Erntehelfer gesucht! – Die #LaTdH vom 7. Juli

Liebesgrüße aus Rom oder ein jähes Ende des „synodalen Weges“? Die katholische Kirche rätselt über das aktuelle Papstschreiben. Außerdem: Weitere Catholica, 1 Nickerchen und Kirche im Pech.

Debatte

In der letzten Woche hatte Papst Franziskus einen Brief „an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ geschickt (vgl. dazu auch den kurzen Hinweis in den #LaTdH vom 30. Juni). Angesichts der ambivalenten Formulierungen des Pontifex ist der Streit um die Deutungshoheit und über die Konsequenzen für den „synodalen Weg“, mit dem die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) auf die Krise der Kirche reagieren will, entbrannt.

Überall Papstdeuter – Fabian Klask (Christ & Welt)

Der Papst hat sich mit dem in Deutschland geplanten Reformweg beschäftigt, sein Brief lässt das Kirchenvolk aber nun rätseln: Will da einer bremsen oder helfen? „Wem nützt das Schreiben?“, fragt auch Fabian Klask (@FKlask) in Christ & Welt (@christundwelt):

Ob die Kirche in Deutschland wirklich mit Leidenschaft um Reformen ringen wird, ist momentan noch gar nicht klar. Zu vage sind bisher die Ankündigungen für den Reformprozess, zu schlecht die Erinnerungen an frühere Debattenformate, die im kirchlichen Nirwana landeten. (…)

Mit seinem Brief hat Franziskus der deutschen Kirche mehr Rätsel als Antworten, mehr Interpretationsspielräume als Klarheit geliefert. Hier ein Signal für moderate Veränderer, da etwas, das den Konservativen gefällt. Nur ein Lager steht bei so viel Rücksichtnahme wohl auf der Verliererseite: Jenes, das wirkliche fundamentale Reformen wünscht. Über alle 19 Seiten hinweg gebe es ein Signal, sagt ein Kirchenmann im Vertrauen: Ganz so reformfreudig, wie manche erhofften, sei der Papst eben doch nicht.

Post vom Papst – Michael Schrom (Publik-Forum)

So ungewöhnlich der Schritt, so indifferent bleibt die Botschaft des langen Briefes des Papstes: Unterstützt Franziskus nun eine neue deutsche Synode oder nicht? Und wie viel „Basis-Aufstand“ soll darin wirklich widergespiegelt werden? Michael Schrom, Ressortleiter „Religionen und Kirchen“ bei Publik-Forum (@publikforum), ist skeptisch:

Jede und jeder weiß, dass es bei den Fragen, die auf dem synodalen Weg besprochen werden – Öffnung der Weiheämter für Frauen, Delegation und Demokratisierung von klerikaler Macht und Revision der Sexualmoral – keine Einstimmigkeit geben wird. Jede und jeder weiß aber auch, dass ein synodaler Weg unsinnig ist, wenn diese Themen – wieder einmal – ausgeklammert werden.

Was nun? Papst Franziskus müsste die theologischen Argumente gewichten – vor dem Hintergrund der Erkenntnisse der heutigen Anthropologie. Und er müsste darlegen, wie katholische Einheit in Vielfalt zu denken ist. Dazu böte sich das Subsidiaritätsprinzip an. Doch davor drückt er sich wortreich. Stattdessen stößt man auf nebulöse Wortschöpfungen wie etwa »pastorale Bekehrung«. Was immer damit gemeint sein soll: Orientierung bietet es nicht. Warum aber sollte man seine Hoffnung auf einen »synodalen Weg« setzen, der ohne Verbindlichkeit startet, keine Orientierung bietet und überdies keine Zielperspektive eröffnen will?

Rätselhafte Post vom Papst – Thomas Jansen (Frankfurter Allgemeine Zeitung)

Was den Papst zu seinem Brief „an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“ bewogen hat, lässt sich auch für Thomas Jansen, Politik-Redakteur der FAZ (@FAZ_Politik), schwer sagen:

Manche Passagen in dem 19-seitigen Schreiben lassen sich als Ermutigung lesen, in der Diskussion über kirchliche Reformen voranzuschreiten, andere klingen so, als wolle der Papst verhindern, dass die Debatte – aus römischer Warte betrachtet – aus dem Ruder läuft und es zu einem deutschen Sonderweg kommt. Franziskus beschränkt sich auf allgemeine Hinweise und geht nicht konkret auf den Zölibat, die Sexualmoral oder klerikalen Machtmissbrauch ein. Auch den Missbrauchsskandal erwähnt er mit keinem Wort.

