger Unterschiede (im Raumschiff wird auch diskutiert) doch ne Menge gemeinsam haben:

„Hier ist mein Lieblingsort“, sagt Hartl und öffnet die Tür zur Kapelle. Wo einst Fitnessgeräte schnurrten, ist nun ein dunkler, stiller Raum. Auf halber Höhe schwebt goldschimmernd ein Korpus des Gekreuzigten. „Welch eine Verschwendung“, sagt Hartl zufrieden, „ein Raum für nichts als fürs Gebet – fürs Zwecklose.“ Der goldglänzende Jesus wäre Hanna Jacobs sicher „too much“. Das mit dem Ort fürs Zwecklose dürfte sie kaum anders formulieren.

Drobinski gelingt es mit seinem einfühlendem Porträt fast, mir das Gebetshaus sympathisch zu machen. Ansonsten fallen mir doch spontan noch zwei Unterschiede zwischen den beiden Unternehmungen auf: Die Härte der Fokussierung auf die geistliche Leitungsperson. Da könnte Jacobs noch ne Schippe drauf legen. Und die unterschiedliche Beantwortung der Frage, wer denn so alles kommen und bleiben darf so wie er*sie nun mal geschaffen wurde. Aber vielleicht wollen’s die Millennials ja moral-dogmatisch fester, als ich vermute?

Predigt

Zum Jahrzehnt – David Kriesel (36C3, YouTube)

David Kriesel beschließt seinen ohnehin spannenden, weil interessanten und unterhaltsamen, Vortrag über Datamining bei der Bahn (inkl. Tipps für Bahnfahrer*innen) mit einem kurzen Impuls zum Thema Empörung anlässlich des Dekadenwechsels. Hörens- und sehenswert!

Wenn wir es gemeinsam schaffen, dass wenigstens manche, die heute echt nichts Besseres zu tun haben, als sich im Internet zu empören, im nächsten Jahrzehnt zur engagierten Analyse übergehen, und dabei auch anerkennen, wen was rauskommt, das sie vorher nicht gedacht hätten, dann haben wir gesellschaftlich unglaublich viel gewonnen.

Ein guter Satz

„Lieber Gott, schüre unseren Mut. Mögen wir Eilmeldungen tapfer entgegnen. Hilf uns, Frieden und Gerechtigkeit im Zentrum unseres Lebens Raum zu geben, auf dass alle die Güte des Lebens erfahren.“