Einige Akzente im Brief des Papstes – Michael Böhnke (MFThK)

In seinem Gastbeitrag für das Münsteraner Forum für Theologie und Kirche (MFThK) wagt der Michael Böhnke, Professor für Systematische Theologie an der Bergischen Universität Wuppertal, eine erste Einschätzung:

Der Papst ist ein Schlitzohr. Er liebt es, seine Botschaften zu verstecken und hofft dann auf Resonanz. So auch im Schreiben an das pilgernde Volk Gottes in Deutschland. Diskret setzt er Akzente. Akzente, die bei der Agenda des synodalen Weges berücksichtigt werden sollten und mit denen er sich, weil er keine Vorgaben macht, zugleich in den synodalen Prozess einbringt.

Wie war das mit der Schuld, Heiliger Vater? – Raoul Löbbert (Christ & Welt)

Raoul Löbbert (@RaoulLoebbert), Redaktionsleiter von Christ & Welt (@christundwelt), erlaubt sich einen Einwand – und formuliert eine Antwort an Franziskus:

Ich lese Ihren Brief. Er zermürbt mich: kein Wort über unsere Schuld, unsere Verantwortung, unseren Missbrauch. Dafür schreiben Sie über die „Erosion und den Verfall des Glaubens“, als seien dafür ominöse andere verantwortlich, der „starke Rückgang der Geburtenzahl“ etwa oder „die Überalterung der Gemeinden“. Auch der „Zeitgeist“ wird mal wieder herbeizitiert. Er bewirkt, suggerieren Sie, dass die Menschen der katholischen Wahrheit den Rücken kehren. Dabei kehren die Menschen nicht der Wahrheit den Rücken, sondern einer Institution, die, wie im Missbrauchsskandal offensichtlich wurde, diese Wahrheit verraten hat, es aber noch immer nicht zugeben kann ohne Relativierung. (…)

Heiliger Vater, Sie äußern sich allgemein lobend über den synodalen Weg. Das freut mich. Der synodale Weg ist eine gute Sache im Prinzip, auch wenn viele ihn kleinreden und kleinmachen wollen. Setzt er doch das vielleicht naive Vertrauen voraus, dass wir als „pilgerndes Volk Gottes“ zusammen schon einen Umgang finden mit unserer Schuld.

Die drohende Entfremdung der Kirche von ihren Gläubigen – Franz-Xaver Kaufmann (FAZ)

In ihrem antimodernistischen Abwehrkampf hat die Kirche auf die Loyalität klerikaler Hierarchien gesetzt und sich der Moderne entfremdet. Zunehmend droht die Gefahr, dass sie sich auch ihren Gläubigen entfremdet – der sexuelle Missbrauch und vor allem dessen systematische Vertuschung wirken wie Brandbeschleuniger, stellt der Religionssoziologe Franz-Xaver Kaufmann in seinem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung anlässlich des jüngsten Papstschreibens fest:

Mit Bezug auf die päpstliche Klerikalismuskritik ist die Missbrauchsdebatte zwar Anlass, aber keineswegs der Kern des Problems. Es geht vielmehr um die Aufarbeitung beziehungsweise Überwindung des gesamten zweiten Jahrtausends der okzidentalen Kirchengeschichte.

Kaufmann schließt sich zunächst der Analyse von Papst Franziskus an, der Klerikalismus sei ein Haupthindernis für jegliche Kirchenreform. Allerdings drängen sich ihm skeptische Rückfragen zum Papstschreiben auf (vgl. dazu auch meinen Beitrag „Mit Double Bind auf den synodalen Weg“ hier in der Eule):

Schon die Aufforderung, Laien sollten nicht durch allzu ehrfurchtsvolles Verhalten dem Klerikalismus Vorschub leisten, kann angesichts der weiterhin kirchenrechtlich geforderten Gehorsams- und Ehrfurchtspflicht gegenüber den „geistlichen Hirten“ (can. 212 CIC/ 1983) als widersprüchlich und als Abwälzung von Verantwortung qualifiziert werden.

Aber noch grundlegender gilt: Klerikalismus ist der selbstverständliche Habitus in einem System, in dem alle entscheidenden rechtlichen Kompetenzen, nämlich die gesamte Gesetzgebung und die höhere Verwaltung und Rechtsprechung, an die Priesterweihe und damit auch an das männliche Geschlecht gebunden sind (can. 129, can. 134 § 1 CIC/1983). (…)

Der Papst stellt also das übliche menschliche Verhalten in seiner Kirche in Frage. Wird das irgendetwas bewirken?

nachgefasst

„Die Täterorganisation kann keine Aufarbeitung machen“ – Interview mit Harald Dreßing (DLF)

Der Forensiker Harald Dreßing hat die MHG-Studie der Deutschen Bischofskonferenz zum sexuellen Missbrauch in der römisch-katholischen Kirche geleitet, und nun neue Erkenntnisse zu den gesundheitlichen Folgen für die Opfer veröffentlicht. Im Gespräch mit Christiane Florin (@ChristianeFlori) fordert er angemessene Entschädigungen und Einsicht in kirchliche Akten, damit Täter und Mitwisser bekannt werden.

Die jüngsten Äußerungen von Alt-Papst Benedikt XVI. (Josef Ratzinger) sieht Dreßing als „schlichtweg jenseits aller wissenschaftlichen Erkenntnis“. Und dass im September ein „Institut für Prävention und Aufarbeitung sexualisierter Gewalt in der Kirche“ seine Arbeit aufnimmt und als Leiter der bisherige Präventionsbeauftragte des Erzbistums Köln vorgesehen ist, stößt auf die Kritik des Experten:

Und dieses Institut, was sich ja wirklich dann auch noch Institut für Prävention und Aufarbeitung nennt, das ist – also, gestatten Sie mir mal den Vergleich – das ist wie, wenn der frühere VW-Chef ein Institut gründet zur Aufklärung des Diesel-Skandals, seinen früheren Abteilungsleiter zum Chef macht und sagt: Wir arbeiten nun die Dieselaffäre auf. Das ist unglaubwürdig und wird sicherlich nicht angenommen werden.

Die Verantwortung der Theologie – Kirsten Dietrich (DLF)

Wie war massenhafter sexueller Missbrauch möglich? Hat das auch etwas mit der rigorosen römisch-katholischen Moral zu tun? Wir haben gesündigt, sagt der Moraltheologe Antonio Autiero, mehr Widerspruch sei nötig gewesen. Die Debatte in der Theologie hat gerade erst begonnen, zeigt der Beitrag von Kirsten Dietrich (@KBDietrich) im Deutschlandfunk (@DLF).

Skizze einer traumasensiblen Theologie – Andreas Stahl (y-nachten.de)

Der Umgang mit Menschen, die durch ein Trauma geprägt sind, das oftmals sogar auf Gewalt und Missbrauch im kirchlichen Rahmen zurückzuführen ist, muss Kirche und Theologie umdenken lassen. Dr. Andreas Stahl gibt im Blog y-nachten (@ynachten) Einblicke in seine Dissertation:

Traumasensible Theologie fragt (…) nach einem angemesseneren und tieferen Verständnis von Vergebung. Vergebung ist nichts, was durch Willenskraft erzwungen werden kann. Sie kann höchstens eine Frucht, ein Geschenk am Ende eines inneren Heilungsweges sein. Sie kann sich einstellen, sie muss es aber nicht. Vergebung ist nie Werk, sondern kann nur Gnade sein. Sie kann also von niemandem eingefordert werden. Auch Jesus hat seinen Folterern nicht vergeben. Er hat nach dem Lukasevangelium am Kreuz ein Gebet für sie gesprochen. Nicht weniger, aber eben auch nicht mehr. Wer kann sich also anmaßen, von Opfern von Gewalt mehr zu verlangen, als Jesus selbst getan hat?

Buntes

Das Ende des Regenbogens …? – Peter Aschoff (peregrinatio.net)

Angesichts des drohenden Klimakollaps und der anhaltenden Tatenlosigkeit und Selbstblockade der nationalen und globalen Politik steht für viele Christinnen und Christen auch die Frage im Raum, was wir als Kirchen beitragen.

Bei einer lokalen Aktion kam jüngst die Frage nach der Symbolik auf, berichtet Peter Aschoff (@paschoff) in seinem Blog peregrinatio. Sollte man sich in der Gestaltung von Plakaten und Bannern an Motive von Fridays for Future oder Extinction Rebellion anlehnen oder lieber auf biblische Motive wie die Arche oder den Regenbogen zurückgreifen? Aschoff findet letzteres aus theologischer Perspektive völlig unpassend:

Wenn wir heute Menschen mobilisieren möchten gegen eine nie dagewesene Krise, dann tun wir uns und der Sache mit solchen Signalen aus der Mottenkiste keinen Gefallen. Statt in der Genesis sollten wir besser in der Apokalypse blättern.

Angriff gegen die rotgrün versiffte Kirche – Matthias Möhring-Hesse (feinschwarz.net)

Matthias Möhring-Hesse, Professor für Theologische Ethik/Sozialethik an der Universität Tübingen, setzt sich im Theologischen Feuilleton @feinschwarz_net mit dem „Kirchenpapier“ der AfD, „Unheilige Allianz“, auseinander. Er zeigt auf, wie hier rechtspopulistisch agiert wird: durch Polarisierung, fundamentalistische Bibelauslegung und Monopolisierung der Wahrheit. Der Sozialethiker sieht eine Herausforderung für die Kirchen – aber auch Zukunftsaussichten, die nicht erschrecken müssen:

Gegenüber einer Ökumene von rechts könnte eine beherzte Ökumene des christlichen Anti-Populismus und darüber eine bunte Einheit von Kirche entstehen. Durch das – theologisch gesehen – unvermeidbare Schisma käme es dann zu einer – theologisch gesehen – längst überfälligen Vereinigung noch getrennter Kirchen in einem für Vielfalt offenen Glauben. Einige Vertreter!nnen in kirchlichen Ämtern und Gremien müssen allerdings höllisch aufpassen, dass sie bei dieser doppelten Ökumene nicht – mehr oder weniger aus Versehen – in der rechtsgläubigen Ökumene landen.

Pech gehabt, Kirche – Antje Schrupp (Gott und Co.)

In den Kirchen erzählte man sich in den vergangenen Jahren häufig, dass der Mitgliederrückgang überwiegend demografische Gründe habe. Im Zusammenhang einer neuen Studie zur Mitgliederentwicklung (#Projektion2060, vgl. dazu die #LaTdH vom 5. Mai) ist klar geworden, dass das gar nicht stimmt. Der Hauptgrund ist vielmehr, dass reihenweise Menschen aktiv die evangelische Kirche verlassen:

Ein Drittel der als Kinder Getauften tritt bis zum Alter von 35 Jahren aus der Kirche aus. Und von denen, die drin bleiben, lässt ein Fünftel die eigenen Kinder nicht mehr taufen. Antje Schrupp (@antjeschrupp) hält die zur Erklärung häufig bemühten Argumente wie „Säkularisierung“ oder „Fehler in der Kommunikation“ für unzureichend:

Die Verstarrung und Entleerung der christlichen Botschaft durch (teilweise inhaltlich problematische) Rituale, Floskeln und Sprechblasen ist Jahrhunderte alt und eine Folge der Verquickung mit irdischer Macht. Wer irdische Macht hat, braucht niemanden zu überzeugen, er kann die Leute ja zwingen. Genau so verlief über Jahrhunderte hinweg die christliche „Mission“. Heute funktioniert das aber nicht mehr, zum Glück. Heute müsste man Leute überzeugen. (…) Heute treten die Leute halt reihenweise aus. Jo, Kirche, Pech gehabt.

Bibel

Chillen in der Bibel – Elisabeth Birnbaum (feinschwarz.net)

An anstrengenden Arbeitstagen, gerade jetzt, wo der Urlaub schon heiß (!) ersehnt wird – wären ein wenig Erholung, Ruhe und Schlaf sehr willkommen. In der Bibel ist davon häufig die Rede. Nicht immer jedoch ist das biblische „Chillen“ ganz ungefährlich, zeigt Elisabeth Birnbaum bei @feinschwarz_net. In ihrem kleinen Überblick entwickelt die Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks eine „Theologie des Ausruhens“ und stellt fest:

Chillen und Powernapping sind ganz im Sinne Gottes. Bei längerem Schlaf hingegen sollte zumindest beachtet werden, in wessen Gesellschaft man einschläft, ob die räumlichen Umstände für einen gefahrlosen Schlaf geeignet sind, und ob die Bereitschaft für (positive oder negative) Überraschungen ausreichend vorhanden ist.

Predigt

Stellenausschreibung – Klaus Müller (uni-muenster.de)

In der Geschichte von der Aussendung der 72 Jünger, also der Beauftragung derer, die das Evangelium zu den Menschen bringen sollen, aus dem heutigen Tagesevangelium (Lk 10, 1-12.17-20) erkennt Klaus Müller, Professor für philosophische Grundfragen der Theologie an der Universität Münster, eine Stellenausschreibung für alle, die in Jesu Dienst der Verkündigung treten möchten:

Der Verkünder darf sich die Adressaten seiner Botschaft nicht nach Maßgabe seiner persönlichen Vorteile aussuchen. Es passt nicht zum Evangelium, darauf zu schielen, wo man komfortabler aufgenommen wird. Menschlich gesehen ist das gewiss verständlich, dorthin zu gehen, wo man Zustimmung erfährt und Hochschätzung und Gesten des Wohlwollens. Doch der Arme, der Zweifler, der Kritiker muss dem Verkünder genauso viel wert sein, sagt Jesus. (…)

Habt keine Angst vor fremden Überzeugungen und Lebenseinstellungen und Gebräuchen. Geht zu denen, die ohne Trauschein leben, geht zu den Yuppies, deren Träume aus Aktienkursen bestehen, geht zu denen, die Angst haben vor den Fremden und zu den Fremden, die am Rande stehen. Seid mit ihnen, damit ihr eure Botschaft so ausrichten lernt, dass sie alle euch verstehen!

Ein guter Satz